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Zeitgeschehen und Gesellschaft Gedichte über aktuelle Ereignisse und über die Menschen dieser Welt.

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Alt 08.02.2008, 01:05   #1
lyrwir
 
Dabei seit: 06/2007
Beiträge: 449

Standard 70er

Auf den Bänken sitzen Leichen,
vor der Zeit schon abgetreten,
werfen Enten in den Teichen
voll mit Krumen, unerbeten.

Kommt Ulrike, weiß es besser:
Seht, der Spaß ist längst vorbei.
Und Andreas, mit dem Messer,
ritzt Parolen: Schießt euch frei!

Dieses sei das frische Diktum:
wie man weiß, der Vietcong,
ist der neue Mensch und punkt um,
schmeißt euch runter vom Balkon.

Leider steht dem neuen Ganzen
stets das Alte quer im Wege.
Die Verhältnisse zum Tanzen
bringt nur die Pistolenpflege.

Doch, oh weh, es nimmt kein Ende,
mit der Revoluzzerei.
War wohl nix mit Fisch im Wasser
und der Spaß ist längst vorbei.

(Für Horst Mahler, der den Weg konsequent zu Ende geht)
lyrwir ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 08.02.2008, 11:40   #2
mabel
 
Dabei seit: 04/2006
Beiträge: 93

Standard RE: 70er

Acherje, lyrwir(r),

Mahler? Hier? Er geht also "konsequent seinen Weg"? Aha. Hatte er je einen konsequenten Weg? Wenn ja, welchen? Wir können das gerne in einem dafür geeigneten Forum fundiert ausdiskutieren. Hier paßt der Mahler nun wirklich absolut nicht hin und schon gar nicht in so einer läppischen Form, wie in Deinem Gedicht. Dem Phänomen Mahler kann man nur durch differenzierte interdisziplinäre Analysen annähernd auf die Spur kommen, unter Einbeziehung derer, die er instrumentalisiert hat für seine Belange( ich denke an Schily und Schröder, um zwei zu nennen).
Mir gibt Deine Widmung wirklich zu denken. Dennoch interessant, wie manche politischen Stimmungen in Köpfe schwappen und welcher Tang dort hängenbleibt.

Gruß Mabel
mabel ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 08.02.2008, 11:50   #3
lyrwir
 
Dabei seit: 06/2007
Beiträge: 449

Hallo Mabel,
Mahler ist schon konsequent, nur halt jetzt in einem anderen Verein, der aber, wie die RAf, auf dem Prinzip von Führen, Gehorchen, Autorität bis hin zur Bejahung von Diktatur beruht. Vom Internationalen zum Nationalen, da sehe ich keinen Unterschied. Seinen Antiamerikanismus und seine Ablehnung des Staates Israel konnte er bequem mitnehmen.
Welche politischen Stimmungen in meinem Kopf schwappen und ob da nur "Tang" hängenbleibt, kannst du wohl kaum wissen.
Aber schön, dass dir der Text zu denken gibt.
Gruß,
LW
lyrwir ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 08.02.2008, 12:19   #4
mabel
 
Dabei seit: 04/2006
Beiträge: 93

Hi nochmal,
es tut mir leid, speziell Deinen Kopf meinte ich gar nicht, als ich über den Tang sprach. Das kam bei dir falsch an. Dennoch macht es mir Bauchschmerzen, ein solches Thema hier anzureissen und dann einfach so stehenlassen zu müssen. Ganz so einfach kann es nicht abgehandelt werden, so aus der Luft und ohne fundierte Argumentation. Auch Dein Gleichsetzen der inneren Strukturen von RAF mit NPD ist mir viel zu einfach. Beenden wir diesen Diskurs, wegen seiner Halbheiten. So kann ich nicht arbeiten.

Mabel
mabel ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 08.02.2008, 13:21   #5
MORDS TUSSI
 
Dabei seit: 10/2006
Beiträge: 369

hallo lyrwir

ich habe ja immer so meine probleme mit derart politischen gedichten, weil das thema, so wie mabel anmerkt, nur verkürzt dargesteltt werden kann.

