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Alt 20.01.2020, 01:59   #1
weiblich kaskadia
 
Dabei seit: 01/2020
Beiträge: 41

Standard Rauchschwalben

Ein Buch mit Gedanken zu füllen ist keine einfache Aufgabe. Erst recht nicht, wenn es sich dabei um ein Leben handelt. In dem Fall um mein Leben. Ich frage mich oft, wie mir das gelingen soll?

Ich muss mein Leben zerschneiden, in einzelne und kleinere Fragmente. Der Großteil eines Lebens besteht bis zu einem gewissen Maß aus Erinnerung und aus Vergangenheit. Über die Zukunft zu schreiben, wäre nicht sehr sinnvoll. Es dreht sich also um einzelne Welten, um Bereiche und um Bezirke. Jede Welt ist einzigartig und umfasst eine Essenz, die den Bereich eines Zeitpunktes auf eine markante und sehr rohe und reinliche Weise durchzieht. Ich schreibe diesen Kontext bewusst im Präsenz, weil die Vorstellung über diese Sache nicht an eine bestimmte Zeit fixiert ist. Was vor zwanzig Jahren war, ist jetzt genauso, nur anders. Das Wesen dieser Essenz bleibt jedoch erhalten. Ich erlebe einen Abschnitt, und mit dem Erleben ist der Abschnitt bereits wieder vergangen. Was jedoch immer gegeben sein muss, ist die Füllung der Welt, des Abschnitts, des Bezirks: Mit Freundschaft, mit Erinnerung, mit Musik, mit Einsamkeit, mit Verlust und einem Zugewinn von Erfahrung.

Ich komme von irgendwoher und der Ursprung dieser unbestimmten Abstammung ist mein häusliches Umfeld. Ich hatte und habe noch Eltern. So galt es stets Ordnungen einzuhalten. Ich kenne das Gefühl von sauberen Händen, ich weiß wie saubere Haare riechen und sich anfühlen, ich begegne im gleichen Maße auf einen respekt- und liebevollen Umgang, wie auf Streit, Abwertung und Vernachlässigung väterlicherseits. Im Kindergarten ist die Brotbüchse immer gefüllt; meist mit Weißbrot, Nutella oder Hinterschinken, und diese Fürsorge zieht sich bis in mein Erwachsenenalter fort. Es existieren unterschiedliche Erinnerungen, die meinen Vater betreffen. Als Kind fiel ich vom Topf und mich trafen strenge und genervte Blicke. Ich musste mich ständig rechtfertigen mit wem ich mich treffe, wann und wo und wann ich wieder zurückkehre. Die Blicke meines Vaters waren mit Skepsis gefüllt, sie waren hart und oft genervt. Teilweise mit Jähzorn und nur selten entwich ihm ein sanftes und wohlwollendes Lächeln. Meine Mutter war anders … Sie liebkoste und umsorgte ihren Nachwuchs zu jeder möglichen Minute. Ihr Lächeln überzog eisige Stunden des Schmerzes, selbst dann, wenn in ihren Augen die Trauer und die Schwäche geschrieben stand.

Die Welt meiner ersten Erinnerungen besteht aus schwarzen Erinnerungslöchern, wenige Fragmente erhielten Form, Farbe und Gestalt. Diese Erinnerungen fühlen sich wie ein Anbeginn eines Traumes an.
Der Samen ist im Blumentopf verpflanzt. Nun heißt es, den Blumentopf gemeinsam mit den Samen an das Licht zu stellen und ihn regelmäßig zu gießen. Danach folgt eine Welt der Verzückung. Das wachsende Kind. Ich kenne das Gefühl von sehr dreckigen Händen, ich weiß wie Schlamm schmeckt, verabscheue den Geschmack und Geruch von Urin, ich spüre das Bittere von Löwenzahn und Sauerampfer auf meiner Zunge und meinen Lippen. Der milchig-zähe und klebrige Saft des Löwenzahns auf der Kleidung und im Haar, sind mir wohl vertraut. Ich fühle die Süße des ersten Frühlings, spüre die Berührungen sommerlicher Temperaturen auf meiner Haut. Es keimen Bruchstücke der ersten Freundschaft in mir auf. Martin. Wir beobachten Ameisen in ihrem Bau und kaufen die erste Zigarettenschachtel. F6. Der Geruch von Beton liegt in meiner Nase und ich verstehe, warum das weibliche Geschlecht so anziehend wirkt. Ich bin erregt. Später sitze ich allein auf einem kleinen Kippstuhl vor dem Haus und lausche dem Gesang der Rauchschwalben und erblicke ihren schwungvollen und schnellen Flug am Sims des Daches. Irgendwie steht der Schwalbenflug für Zeit. Die Süße des Obstes versickert in meine Erinnerungen. Der Himmel glüht in Azur und der Geruch von frischen Johannesbeeren breitet sich in allen Winkeln gleichhin aus. Aus Schrebergärten dringt Gelächter in die aufkommende Dämmerung. Ich rieche Heu und Lavendel und frisches Toastbrot und Kaffee. Dieser Teil meines Lebens ist süß.
kaskadia ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 20.01.2020, 13:05   #2
männlich Eisenvorhang
 
Benutzerbild von Eisenvorhang
 
Dabei seit: 04/2017
Ort: Erzgebirge
Alter: 38
Beiträge: 2.671

Oh! Ich finde vor allem den letzten Absatz sehr schön!
Der erste Teil ist etwas... Hoch... Da steigt nicht jeder Leser durch, vor allem die Bezüglichkeiten der Essenz, die du in dem Text ja als Füllung einer Erinnerung verstehst und die Erinnerung als eine Welt und einen Bezirk vergangener Zeiten.

Gefällt mir sehr!

vlg

EV
Eisenvorhang ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 26.01.2020, 16:57   #3
weiblich kaskadia
 
Dabei seit: 01/2020
Beiträge: 41

danke... was müsste ich verändern?
bitte um mehr kritik, wenn möglich...
kaskadia ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 23.02.2020, 17:21   #4
männlich Ex-Ralfchen
abgemeldet
 
Dabei seit: 10/2009
Alter: 77
Beiträge: 17.302

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danke... was müsste ich verändern?
bitte um mehr kritik, wenn möglich...
alles
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