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Zeitgeschehen und Gesellschaft Gedichte über aktuelle Ereignisse und über die Menschen dieser Welt.

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Alt 14.09.2018, 20:43   #1
weiblich Ilka-Maria
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Dabei seit: 07/2009
Ort: Arrival City, auf der richtigen Seite des Mains
Beiträge: 31.045

Standard Gesuch eines Ackermanns

Wir sind keine Krieger, zu plündern, zu stehlen,
zu morden, zu schänden und Städte zu schleifen,
zu singen für Götter und Kaiser aus Kehlen
den Lobgesang, den wir nicht begreifen.

Wir gehen den Weg, den wir gar nicht suchten,
doch vor uns war er schon festgeschrieben.
Was kümmert’s den Feldherrn, dass wir ihn verfluchten,
ob wir uns verzehren nach unseren Lieben?

Wir haben gelernt, die Leiber zu spießen
und kreuz und quer ihr Gedärm aufzuschlitzen
und der Besiegten Blut zu genießen,
als hingen wir an der Henkersbraut Zitzen.

Doch wir sind es leid, den Krieg euch zu führen
fernab den Höfen und blühenden Wiesen,
vor quälendem Hunger den Leib zu schnüren
und Wasser statt Wein in die Kelche zu gießen.

Lasst uns nach Hause, lasset uns ziehen
zurück zu den Felsen sprudelnder Quellen,
öffnet die Pforte und lasst uns entfliehen.
Es gibt in der Heimat ein Feld zu bestellen.

14.09.2018
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Alt 15.09.2018, 10:02   #2
männlich Heinz
 
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Beiträge: 7.879

Hallo Ilka-Maria,
schwerer Toback, der mir ausgezeichnet mundet. Nur einen Vers hätte ich lieber in Frageform gelesen: "doch vor uns war er schon festgeschrieben".
Gehst Du wirklich davon aus, dass unser Weg, von wem auch immer, festgeschrieben ist? Das erinnert an griechische Tragödien.
Ich komm Dir jetzt nicht mit Glaubensfragen, aber dass unser Weg unabänderlich festgeschrieben ist, wage ich zu bezweifeln.
Liebe Grüße,
Heinz
Heinz ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 15.09.2018, 10:04   #3
männlich MiauKuh
 
Dabei seit: 08/2017
Ort: Bei Rostock
Beiträge: 2.246

Hey Ilka,

mich erinnerte dein Gedicht an dein, aus meiner Sicht, bestes: Das mit dem letzten Menschen, der sein Feld bestellt.
Deswegen las ich hier drin herum und stellte fest, so richtig zu tun hat es dann doch nicht damit.

Es wirkt, als wäre das Gedicht in den Zeiten des z.B. 30jährigen Krieges angesiedelt, als viele Söldner und auch Bauern (ich hoffe das ist richtig) hin und her ziehen mussten und schlimme Dinge von ihrer Seite her im Namen der Adelsherren geschahen. Plünderungen, Vergewaltigungen, Unmenschlichkeit und Schande.

Mir fiel der nicht einheitliche Rhythmus deines Gedichtes negativ auf. Ich hüte mich aber, dir eine Analyse des Metrums hinzuklatschen und belasse es einfach bei dem Hinweis, weil ich mir nicht erklären kann: Warum!?

Ansonsten ist es ein typische Ilka-Maria Werk, zeitlich und gesellschaftlich.

Liebe Grüße.
MiauKuh ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 15.09.2018, 10:19   #4
weiblich Ilka-Maria
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Beiträge: 31.045

Zitat:
Zitat von Heinz Beitrag anzeigen
Gehst Du wirklich davon aus, dass unser Weg, von wem auch immer, festgeschrieben ist? Das erinnert an griechische Tragödien.
Natürlich geht es nicht um eine allgemein deterministische Weltsicht. Es ist der Bauer, der für seinen Stand spricht. Die Bauernaufstände zu Luthers Zeit ausgenommen, ist wohl noch nie ein Bauer freiwillig in den Krieg gezogen, er wurde dazu gezwungen.
Ilka-Maria ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 15.09.2018, 10:40   #5
männlich Heinz
 
