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Düstere Welten und Abgründiges Gedichte über düstere Welten, dunkle und abgründige Gedanken.

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Alt 20.04.2015, 08:31   #1
männlich Fridolin
 
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Beiträge: 1.026

Standard An die Nacht - nach einem Sonettenkranz von Josef Weinheber

O Nacht, du dunkle, einst so holde Zeit,
in der die Mühn des Tags zu Ende gingen,
mich süße Träume ruhevoll umfingen,
verweigerst mir im Traum Geborgenheit

und stößt mich in die tiefste Dunkelheit,
wo statt der Engel mit den sanften Schwingen
eiskalte Schatten mich im Schlaf umringen,
dass meine Seele bang in Ängsten schreit:

Hilf, Himmel, gib mein Seufzen nicht verloren!
Kein Auge kann durch solches Dunkel dringen.
Erfroren ist des Frohsinns heitrer Wille.

Lass mir des Lebens Quelle neu entspringen!
Das Dunkel dringt wie Eisgang in die Ohren.
Kein Rauschen mehr. Klingt so des Todes Stille?
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Alt 28.04.2015, 22:48   #2
weiblich Ex-Letreo71
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Beiträge: 4.032

Lieber Fridolin,

sehr düster, fast mystisch Dein Sonett, macht traurig.

Hab es dennoch gern gelesen.

Lieben Gruß,

Letreo
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Alt 29.04.2015, 05:16   #3
weiblich Ilka-Maria
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Beiträge: 31.104

Inhaltlich und Sprachlich herausragend, lieber Fridolin, da macht das Lesen Freude.

LG
Ilka
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Alt 29.04.2015, 20:08   #4
männlich Fridolin
 
Dabei seit: 04/2010
Beiträge: 1.026

Hi Letreo und Ilka,

vielen Dank für eure lobenden Kommentare. Ilka wird sich noch an Erich Kykal erinnern, er ermuntert mich immer wieder, nicht nur Schüttelreim-Gedichte zu schreiben, sondern mich auch von der ernsteren Muse leiten zu lassen. Dass es dann gleich so düster und mystisch wird, will nicht so recht zu mir als Humordichter passen.

Zu dem Gedicht hat mich neben vielen positiven Zuschriften auch diese erreicht:

Zitat:
Wie heißts bei Werfel: Im Deutschen müssen sich die Sachen reimen. Geborgenheit/Dunkelheit unterlaufen diese Forderung. Ebenso die Ohren, die etwas zu spät kommen und damit die Wirkung des Gleichklangs drosseln...
Die Passage "Geborgenheit/Dunkelheit" zu ändern, wäre kein Problem, allerdings lassen sich Beiträge hier nur innerhalb von sechs Stunden ändern.
Was die zu spät kommenden Ohren betrifft: selbst von Werfel kenne ich ein Sonett mit einer solchen Reimstruktur in den Terzetten.

Vielen Dank fürs Lesen und Kommentieren.

LG Fridolin
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Alt 29.04.2015, 20:18   #5
weiblich Ilka-Maria
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Beiträge: 31.104

Zitat:
Zitat von Fridolin Beitrag anzeigen
Die Passage "Geborgenheit/Dunkelheit" zu ändern, wäre kein Problem, allerdings lassen sich Beiträge hier nur innerhalb von sechs Stunden ändern.
Was die zu spät kommenden Ohren betrifft: selbst von Werfel kenne ich ein Sonett mit einer solchen Reimstruktur in den Terzetten.
Mach Dir darüber keine Gedanken, Fridolin: Wörter die auf -heit und -keit enden, waren noch nie elegant, aber manchmal muss ein Dichter mit ihnen leben. Und der Leser sich damit abfinden.

Ich wünschte mir, Du wärst öfter hier.

Alles Gute für Dich,
Ilka
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Alt 29.04.2015, 23:06   #6
Stachel
 
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Hallo Fridolin,

bei "Geborgenheit/Dunkelheit" handelt es sich um einen identischen Reim. Maßgeblich ist die letzte betonte Silbe ("heit"). Es ist also wohl kaum was dagegen zu sagen, es sei denn, man mag diese Reimform generell nicht.
(Das trifft zwar in der Tat auf mich zu, ist aber reine Geschmackssache.)

