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Düstere Welten und Abgründiges Gedichte über düstere Welten, dunkle und abgründige Gedanken.

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Alt 13.08.2008, 01:03   #1
P/\IN
 
Dabei seit: 07/2008
Beiträge: 6

Standard Anti - Assoziation (vorläufiger Titel)

An mir selbst bin ich zerbrochen,
durch mein Leben stets gekrochen.
Schwer die Seele, strafft den Strick,
ein letztes Mal blick ich zurück.

Auf die Felder voll Trümmer, Leere,
tief bedrückte, Geistes Schwere.
Nie geblüht, verwelkte Ähre,
Leben in der toten Sphäre.

Erleichternd ist der letzte Schritt,
nimmt die Erinnerungen mit.
Spür schon die Schlinge im Genick,
doch weiter geht der Blick zurück.

Die Füße oft mir wund gelaufen,
wollt Anerkennung mir erkaufen,
hab mich dabei stets verlaufen.
Gelebt, Geliebt in Trauerschlaufen.

Ein Ruck durchfährt die Wirbelsäule
wie ein Schlag mit harter Keule.
Blindheit setzt ein, die Atmung stockt
und das Leben hat mich wieder.



------------------------------------------------------------
moin zusammen.
auch wenn das gedicht im ersten augenblick vll unter die sparte teenie-gedichte fallen mag bitte ich doch aufmerksamer zu lesen, da doch sehr viel mehr dahinter steckt.
die thematik ist nunmal einfach die meine, was soll man machen (; ich bitte wirklich um ausführliche kritik.
P/\IN ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 13.08.2008, 16:46   #2
blaue_Raupe
 
Dabei seit: 08/2007
Beiträge: 82

Hi P/\in.


Zugegeben, diesmal haben mich mehr sowohl Titel als auch Nachwort animiert, zweimal hinzugucken. Die Frage, die sich unmittelbar auftat, war, warum du als Verfasser im Nachwort um dieses zwei-Mal-hingucken bittest, da es dir vordergründig nicht ums Offenkundigste zu gehen scheint, im Titel aber Anti-Assoziation setzt, anstatt (sicherlich wäre es im Effekt sehr plan gewesen), Dissoziation zu schreiben.
Ich kann nicht beurteilen, inwieweit es das mögliche Hintergründe erfassen erschwert, deshalb sollten wir uns vielleicht nicht am Titel, ähm, aufhängen, sondern erstmal nach der restlichen Umsetzung sehen.
Trotzdem wird’s hauptsächlich darum gehen, da ich zumindest vermute, dass Dissoziationen gezeichnet werden sollen, inwieweit man Zeichen einarbeiten könnte, ohne den Titel dergestalt deutlich einzusetzen. Dissoziation kennen immerhin (hoffentlich) nicht viele der Leser vom eigenen Erfahren, deshalb sollte vielleicht die Chance erhöht werden, einen minimalen Splitter zu erhaschen und zu betrachten, abzuwägen. Auch ich hab es nicht erlebt, aber was anderes haben wir erstmal nicht zum Arbeiten. Allons, vas y …

An mir selbst bin ich zerbrochen,
durch mein Leben stets gekrochen.
Schwer die Seele, strafft den Strick,
ein letztes Mal blick ich zurück.
~
Alles in allem ist es eine recht leichte Lesemelodie, die du gewählt hast, abgesehen von den Brüchen, die immer wiederkehren. Mal gucken, was es tut. In der ersten Strophe scheint mir der Bruch fast folgerichtig, wo V1-3 glatt im Trochäus durchgehen und im letzten Vers ein Umschwung ins Jambische kommt. Die drei Eingangsverse erhalten dadurch ein gewisses Maß an Schwung und Eindringlichkeit, während der auftaktlose letzte abgetrennt wird gemäß dem Schnitt zwischen Zusammenfassung und Ist-Situation. Das Paargereimte hast du mal rein, mal unrein durchgezogen, was es zur Stimmung tut, werden wir sehen.
*
Die erste Strophe ist inhaltlich wohl auch voll drauf angelegt, noch keinen Schimmer einer möglichen Dissoziation zu geben. Sonderlich geschickt finde ich das nicht gemacht, auch im Gesamten, dass mir als Leser in der Hauptsache nur der „Überraschungs-/Rätseleffekt“ am Ende des Gedichts bleibt. Wenn du damit arbeitest, wär’s allerdings ganz günstig, verstärkt doppelbödige Kleinigkeiten einzuarbeiten, die beim zweiten Lesen die Lesart des Erhängens besser zu entkräften vermögen. Das fehlt mir noch.
Es geht um „Leben“ und „Zurückblicken“. Darauf, dass es sich um Dissoziation handeln könnte, komme ich durch den Text nicht. „Ein letztes Mal blick ich zurück“ könnte wohl dem geschuldet sein, dass ein vergangener Moment im abgetrennt sein von der Lebensrealität ein weiteres Mal plastisch und als real erlebt wird, allerdings steht dem entgegen, dass sich der Erkrankte zunächst wohl kaum dagegen wehren kann, ein weiteres Mal nach diesem in einen dissoziativen Zustand zu gelangen. Da hinkte die Logik hinterher, was sie nicht sollte.