aber - und ich lese dein gedicht als nachzügler eines "politischen aschermittwochs" - ich kann mich der attraktivität des provokanten themas nicht erwähren.
es ist gut auf den punkt gebracht. dafür hast du ausgewählte "sprüche und anekdoten" in die strophen eingewoben. nachtürlich unter deinem speziellen erkenntnis leitenden interesse.
mir fällt da noch eine "nette geschichte" ein, als die raf im nahost "ausbildungs-camp" gastierte um schießen zu lernen. die palestinenser waren dagegen, dass die männer und frauen der raf in einem zelt schlafen. baader regte sich auf und sagte: "schießen und ficken gehören zusammen."
all diese differenzen konnte die beiden organisationen natürlich nicht trennen, denn die basisbanalitäten stimmten: hass auf amerika und hass auf israel.

du sprichst hier etwas an, womit man sich durchaus noch auseinander zu setzen hat, wenn man die geschichte der raf verstehen will.
die frage ist dann natürlich: wie konnte mahler die "seiten" wechseln? war das ein langer weg von links über die mitte nach rechts? wohl kaum. vielmehr hat er den kürzeren weg genommen und zwar "hinten rum" - der kreis schließt sich. ist das konsequent, oder übersieht mahler ein paar differenzen, die er großzügig ausblendet, weil seine identität als extremist bedroht wäre?

"Seinen Antiamerikanismus und seine Ablehnung des Staates Israel konnte er bequem mitnehmen."

da gebe ich dirch uneingeschränkt recht. antisemitismus ist ein thema, womit sich "linke" kritisch beschäftigen müssen (das gilt auch gerade für die gegenwart). nur sehe ich einen bruch: es besteht kein linearer zusammenhang zwischen antizionismus und leugnen des holocaust, so wie mahler es tut.
auch sehe ich eine differenz zwischen einer avandgardistischen speerspitze einer weltumfassenden proletarischen revolution und einer anschließenden diktatur des proletariats als übergangszeit zum kommunismus und einem faschistischen führerprinzip.
und natürlich sehe ich die unüberwindbare differenz zwischen theorie und praxis.


grüße
klimmbimm
MORDS TUSSI ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 09.02.2008, 02:40   #6
lyrwir
 
Dabei seit: 06/2007
Beiträge: 449

Hallo Sozialklimmbimm,
ich teile deine Einschätzung, dass ausdrücklich "politische" Gedichte schwierig sind, da sie schnell zu Pamphleten zerfallen. Trotzdem denke ich, dass unsere Zeit solch eine Art von Lyrik braucht. Entweder mit einem persönlichen Anteil (wie ich es hier versucht habe, den Teil meiner Vergangenheit in einer eher ironischen Art anzugehen, der mir auf Grund der endlosen Diskussionen und des ständigen Spagats als besonders nervig in Erinnerung ist), oder, und das fände ich eigentlich besser, auf eine moderne, "freie" Art. Bei den meisten Gedichten geht es um Befindlichkeiten in Beziehungen. Oder ist das persönliche jetzt doch politisch?
Die Anekdote aus Palästina ist witzig und bezeichnend, Sex als individuelle Befreiung (der Männer, die RAF war schwer Chauvi) und schießen als politische Tat. Wer sich heutzutage im Gazastreifen ausbilden lassen möchte, kann sich solche Frechheiten wohl kaum noch erlauben.
Die "linke" sollte sich dringend kritisch beschäftigen mit ihrer Grundhaltung des "Antizionismus". Wenn man Israel für den Verursacher aller Übel hält, ist es nur eine Radumdrehung zum Antisemitismus. Auf youtube gibt es eine sehr interessante Dokumentation zum Anwachsen des Antisemitismus' in islamischen Ländern, die Hamas glaubt ja wirklich an das "Protokoll der Weisen von Zion" und über alte Kontakte dürfte der kleine Schritt gelingen.
Mahler denkt sich wohl: der Feind meiner Freunde ist mein Feind, daher hätte er auch gerne an der Holocaustleugnungstagung in Teheran teilgenommen. Das sieht mir aus wie der alte antiimperialistische Reflex: was aus der dritten Welt kommt, muss wahr sein.
Natürlich gibt es eine gewisse Diskrepanz zwischen Kommunismus und Faschismus, die einen brauchen eine Partei als Führer, (obwohl, in Nord Korea oder in China unter Mao?), die anderen setzen auf einen Führer mit angehängter Partei. Das Prinzip ist das gleiche.
"und natürlich sehe ich die unüberwindbare differenz zwischen theorie und praxis." Die gibt es zum Glück tatsächlich.
Danke für deine Antwort und deine Gedanken.
Grüße,
Lyrwir(r)
lyrwir ist offline   Mit Zitat antworten
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