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Gefühlte Momente und Emotionen Gedichte über Stimmungen und was euch innerlich bewegt.

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Alt 01.06.2016, 16:13   #1
weiblich Kathilein
 
Dabei seit: 06/2016
Alter: 31
Beiträge: 2

Standard Haus des Lebens

Das Haus, das einst mein Leben war, ist eingebrochen.
Nicht durch äußere Umstände - nein. Ich selbst habe mit einem Vorschlaghammer lange genug auf das Fundament eingeschlagen, bis es die Last des Hauses nicht mehr trug. Alles, was ich mir in den Jahren meines Lebens aufgebaut habe, ist mit einem lauten Poltern eingestürzt. Unwiderbringlich. Alles was ich sein wollte, alles was ich werden sollte, ist plötzlich unerreichbar.

Mein Haus hatte schon viele Risse - Zeugen der vielen Unwetter meines Lebens. Dennoch war es ein Haus, mein Haus, mein Leben. Jeder Mensch, der mir begegnete, hat einen Ziegel beigetragen, um aus dem Haus das zu machen, was es war. Manche Ziegel waren schön, andere weniger. Dennoch - jeder einzelne machte das Haus zu dem, was es war. In einem in Leichtsinn und Dummheit getränkten Moment, schlug ich das Haus nieder. So effektiv, dass nur noch Schutt und Asche übrig ist.

Grundsätzlich gefiel mir das Haus - zu seinem Glanz trug die Fassade bei, die die Risse überdeckte. Sehr lange habe ich an ihr gearbeitet. Immer wieder nachgebessert, damit die Menschen begeistert sind, das Haus lieben. Vielleicht, damit niemand bemerkt, was für ein Chaos im inneren des Hauses war.

Doch in einem Moment habe ich alles zerstört. Einen unverzeihlichen Fehler begangen. Das was übrig ist, kann ich nicht mehr als Haus bezeichnen, will es nicht mehr Leben nennen. Ein Wiederaufbau ist zwecklos - wer sollte mir die nötigen Ziegel bringen? Woher die Kraft nehmen, um an der Fassade zu arbeiten? Nun werde ich die Trümmer beseitigen, die mein Haus hinterlassen hat, werde Platz schaffen, damit ein anderer an dieser Stelle sein Haus errichten kann. In der Hoffnung, dass die Krater, die durch den Einsturz entstanden sind, bald zuwachsen.
Ich habe meine Chance vertan, lebt wohl.
Kathilein ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 01.06.2016, 16:55   #2
Stachel
 
Benutzerbild von Stachel
 
Dabei seit: 03/2015
Ort: Niederrhein
Beiträge: 954

Standard Hallo Kathilein,

ein Haus als Allegorie für das eigene Leben zu verwenden ist zwar nicht neu, weist in deiner Version aber einige interessante Aspekte auf. Mich verleitet der Text dazu, aufspringen zu wollen um dem Erzähler mit Tipps, Konstruktionshinweisen und Ratschlägen zur Seite zu stehen. Am Liebsten würde ich zwei, drei Ziegel rüberreichen und zu Bob, dem Baumeister mutieren.

Die Begegnungen mit anderen Menschen hast du als solche Ziegel beschrieben. Die Fassade, das Blendwerk, hat der Erzähler selbst gearbeitet. Der Text wirft nun einen ganzen Haufen Fragen auf, z.B.:

Woraus besteht das Fundament? Wer hat es gemacht? Wurde es von fremder Hand angelegt?
Wie konnte das Fundament (und was war der Vorschlaghammer dabei) so zerstört werden, dass die Ziegel in sich zusammenfallen. Wodurch werden die Begegnungen negiert?
Warum bleiben (sogar mehrere) Krater und warum sollen diese zuwachsen? Für ein neues, tragfähiges Fundament eines anderen Lebensgebäudes bräuchte man doch eher verdichteten Grund.

Letztere Frage sehe ich derzeit noch als thematische Unstimmigkeit, ebenso die Verwendung von "Schutt und Asche". Vermutlich soll es als feststehende Redewendung gedacht sein, denn Asche assoziiere ich mit Feuer und dafür finde ich wiederum keinen Hinweis.

Insgesamt zeichnet der Text bis hin zum Ende ein sehr fatalistisches Bild. Der Erzähler verabschiedet sich endgültig. Die erwähnten offenen Fragen und sogar die (von mir empfundenen und vielleicht absichtlich so gesetzten) Ungereimtheiten drängen unterschiedlichste Lösungen und Perspektivwechsel geradezu auf. Die Geschichte strotzt vor impliziten Lösungen und regt dazu an, sich beizeiten mit scheinbar hoffnungslosen Situationen auseinanderzusetzen. Ist man erstmal in einer solchen Situation, werden die selbst aufgezwungenen Scheuklappen sicher nicht hilfreich sein.

