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Lebensalltag, Natur und Universum Gedichte über den Lebensalltag, Universum, Pflanzen, Tiere und Jahreszeiten.

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Alt 31.07.2008, 09:54   #1
Fuenkchen
 
Dabei seit: 02/2006
Beiträge: 51

Standard Stadtschmetterling

Stadtschmetterling

Auf seinen seidenen Flügeln die Stadt,
Die glitzert im Morgenschein.
Und sie funkelt verqualmt, sie funkelt matt,
Im Glanze des fingierten Scheins.

Sie stiert und ihr fehlt für den Grund die Sicht,
ist Gefangener auf bebenden Schwingen.
Von Mauer zu Mauer, gezeugt, dicht an dicht,
getragen von eines Blinden Lobsingen.

Spannt stur die Flügel, will bis zur Spitze hinauf.
Was fest gebaut beginnt das Zittern,
Wird irrelevant im Zeitenverlauf,
Gott beschaut’s sich, das Feuer witternd.

Die Trageflächen, riesig doch karg,
lodern in blutendem Lichte.
Jammern dumpf, mit gebrochenem Stolz,
über des Menschens Triumph Geschichte.
Fuenkchen ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 08.08.2008, 16:38   #2
Traumwächterin
 
Dabei seit: 08/2006
Beiträge: 112

huhu Fuenkchen :-)

Schade, dass noch niemand dein Gedicht kommentiert hat. Da dacht’ ich, ich tippsele dir mal ein paar Zeilen dazu.

Mein erster Eindruck von dem Gedicht war eigentlich erst einmal positiv – zumal, wie mir scheint, es dein erstes hier ist. Dafür ist es wirklich gar nicht mal schlecht. Es hat mich schon irgendwie angesprochen. Trotzdem nach mehrmaligen Lesens fand ich es in sich nicht „stimmig“ und es hat mir leider immer weniger gefallen.

Jaa, ich zeige dir am besten Mal Strophe für Strophe was ich meine und fange mit dem Titel an.

Stadtschmetterling. In zwei Worten wäre das Stadt, was immer für etwas Menschengeschaffenes, etwas Künstliches, etwas Graues steht, und Schmetterling, was etwas Natürliches, Buntes und Lebendiges darstellt. Der Titel, der übrigens ziemlich interessant ist und daher gut gewählt, setzt sich also assoziativ aus zwei Gegensätzen zusammen. Beim ersten Lesen stellte sich mir die Hypothese auf, dass es vl., um Stadt (Zivilisation o.ä.) gegen Natur ginge.

Zitat:
Auf seinen seidenen Flügeln die Stadt,
Die glitzert im Morgenschein.
Und sie funkelt verqualmt, sie funkelt matt,
Im Glanze des fingierten Scheins.
In dieser Strophe fällt mir zuerst die Sprache auf. Die fängst in einem „malerischen“ Stil an; „seidene Flügel“ und „Morgenschein“. Das sind beinahe „romantische“ Begriffe. Diese stehen sich gegenüber zu dem „fingierten“, also dem fiktiven, vorgetäuschten Schein. Es kann sein, dass dieser krasse Wechsel von malerischer Sprache zu dem Fremdwort gewollt ist. Mir gefällt er jedoch nicht; er lässt die Sprache inkonsequent und nicht „stimmig“ wirken. Es mag legitim sein, Sprache so zu instrumentalisieren, dass sie wechselt, verschiene Stile benutzt, um zwei Themen gegenüberzustellen. Aber: Auch das müsste konsequenter durchgeführt werden. Wenn du aber schreibst : „Im Glanze des fingierten Scheins“ verbindest du die hochgestochene, malerische, fast altertümliche Sprache mit dem kalten, harten Fremdwort „fingiert“ (für mich deuten Fremdwörter immer auf eine präzise Sprache hin, eine die beinahe wissenschaftlich ist und somit eher „hart“ – auch im Klang) Innerhalb eines Satzes funktioniert das – meiner Meinung nach - nicht.
Was ich auch ungeschickt finde ist die Wiederholung „sie funkelt verqualmt, sie funkelt matt“. Es ist unnötig und in meinen Ohren einfach nicht schön. Klar, du versucht eine bestimmte Wirkung zu erzielen, aber bei mir ist sie jedenfalls nicht angekommen.

Zitat:
Sie stiert und ihr fehlt für den Grund die Sicht,
ist Gefangener auf bebenden Schwingen.
Von Mauer zu Mauer, gezeugt, dicht an dicht,
getragen von eines Blinden Lobsingen.
Hier gerät irgendwie der Rhythmus durcheinander. Ich bin miserabel was Metren angeht, ich lese, ich höre, ich merke, wie es stockt; „Von Mauer zu Mauer gezeugt, dicht an dicht“ Hier stockt es merklich (ist an anderen Stellen auch der Fall, aber hier es am offensichtlichsten). Auch die zweifache Wiederholung gefällt mir gar nicht; „Mauer, Mauer“ und „dicht, dicht“ Ist einfach ungeschickt und klingt nicht.

Zitat:
Spannt stur die Flügel, will bis zur Spitze hinauf.
Was fest gebaut beginnt das Zittern,
Wird irrelevant im Zeitenverlauf,
Gott beschaut’s sich, das Feuer witternd.
Hier fällt mir wie oben auf, dass die Sprache in sich nicht “harmoniert”; irrelevant und Zeitenverlauf sind einfach unpassend zueinander. Außerdem stimmt der Reim nicht: „witternd“ und „Zittern“ reimt sich nicht so recht, genauso wie oben „Scheins“ und „Morgenschein“, was jedoch noch ungeschickter ist.
In Zeile 4 stockt es wieder beim Lesen; sie ist total unrhythmisch.

