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Philosophisches und Nachdenkliches Philosophische Gedichte und solche, die zum Nachdenken anregen sollen.

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Alt 10.09.2017, 17:38   #1
männlich Erich Kykal
 
Benutzerbild von Erich Kykal
 
Dabei seit: 09/2011
Ort: Österreich
Alter: 59
Beiträge: 876

Standard Sterbebettlägrig

Aus meiner tiefsten Mitte gerissen
Und verschleudert ins Nichts
Schau ich der Welt ins Gewissen.
Geschworener keines Gerichts
Erbitte ich niemandes Lauschen,
Bevor mich das Schweigen schlägt.
Ob keiner je mit mir tauschen
Mag, eh es mir Trauer trägt?
Bald sterben auch die Gedanken,
Treib ich mir selber davon.
Es fallen die Säulen ins Wanken,
Sag, bersten die Mauern schon?

Sag, halten die fallenden Tage
Ein Weniges kostbar und heil?
Erlaub mir die Gnade der Frage:
Liebt mich die Erde noch, weil
Enthobenes Sichgewöhnen
Nicht weiß, was die Stunde schlägt?
Haben mein Schluchzen und Stöhnen
Am Ende sie gar nicht erreicht?
Und wenn sie mich doch nicht mehr trägt -
Sag: Wird mir das Fortgehen leicht?
Erich Kykal ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 26.09.2017, 10:31   #2
männlich MiauKuh
 
Dabei seit: 08/2017
Ort: Bei Rostock
Beiträge: 2.246

Lieber Erich,
ich gehe das Gedicht mal so durch, wie ich es grade lese, das übt mein metrisches Lesen und vergleicht es mit dem von deiner Intention, da bin ich hier mal sehr interessiert dran, ich hoffe du machst mit.
Über die Bedeutung der Zeilen schreibe ich im Anschluss.

Zitat:
Zitat von Erich Kykal Beitrag anzeigen
Aus meiner tiefsten Mitte gerissen
xXxXxXxxXx
Und verschleudert ins Nichts
xxXxxX (oder: XxXxxX)
Schau ich der Welt ins Gewissen.
xXxXxxXx
Geschworener keines Gerichts
xXxxXxxX
Erbitte ich niemandes Lauschen,
xXxxXxxXx
Bevor mich das Schweigen schlägt.
xXxxXxX
Ob keiner je mit mir tauschen
xXxxXxXx
Mag, eh es mir Trauer trägt?
?????? (xXxXXxX; xXxxXxX)
Bald sterben auch die Gedanken,
xXxxXxXx
Treib ich mir selber davon.
xXxXxxX
Es fallen die Säulen ins Wanken,
xXxxXxxXx
Sag, bersten die Mauern schon?
xXxxXxX

Sag, halten die fallenden Tage
xXxxXxxXx
Ein Weniges kostbar und heil?
xXxxXxxX
Erlaub mir die Gnade der Frage:
xXxxXxxXx
Liebt mich die Erde noch, weil
xXxXxxX
Enthobenes Sichgewöhnen
xXxxXxXx
Nicht weiß, was die Stunde schlägt?
xXxxXxX
Haben mein Schluchzen und Stöhnen
XxxXxxXx
Am Ende sie gar nicht erreicht?
xXxxXxxX
Und wenn sie mich doch nicht mehr trägt -
xXxxXxxX
Sag: Wird mir das Fortgehen leicht?
xXxxXxxX
Das Gedicht ist in zwei Strophen gegliedert.
Die erste Strophe hat 12 Zeilen mit den Silbenzahlen
10 6 8 8 9 7 8 7 8 7 9 7
wobei die Versenden alternierend zwischen unbetont und betont wechseln.

Die zweite Strophe hat 10 Zeilen mit den Silbenzahlen
9 8 9 7 8 7 8 8 8 8
wobei bis einschließlich der 7. Zeile die Versenden von unbetont auf betont wechseln. Die 8. bis 10. Zeile der zweiten Strophe Enden mit einer Hebung.

Ich hatte hier kurz über Hexameter / Pentameter / Distichonen nachgedacht, das führte aber zu gar nichts.

Insgesamt weist das Metrum deines Gedichts auf mich keine Einheitlichkeit auf, weder die jeweiligen Strophen zueinander, noch der Wechsel der Silbenzahlen pro Zeile.