Auf die Felder voll Trümmer, Leere,
tief bedrückte, Geistes Schwere.
Nie geblüht, verwelkte Ähre,
Leben in der toten Sphäre.
~
Hier wirkt der Bruch umgekehrt, indem du im ersten Vers wiederum aus dem Trochäischen brichst und ein Stolpern und Schleudern im daktylischen Ansatz eingebaut hast. In wie weit ich es als gekonntes Schlingern, das nur hie und da aufleuchtet, gewichten soll, weiß ich noch nicht.
*
Auch in der zweiten Strophe ergehst du dich ausschließlich in einem zusammenfassenden Lebensblick, was mir wiederum den Zugang zum eigentlichen Schwerpunkt verbaut. Ein Rückblick, eine Verstärkung des bereits in der ersten Strophe beleuchteten Schwergangs. Langsam könnte wirklich mal etwas von dem aufflackern, was soll. Es ist wohl nicht leicht, die Todeskonnotation damit zu verbinden und dem ganzen mehrere Böden angedeihn zu lassen, aber dem Text täte es gut, deshalb würde sich die Arbeit wohl lohnen. Mit „Leben in der toten Sphäre“ ist doch ein Ansastz da … das Feststecken in bereits gelebtem, in der toten Vergangenheit, die allerdings wieder zum realen Moment mutiert.

Erleichternd ist der letzte Schritt,
nimmt die Erinnerungen mit.
Spür schon die Schlinge im Genick,
doch weiter geht der Blick zurück.
~
Hier bricht das Metrum an diversen Stellen, und es holpert gewaltig. An dieser Stelle vermute ich, dass es nicht bewusst gesetzt ist, um zu stützen, sondern, dass es sich um einen Fehler vom Amt in der Umsetzung handelt. Korrigier mich aber bitte, wenn ich falsch unterwegs bin.
*
Aha … ein „letzter Schritt“ – und eine Verbindung mit „Erinnerungen“. Hier haben wir im zweiten Hingucker das Aufflackern, das ich oben als fehlend angemeckert habe. Der Zustand spitzt sich zu, wobei inhaltlich der „letzte Schritt“ nicht ganz bedient werden kann, auch nicht darin, zunächst falsche Lesererwartungen zu wecken. Vom „letzten Schritt“ zurück in die Lebensrealität konnte bisher wirklich keine Rede sein, geschweige denn von einer aktuellen Seinssituation. Da könnten, wie erwähnt, in den Vorstrophen kleine Randsteine gelegt werden, anstatt nur über das Leben als Ganzes zu metaphorisieren. Dann komm ich als Leser besser rein und der Schnitt zum Zustand, in dem sich der Mensch aktuell befindet, ist nicht so krass.
Es tritt also der Zustand ein, in dem die Erleichterung dadurch, dass „die Erinnerungen“ mit der schwindenden Dissoziation verblassen, und der Reiz durch die Schlingenspannung eine Erlösung verspricht – bis alles noch schlimmer wird und das Fallen ins Vergangene erneut eintritt.

Die Füße oft mir wund gelaufen,
wollt Anerkennung mir erkaufen,
hab mich dabei stets verlaufen.
Gelebt, Geliebt in Trauerschlaufen.
~
Im Metrum wieder ruhiger, vielleicht im Inhalt dahingehend, dass es wieder (!) um das bisher zu betrachtende Dasein als solches geht.
*
Ja. Die Erinnerung, in die der Mensch zurückgeworfen wird, bleibt gänzlich unkonkret. Eventuell wird es das sein, was anderen die Sicht in deinen Text verbaut. Es geht ja gar nicht vorrangig um die Bebilderung eines dissoziativen Zustands, sondern um das Rekapitulieren eines Lebens, ausladend, düster, das erst in Teilen dazu geführt haben mag. Unkonkret. Ein generelles Leiden, das mit dem Titel „Anti-Assoziation“ so gut wie gar nicht einhergeht. Deshalb steht wohl der von dir gewünschte tiefergehende Inhalt bislang im Dunkeln.

Ein Ruck durchfährt die Wirbelsäule
wie ein Schlag mit harter Keule.
Blindheit setzt ein, die Atmung stockt
und das Leben hat mich wieder.
~
Wieder ein leicher Bruch, allerdings erst nach dem empfundenen Keulenschlag. Da könnte man noch was machen. Wenn du im Metrischen noch unsicher bist generell, würde ich eine detailliertere Aufzeichnung auf Anfrage rumschicken.
*
Nun sind wir also im Moment des Erlösens, des körperlichen Ruckes, der in die Realität zurückführt. Das steht erstmal als Grübel- und Rätselmoment in Text und Raum, der bislang nicht dadurch abgefedert werden kann, dass jemand, dem Dissoziation kein Begriff ist, eine Ahnung davon bekommen könnte, worum es eigentlich geht, oder gehen könnte. In kleineren Textelementen.

