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Alt 20.07.2010, 01:07   #1
männlich Ex-Ralfchen
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Standard Hasenbucker´s Transport

Hasenbucker´s Transport
(Aus ATROCITAT DIE STADT DES TORMENTORS)


„Hasenbucker?“

Seine Stimme klang hysterisch, mit einem wimmernden after-sound.

„Mann, wissen sie eigentlich wie spät es iss?“

„Ja – es, es tut mir leid, dass ich sie so spät anrufe Hasenbucker, aba es iss total wichtig, denn es hat wesentliche Änderungen im Plan gegeben!“

„Im Plan? Wovon reden sie Rebensucker?“

„Wovon ich rede? Vom Plan Menschenskind – dem Plan. Unserem Plan!“

„Nehmen sie sich erst mal zurück Sucker, ich weiß Null von einem Plan. Schon gar nicht einem, an dem ich mit ihnen geplant haben soll. Ich plane nicht mal mein Leben, warum dann irgend ne Sache – hm?“

Von seinem mobilen Ende drang ein raues Keuchen in meinen rechten Horcher. Ich sollte das Mobil mal anders rum anlegen. Man kriegt angeblich Tumore in der Rübe, wenn man immer an derselben Seite – und so. Würde man dann aba nicht zwo kleine Neoplasmen kriegen, statt einem großen? Ne Frage, die ich mir im Moment nicht stellen sollte. Vor allem nicht mit Rebensucker am Mobil.

„Ich spreche vom Fahrplan Hasenbucker, sie Schwartenarsch, vom Fahrplan!“

Ich sah Rebensucker deutlich vor mir: mit seinem kugelrunden Kopf, der mehr Schweinernes als Menschliches an sich hatte. Die farblosen Barthaare, die sein feistes Triple-Kinn ungeordnet umsprossen, erinnerten mich an die trockenen Halmstoppeln eines Hanffeldes. Immer ein paar Tropfen glitzrigen Schweiß auf der Oberlippe, was für mich auf ein Herzleiden hinwies. Die Nase wegen Fraß mehrfach chirurgisch geschält – eine lächerliche Riech-Ruine. Die untere Lippe oft zungengenäßt, schwabbelnd, sodass einem die schadhaften unteren Nager wie verkehrte Hasen-Schneidezähne vorkamen. Seine hervorquellenden hellblauen Augen ließen mich immer an die Weinbergschnecke denken, der ich mal als Kind die Stierer mit einer Nagelschere bis knapp an den Schleim-Rumpf amputiert hatte. Seinen faltenlosen Kahlkopf hatte er mit einem Toupet beklebt, dessen Schopf an den Mopp der Toilettenputzfrau im Arbeits-Clubb erinnerte. Es dürfte sich bei der Attrappe um billiges Schimmel-Hengst-Haar handeln, denn er kam oft rüber wie ein als Buchhalter kostümierter Rastaman.

„Hey Mann – bremsen sie sich mit Etiketten, wir sind nicht im Clubb, also nennen sie mich beim Namen!“

„Beim Namen? Als ob das jezz von Bedeutung wäre, wo es um Brisanteres geht als Familiennamen. Noch dazu wo sie ihren ändern ließen.“

Er wusste also um meine Namensänderung? Hatte Rebensucker in meinen Akt Einblick genommen? Und wenn ja, mit wessen Bewilligung? Dieser Verdacht beunruhigte mich. Was wusste der schräge Vegetarier sonst noch über mich? Der Mensch war mir immer schon suspekt. Obschon man das Äußere eines Schaf-Konkubiners wie Rebensuckers oder anderer Menschen nicht als Spiegel ihres Inneren sehen sollte. Das hatte man uns in den Skizo-Dedektor-Seminaren nachdrücklich eingebläut. Wir waren darauf gedrillt, scharf, aber unauffällig zu beobachten. Alles und jeden. Die täglichen lückenlosen Tagebuchungen waren die Voraussetzung um den Job im „Clubb“ richtig zu erfüllen und: zu behalten. Die Administration des Observators wollte tagtäglich bis ins kleinste Detail über die Befindlichkeiten, das Verhalten und die Meinungen aller Clubber informiert werden.

Rebensucker beobachtete mich und ich ihn. Es war ein offenes Geheimnis. Geradezu lächerlich, denn das befahl zum Selbstschutz konsequente Masquerade und Verstellung. Niemand war jemand wirklicher. Man nannte diesen wesentlichen Teil unserer Arbeit den „internalen Prozess“. Manchmal stellte ich diese zeitraubende Obliegenheit in Frage. Allerdings nur in meinem zerebralen Refugium.

