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Philosophisches und Nachdenkliches Philosophische Gedichte und solche, die zum Nachdenken anregen sollen.

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Alt 19.09.2017, 20:45   #1
männlich Erich Kykal
 
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Beiträge: 876

Standard Der Außenstehende

Wer spielte nicht die Flöte seines Lebens
mit allem Atem, den die Lungen tragen?
Wer würde nicht sein ganzes Wollen wagen
im Wechselspiel des Nehmens oder Gebens?

Wie sind wir darin heiteren Bestrebens
und ahnen kaum die ungestellten Fragen
des Unbekannten, der das Wohlbehagen
in Frage stellt am Knotenpunkt des Webens.

Er steht und schweigt an einer blinden Stelle,
die sich nicht fügen will dem leichten Treiben,
als stünde er im Schatten einer Schwelle,

die niemand willens ist zu überschreiten.
Er wartet, doch er wird alleine bleiben
und einsam harren durch bewegte Zeiten.
Erich Kykal ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 26.09.2017, 09:57   #2
männlich MiauKuh
 
Dabei seit: 08/2017
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Beiträge: 2.246

Boah, Erich, das ist ein, für mich, sehr schwer zugänglicher Text, den du hier verfasst hast. Es ist keine "les ich drüber begreif ich Lektüre".

So verstehe ich deine Zeilen:
1. Strophe
Zitat:
Zitat von Erich Kykal Beitrag anzeigen
Wer spielte nicht die Flöte seines Lebens
mit allem Atem, den die Lungen tragen?
Wer würde nicht sein ganzes Wollen wagen
im Wechselspiel des Nehmens oder Gebens?
Die erste Strophe drückt das Lebensbejahende aus. Mit aller Kraft JA!
Mir gefallen die schönen Klänge durch die "W's" (wer, wer, Wollen, wagen, Wechselspiel) und "a's" und "e's". Das macht es klanglich sehr verzaubernd für meine Ohren.

Wie sind wir darin heiteren Bestrebens
und ahnen kaum die ungestellten Fragen
des Unbekannten, der das Wohlbehagen
in Frage stellt am Knotenpunkt des Webens.

2. Strophe

Zitat:
Zitat von Erich Kykal Beitrag anzeigen
Wie sind wir darin heiteren Bestrebens
und ahnen kaum die ungestellten Fragen
des Unbekannten, der das Wohlbehagen
in Frage stellt am Knotenpunkt des Webens.
Hier stelle ich mir die Frage: "darin" -> worin? Wir sind im heiteren Bestreben danach, JA! zum Leben zu sagen und ahnen deswegen, aufgrund dieser Ablenkung, nichts von den ungestellten Fragen eines Unbekannten. Dieser Unbekannte hat also Fragen gefunden, die sich die anderen nicht stellen. Er überblickt die Sache (Der Außenstehende). Vielleicht, weil die anderen zu sehr abgelenkt sind, beschäftigt. Mit ist unklar was du mit dem Knotenpunkt des Webens meinst. Das muss ja etwas sein, wo die Fäden zusammenlaufen. Vorallem aber "Des Webens" also webt ja etwas, oder irgendwer. Was auch immer da für Fäden zusammenlaufen. Die Fäden des Lebens? Geht es vielleicht hier um die Frage des Lebens, die die, die damit beschäftigt sind einfach zu Leben, gar nicht stellen?

3. Strophe
Zitat:
Zitat von Erich Kykal Beitrag anzeigen
Er steht und schweigt an einer blinden Stelle,
die sich nicht fügen will dem leichten Treiben,
als stünde er im Schatten einer Schwelle,
Deine dritte Strophe ist für mich sinnbildlich. Sie zeigt mir jemanden, der nicht mit macht, den Dingen außen vor ist, nicht mit schwimmt. Der Vergleich "als stünde er im Schatten einer Schwelle", klingt schön, wirkt als würde der Außenstehende im Fluss hinter einem Stein sitzen, der im beruhigten Gewässer ist, da kann er gut beobachten.

