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Alt 16.09.2007, 21:33   #1
Riif-Sa
 
Dabei seit: 11/2004
Beiträge: 253


Standard Todkrank

Alles begann am Montag, 18.45 Uhr, also kurz vor Feierabend. Wie aus dem nichts begann meine Nase plötzlich zu laufen. Nur ganz leicht eigentlich, nur ein Tröpfchen, doch man soll ja vorsichtig sein. Ich merkte ja schon, wie um mich herum die Bakterien durch die Luft fliegen wie Jäger in einer Star Wars Raumschlacht. Als Mann ist man natürlich besonders aufmerksam, wenn alle um einen herum anfangen zu niesen und zu husten, denn, das wissen wir ja, nur gesunde Männer zeugen gesunde Kinder und sind deshalb potenzielle Geschlechtspartner. Kranke Männer rufen nur Mutterinstinkte hervor und das brauche ich nicht. Eine Mutter reicht mir.

Jedenfalls muss es da schon losgegangen sein und man weiß wie das ist. Killer-Zellen des Immunsystems sind ja wie polnische Schwarzarbeiter. Wenn einer kommt und sieht, dass es Arbeit gibt, holt er seine Freunde und Verwandten. Schon auf dem Nachhauseweg war Party in meiner Nase. 30 Minuten lang und es nahm keine Ende. Ganz logisch, dass man sich irgendwann fragt, wo die ganzen toten Schleimhautzellen denn herkommen. Wenn der Spaß dann noch zwei Stunden lang so weitergeht und die Nase sich anfühlt wie ein 500 Jahre alter DaVinci, dann kennt man die Antwort: Nirgendwo her. Mich beschlich die berechtigte Angst, dass meine Nase plötzlich eine paar Löcher mehr bekommt, sollten diese blöden Killer-Zellen nicht bald mal damit aufhören, kranke Zellen zu vernichten. Die sterben auch von alleine ab und bis dahin könnte ich sie vielleicht noch brauchen. In diesem Zusammenhang fiel mir auch der zur Zeit sehr beliebte Hitler-Vergleich wieder ein, denn das menschliche Immunsystem zeigt durchaus Ähnlichkeiten mit dem Nazi-Regime. Kranke und schwache Elemente werden einfach ausgesondert wie früher in Deutschland, aber das würde jetzt zu weit führen.

Jedenfalls berichtete ich gleich am Abend meiner Freundin von diesem Dilemma und wie ich es erwartet hatte, unterschätzte sie die Gefahr völlig. Sie riet mir, einen Tee zu trinken und mich früh ins Bett zu legen. Im Verlauf des Abends verbrauchte ich zwei Packungen Taschentücher und machte mir fünf Tassen Tee, mir wurde schon leicht übel davon. Nun ja, das mit dem früh zu Bett gehen hat dann nicht so ganz geklappt, weil mir einige wichtige Geschäfte dazwischen gekommen sind, aber ich dachte, die Tassen Tee hätten das mehr als ausgeglichen. Müde fiel ich ins Bett, schniefte noch zwei drei mal und weg war ich.

Als ich am nächsten Morgen aufwachte, fühlte ich mich, als hätte ich auf einer Streckbank geschlafen. Sämtliche Knochen taten mir weh, meine Nase lief ununterbrochen und ich fühlte, dass ich krank war. Und ich meine nicht krank im Sinne von „ich bin glaube ich so ein bisschen krank aber nicht sehr doll und eigentlich ist es gar nicht so schlimm“, ich meine krank im Sinne von todkrank. Ich fühlte mich sogar so krank, dass ich mich nicht dazu im Stande sah, arbeiten zu gehen. Ich rief an und musste meinen Chef davon überzeugen, dass es keine gute Idee gewesen wäre, wenn ich in Kontakt mit Lebensmitteln käme. Er zweifelte noch etwas, aber nach einem fünfminütigem Husten- und Niesanfall war er überzeugt. Er riet mir, ein Dampfbad zu machen, viel Tee zu trinken und früh ins Bett zu gehen.

Die Sache mit dem Tee und dem Schlafen ignorierte ich, denn das hatte ja am Tag zuvor auch nicht geholfen, aber ein Dampfbad hielt ich für eine gute Idee. Doch wie soll man ein vernünftiges Dampfbad nehmen, wenn schon nach einer Stunde die ersten Mitbewohner an die Tür klopfen und fragen, ob es noch lange dauern würde. Meine ernsthafte Erkrankung erachtete ich als größere Rechtfertigung um das Bad zu benutzen als so ein bisschen Harndrang. Als ich dann nach drei Stunden das Badezimmer wieder freigab, meckerten auch noch alle, weil man angeblich die Hand vor Augen nicht sehen könne. Sollten froh sein, dass sie noch etwas sehen können, dachte ich. Wenn das so weiter geht, ist das einzige, was ich bald sehe, Radieschen. Und zwar von unten. Um das zu Verhindern schluckte ich vorsichtshalber zwei Kappen Meditonsin, zwei Kappen Umckaloabo, zwei Grippostad, zwei Paracetamol, eine Dolo-Dobendan, zwei Bronchicum, eine Lemocin, ein Schlückchen Mucosolvan, eine Dolormin und ein Schlückchen Otriven, dass ich aber wieder ausspuckte, als sich herausstellte, dass das eigentlich Nasenspray war. Ich hielt sogar eine Spalt und eine Aspirin in der Hand, aber ich dachte, man muss es ja nicht gleich übertreiben. Ich öffnete das Fenster, machte mir noch einen Tee und kuschelte mich mit einem Buch ins Bett.

