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Sonstiges Gedichte und Experimentelles Diverse Gedichte mit unklarem Thema sowie Experimentelles. |
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29.12.2017, 21:15 | #1 |
Dabei seit: 10/2006
Ort: Reimershagen in Mecklenburg-Vorpommern, Nähe Güstrow
Beiträge: 7.879
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Wie schmeckt der Frühling?
Wie es duftet und blüht,
wie platzende Knospen krabbelnde Käfer erschrecken, wie bald die erste Tulpe dunkelrot glüht und wir die blauen Veilchen entdecken, das haben schon tausend Gedichte beschrieben. Doch wie mag der Frühling wohl schmecken? Das Rätsel zu lösen ist bisher unterblieben. Karminrote Blütenbüschel des Rotdorns leuchten aus dem Blattgrün, sind uns Kindern aber weniger Augenschmaus als Gaumenfreude. Aufgepasst! Die Dornen sind spitz, aber die Blüten verführen zum Naschen; selbst der gewöhnungsbedürftige Geruch hielt uns nicht davon ab, die Büschel abzuknabbern. Sollen nur Götter Ambrosia naschen? Im Schatten, da sah er ein Blümchen stehn, ich glaube fast, es war ein Veilchen. Wir fanden, die Blümchen duften recht schön und nach einem kleinen Weilchen pflückten wir die Blauäuglein, naschten ihre Blütenblätter - o ja, der Frühling schmeckte fein, habt Dank, ihr guten Frühlingsgötter. Na klar, ein Kinderfäustchen voller strahlendblauer Veilchen, eingehüllt in sattgrüne Blätter, brachte das Herz der Mutter verlässlich zum Schmelzen, sei es wegen des berauschenden Duftes, sei es wegen der wunderbaren Farbe. Für das mühsame Sammeln entschädigten wir uns mit wohligen Schmatzgeräuschen, auch wenn Mama die Hände über dem Kopf zusammen schlug. Was lächelt in strahlendem Weiß auf der Wiese, bescheiden und wahrhaft kein Riese? Tausendschön, Gänseblümchen und Maßliebchen nennt man dich, und alle Mädchen und die Bübchen haben dich zum Fressen gern, beißen dir dein Köpfchen ab, verlieren alle Achtung vor dem Wiesenstern, Mama will Salat mit dir garnieren. Sie sind die Tapfersten unter den kleinen Wiesenblümchen. Dem Kindesalter entwachsen, durfte ich mit meines Vaters Rasenmäher die Wiese in Facon bringen. Gnadenlos wurden zahllose Gänseblümchen geköpft und - nach einer halben Stunde, mir schien, sie hätten sich abgeduckt, als die rotierende Walze auf sie zukam - standen die Überlebenden samt Nachkommenschaft wieder da wie aufrechte Verteidiger des Lebens. Zum Muttertag gabs immer wieder lila oder weißen, in jedem Fall geklauten Flieder. Die Beschenkten erfreun sich am Duft, an den Farben, wir pflückten die Blüten, wollten nicht darben, saugten an den Blütenstängeln lutschten gleich geflügelten Engeln die Süße der Blüten, den köstlichen Nektar - so schmeckt der Frühling in jedem Jahr. Geändert von Heinz (30.12.2017 um 02:03 Uhr) |
29.12.2017, 22:42 | #2 | |
Forumsleitung
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Diese Verse sind die besten:
Zitat:
Alles davor und danach ist der keulenschwingende Adjektiv-Riese, dem auch ein leidgeprüftes, zertifiertes Gehirn nicht standhalten kann. LG Ilka |
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30.12.2017, 01:07 | #3 |
Dabei seit: 10/2006
Ort: Reimershagen in Mecklenburg-Vorpommern, Nähe Güstrow
Beiträge: 7.879
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Hallo Ilka-Maria,
sechs von dreißig, das sind zwanzig Prozent - für ein Experiment doch schon eine ganz schöne Ausbeute. Sollte es nun noch paar andere geben, die andere Verse für gelungen halten, hangele ich mich auf x Prozent rauf. Ich kenne Deine Abneigung hinsichtlich der Adjektive und freue mich, dass Du überhaupt ein gutes Haar an diesem Hüftschuss lässt. Als Auslöser für dieses Gemisch aus Lyrik und Prosa sind zwei "Erlebnisse". Gestern hatte ich Süskinds zum wiederholten Mal gelesenes "Parfüm" mit den hundertfachen olfikatorischen Sensationen beiseite gelegt (und fragte mich: Wo blieb der Geschmack?) und heute habe ich die ersten, schon 10 cm hohen Tulpenspitzen fotografiert. (Tulpenblätter haben wir als Kinder auch gefuttert). Mir fielen noch mehr Frühlings-Geschmackserlebnisse ein, z.B. das von Schnittlauch auf Salatherzen. Mal sehen, ob ich da mehr als sechs beifallheischende Verse zustande kriege. Danke schön für Deinen Kommi, Heinz |
16.05.2018, 13:25 | #4 |
abgemeldet
Dabei seit: 04/2018
Ort: Zwischen den Gedanken
Alter: 57
Beiträge: 697
