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Alt 07.07.2016, 00:25   #1
männlich Merciless
 
Dabei seit: 07/2016
Beiträge: 6


Standard Gescheitert/Notausgang

Ein rauher Novembermorgen. Kälte liegt in der Luft. Verfallende Betonbauten um mich herum. Leise starren sie auf mich herab. Unter mir der Boden aus hartem Asphalt. In diesem Meer aus dunklem Grau, liege ich in Staub und Dreck. Das Leben entrinnt langsam meinem Körper. Zarte Ströme aus dunklem Blut ergießen sich über die verschmutzten Straßen. Meine Knochen sind zerborsten und verrenkt. Wie eigensinnige Skulpturen eines weltfremden Künstlers stehen sie von mir ab. Ein letzter Atmenzug entschwindet meinen Lungen und erstarrt zu feinen Wölkchen. Ein schönes Schauspiel. Fast könnte man meinen, dass meine Seele auf zum Himmel steigt. Hier ist also Endstation.

Zwanzig Stockwerke über der Erde öffne ich meine Augen. Seit Wochen drehen sich meine Gedanken nur um diesen einen Moment. Bis ins kleinste Detail habe ich ihn mir immer und immer wieder vorgestellt. Dieser Augenblick, wenn ich mich ins Nichts auflöse. Von hier oben erscheint die Welt unglaublich trist und distanziert. Dichte Wolkenwände verdunkeln den Himmel. Darunter ragen leblose Wolkenkratzer in die Höhe. Wie Sklaven fristen die Menschen ihr Dasein darin. Freigang gibt es nur zu Arbeitszeiten. Geräuschvoll strömen sie in die Straßen und zwängen sich durch enge Häuserschluchten. Ein bizarres Schauspiel aus lärmenden Autos, stinkenden Abgasen und hallenden Schritten. Bei diesem Anblick wird mir schlecht. Selbst Mutter Natur scheint um diese sinnlosen Existenzen zu trauern. Wie Tränen ergießt sich strömender Regen in die verwinkelten Gassen. Schwere Tropfen klatschen kalt auf meine Jacke und durchdringen mich bis auf die Haut. Mir ist das egal. Was will ich mit Sonnenschein? Lautlos und unbemerkt soll es geschehen. Ein passendes Ende für mein bedeutungsloses Leben.

Vom harschen Rauschen des Herbstwindes bekleidet, schreite ich auf den Abgrund zu und starre ausdrucklos in die Ferne. Warum eigentlich? Wonach sollte ich noch Ausschau halten? Qualmende Schornsteine und beschmierte Mauern sind das einzige, was mich dort erwartet. Ich schließe meine Augen, doch der ferne Straßenlärm durchdringt die Stille. Mit Abscheu spüre ich erneut den Ekel vor diesem “Leben”. Es wird endlich Zeit, alles hinter mir zu lassen. Nur wenige Zentimeter trennen mich vom freien Fall. Zögernd werfe ich einen letzten Blick zurück. Sollte ich noch einen Moment verstreichen lassen? Worauf sollte ich warten? Ich warte schon mein ganzes Leben darauf, dass sich diese Welt verändert. Meine Augen schweifen über die Treppen, von denen ich gekommen bin. Ein grünes Schild mit der Aufschrift "Notausgang" hängt darüber. Welche Ironie. Ein leichtes Zittern erfasst meinen Körper. Aufsteigende Angst? Nein. Diesmal gibt es kein Zurück. Zweifel würden nichts verändern. Angespannt nehme ich einen tiefen Zug des Großstadtsmogs und breite meine Arme aus.

Ausgerechnet in diesem Moment beginnt mein Telefon zu vibirieren. Wer könnte das sein? Mein Arbeitgeber? Meine Schicht hätte bereits vor einer Stunde angefangen. Allerdings würde es mich wundern, wenn er meine Abwesenheit bemerkt. Der Betrieb in dem ich mein Geld verdiene, beschäftigt zahlreiche Angestellte. Den Chef sehe ich nur selten. Wahrscheinlich kennt er nicht einmal meinen Namen. Für ihn bin ich wie ein Geist, der durch die Werkhallen wandelt und seine Aufgaben erfüllt. Doch wer könnte es sonst sein? Der Kontakt zu meiner Familie besteht schon lange nicht mehr. Freunde besitze ich keine. Hier und da habe ich ein paar Bekannte. Mit denen pflege ich aber keinen regelmäßigen Kontakt. Überhaupt besitzten nur wenige Menschen meine Nummer. Verwirrt schaue ich auf das Display. "Unbekannte Nummer". Sehr merkwürdig.

Ich lasse ein paar Minuten verstreichen, doch mein Handy vibriert unaufhörlich weiter. Scheinbar habe ich keine andere Wahl. Vorsichtig führe ich das Telefon an mein Ohr und betätige die Annahme. "Hallo?" frage ich mit kühlem Tonfall. "Springen sie nicht. Wir treffen uns in einer halben Stunde im Cáfe am Marktplatz der Altstadt." Ein Klacken. Das Gespräch wurde beendet. Fassungslos starre ich auf mein Telefon. Dieser Anruf ergibt keinen Sinn. Wem gehört diese Stimme? "Springen sie nicht." hatte sie gesagt. Als ob sie genau wüsste, warum ich mich hier oben befinde. Was nun? Sollte ich den Anruf ignorieren? Das Handy wegwerfen und weitermachen, als ob nichts geschehen wäre? Meine Entschlossenheit beginnt zu schwinden. Die Person will mich in 30 Minuten treffen. Nein in 20 Minuten, meine Starre hält schon länger an. Die Zeit wird knapp. Ich muss mich schnell entscheiden. Sollte ich der Sache auf den Grund gehen? Wahrscheinlich war das nur ein dummer Scherz und es würde sowieso niemand auftauchen. Ein blöder Zufall, nicht mehr und nicht weniger. Andererseits könnte ich mich morgen immer noch hierher begeben. Auf einen Tag mehr in dieser Welt kommt es nicht an. 15 Minuten. Es wird Zeit. Mit festen Schritt entferne ich mich vom Abgrund und passiere die Treppe mit dem grünen Schild. "Notausgang". Ein Lächeln formt sich auf meinen Lippen.


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Bei Gescheitert/Notausgang handelt es sich um eine depressive Kurzgeschichte, in der ich mich in die Gedankenwelt eines Selbstmörders begebe. Die Idee mit dem Anruf kam mir erst spät. Unter dem Arbeitstitel "Gescheitert" sollte die Geschichte kein mögliches "Happy-End" besitzen, mir gefiel dann aber die Symbolik mit dem Schild (daher der neue Titel Notausgang). Ich habe schon Ideen für eine Fortsetzung, allerdings gefällt mir das offenen Ende sehr gut. Ich mag Kurzgeschichten, die einen in unerwartete Situationen versetzen und genau so plötzlich verlassen.

Der Text ist noch ein ziemlicher Rohbau, aber ich wollte ihn trotzdem zur Kritik stellen. Es finden sich bestimmt einige Grammatik- und Schreibfehler. Auch finde ich den Erzählfluss teilweise holprig und stilistisch könnte es homogener sein. Würde mich über Rückmeldungen jeglicher Art freuen.
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