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Düstere Welten und Abgründiges Gedichte über düstere Welten, dunkle und abgründige Gedanken.

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Alt 20.10.2016, 21:02   #1
männlich Heinz
 
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Ort: Reimershagen in Mecklenburg-Vorpommern, Nähe Güstrow
Beiträge: 7.879

Standard Schwurgericht

Mit einem schnellen Hieb war alles anders.
Jawohl, ich hab in rasend blinder Wut
die scharfe Axt gepackt und zugeschlagen.
So kam es, dass ihr blondgelockter Kopf,
den geilen Blick noch in den offnen Augen,
die Lippen schon zum Brunstschrei aufgeworfen,
vom Rumpf getrennt zu Boden rollte.

Die klammernden Schenkel des kopflosen Leibes
verkrampften in tödlichen Zuckungen sich;
und blutig besudelt versucht der Berittene
der plötzlich Entseelten sich rasch zu entwinden.
Er suchte sein Heil in der Flucht und verängstigt
verließ er das Zimmer mit lautem Geschrei.

Ich hatte gewarnt und gedroht hab` ich auch:
Versuche es niemals mich frech zu betrügen!
Du schlugst meine Drohungen kühn in den Wind -
ich hab mich gerächt und die Rache war süß!

Verratene Liebe, ihr Richter und Schöffen,
zertretener Glaube an Zukunft und Glück,
die grausam zerstörte, gestohlene Hoffnung
zerrissen das Innerste mir und Ihr Urteil -
von Mitleid beeinflusst - so schlimm kanns nicht sein,
gemessen an zahllosen, quälenden Nächten,
die leidvoll und weinend ich einsam erlitt.
Wie läufige Hündinnen folgte sie lockenden Düften,
verdarb mir mein herrliches Leben und jetzt ist sie tot.

Das Abschlachten hab ich mit reuigen Blicken gestanden -
die Richter in ihren Talaren, die Schöffen verlassen den Saal.
Es dauert nicht lang bis zur Urteilsverkündung: Das Strafmaß
war bar jeder Milde, und schleunigst verziert meine Knöchel
die silberne Acht.


Ich wache auf, der Albtraum ist vorüber:
Sie lebt und atmet neben mir und träumt
vielleicht vom nächsten Abenteuer,
ich geh in meinen Schuppen
und schärfe meine Axt.

Geändert von Heinz (20.10.2016 um 22:43 Uhr)
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Alt 20.10.2016, 21:54   #2
Stachel
 
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Beiträge: 955

Hallo Heinz,

das war ja ein sehr kurzweiliger Traum. Das Lesen hat jedenfalls Spaß gemacht. Ich habe mich gefragt, ob die Strophenlängen eine Bedeutung haben.
Der Rhythmuswechsel von Tat zu Gericht gefällt mir gut. Der größte Schnitt ist allerdings etwas später zwischen Traum und Realität. Der Wechsel wird nicht formal unterstützt, oder habe ich etwas übersehen? Mich würde der Grund interessieren. Offenbar war der andere Schnitt für den Dichter entscheidender.

Jedenfalls, dazu passend, fiel mir folgendes Lied von Bodo Wartke direkt ein: Ja, Schatz!

Freundliche Grüße von
Stachel
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Alt 20.10.2016, 22:48   #3
männlich Heinz
 
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Hallo Stachel,
Recht hast Du. Ich habe die vorletzte Strophe jetzt auch in Daktylen geschrieben, damit sie sich von der Form her deutlich von der letzten Strophe unterscheidet. Ich denke, die erste, einleitende Strophe kann ich im Jambus lassen. Hoffentlich bleibt der Spaß am Lesen auch bei der Veränderung der vorletzten Strophe erhalten.
Danke für den Hinweis!
Liebe Grüße,
Heinz
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Alt 20.10.2016, 23:19   #4
Stachel
 
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Beiträge: 955

Zitat:
Zitat von Heinz Beitrag anzeigen
Hoffentlich bleibt der Spaß am Lesen auch bei der Veränderung der vorletzten Strophe erhalten.
Die Sorge kann ich dir für meinen Teil nehmen. Die zweite Strophe nimmt durch den ersten Rhythmuswechsel so richtig Fahrt auf. Die Explosion der Wut funktioniert stilistisch gut und endet folgerichtig mit den Handschellen. Wenngleich diese wahrscheinlich auch vorher schon, bei der Festnahme und der Vorführung, angelegt waren, stehen sie doch an dieser Stelle metaphorisch für die folgende Haft. Die Versverkürzung unterstütz die Metapher und wirkt zudem als Bremse für den nächsten Rhythmuswechsel.

Ich finde diese Ausführung noch ein gutes Stück wirkungsvoller als die vorherige.

Freundliche Grüße von
Stachel
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Alt 20.10.2016, 23:47   #5
männlich Heinz
 
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Lieber Stachel,
in Details versuche ich auch in Gedichten genau zu sein. Ich war jahrelang Schöffe (nicht am Schwur- sondern am Amtsgericht; in aller Regel wurden den Angeklagten während der Verhandlung die Handschellen abgenommen (sogar mit vor dem Obersten Militärgericht in Ostberlin). Aus Versehen stand in meinem Entwurf "Der Richter und die Schöffen..." (anders kannte ich es beim Amtsgericht ja nicht), habe aber frühzeitig auf "Die Richter..." geändert, weil bei Totschlags- oder Mordfällen drei Richter und zwei Schöffen vorgeschrieben sind.
Eine Frage bleibt allerdings offen: Wieviel hat das LI aufgebrummt bekommen?
Die mitgebrachte Axt (so was steht ja nicht in der Wohnung herum, sondern - siehe letzte Verse - wird im Schuppen aufbewahrt. Also: Totschlag im Affekt entfällt, vorsätzlicher, geplanter Mord = lebenslänglich. Gut, dass es nur ein Traum war und Träume sich der Gerichtsbarkeit entziehen.
Liebe Grüße,
Heinz
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Alt 21.10.2016, 11:34   #6
männlich Sonnenwind
 
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Beiträge: 1.514

Mir gefällt das Thema ganz und gar nicht, Heinz! Das ist grauenhaft!

Dennoch ein eindrucksvoller Text, wenn auch von der Form her etwas altmodisch anmutend...

Nicht nur die bare Realität beeinflußt unsere Träume, auch unsere Deutung derselben, auch unsere Projektionen... mischen sich in unseren Träumen und beeinflussen unser Handeln...

Nun, selbstverständlich wurde die Axt am Ende des Textes, nach dem Erwachen, nicht geschärft, um den Traum wahr werden zu lassen, frei nach dem Motto "...lebe deinen Traum", sondern um endlich das Holz zu spalten, das seit Wochen unfertig im Schuppen wartet - und dabei endlich, im Abbau von Agressionen, wieder einen klaren Kopf zu bekommen.

LG
Sonnenwind
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Alt 21.10.2016, 12:17   #7
männlich Heinz
 
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Hallo Sonnenwind,
einzutauchen in die wirre Traumwelt eines über die Maßen eifersüchtigen Mörders ist ja nun nicht mein tägliches Bemühen. Du findest das Thema grauenhaft - ich auch. Nähme ich eine Messlatte, auf der eine Skala von lieblich bis grauenhaft eingraviert wäre und legte sie dann auch noch bei einigen Gedichten an und tilgte alle grauenhaften Gedichte - wo käme ich dann hin?
Schönes Wochenende,
Heinz
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