Man kann sich natürlich darauf zurückziehen, dass diese Nachsilbe generell unbetont ist, und hier nur durch das Versmaß betont wird. Aber deine anderen beiden Reimwörter "Zeit" und "schreit" bestehen auch nur aus einer Silbe. Somit kann sich nur die letzte Silbe reimen (Okay, das ist nicht ganz richtig, aber zu tief wollte ich jetzt nicht ins Detail gehen).
So funktioniert nunmal dichten. Worte werden dabei immer mal wieder etwas gebogen und umbetont. Letztendlich ist es "nur" (wenn überhaupt) nicht so ganz Elegant, wie Ilka-Maria ja bereits schrieb. Aber ohne die ständige Kompromisssuche zwischen Aussage/Inhalt und Form wäre es keine Kunst.

Warum sollten die "Ohren" zu spät kommen? Formal ist der Reim zu "verloren" absolut rein.
Es kann ja wohl weder daran liegen, dass drei Verse dazwischen liegen (sonst wäre auch ABCCBA nicht möglich), noch am Stophensprung (was ABCD | ABCD unmöglich machen würde).

Ich sehe da überhaupt keine Grund zur Sorge. Aber ich bin ehrlich neugierig auf eine schlüssige Begründung für die zitierte Kritik. Hast du mal genauer nachgehakt oder selbst eine Idee?

Freundliche Grüße sendet
Stachel
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Alt 29.04.2015, 23:08   #7
Thing
R.I.P.
 
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Dabei seit: 05/2010
Beiträge: 34.998

Standard Lieber Fridolin!

ich streiche die Segel und kitte lieber auf dem persönlichen Nachrichtenweg.


Thing
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Alt 30.04.2015, 11:58   #8
männlich Fridolin
 
Dabei seit: 04/2010
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Liebe Ilka und andere,

gerne wäre ich öfter hier, aber ich muss meine Kräfte einteilen, mein Tinnitus ist zurzeit extrem belastend und zu all dem hat mich nun schon zum dritten Mal in diesem Winter eine heftige Erkältung am Wickel.

Zum Thema:

Es mag sein, dass Reime auf –heit und –keit wenig elegant sind. Aber offenbar hat das die großen Meister der Dichtkunst nicht besonders gestört. Herr von Goethe etwa. Im Faust sind Reime auf –heit und –keit zahlreich versammelt:

Anmutigkeit Begebenheit Dauerbarkeit Einsamkeit Ergebenheit Hässlichkeit Heiterkeit Herrlichkeit Kleinigkeit Kostbarkeit Lüsternheit Magerkeit Neuigkeit Räumlichkeit Schnelligkeit Schweigsamkeit Seligkeit Sicherheit Sinnlichkeit Tätigkeit Traulichkeit Unbedeutenheit Unersättlichkeit Unsterblichkeit Vergangenheit Verlegenheit Wirklichkeit Wirksamkeit Zufriedenheit

Allerdings sind darunter keine identischen Reime –heit auf –heit oder –keit auf –keit. Sein Dichterfreund (mein überaus geschätzter Landsmann) Friedrich Schiller ist da weniger zimperlich. In seiner Elegie »Die Götter Griechenlands« kommen solche Reime gleich zweimal vor :

Seine Fackel. Schöne, lichte Bilder
Scherzten auch um die Notwendigkeit,
Und das ernste Schicksal blickte milder
Durch den Schleier sanfter Menschlichkeit

Unbewußt der Freuden, die sie schenket,
Nie entzückt von ihrer Trefflichkeit,
Nie gewahr des Armes, der sie lenket,
Reicher nie durch meine Dankbarkeit.

Da selbst Rilke nicht nicht ganz ohne Reimwörter auf –keit auskommt, habe ich mein Werk wie folgt geändert:

O Nacht, du dunkle, einst so holde Zeit,
in der die Mühn des Tags zu Ende gingen,
mich süße Träume ruhevoll umfingen,
verweigerst mir des Schlafes Seligkeit

und stößt mich in die tiefste Dunkelheit,
wo statt der Engel mit den sanften Schwingen
in Eiseskälte Schatten mich umringen,
dass meine Seele bang in Ängsten schreit:

Hilf, Himmel, gib mein Seufzen nicht verloren!
Kein Auge kann durch solches Dunkel dringen.
Erfroren ist des Frohsinns heitrer Wille.

Lass mir des Lebens Quelle neu entspringen!
Das Dunkel dringt wie Eisgang in die Ohren.
Kein Rauschen mehr. Klingt so des Todes Stille?

LG Fridolin
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Alt 03.05.2015, 21:07   #9
Stachel
 
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Beiträge: 955

Zitat:
Zitat von Stachel Beitrag anzeigen
Ich sehe da überhaupt keine Grund zur Sorge. Aber ich bin ehrlich neugierig auf eine schlüssige Begründung für die zitierte Kritik. Hast du mal genauer nachgehakt oder selbst eine Idee?
Hallo Fridolin,

es blieb noch eine Frage offen. Magst du da noch was zu sagen?