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Lieber Heinz,
was für ein schönes Frühlingsgedicht! Während ich das las, bestand ich nur noch aus den schönsten Farben, Bilder und Gerüchen, die in einer meisterhaften Dynamik komponiert einen wundervollen Tanz aufführten. Erfreute Grüsse, Serpentine |
21.05.2018, 20:38 | #5 |
Dabei seit: 10/2006
Ort: Reimershagen in Mecklenburg-Vorpommern, Nähe Güstrow
Beiträge: 7.879
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Liebe Serpentina,
danke schön für Dein Lob! Ilka-Maria hat (leider) eine Adjektivallergie. Ich schwelge gern in Farben-, Duft- und musikalischen Räuschen und, wie der Teufel es will: Die Natur in ihrer überbordenden Fülle gibt mir Recht. Liebe Grüße, Heinz |
14.06.2018, 13:38 | #6 |
Lieber Heinz,
ich habe zwar kein zertifiziertes, aber ein leidgeprüftes Gehirn. Und ich bin Allergiker, allerdings nicht gegen Adjektive (Glück gehabt!). Der Frühling ist adjektivtechnisch gesehen eher wohlwollend, allergietechnisch gesehen hingegen weniger! Um es flüchtig auf den Punkt zu bringen: Mir hat's gefallen! Es vibriert, es schwelgt, es blüht, es wächst. Das darf dann auch gerne etwas farbig sein. (Ich dachte übrigens immer, man bekommt Bauchweh, wenn man Blumen isst, daher habe ich mich eher an Buchäcker gehalten). Liebe (Sommer-) Grüße von Georg PS: Noch eine kleine Assoziation für Adjektiv- Allergiker: Schwanengesang (Robert Gernhardt) Was wollen die Schwäne uns sagen? Wir leben und schweben wir kreisen und weisen wir finden und binden wir ketten und retten wir halten und walten wir schlichten und richten - wir sind überhaupt ganz tolle Vögel - das wollen die Schwäne uns sagen. |
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14.06.2018, 20:21 | #7 |
Dabei seit: 10/2006
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Beiträge: 7.879
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Lieber Georg,
ein Lob aus berufenem Munde wiegt hundert Kritiken auf. Also: Ich werde es wagen, auch künftig, wenns blüht und duftet, außer den Worten auch Beiwörter zu schreiben. Liebe Grüße, Heinz |
14.06.2018, 20:26 | #8 |
Schönes Frühlingsgedicht
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14.06.2018, 21:22 | #9 |
Forumsleitung
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Doofkopp (nicht ernst gemeint). Adjektivsucht ist eine Seuche. Erlebe ich täglich in Poetry. Da geistern heftige Stürme, junge Mädchen, weiße Brandungen, helle Sonnen, alte Greise und schwarze Raben en masse durch die Gegend. Und dagegen hätte ich mich nicht impfen lassen sollen?
Adjektive verursachen einem Text Blähungen. Also hab Erbarmen. |
15.06.2018, 08:24 | #10 | |
Lieber Heinz,
das Gedicht hatte ich zwar gesehen und wollte es noch lobend kommentieren, das hatte ich dann aber glatt vergessen. Schön, dass es nochmal aufgetaucht ist. Also: Ich mag es, so wie es ist und ich kann mir Dinge, die mit Adjektiven beschrieben sind, auch besser bildlich vorstellen. Zitat:
Ein wunderschönes Gedicht. LG DieSilbermöwe |
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16.06.2018, 11:36 | #11 |
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Hallo Ilka-Maria,
so eine gut getarnte Liebeserklärung habe ich noch nie erhalten. Das bereichert mein Wochenende und milde gestimmt - ein paar Worte zu den Adjektiven: Wir stimmen ja weitestgehend überein, was die inflationäre Anwendung von Adjektiven angeht (vor allem, wenn sie schon zum Lachen reizen wie Deine Beispiele). Sollten wir ausnahmsweise mal beide Recht haben? "Kill jedes überflüssige Adjektiv, aber lass die rosenwangige Eos, die safrangewandete Aurora überleben!" Liebe Silbermöwe, auch ein verspätetes Lob kann mein goldiges Herzchen bezwingen. Ilka-Maria neigt zum Widerspruch, doch siehe: Beginnt sie nicht mit Worten, die selbst erstarrte Seelen wie meine zum Schmelzen bringen? Ihr Beispiele erinnern aber sehr an Pleonasmen (weißer Schimmer etc.), und hier ist es kein Sprachreichtum, sondern einfach nur falsches Deutsch. Andere Beispiele, oft unbewusst verwendet, sind die "vollsten Eimer", die "dringenden Notfälle", die "schwärzesten Nächte". Ich werde vom Gebrauch schmückender (und sinnvoller) Adjektive nicht ablassen und hoffe, vor solchen Ausuferungen geschützt zu sein. Lieben Dank für Dein Lob! Liebe Grüße Euch beiden, Heinz |
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