4. Strophe
Zitat:
Zitat von Erich Kykal Beitrag anzeigen
die niemand willens ist zu überschreiten.
Er wartet, doch er wird alleine bleiben
und einsam harren durch bewegte Zeiten.
Eine Schwelle die niemand willens ist, zu überschreiten, und direkt dahinter wartet er. Ich dachte er beobachtet? Er sitzt im Schatten, wer im Schatten sitzt, hinter einer Schwelle sieht nicht was über oder vor der Schwelle geschieht. Oder ist er vielleicht schon weiter als die anderen? In der Hoffnung das jemand die Schwelle überschreitet, wartet er, verharrt, einsam und so wird er bleiben? Hm ... durch bewegte Zeiten sogar, was mir wieder das Bild des fließenden Flusses hervorruft, in dem er hinter dem Stein hockt.

So sind meine Gedanken zu deinem Gedicht, in der allerletzten Zeile habe ich mich überlegt, könntest du auch:

verharren, einsam, durch bewegte Zeiten.

schreiben. Das hat einen etwas verzögernden Klang, verharren ... einsam ... durch bewegte Zeiten (aufgrund der Zäsuren). Hätte was, und würde formal auch in das Bild, dass mir dein Gedicht in den Kopf gelegt hat passen. Denn offenbar möchte er ungern alleine sein, einsam. Wer ist schon gerne einsam? Auch der Beobachter nicht, er wartet schließlich, das ist eine Einstellungshaltung. Er wartet ja nicht um zu warten, sondern er wartet damit jemand kommt, so liegt also seine Intention darin, tatsächlich jemanden zu sehen ... der über die Schwelle geht.

Liebe Grüße,
Werner.
MiauKuh ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 26.09.2017, 19:39   #3
männlich Erich Kykal
 
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Alter: 59
Beiträge: 876

Hi MiauKuh!

Vielen Dank erst mal für die ausführliche Beschäftigung mit dem Text.

Der Reihe nach:

Das Gedicht fällt unter "Selbstbeschreibung", betrachtet den Außenstehenden aber aus der Sicht eines normal sozial interagierenden LyrWir.

Die erste Str. beschreibt das Sinnen und Trachten dieses LyrWir, sich dem Leben zu stellen, es auszukosten mit allen Risiken und Unwägbarkeiten.

Die 2. Str. beschreibt, wie das LyrWir des Außenstehenden gewahr wird, wie er da mittendrin steht und doch nicht teilnimmt, das Miteinander an sich abgleiten lässt und lieber isolierter Beobachter bleibt, nicht Teilnehmer sein will.

Die Terzette beschreiben ihn und sein Harren außerhalb des sozialen Gefüges, dem er sich - aus welchen Gründen auch immer - nicht anschließen will.
Dabei wirkt er vielleicht sogar tiefsinnig und weise (an einer Stelle, die sich nicht fügen will den leichten Treiben), aber eben auch etwas unheimlich und unnahbar (im Schatten einer Schwelle, die niemand willens ist zu überschreiten).


Ich bin so ein eremitär lebender Sonderling. Mit meiner beruflichen Tätigkeit bin ich, was Sozialkontakte und soziale Verantwortung angeht, schon völlig aus-, wenn nicht ab und zu sogar überlastet!
Private Beziehungen oder viele Freundschaften wären mir einfach zuviel. Je älter und unflexibler ich werde in Reaktionen und Anschauungen, desto schlimmer wird es zudem.
Das ist aber okay, ich habe es selbst so gewollt, und mittlerweile wäre ich sehr wahrscheinlich auch gar nicht mehr fähig, mit irgendjemandem zusammenzuleben!

Nur manchmal, wenn ich an die versäumten Chancen und Gelegenheiten zu leben denke, überkommt mich so ein lyrischer Seufzer als kleines seelenhygienisches Lamento, das mir hilft, meinen gewählten Lebensstil zu bewältigen.


Dein Vorschlag für die eine Zeile ist nicht schlecht, indes, ich habe ein Faible für komplexe fließende Satzkonstrukte, und deine Kommata und die entstehenden Pausen bei der Aufzählung oder Aneinanderreihung würden mir die Sprachmelodie zu sehr zerhacken. Eine reine Geschmacksfrage, klar.

LG, eKy
Erich Kykal ist offline   Mit Zitat antworten
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