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Alt 07.11.2007, 16:13   #1
Riif-Sa
 
Dabei seit: 11/2004
Beiträge: 253


Standard Wie ein Honigkuchenhengst

…oder: Warum ich mich von Sven Czorovsky trennte und wie es meinen Tag rettete und mir Weisheit brachte.


Eines Tages stand Sven Czorovsky an der Theke der Kneipe, in der ich arbeite. Ein Traum von einem Kerl. Er war 1.80 groß, hatte hellblondes, gut geföhntes Haar und hatte einen Körper, der aussah, als hätte ihn ein bekannter Designer als Gussform hergestellt und diese mit flüssiger, weißer Schokolade aufgefüllt. Er hatte ein kantiges Gesicht, die grünsten aller leuchtend grünen Augen und einen Drei-Tage-Bart. Er sah verwegen aus, verdammt sexy und er starrte mich an. Ich zitterte ein wenig. Als er seine Bestellung aufgab, sprach er original mit der Syncronstimme von Eddy Murphy, aber irgendwie machte ihn das noch sympathischer. Nobody’s perfect. Er wollte einen Orgasmus. Zuerst glaubte ich, mich verhört zu haben, aber dann fiel mir ein, dass wir ja einen Shooter hatten, der wirklich so heißt. Ich musste mich räuspern, bevor ich fragen konnte: „Groß oder klein?“
„Groß, wenn du hast.“ Er grinste mich an. Ich grinste zurück. Gott, muss ich bescheuert ausgesehen haben. Als wir am selben Abend zusammen im Bett lagen, hielt er mir das immer noch vor. „Wie ein Honigkuchenpferd.“ Ich verkroch mich unter die Bettdecke. Unter seine.

Nach drei Wochen hatten wir uns ein bisschen besser kennen gelernt und Ernüchterung war eingetreten. Seinen wahren Charakter hatte ich schon am nächsten Tag in Erfahrung bringen können, als er mich einem Haufen von Tunten und Bitches vorstellte, den er als seinen Freundeskreis bezeichnete. Er beschrieb die Szenerie vom Vorabend haarklein bis in jedes Detail. Besondere Aufmerksamkeit legte er natürlich auf den großen Orgasmus, wobei er nicht unerwähnt ließ, dass ich ihm im Laufe das Abends noch ungefähr ein halbes Duzend davon „serviert“ hätte. Seine Freunde fanden das ungemein lustig, ich nicht. Und wie ich gegrinste hatte. „Wie ein Honigkuchenpferd.“ Mit einer gewichtigen Geste wies er die Runde darauf hin, dass sich im Laufe des Abends herausgestellt hätte, dass es sich dabei wohl eher um einen Honigkuchenhengst gehandelt hätte. Ich lief feuerrot an. Im Laufe unserer dreiwöchigen Beziehung sollte ich keinen von diesen Leuten jemals wieder sehen. Doch Sven nannte mich seit dem auch in aller Öffentlichkeit Honigkuchenhengst. Schon damals verspürte ich das Bedürfnis, ihm jedes Mal eine Ohrfeige zu geben, um es ihm abzugewöhnen.