Am Abend lief Dr. House. Ein Wermutstropfen für jeden Kranken, denn der alte Greg hat noch jeden wieder gesund bekommen, auch wenn es bei mir ein wenig schwierig werden könnte, bei all den Medikamenten, aber er würde es schaffen. Doch etwas passierte etwas Furchtbares. Sein Patient starb. Einfach so. House konnte nichts tun, der alte Mann starb einfach weg. Das war ein Zeichen, ein Wink des Schicksals. Das waren meine letzten Stunden. Ich musste sterben. Hektisch schob ich alle vier Decken, in die ich mich gewickelt hatte, bei Seite, befreite meine Füße von allen fünf Körnerkissen, robbte vor den Laptop und setzte mein Testament auf. Zynisch, wie ich mein Leben lang sein wollte, schrieb ich „Mein Hund bekommt alles“ und auf einen Notizzettel neben meiner Tastatur kritzelte ich so klein wie möglich. „Hund kaufen.“ Ich beseitigte alle überflüssigen Decken und Körnerkissen, denn ich wollte nicht, dass meine Eltern denken, ich hätte gelitten. Dann legte ich mich zu Bett. Mein Leben lief an mir vorbei, aber nur kurz, denn dann dachte ich, dass ich gerne noch einmal Sex gehabt hätte, bevor ich das Zeitliche segnete und welche Schweinereien ich gerne noch ausprobiert hätte. Mit diesen Gedanken schlief ich ein.

Ich hatte sehr belebende Träume in dieser Nacht. Muss am Fieber gelegen haben.

Als ich am nächsten Morgen erwachte, ging es mit prächtig. Ich sprang aus dem Bett direkt unter die Dusche und summte fröhlich vor mich hin, als ich mich mit nassen Haaren und bei offenem Fenster an den Rechner setzte um E-Mails zu lesen. Komisch, dachte ich, der Akku ist komplett leer. Ich muss ihn gestern angelassen haben. Als ich ihn an die Steckdose angeschlossen und gestartet hatte, bemerkte ich den kleinen Notizzettel. Es war mir unmöglich zu entziffern, was ich da geschrieben hatte, aber es sah aus wie „wund saufen.“ Wund saufen, dachte ich, gute Idee! Ich rief meinen Kumpel Phillipp an.

„Saufen?“ fragte er, als hätte ich vorgeschlagen, ein paar Gullideckel von Brücken auf Autos zu werfen. „Ich dachte du bist krank?“
„Ach was, krank. Das bisschen Husten haut mich nicht um.“ Erwiderte ich.
„Und was hast du gestern den ganzen Tag gemacht?“
„Na gearbeitet, was dachtest du denn?“ Entgegnete ich empört.
„Ach so.“

Beim Verlassen des Zimmers stolperte ich über einen Haufen Decken und Körnerkissen. Ich schaue auf diese Überreste meiner eigenen Wehleidigkeit und muss seufzen. Männer sind halt so. Wenn ich mir einbilde, dass uns das irgendwie süß macht, dann ist das doch völlig in Ordnung.
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Alt 25.12.2007, 07:29   #2
Katha
 
Dabei seit: 06/2006
Beiträge: 140


LOL ich muss sagen, ich LIEBE deine story! wirklich, ich werd sie mir ausdrucken und an den kühlschrank pinnen und immer dann lesen, wenn ein mann in meinem leben mal wieder *hüstel* "krank" ist.
unglaublich. und das von einem männlichen wesen geschrieben...
btw, da sind ein paar wörter drin, die wohl ursprünglich mal andere wörter sein sollten... Doch etwas passierte etwas Furchtbares. und da war noch ne stelle... kann sie jetzt nicht finden aber ich werd mich dazu nochmal melden.
ansonsten, sprachlich einfach göttlich (bis auf diese stelle mit hitler, das war dann doch wieder etwas too much sarkasmus), inhaltlich - wie gesagt, einfach cool. ich frag mich wirklich wieso diese geschichte so lange unkommentiert geblieben ist.
love it! lg, katha
Katha ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 07.01.2008, 23:51   #3
Shin0
 
Dabei seit: 12/2007
Beiträge: 21


Boah... Ich hab jetzt schon 2 andre Geschichten von dir gelesen und kommentiert und möchte eigl nicht nochmal das selbe schreiben. Aber was soll man da groß sagen außer: Super gelungen! Hab mich wieder herrlich amüsiert. Und es ist wirklich kein Vorurteil das man als Mann gleich alles so schwarz sieht ich denk manchmal auch wenn ich krnk bin mein letztes Stündlein hat geschlagen
Shin0 ist offline   Mit Zitat antworten
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