Deshalb: sollte es tatsächlich darum gegangen sein, und das Titelspiel legt es mir so nahe – Thema bislang recht verfehlt. Für Fremde sollte es in der Erarbeitung eines Textes vielleicht stärker dahin gehen, dass weniger „Allgemeinleidende“ Klöpse eingebaut werden, sondern tatsächlich verstärkt nähere Bilder der konkreteren großen Not der bestimmten Situation gesetzt werden. Die Balance stimmt in meinen Augen noch gar nicht, als dass der Text das Konkrete tragen könnte.
Es sieht aus, als hättest du die Strophenstruktur dahingehend ausgelegt, dass sich Vergangenes und Erlebtes bzw. die Überlappung dessen abwechseln. Wenn du daran noch etwas feilen würdest, und das Konkrete greifbarer machen, könnte ich mir schon was vorstellen.
Zu allem weiteren evtl. später … ausführlich war’s jetzt wohl, wenn auch auf grobe Punkte bezogen. Mal sehen, ob’s irgendwo hilft.


VG
r~~~
blaue_Raupe ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 13.08.2008, 17:31   #3
P/\IN
 
Dabei seit: 07/2008
Beiträge: 6

hey blaue_raupe
erstmal vielen lieben dank für deine ausführliche kritik und damit verbundene zeit die du in mein gedicht investiert hast (; genauso hab ich mir das vorgestellt.

zuerst mal zum titel: ja es soll um dissoziation gehen, wobei mir der titel einfach irgendwie zu plump vorkam, darum vorerst mal dieser titel, der mir aber selber nicht 100%ig zusagt.
ein wirklich schweres thema, da, wie du schon schreibst, die wenigsten persönliche erfahrungen damit haben.

vll eine kurze erklärung zur dissoziation:
im grunde kennt es eigentlich jeder...dissoziation drückt sich zum beispiel dadurch aus das man einen bekannten weg entlang geht, in gednaken versinkt und man, am zielort angekommen, nichtmehr wirklich weiß wie genau man eigentlich jetzt hingekommen ist. dissoziation ist aber auch selbstschutz... der körper schaltet quasi die gedanken ab um sich selbst nicht zu überlasten - sehr vereinfacht ausgedrückt.

unter diesem gesichtspunkt habe ich auch das gedicht geschrieben. das grübeln über das eigene leben, das gedankenchaos, die depressive stimmung die sich bis zum fiktiven selbstmord hochschaukelt und dann schaltet der körper ab.
wobei man es auch natürlich genau andersrum betrachten könnte. so wie ich es bei dir verstanden habe siehst du die dissoziation am anfang des gedichts bis das -quasi - erwachen kommt. auch eine interessante leseart.


~werde auf deine weitere kritik nacher noch eingehen (; bis hierhin schonmal vielen dank.~
P/\IN ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 17.08.2008, 17:34   #4
blaue_Raupe
 
Dabei seit: 08/2007
Beiträge: 82

Hi P/\in,


dann erstmal bis dorthin.
Zitat:
zuerst mal zum titel: ja es soll um dissoziation gehen, wobei mir der titel einfach irgendwie zu plump vorkam, darum vorerst mal dieser titel, der mir aber selber nicht 100%ig zusagt.
Ah, okay. Ja, kann ich nachvollziehen. Dann wäre auch der doppelte Boden sehr schmal. Vielleicht kommt noch der bessere Geistesblitz.
Zitat:
im grunde kennt es eigentlich jeder...dissoziation drückt sich zum beispiel dadurch aus das man einen bekannten weg entlang geht, in gednaken versinkt und man, am zielort angekommen, nichtmehr wirklich weiß wie genau man eigentlich jetzt hingekommen ist.
Diesen Teil kannte ich z.B. nicht und kenne es auch nicht durch Erleben. Aber wenn es mitunter das Ziel des Textes war, wäre es sinnstiftend, es auch kenntlich anzureißen zwischen anderen Bildern. Das wäre ja ein möglicher Verlauf, für einen Aufbau.
Trotzdem denke ich immer noch, dass sich für das Kernschattige vielleicht etwas Markanteres besser bieten würde.
Zitat:
wobei man es auch natürlich genau andersrum betrachten könnte. so wie ich es bei dir verstanden habe siehst du die dissoziation am anfang des gedichts bis das -quasi - erwachen kommt. auch eine interessante leseart.
Sehr richtig, ich habe das Ding wirklich "andersrum" gelesen *smile*. Vielleicht fehlt mir einfach dieses Stück Hintergrund, obwohl ich mit dem Begriff und einem Teilhintergrund dissoziativer Situationen schon etwas anfangen kann.
Vielleicht wär's aber auch noch ein Stück weit Grund, inhaltlich genauer herauszuschleifen, was eigentlich vorgeht und es zu bebildern und die "Generallebensschiene" in die Rolle des Randphänomens zu setzen. Sonst wird's vermutlich für Fremdleser doch zu unscheinbar oder eben "teenietextig", weil die Unterschiede kaum ersichtlich sind (abgesehen von bis dahin Rätseltitel & Schlussrätselclou).

VG
r~~~
blaue_Raupe ist offline   Mit Zitat antworten
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