Noch waren Gedanken im System unkontrollierbar. Noch. Es war nur eine Frage der Evolution wesentlich massiverer Speichermedien, bis man in den Datenbanken des Observatoriums auch Zugriff auf unsere Seelenabläufe haben würde. Man war – wie die Leute im Clubb munkelten – knapp davor, Quanten-Informaten in Kristallblöcken zu arretieren.

„Weihen sie mich ein Rebensucker, weihen sie mich ein. Ich glühe vor Neugier.“

Er schien meinen Sarkasmus zu übergehen, oder nahm ihn einfach nicht wahr.

„Es geht um den Fahrplan für den Nord-Ost-Hub. Erinnern sie sich nicht, wir haben den vergangene Woche finalisiert und dem Konsequerat präsentiert?“

Ich wusste noch immer nicht wovon er sprach und beschloss ein neutrales Verhalten ins Mobil zu vermitteln.

„Gut und deswegen rufen sie mich um vierhundertsechzehn an? Hätte doch bis morgen Zeit gehabt – hm?“

„Nein eben nicht, denn wir beide werden den Hub begleiten. Sie müssen sich reisefertig machen und zwar sofort!“

„Rebensucker, sie zerren mich doch nicht am Ellenbogen – oder?“

„Nein Mensch, ich bin schon in voller Montur. Hab gerade noch zwei Reisehäute voll gepackt. Und bevor ich´s vergesse: die Verordnung sagt, dass wir weder Mobile noch Uhren bei uns tragen dürfen. Packen sie nur die notwendigsten Dinge zusammen und rufen sie mich. Pick-up um Punkt Fünfhundert.“

Fünfhundert, was für eine unheilige Zeit. Cosmos sei Dank hatte ich am Vorabend kaum Alk gesoffen und sah ziemlich klar vor mich hin. Kein Mobil, keine Uhr. Eine eigenartige Verordnung. Das System war üblicherweise zwar intrusiv, ließ uns dessen ungeachtet jedoch immer die Freiheit von Kommunikation und Zeitkontrolle. Diesmal nicht. Das zu klären würde einiges an Grübeleien erfordern und dazu hatte ich im Moment keine Zeit.

„Fünfhundert, alles klar.“

Nichts war klar außer der Uhrzeit. Ich würde mir Rebensucker auf dem Weg zum Hub vorknöpfen. Rede und Antwort würde er mir sitzen müssen. Zum Hub war es ziemlich genau eine Stunde. Um diese Zeit waren die Straßen räderleer. Schnelle Sache also.

Es war leichter Regen aufgekommen und die Scheibenwischer des schweren Amphibienfahrzeuges knarrten und quietschten im Takt. Die fetten Profile peitschten die nasse Straße und gaben ein tosendes Rauschen in die Kabine. Aus dem Kommunikator des Fahrzeuges waren bellende Stimmen zu hören. Auf dem ovalen Bildschirm wechselten sich Gesichter mit leuchtenden Linien-Rastern ab und warfen flackernde bunte Lichter auf die behelmten Köpfe der Vordermänner. Irgend etwas war im Gange, das ich an meinem momentanen Informationspunkt nicht verstand. Pilot und Co sprachen in Abständen leise miteinander.

„Erzählen sie mir was Rebensucker, ich bin überspannt wie eine schwule Diva.“

„Ich kann ihnen nur sagen was ich weiß und das ist, dass wir den, für nächsten Monat geplanten Hub in die NordOst-Sektoren heute initiieren müssen.“

„Hm – heute initiieren. Und auf Grund von wessen Autorisation?“

„Keine Autorisation Menschenskind: Es ist ein Nummer-100-Instrukt, was, wie sie wissen einer der seltensten Befehle von ganz oben ist. Wir müssen damit zurechtkommen, ob wir wollen oder nicht Hasenbucker. Nicht einmal Menschenleben spielen eine Rolle – die schon gar nicht, wie sie wissen.“

„Ich weiß was ein Einhundert iss Rebensucker, das müssen sie mir nicht grau machen. Es ist ein weißes Instrukt aus der Zentrale des Tormentors-Superior. Der Tormentor legt davor die Beichte ab!“

Er wandte mir seine schweinische Visage zu und sah mich einen Moment ratlos an.

Das mit der Beichte schien er nicht gewusst zu haben. Ein Punkt für mich. Ich war also noch immer höher als er. Kein Wunder. Jemand der mit nem Schaf im Konkubinat lebt, hat definitiv ein Kondom auf seiner Karriereleiter. Das wusste jeder hierzuprovinz. Aber mit diesem Scheusal wollte eben kein Menschenweib ficken. Es wurde verbreitet, dass sogar das Schaf ihn schon mehrmals verlassen wollte. Seit dem letzten Mal hängt er es permanent an eine Stahl-Kette. Wie kann man mit jemandem leben, den man mit einer Kette zum Bleiben zwingen muss. Das war ein schwerer Kopfschüttler.