Der letzte Tag unserer Beziehung fing bereits beschissen an. Ich hatte Sven Czorovsky erlaubt, bei mir zu übernachten und ich hatte total vergessen, wie laut er schnarchen kann. Dementsprechend ehrlich antwortete ich ihm, als er mich am Morgen fragte, wie geschlafen hätte.
„Beschissen. Du hast geschnarcht.“ Brummelte ich.
„Echt? Komisch, ich hab nix gehört.“ Sagte er, kicherte und wollte mir einen Kuss geben, doch mittlerweile wusste ich, dass sich seine Lippen morgens anfühlen wie Schimmel auf einer Orange. Also drückte ich ihn von mir weg und rannte ins Bad. Als ich vor dem Waschbecken stand und mir die Zähne putzte, merkte ich erst, dass ich die Badtür nicht abgeschlossen hatte. Ein fataler Fehler, denn schon stand Sven Czorovsky hinter mir und presste sich gegen mich.
„Soll ich dich heute abholen?“ fragte er.
Mit der Zahnbürste im Mund konnte ich nicken und brummen, woraufhin er mir seine morgendliche Erektion noch fester an den Po drückte. „Was bekomme ich denn dafür?“
Ich spuckte aus, drehte mich um und sagte: „Ich bin spät dran, meine Honigkuchenstute. Aber es sind noch Gurken im Kühlschrank.“
Ich fand das witzig, aber irgendwie passte ihm das nicht so ganz. Ich wusste schon lange, dass er nur über seine eigenen Späße lachen kann und, ob unbeabsichtigt oder nicht, je schlechter sich andere dabei fühlten, desto witziger fand er es. Gut, jetzt lag es wohl an dem Wort „Honigkuchenstute“.

So hatte ich ihn mal in Anwesenheit meiner Mitbewohnerin genannt und das hatte ihm nicht so gut gefallen, auch wenn wir beide ihm versicherten, dass das echt witzig war. Später dann, allein in meinem Zimmer, fragte er mich, was ich mir denn dabei gedacht hätte und ob mir seine Gefühle egal sein. Also DAS war echt komisch und nachdem ich mich zwischen Lachen und Heulen für Lachen entschieden hatte, spielte er die beleidigte Leberwurst. Wenn ich jetzt so drüber nachdenke, ich glaube, ich habe in unserer kurzen Beziehung nie so herzhaft gelacht. Sex gab’s an dem Abend natürlich nicht, aber ich hatte ohnehin keine Lust drauf. Ich dachte, vielleicht hat er seine Lektion gelernt, aber nichts änderte sich.

An besagtem letzten Tag unserer Beziehung begegnete ich auch auf Arbeit auch ein paar von Sven Czorovskys Freunden, die, wie sich herausstelle, sich meinen richtigen Namen nicht einmal gemerkt hatten und mich statt dessen einfach nur noch Hokuhengst oder einfach nur Hoku nannten. Es überraschte mich nicht, dass sie einen ähnlich unterirdischen Humor hatten wie Sven und mich auch gleich mit Fragen löcherten, wie oft ich denn den Hengst raushängen lassen würde und ob ich ihnen nicht mal eben einen Gratis-Orgasmus unter dem Tisch mixen könnte. Der Schlag auf meinen Hintern war dann aber zu viel. Es kostete mich zwar einiges an Überwindung, als Mann zum Chef zu gehen und mich über sexuelle Belästigung zu beschweren, aber ich kenne meinen Chef und er kennt da keine Toleranz. Die vier Tunten flogen jedenfalls lauthals motzend aus der Kneipe und werden, Gott sei Dank, sicherlich auch nicht wiederkommen.