Freundliche Grüße sendet
Stachel
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Alt 04.05.2015, 09:49   #10
männlich Fridolin
 
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Beiträge: 1.026

Zitat:
Zitat von Stachel Beitrag anzeigen
Hallo Fridolin,

es blieb noch eine Frage offen. Magst du da noch was zu sagen?

Freundliche Grüße sendet
Stachel
Hallo Stachel,

nein, ich habe da nicht weiter nachgehakt, mich dort aber ausgeklinkt.

LG Fridolin
Fridolin ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 04.05.2015, 14:04   #11
Stachel
 
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Beiträge: 955

Ah, das ist schade. Aber herzlichen Dank für die Antwort.

Freundliche Grüße,
Stachel
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Alt 11.05.2015, 18:20   #12
männlich Zebastianz
 
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Hallo Fridolin,

das ist ein sehr schönes, dunkles Sonett. Die überarbeitete Version gefällt mir sehr viel besser.

Liebe Grüße,
Zebastianz
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Alt 12.05.2015, 08:39   #13
männlich Fridolin
 
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Hi! Ich habe mal versucht, das Ausgangssonett zu einem Kranz zu erweitern, bin aber über das vierte Sonett nicht hinausgekommen. Da auch das schon bei Weinheber spürbare Pathos zugenommen hat, habe ich mein Vorhaben aufgegeben. Aber wen das Fragment interessiert:

An die Nacht (nach einem Sonettenkranz von Josef Weinheber)


O Nacht, du dunkle, einst so holde Zeit,
du Herrin, siehst mich freud- und leiderfahren,
du kennst mein Herz, soll ich es offenbaren,
wo längst schon Schnee auf meine Haare schneit?

Du gabst mir Trost in manchem Herzeleid
und warst Vertraute in den Kinderjahren,
und dennoch konntest du mir nicht ersparen,
was mir bestimmt war schon von Ewigkeit.

In deinen Armen war das Kind geborgen,
und hört ich Mutter mir ein Schlaflied singen,
dann trugen Engel mich auf sanften Schwingen

mit süßen Träumen in den neuen Morgen.
O könntest, Nacht, die Zeit du wiederbringen,
als still die Mühn des Tags zu Ende gingen.

2
Als still die Mühn des Tags zu Ende gingen,
ließt du, o Nacht, die Himmel sanft verdunkeln
und abertausend Sterne für mich funkeln,
mich zauberhafte Nächte so verbringen!

Wo hinter Traumgardinen ferne Welten
sich öffneten, sie träumend zu durchfliegen,
um wohlig mich in selgen Schlaf zu wiegen,
ein kleiner Prinz in himmlischen Gezelten.

O Nacht, wie schön war dieses Sterneblicken,
O, kämen doch die Zeiten nochmals wieder!
Die Sterne singen ewig ihre Lieder.

Ach, gönntest du mir weiter dies Entzücken,
denn hörte ich der Sterne Lieder klingen,
mich süße Träume ruhevoll umfingen.

3
Mich süße Träume ruhevoll umfingen
zum Flug durch Himmel in die ewge Weite,
gabst du mir, Nacht, dein sicheres Geleite
und du verliehst der jungen Seele Schwingen.

Es schien ein Saitenspiel in mir zu klingen,
je mehr ich mich den Himmelsklängen weihte,
trat demutsvoll mein eitles Ich beiseite,
denn es begann die Seele selbst zu singen.

O Nacht, du hast mich Erdenwicht geleitet,
mir Herz und Sinne durch das Licht geweitet,
dass mir in Welten tiefste Sicht gelungen,

als mir der fernen Sterne Licht gesungen.
O Nacht, warst Hort mir der Geborgenheit,
verweigerst nun des Schlafes Seligkeit.


4
Verweigerst nun des Schlafes Seligkeit:
Geborgenheit, die ich im Schlaf gefunden,
ist sie für immer mir dahin geschwunden?
O Nacht, einst holde, doch jetzt finstre Zeit.

Du schienst begnadet mit Vollkommenheit
und warst mir Trost in nächtlich schweren Stunden.
Nun aber schlägst du selber mir die Wunden
und hältst nur Bitternis für mich bereit.

Du willst dem Leib das frohe Herz entwinden?
Missfallen so dir Frohsinn und Vergnügen,
in Schwermut will das Herz sich noch nicht fügen.
Du wirst nur Liebe dort geschrieben finden.

O Nacht, du dunkle, einst so holde Zeit,
du stößt mich in die tiefste Dunkelheit.
Fridolin ist offline   Mit Zitat antworten
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