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Beiträge: 7.879

einverstanden!
MiauKuhs zarte Kritik am Metrum kann ich nicht nachvollziehen. Ich spreche Gedichte immer laut und - voila - mir gefällt (neben dem Inhalt) auch die Form.
Heinz
Heinz ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 15.09.2018, 10:48   #6
männlich MiauKuh
 
Dabei seit: 08/2017
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Beiträge: 2.246

Zitat:
Zitat von Heinz Beitrag anzeigen
einverstanden!
MiauKuhs zarte Kritik am Metrum kann ich nicht nachvollziehen. Ich spreche Gedichte immer laut und - voila - mir gefällt (neben dem Inhalt) auch die Form.
Heinz
Was!

Verdammt, gut, dann untersuche ich das nachher nochmal ausgiebig. Jetzt bin ich ehrlich baff.
MiauKuh ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 15.09.2018, 11:06   #7
weiblich Ilka-Maria
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Zitat:
Zitat von MiauKuh Beitrag anzeigen
Verdammt, gut, dann untersuche ich das nachher nochmal ausgiebig.
Nicht nötig, ich weiß, was du meinst.

Es ist nun mal so, dass die deutsche Sprache nicht gerade die vorteilhaftste für Lyrik ist. Deshalb haben sogar anerkannte Dichter in ihre Jamben zuweilen einen Daktylus einfließen lassen. Das lässt sich vor allem bei den vielen Wörtern mit Vorsilben nicht vermeiden. Verzichtete man auf bestimte Wörter nur der Einhaltung einer reinen Rhythmik wegen, stünde uns nur ein sehr eingeschränkter Wortschatz zur Verfügung. Das ist für mich nicht einzusehen, denn ich will die genau passenden Inhalte beschreiben, keine Synonyme oder Umschreibungen.
Ilka-Maria ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 15.09.2018, 11:19   #8
männlich Eisenvorhang
 
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Dabei seit: 04/2017
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Alter: 38
Beiträge: 2.671

Gute Lyrik, die mich tief anrührt hat selten eine stabile Metrik.

Das Gedicht ist komplex und greift für mich neben dem von Dir aufgefassten Thema, noch mehr.

Die Politik in 2018. (nicht nur die der bauern)

Die letzten zwei Strophen sind die besten.
Henkers Zitzen find ich ein krasses Bild. Die Abscheu der Abscheu.

Schön Ilka!

vlg ev
Eisenvorhang ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 15.09.2018, 11:38   #9
männlich Psychopath
 
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Dabei seit: 04/2018
Beiträge: 136

MiauKuh,
So fühlte auch ich,
Die Form gefällt mir
ebenfalls nicht.

Trotzdem passt es inhaltlich gut
Zu heutigem Klagen und fehlendem Mut.

Versuchte mich zweimal an diesem Gedicht,
Der Rhytmus - entschuldige - stimmt einfach nicht.


Hallo Ilka-Maria

Wenn ein "Lasset uns" in der Geschichte je etwas bewirkt hätte, empfände ich dein Gedicht bestimmt nicht als - trotzdem gern gelesenes - Klagelied, sondern als kraftschöpfendes Gebet.


"Wir sind keine Krieger... zu singen für Gotter... den Lobgesang, den wir nicht begreifen."
Wahrlich, Krieger sind wir nicht.
Trotzdem sehr einfältig zu glauben, wir wären für jenes da, was unser unausgereifter Verstand für richtig befindet.

Schade, dass die Frage offen bleibt, wofür wir denn hier sind, wenn nicht für den Glauben.
Psychopath ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 15.09.2018, 11:47   #10
weiblich Ilka-Maria
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Zitat:
Zitat von Eisenvorhang Beitrag anzeigen
Henkers Zitzen find ich ein krasses Bild. Die Abscheu der Abscheu.
"Henkersbraut", nicht Henker.
Ilka-Maria ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 15.09.2018, 12:02   #11
männlich Eisenvorhang
 
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Beiträge: 2.671

Ich weiß, ich weiß - manchmal schreib ich am Pad und bin etwas faul ;P

vlg

EV
Eisenvorhang ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 15.09.2018, 22:19   #12
Thing
R.I.P.
 