Bis ich um sieben endlich Feierabend hatte, hatte ich noch zwei Drinks umgekippt, einen Aschenbecher fallen lassen und volle Fünf Euro Siebzig Trinkgeld bekommen. Ich wollte nur noch ins Bett. Alleine. Aber ich hatte nicht mit Sven Czorovsky gerechnet. Er kam um viertel vor Acht. Ich hatte mich auf die Bank vor der Kneipe gesetzt und war eingenickt. Ein fröhlich-frisches: „Was nimmste für Blasen ohne Gummi?“ weckte mich auf. Ein wenig schlaftrunken taumelte ich zu seinem mit Phantasialand-Aufklebern zugekleistertem 89’er Mazda MX-6 und stieg ein.
„Wo warst du?“ fragte ich brummelnd.
„Ich musste noch Schmidts Katze wieder einfangen.“ Sagte er, feige wie er ist. „Die geht aber auch echt ab.“
Ich hatte mir so etwas in der Richtung gedacht. Während der kurzen Fahrt versuchte Sven Czorovsky ständig mich zu küssen und mir an meinem Hals herumzuknabbern, wodurch er viermal fast einen Auffahrunfall verursachte.
„Was ist denn los mit dir heute? Schlecht drauf? Du hast gar keinen Grund dazu, schau mal, der da…“ er zeigte auf einen Rollstuhlfahrer auf dem Fußweg, „der hat Grund schlecht drauf zu sein. Der kann nie wieder im Stehen bumsen.“
Während Eddy Murphy kicherte, kochte in mir die Wut. Ich hatte das unerklärliche Gefühl, dass unsere Beziehung nicht mehr lange halten würde. Was hatte mir diese Beziehung gegeben? Die Gewissheit, dass Humor nicht gleich Humor ist? Ich mag Menschen mit Humor, aber Sven Czorovsky erkennt selbst die Killerpointe des Lebens nicht, es sei denn, er hätte sie selbst erfunden oder sie steht im Buch der 1000 Schülerwitze. Oder die Gewissheit, dass auch schwule Männer intolerante und unsensible Arschlöcher sein können. Letztlich ist auch ein schwuler Mann nur ein Mann und Sven Czorovsky ist so tolerant wie ein Löwe bei der Auswahl seiner Beute und so sensibel wie ein Schlagbohrer. Und ein Arschloch ist er sowieso. Ein Arschloch, der in meine Hose greift, während er einen alten Mazda ohne Servolenkung fährt.
„Du bist langweilig, wenn du schlecht drauf bist.“
Letztendlich bleibt für mich nur eine wirklich neue Erkenntnis: Jemand, der Sven Czorovsky heißt und wie Eddy Murphy redet, ist nicht mein Typ, egal wie gut er aussieht. Ich bezweifle, dass er überhaupt irgendjemandes Typ ist, aber das soll jetzt nicht mehr meine Sorge sein.

„Oder die da. Die hat Grund schlecht drauf zu sein. Die muss sich mit Mehl einreiben, um ihre feuchte Stelle zu finden, so fett ist die.“
Ich sah hin und erkannte meine Kommilitonin Ina.
„Fährst du mal bitte rechts ran?“ Fragte ich im freundlichsten Ton, den ich noch zu geben im Stande war. Als er angehalten hatte, löste ich meinen Gurt, öffnete die Autotür und schlug fest und genüsslich in die Fresse von Sven Czorovsky. Es tat gut zu hören, wie meine Faust sein Lachen abrupt unterbrach.
Ich schlug die Tür zu und drehte mich nicht um. Ich hatte alles von Sven Czorovsky gelernt, was er zu bieten hatte. Den Zeitpunkt um zu gehen hätte ich besser nicht wählen können. Ich ging auf Ina zu und fragte sie, ob sie Lust hätte, mit mir zu Abend zu essen. Sie blickte auf den wimmernden Sven Czorovsky und fragte mich: „Und was gibt’s? Stute?“
Ich mag einfach Menschen mit Humor.
Riif-Sa ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 07.11.2007, 16:30   #2
Neruda
 
Dabei seit: 04/2008
Beiträge: 257


Gewaltverherrlichung *gg* Ich mag Gewaltverherrlichung...Manchmal bringt einfach alle Wortgewlt nichts mehr...

Der Text ist super. Hab endlich mal wieder richtig über ne Story hier gelacht. Beziehungsweise über eine über die man auch lachen sollte.

Lg, Kim
Neruda ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 07.01.2008, 23:39   #3
Shin0
 
Dabei seit: 12/2007
Beiträge: 21


Herrlich. Einfach nur genial Würde es hier soetwas wie eine Favoritenfunktion geben würde dieser Text bei mir da rein kommen. 100%ig! Das Ende war vorraussehbar aber hätte nicht besser kommen können. Mit dem Erzähler kann ich mich auch identifizieren. Echt genial geschrieben...
*Thumbsup*
Shin0 ist offline   Mit Zitat antworten
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