Was die Interpretation deines Gedichts angeht, wirkt es für mich, tja, als läge jemand zurückblickend auf dem Sterbebett. Da kommen dem Menschen viele Fragen und er möchte frei sein von allen Richterspielen, denn er urteilt für sich ganz neutral, und für sich selber. Interessant ist der Umbruch und die Einteilung in Strophen. Warum geschieht das hier? Weil die erste Strophe eher eine Selbstreflektion ist, in die Vergangenheit blickend und die zweite Eher eine Frage an die Welt, die Erde im allgemeinen, eine Frage an die Zukunft?
Zum Schluss tritt die Frage in den Vordergrund: wird das Fortgehen, vermutlich hier Sterben, sich entfremden "leicht"?
Möglicherweise stirbt das lyrische Ich auch gar nicht, sondern ist nur von der Welt so weit entrückt, dass es sich fragt, was eigentlich geschehen ist. Und ob es sich schon so weit entfernt hat ... tut zu verlassen denn "weh"?

Es ist leichter zu verlassen, als verlassen zu werden.

Liebe Grüße,
Werner.
MiauKuh ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 26.09.2017, 11:59   #3
männlich Sonnenwind
 
Benutzerbild von Sonnenwind
 
Dabei seit: 06/2012
Alter: 62
Beiträge: 1.514

Wie kann man ein Gedicht, das derart emotionsansprechend daherkommt, primär nur so technisch analysieren? Um auf Abstand zu halten?

LG Sonnenwind
Sonnenwind ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 26.09.2017, 12:15   #4
männlich MiauKuh
 
Dabei seit: 08/2017
Ort: Bei Rostock
Beiträge: 2.246

Zitat:
Zitat von Sonnenwind Beitrag anzeigen
Wie kann man ein Gedicht, das derart emotionsansprechend daherkommt, primär nur so technisch analysieren? Um auf Abstand zu halten?

LG Sonnenwind
Vielleicht habe ich heute einfach einen kalten, emotionslosen und technischen Tag, an dem mich das nicht so sehr berühert, ausserdem stehe ich dem Tod und derlei Dingen irgendwie doch schon so manches Mal etwas kalt gegenüber. Die technische Analyse ist ja nicht bös gemeint, sie treibt ja die Absicht zu versthen, wie Erich seinen eigenen Text sprechen würde.
MiauKuh ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 26.09.2017, 14:21   #5
männlich Sonnenwind
 
Benutzerbild von Sonnenwind
 
Dabei seit: 06/2012
Alter: 62
Beiträge: 1.514

Ja, meine Kommentarkritik war ja auch keineswegs bös gemeint. Ich hab mich nur gewundert. Deshalb hatte ich sowas beigefügt.

Liebe Grüsse
Sonnenwind ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 26.09.2017, 15:00   #6
männlich MiauKuh
 
Dabei seit: 08/2017
Ort: Bei Rostock
Beiträge: 2.246

Zitat:
Zitat von Sonnenwind Beitrag anzeigen
Ja, meine Kommentarkritik war ja auch keineswegs bös gemeint. Ich hab mich nur gewundert. Deshalb hatte ich sowas beigefügt.

Liebe Grüsse
Alles klar!! Keine Sorge, alles gut bei mir hier!! Ich warte immernoch auf Erich's Antwort, mal sehen wie er diese Dinge hier gemeint hat. (Offenbar war ja der Text sehr emotional und ich .. gefühlsesel habs nicht gerafft, liebe Sommerwind.)
MiauKuh ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 26.09.2017, 18:35   #7
männlich Briefmarke
 
Dabei seit: 04/2011
Ort: Die leere Fernbedienung
Alter: 36
Beiträge: 233

Ausgebombtes Seelenhaus.
Briefmarke ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 26.09.2017, 19:21   #8
männlich Erich Kykal
 
Benutzerbild von Erich Kykal
 
Dabei seit: 09/2011
Ort: Österreich
Alter: 59
Beiträge: 876

Hi MiauKuh, Sonnenwind, Briefmarke!

Amüsante kleine Rache für meine ebenso akribische Analyse deines Gedichts! Da kann ich schmunzeln - bin auch gar nicht böse: Wer austeilt, muss auch einstecken können!

Zur Erkärung: Dies ist eines meiner älteren Werke, so von 2011 oder so, soweit ich mich entsinne, und eins der extrem wenigen, bei denen ich ganz der Sprachmelodie gefolgt bin. Warum? Weil meine primäre Aufmerksamkeit anderswo lag - "Briefmarke" hat es als einziger bisher erkannt! Bravo!

LG, eKy
Erich Kykal ist offline   Mit Zitat antworten
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