Philemon und Baucis in der Schweiz bei Poetry.de

Thing · 30.04.2011, 11:25

Philemon und Baucis in der Schweiz

Alt waren sie, die beiden vom Gröner-Hof.
Beide hatten gehofft, es möge eine Erbe nachkommen. Vergeblich.
Sie halfen sich beim Tagwerk, eins wie das andre. Hilfe gab nur ein Ochse im halbgefüllten Joch.
Sie saßen oft des abends im gemeinsamen Schweigen beisammen. Eins den Kopf an die Schulter des Andern gelehnt. Draußen auf der Bank, wenn das Wetter es gut meinte, drinnen, wenn es draußen zu arg war.
Sie hatten nicht viel, brauchten nicht viel. Gaben gern
Drei Burschen auf Suche nach Arbeit kamen. Auch für sie gab es ein
Nachtmahl, ein Nachtlager und einenTrunk - aber keine Arbeit, der Lohn
war zu karg.
Schritten am nächsten Morgen weiter, die Drei, fröhlich die Hüte schwenkend und ein "vergelts Gott!" auf den singenden Lippen.

Der Alte ging aufs Feld, mit dem Ochsen eine Spanne zu pflügen.
Er stürzte, kam nicht mehr hoch. Der Ochse, des Zügels ledig, schaute
dumpf.

Lang hat sie gewartet. Hörte nicht des Alten Schritt. Wartete vergebens auf des Ochsen Trott.
Ging zeufzend zum Herd und zog den Topf beiseite.Sprach in bangem Ahnen in die Glut ein "In Aeternam", wie sie es vom Kirchgang kannte.
Stieg hoch. Langsam: den Schritt zu setzen und den Rock zu raffen, das kostete Kraft.

Sie hat ihn gefunden und ihre letzten Tränen in ihn hineingeweint.
So hat man sie entdeckt: die Arme des einen um den Andern gefaltet,
gleich Fittichen, ineinandergeschmiegt.

Wo sie starben, stehen zwei Krüppelkiefern.
Der Hof ist verfallen.

©

Ex-Schamanski · 30.04.2011, 14:01

Groß. Keine hilfreichen Götter, die sind selber auf Jobsuche.

Thing · 30.04.2011, 15:44

Ich wollte lediglich zeigen, daß eine Kurzgeschichte wirklich kurz und knapp sein kann, ohne daß vom Inhalt etwas verlorengeht, solange man die "Stimmung" nicht aus den Augen läßt.

Gut, daß mein Tippfehler Deinem scharfen Blick entging.

Danke für den Kommentar

von
Thing

Ilka-Maria · 01.05.2011, 08:55

Zitat:

Zitat von Thing

Ich wollte lediglich zeigen, daß eine Kurzgeschichte wirklich kurz und knapp sein kann ...
Thing

Das ist gelungen. Und - welch ein Hochgenuß - keine überflüssigen, dem Leserauge Schlingen legende Adjektive.

gummibaum · 01.05.2011, 19:34

Lieber, Thing,

das ist gut komponiert, auf Schattierungen der Verben gestützt. In einer erdig-würzigen Sachlichkeit, die mit jedem Kurzsatz das Gewicht des Lebens fasst, vorzeigt und weiterwälzt. Könnte man drucken.

LG gummibaum

Thing · 02.05.2011, 12:25

Halli Hallo, Ilka-Maria und gummibaum -

habt lieben Dank für das Lob!
(Ich weiß, wie schwer es ist, sich bei Prosatexten auf das Wesentliche zu beschränken! - Siehe auch mein "Wölfchen").

Thing

Shadowcrow · 16.10.2011, 23:36

Boah!

Danke für den Tipp :-)

Liebe Grüsse

Shadowcrow

Thing · 17.10.2011, 17:54

Halli Hallo -

ich weiß, daß es schwierig und schmerzlich ist, einen Text zu komprimieren.
Aber ich stelle zwei Beispiele gegenüber:

"Flammender Kristall" (über den jungen Merlin) war Essenz.
Der Nachfolgeroman "Der Erbe" war lediglich Zeilenschinderei.

Ich beschränke mich auf die reduzierte Sprache bei meinen Sagen und Märchen.
Auf der anderen Seite haben meine Texte mit Fantasy nicht das Geringste gemein.

Vielleicht kannst Du ja einen Weg finden, nicht allzu sehr zu "schneiden", trotzdem kerniger zu werden.

Ob so oder so:
Viel Erfolg!