Zitat:
Die Trageflächen, riesig doch karg,
lodern in blutendem Lichte.
Jammern dumpf, mit gebrochenem Stolz,
über des Menschens Triumph Geschichte
Hier fällt mir besonders auf: Du benutzt viele Adjektive. riesig, karg, blutend, dumpf, gebrochen. Das ist auch in den anderen Strophen der Fall. Leider kommt es mir so vor, als würdest du lieber mit Adjektiven alles beschreiben, als es metaphorisch zu tun. Dadurch klingt deine Sprache manchmal eher erzählerisch und wenig „verdichtet“.

Inhaltlich finde ich das Gedicht relativ schwer, deswegen komme ich erst jetzt dazu. Zunächst drängt sich dem Leser die Hypothese auf, es gehe um eine Stadt und einen Schmetterling. Aber das scheint mir nicht ganz richtig, vielmehr, dass die Stadt und der Schmetterling verbunden sind, vielleicht sogar eins.
Es lässt sich vermuten, dass entweder die Stadt ein Schmetterling ist, mit ihr also verglichen wird. Oder aber der Schmetterling trägt die Stadt auf seinen Flügeln. Mir scheint Letzteres am wahrscheinlichsten, aber auch am „reizvollsten“. Dann wäre das Menschengeschaffene, die Gebäude, die Straßen auf den Schwingen eines Tiers errichtet worden, also symbolisch auf der Natur. Die Natur ist „seiden“ und schön, während die Häuser etc. „matt“, also eher „hässlich“ sind und vielleicht die Natur „verderben“. „Ist Gefangener auf bebenden Schwingen“ – Diese Zeile sagt mir, dass die Stadt aber auf die Natur angewiesen ist, auf ihr errichtet ist und ihrem „Beben“ ausgeliefert, deswegen „zittert das Festgebaute“, „gerät ins Wanken“, so dass das Menschengeschaffene im Angesicht der unendlichen Zeit (des „Zeitenverlaufs“) vergeht, „irrelevant“ und nichtig wird. Doch auch der Schmetterling trägt Schäden davon; er ist „gebrochen“ in seinem „Stolz“, blutet, jammert über die „Triumphgeschichte der Menschen“.
Diese Interpretation finde ich persönlich am schönsten. Sie würde ein wunderbares Bild erzeugen, auch formal einfach reizvoll sein und eine interessante Aussage haben: Unsere Zivilisation ist auf seidenen, zerbrechlichen Flügeln gebaut, die jederzeit alles, was für als Großartig erachten, zerstören kann. Aller Fortschritt hängt am „seidenen Faden der Natur“.

Insgesamt: Das Gedicht ist interessant und durchaus ansprechend. Jedoch gerade, weil es so wenig „verdichtet“ ist und die Sprache manchmal in sich nicht „konsequent“ ist, kann es mich nicht so ganz überzeugen. Durch die Reime, die nicht ganz passen, und die Wiederholungen, wirkt es alles ein wenig „unbeholfen.“
Trotzdem: Gerne gelesen

Hoffe du kannst ein wenig was mit meinem Kommentar anfangen,
ganz liebe Grüße
von der Traumi
Traumwächterin ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 09.08.2008, 22:48   #3
Fuenkchen
 
Dabei seit: 02/2006
Beiträge: 51

Hallo Traumwächterin!

Bin gerade erst durch den Thread "Kritik des Monats" darauf aufmerksam geworden, dass du mir einen Kommentar geschrieben hast. Ich muss sagen, ich hatte gar nicht mehr damit gerechnet. Als ich das Gedicht hier hineingestellt habe, hatte ich noch keine anderen im Forum gelesen - als ich das dann getan hatte, dachte ich nur "Oh mein Gott, und du stellst da sowas rein?!". Das Gedicht ist nur auf meinem Schulwissen aufgebaut, was das mit dem Metrum etc. erklären dürfte. Nachdem ich mich im Forum umgeschaut habe, hab ich mich entschieden, lieber beim Geschichtenschreiben zu bleiben

Trotzdem finde ich es sehr schön und weiß es zu schätzen, dass du mir eine solch ausführliche Kritik schreibst. War echt verwundert - erst kommt gar nichts und dann sowas

Das widersprüchliche in der Wortwahl - zugegebener Maßen unbewusst eingebaut - gefällt mir doch ganz gut. Vielleicht ist das Ansichtssache...? Wobei ich dir zustimmen kann ist, dass sich "Von Mauer zu Mauer, gezeugt, dicht an dicht," sehr holprig und unbeholfen anhört. Falls ich das Gedicht mal überarbeiten sollte, fange ich hier an. Auch bei den fehlenden Metaphern und den schlechten Reimen gebe ich dir Recht.

Zitat:
Unsere Zivilisation ist auf seidenen, zerbrechlichen Flügeln gebaut, die jederzeit alles, was für als Großartig erachten, zerstören kann. Aller Fortschritt hängt am „seidenen Faden der Natur“.
Schön, dass du trotz der stilistischen Unzulänglichkeiten das entdeckt hast, worauf es mir ankam. Das könnte man glatt als meine Interpretation übernehmen.

So, dann bedanke ich mich nochmal für deine ausführliche Kritik. Das ist mal eine, so wie man sie sich wünscht

Liebe Grüße,
Fünkchen.
Fuenkchen ist offline   Mit Zitat antworten
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