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Beiträge: 34.998

Standard Liebe Ilka-Maria -

Schade, daß ich erst jetzt draufgestoßen bin.
Ich hätte nämlich gern als Erster kommentiert, so bin ich wie die alt Fasenacht.

Inhaltlich dreißigjähriger Krieg, stilistisch auch - schon bei den ersten Zeilen an den Simplicissimus gemahnend (den ich von der ersten bis zur letzten Zeile gelesen habe).

Lediglich beim Wein melde ich Bedenken an - der damalige Bauer kam nicht oft in den Genuß; er blieb beim Bier, das ein saures, nicht sehr alkoholisches Gebräu war, gesünder als das oft verschmutzte Wasser, durstlöschend und erschwinglich.
Das Bier, wie wir es heute kennen, war den Kirchenoberen und ab niederem Adel "besseren" Leuten vorbehalten.

Daumen hoch!!!

LG
von
Thing
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Alt 16.09.2018, 13:10   #13
gummibaum
 
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Beiträge: 10.909

Liebe Ilka,

thematisch spricht mich das Gedicht sehr an. Metrisch gefiele mir das Durchhalten des 12-silbigen Daktylos besser (s.u.).

Gern gelesen.

Liebe Sonntagsgrüße
gummibaum


Wir sind keine Krieger, zu plündern und stehlen,
zu morden und schänden und Städte zu schleifen,
zu singen, dass Gott und der Kaiser nie fehlen,
in Sphären regieren, die wir nicht begreifen.

Wir folgen nur Fährten, die wir gar nicht suchen,
die andre ins Buch uns des Lebens geschrieben.
Was schert es den Feldherrn, dass wir ihn verfluchen,
und ob uns die Sehnsucht, das Heimweh zerrieben?

Wir lernten nur eines: die Leiber zu spießen,
und warme und zuckende Därme zu schlitzen,
pulsierendes Bluten im Rausch zu genießen,
als hingen wir fest an der Henkersbraut Zitzen.

Doch sind wir es müde, den Krieg euch zu führen
fernab von den Höfen und blühenden Wiesen,
den quälenden Hunger im Leibe zu spüren
und Wasser statt Wein in die Kelche zu gießen.

So lasst uns nach Hause, gewährt uns zu ziehen
zurück zu den freundlich erquickenden Quellen,
entriegelt die Pforte und lasst uns entfliehen. -
Es gibt in der Heimat ein Feld zu bestellen...


p.s. für Eisenvorhang: Ich hatte in der letzten Strophe Wörter ausgelassen. Danke.

Geändert von gummibaum (16.09.2018 um 15:40 Uhr)
gummibaum ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 16.09.2018, 14:52   #14
männlich Eisenvorhang
 
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Ort: Erzgebirge
Alter: 38
Beiträge: 2.671

Sehr schön, die Version von Gum ist besser.
Wobei ich in der letzten Strophe keinen durchgehaltenen Daktyl. lesen kann.
(Z1)
Eisenvorhang ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 16.09.2018, 18:38   #15
weiblich Ilka-Maria
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Zitat:
Zitat von Eisenvorhang Beitrag anzeigen
Sehr schön, die Version von Gum ist besser.
Das ist aber nicht mehr mein Text. Die "freundlich erquickenden Quellen" mögen mir gar nicht munden, das ist mir zu süßlich. Gummibaums Dichtkunst in Ehren, ich weiß was er kann. Aber ich wollte kein "schönes" Gedicht über mein Thema schreiben.
Ilka-Maria ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 16.09.2018, 19:37   #16
Thing
R.I.P.
 
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Mein Komm. war Dir wohl nicht der Rede wert....
Thing ist offline   Mit Zitat antworten
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