LG
Thing

Thing · 03.05.2016, 07:12

Zitat:

Zitat von Shadowcrow

Boah!

Danke für den Tipp :-)

Liebe Grüsse

Shadowcrow

liebe Schattenkrähe,
ist ein Wink des Schicksals.
Wo Du auch sein mögest: Liebe Grüße dorthin an Dich

von
Thing

Damaris · 05.10.2016, 07:12

Lieber Thing,
das ist dir sehr gut gelungen. Kein Wort zu viel. Stimmung kommt an, hat mich berührt.
Vielen Dank und lG Damaris

Thing · 10.10.2016, 11:31

Liebe Damaris,

ich habe Deinen liebenswürdigen Kommentar eben erst entdeckt.
Ich danke Dir von Herzen für das Lob!

Lieben Gruß
von
Thing

urluberlu · 10.10.2016, 11:56

Auch Thing ist manchmal begeistert von den eigenen alten Kamellen.
Naja, ich sehe keinen Grund, alte Kamellen zu vergessen. Wir elsen doch auch heute noch Homer.

Aber mir bietet sich dadurch unverhofft die Gelegenheit, zu korrigieren: In der Schweiz wachsen keine "Kiefern"!

Url

Thing · 10.10.2016, 12:01

Auch keine Latschenkiefern?
Was wächst denn da? So weit "oben".

Ich war oftmals eingeladen nach Männedorf, aber ich war noch nie in der Schweiz.

Manche meiner ollen Kamellen sind mir sehr ans Herz gewachsen. Ich glaube, das geht allen Romantikern so.
Ich finde meine Geschichte immer noch gut.

FG
Thing

urluberlu · 10.10.2016, 12:10

Die heissen hier nicht so. Aber wachsen tun sie trotzdem.

Thing · 10.10.2016, 13:24

Wie aufmerksam!

30.04.2011, 11:25	#1
Thing R.I.P. Dabei seit: 05/2010 Beiträge: 34.998 Meine Geschichten Meine Favoriten	Philemon und Baucis in der Schweiz Philemon und Baucis in der Schweiz Alt waren sie, die beiden vom Gröner-Hof. Beide hatten gehofft, es möge eine Erbe nachkommen. Vergeblich. Sie halfen sich beim Tagwerk, eins wie das andre. Hilfe gab nur ein Ochse im halbgefüllten Joch. Sie saßen oft des abends im gemeinsamen Schweigen beisammen. Eins den Kopf an die Schulter des Andern gelehnt. Draußen auf der Bank, wenn das Wetter es gut meinte, drinnen, wenn es draußen zu arg war. Sie hatten nicht viel, brauchten nicht viel. Gaben gern Drei Burschen auf Suche nach Arbeit kamen. Auch für sie gab es ein Nachtmahl, ein Nachtlager und einenTrunk - aber keine Arbeit, der Lohn war zu karg. Schritten am nächsten Morgen weiter, die Drei, fröhlich die Hüte schwenkend und ein "vergelts Gott!" auf den singenden Lippen. Der Alte ging aufs Feld, mit dem Ochsen eine Spanne zu pflügen. Er stürzte, kam nicht mehr hoch. Der Ochse, des Zügels ledig, schaute dumpf. Lang hat sie gewartet. Hörte nicht des Alten Schritt. Wartete vergebens auf des Ochsen Trott. Ging zeufzend zum Herd und zog den Topf beiseite.Sprach in bangem Ahnen in die Glut ein "In Aeternam", wie sie es vom Kirchgang kannte. Stieg hoch. Langsam: den Schritt zu setzen und den Rock zu raffen, das kostete Kraft. Sie hat ihn gefunden und ihre letzten Tränen in ihn hineingeweint. So hat man sie entdeckt: die Arme des einen um den Andern gefaltet, gleich Fittichen, ineinandergeschmiegt. Wo sie starben, stehen zwei Krüppelkiefern. Der Hof ist verfallen. © Geändert von Thing (30.04.2011 um 15:09 Uhr)

10.10.2016, 12:01	#13
Thing R.I.P. Dabei seit: 05/2010 Beiträge: 34.998 Meine Geschichten Meine Favoriten	Werter Urluberlu - Auch keine Latschenkiefern? Was wächst denn da? So weit "oben". Ich war oftmals eingeladen nach Männedorf, aber ich war noch nie in der Schweiz. Manche meiner ollen Kamellen sind mir sehr ans Herz gewachsen. Ich glaube, das geht allen Romantikern so. Ich finde meine Geschichte immer noch gut. FG Thing

30.04.2011, 14:01	#2
Ex-Schamanski abgemeldet Dabei seit: 12/2010 Beiträge: 2.884 Meine Geschichten	Groß. Keine hilfreichen Götter, die sind selber auf Jobsuche.