Vielen Dank für einen anregenden Text.
Freundliche Grüße vom
Stachel
Stachel ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 01.06.2016, 17:15   #3
weiblich Kathilein
 
Dabei seit: 06/2016
Alter: 31
Beiträge: 2

Hallo Stachel,
vielen Dank für deinen netten Kommentar und deine Anregungen. Ich habe mich hier zum ersten Mal an der Lyrik versucht.

Um deine Fragen zu beantworten:
Das Fundament habe ich als sozusagen von Geburt an mitgegeben angesehen. Als Grundstein, um darauf aufzubauen. Dies sehe ich als im Grunde stabil an, jedoch nicht als unzerstörbar.

Mit sehr viel Selbsthass konnten die Ziegel in sich zusammenbrechen. Der Aktuer in meinem Text hat einen Fehler begangen, welcher ihn in eine unglaublich starke Wut auf sich selber getrieben hat. Dadurch hat er seine Selbstliebe verloren und sich somit selbst als liebesunwürdiges Geschöpf angesehen, welcher die Ziegel der anderen nicht mehr verdient. Die starke Wut auf sich selber wollte ich durch den Vorschlaghammer ausdrücken, als eine bewusste Zerstörungshandlung (im Gegensatz zu Unwettern, für die man objektiv betrachtet nichts dafür kann).

Mit den Kratern wollte ich ausdrücken, dass der Einsturz des Hauses Spuren hinterlassen hat. Unter Umständen auch auf fremden Grundstücken - dies sollte die Verletzungen der Menschen ausdrücken, die durch den Fehler gelitten haben bzw immer noch leiden. Der Wunsch, dass sich die Krater wieder schließen, sollte aufzeigen, dass sich der Akteur wünscht, dass seine Fehler vielleicht verziehen werden und durch sein Ableben etwas neues entstehen kann, jemand der seinen Platz einnehmen könnte und damit das Grundstück wieder bebaubar ist.

Die Verwendung von "Schutt und Asche" sollte als Redewendung gedacht sein. Zuerst wollte ich "Schutt und Chaos" verwenden, dies hat mir aber nicht ganz gepasst.

Vielen Dank für deinen hilfreichen und netten Kommentar,
ich hoffe, ich konnte deine Fragen beantworten.

LG Kathilein
Kathilein ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 02.06.2016, 12:50   #4
Stachel
 
Benutzerbild von Stachel
 
Dabei seit: 03/2015
Ort: Niederrhein
Beiträge: 954

Zitat:
Zitat von Kathilein Beitrag anzeigen
Hallo Stachel,
vielen Dank für deinen netten Kommentar und deine Anregungen. Ich habe mich hier zum ersten Mal an der Lyrik versucht.
Hallo Kathilein,

ich hätte den Text eher unter Prosa eingeordnet als unter Lyrik. Dazu gibt es übrigens mit " Geschichten, Märchen und Legenden" eine eigene Rubrik.

Zitat:
Zitat von Kathilein Beitrag anzeigen
ich hoffe, ich konnte deine Fragen beantworten.
Du hast viel mehr beantwortet, als ich zu hoffen gewagt hätte. Dafür danke ich dir sehr herzlich. Gleichzeitig sehe ich, dass ich mich wohl unglücklich ausgedrückt habe. Ich wollte aufzeigen, welche Fragen der Text als Anregung an den Leser mitbringt und hatte daher exemplarisch einige aufgelistet. Dabei habe ich in die Aufzählung auch die von mir empfundenen Knackpunkte eingebracht. Das hat dann dazu geführt, dass du alles als Fragen an dich empfunden hast, und mir keine Antwort schuldig geblieben bist.

Ich bin sehr froh über deine ausführliche Stellungnahme. Ich konnte auf diese Weise abgleichen, ob deine Intention von mir richtig verstanden wurde. Tatsächlich habe ich überwiegende Übereinstimmungen gefunden. Fast alles habe ich so aufgefasst oder mir so ähnlich gedacht, wie du es in deiner Antwort beschrieben hast.

Bislang bin ich übrigens absichtlich nur auf den Inhalt und mögliche Konsistenzprobleme eingegangen, nicht jedoch auf den Schreibstil. Das liegt daran, dass ich mich eher mit Lyrik als mit Prosa auseinandersetze. Ich hoffe aber, dass dazu von anderen Foristen noch ein paar hilfreiche Zeilen kommen.

Freundliche Grüße vom
Stachel
Stachel ist offline   Mit Zitat antworten
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Stichworte
einsamkeit, selbsthass, trauer

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