30.04.2011, 15:44	#3
Thing R.I.P. Dabei seit: 05/2010 Beiträge: 34.998 Meine Geschichten Meine Favoriten	Ich wollte lediglich zeigen, daß eine Kurzgeschichte wirklich kurz und knapp sein kann, ohne daß vom Inhalt etwas verlorengeht, solange man die "Stimmung" nicht aus den Augen läßt. Gut, daß mein Tippfehler Deinem scharfen Blick entging. Danke für den Kommentar von Thing

01.05.2011, 19:34	#5
gummibaum Dabei seit: 04/2010 Alter: 70 Beiträge: 10.909 Meine Geschichten	Lieber, Thing, das ist gut komponiert, auf Schattierungen der Verben gestützt. In einer erdig-würzigen Sachlichkeit, die mit jedem Kurzsatz das Gewicht des Lebens fasst, vorzeigt und weiterwälzt. Könnte man drucken. LG gummibaum

02.05.2011, 12:25	#6
Thing R.I.P. Dabei seit: 05/2010 Beiträge: 34.998 Meine Geschichten Meine Favoriten	Halli Hallo, Ilka-Maria und gummibaum - habt lieben Dank für das Lob! (Ich weiß, wie schwer es ist, sich bei Prosatexten auf das Wesentliche zu beschränken! - Siehe auch mein "Wölfchen"). Thing

16.10.2011, 23:36	#7
Shadowcrow Dabei seit: 10/2011 Ort: Esch-Alzette Beiträge: 49 Meine Geschichten	Boah! Danke für den Tipp :-) Liebe Grüsse Shadowcrow

17.10.2011, 17:54	#8
Thing R.I.P. Dabei seit: 05/2010 Beiträge: 34.998 Meine Geschichten Meine Favoriten	Halli Hallo - ich weiß, daß es schwierig und schmerzlich ist, einen Text zu komprimieren. Aber ich stelle zwei Beispiele gegenüber: "Flammender Kristall" (über den jungen Merlin) war Essenz. Der Nachfolgeroman "Der Erbe" war lediglich Zeilenschinderei. Ich beschränke mich auf die reduzierte Sprache bei meinen Sagen und Märchen. Auf der anderen Seite haben meine Texte mit Fantasy nicht das Geringste gemein. Vielleicht kannst Du ja einen Weg finden, nicht allzu sehr zu "schneiden", trotzdem kerniger zu werden. Ob so oder so: Viel Erfolg! LG Thing

05.10.2016, 07:12	#10
Damaris Dabei seit: 03/2008 Ort: München Alter: 57 Beiträge: 261 Meine Geschichten	Lieber Thing, das ist dir sehr gut gelungen. Kein Wort zu viel. Stimmung kommt an, hat mich berührt. Vielen Dank und lG Damaris

10.10.2016, 11:31	#11
Thing R.I.P. Dabei seit: 05/2010 Beiträge: 34.998 Meine Geschichten Meine Favoriten	Liebe Damaris, ich habe Deinen liebenswürdigen Kommentar eben erst entdeckt. Ich danke Dir von Herzen für das Lob! Lieben Gruß von Thing

10.10.2016, 11:56	#12
urluberlu R.I.P. Dabei seit: 07/2014 Alter: 73 Beiträge: 2.273 Meine Geschichten	Auch Thing ist manchmal begeistert von den eigenen alten Kamellen. Naja, ich sehe keinen Grund, alte Kamellen zu vergessen. Wir elsen doch auch heute noch Homer. Aber mir bietet sich dadurch unverhofft die Gelegenheit, zu korrigieren: In der Schweiz wachsen keine "Kiefern"! Url

10.10.2016, 12:10	#14
urluberlu R.I.P. Dabei seit: 07/2014 Alter: 73 Beiträge: 2.273 Meine Geschichten	Die heissen hier nicht so. Aber wachsen tun sie trotzdem.

10.10.2016, 13:24	#15
Thing R.I.P. Dabei seit: 05/2010 Beiträge: 34.998 Meine Geschichten Meine Favoriten	Wie aufmerksam!