„Unser beider komplexe Planung wurde ganz einfach auf Null gesetzt. Da bleiben uns nur Tränen, Mann.“

Murmelte er leise – fast wie zu sich selbst. Er klang resigniert, geradezu weinerlich; was aber nicht ansteckend war, denn ich wusste noch immer nicht um welchen Plan es sich handelte, außer, dass es wahrscheinlich um den Hub von Narren und Engel ging. Ein Genotransfer, wie man dieses Unterfangen hinter vorgehaltener Hand nannte. Soweit hatte ich die Sache auf Grund der fragmentierten Unterhaltung eingeengt.

„Die Anzahl wurde auf exakt sechs Millionen und sechsundsechzig Deportanten erhöht, Hasenbucker, was sagen sie zu dieser Zahl?“

Was soll ich zu der Zahl sagen, dachte ich.

„Fein mit mir, wenn die logistisch unterstützt ist.“

Meine Gedanken waren plötzlich weit weg. In den windgestreichelten Weiden-Feldern, die ich rund um das Anwesen meiner Eltern als Kind durchstreift hatte. Es waren feine Zeiten, als ich noch mit samtweichen Hasenkindern spielte. Vater hatte die Karnickel irrtümlicher Weise in Horden gezüchtet. Das ganze war ihm entglitten, denn diese Viecher waren extrem sexbesessen. Hatten sich zuletzt schneller vermehrt als Ratten. Eines Tages kam eine Verordnung aus dem Provinzgovernat. Wir mussten die Hasen loswerden. Viele von ihnen waren durch Löcher im Zaun entkommen und nach und nach zu einer Belästigung für die Nachbarn geworden.

Vater hatte für jeden von uns eine Bergströhm650er Schrottpumpe gekauft und wir ballerten damit auf die Pelzer, bis sie zu einem breiigen Matsch vermischt waren. Meiner Schwester schien es Spaß gemacht zu haben, denn sie kicherte noch tage- und nächtelang danach. Man lieferte sie in eine Kläranstalt ein, wo sie bis heute lebt. Ab und an besuche ich sie. Ihr Blick ist starr und sie ist stumm geworden. Die Ärzte nennen es eine Art Wachkoma. Eben ein Hasenschicksal.

„Na dann lassen sie uns mal sehen Rebensucker.“

„Was wird Ella ohne mich machen? Ich weiß nicht mal wie lange wir im Einsatz bleiben.“

„Wer ist Ella?“

„Meine Verlobte.“

„Das Schaf – eh?“

„Ja, Ella meine Bei-Schäferin!“

Aha, so hieß die Lady mit der Dauerwelle. Frage mich ob er der Blökerin die stinkende Muschi rasiert.

„Sagn’ sie mal Rebensucker, ficken sie ihre Braut auch in den Arsch?“

„Mann, was stellen sie für intime Fragen? Nee, Ella mag das nicht und ich verlang es auch nicht von ihr.“

„Rebensucker, sie haben ne’ unmenschliche Braut – hm? Sie werden mir doch nicht erzählen, dass sie die um eine Erlaubnis fragen? Außerdem das Vieh weiß doch ohnedies nicht den Unterschied – oder?“

„Was wissen sie Hasenbucker. Wenn sie in Hitze ist, reagiert sie extrem sensibel.“

„Sie haben mit ihr doch nicht nur Beischlaf wenn sie läufig iss?“

„Doch Mann, denn sie wünscht sich aufs sehnlichste ein Kind.“

Ich starrte durch ihn hindurch ins Leere. Nahm der Wichser mich etwa auf den Arm?

„Na ja, ich hab da andere Dinge kolportiert gekriegt, aba was soll’s Rebensucker, es iss ihr Sex-Leben.“

„Ja – meines und ihr’s. Ich weiß wie man mit Frauen umgeht Hasenbucker, das können sie mir getrost abnehmen.“

Das tat ich und ersparte mir für den Rest der Fahrt jede weitere Unterhaltung.

Ich wagte es kaum meinen Augen zu trauen: Aus dem Hub war eine gigantische Infrastruktur geworden. Die aufgehenden Doppelsterne warfen ein schemenhaftes violettes Licht auf die riesigen Hangars. Es wimmelte von Söldnern in grau-weiß-schwarzen Kampfanzügen. Das waren die hochbezahlten Antagonisten, die ausschließlich dem Befehl des Tormentors-Superior unterstanden. Sie kannten weder Gefühle noch irgendwelche anderen menschlichen Regungen. Für sie war das Töten eine Seelenmahlzeit. Und sie ernährten sich ausschließlich von ihren Opfern, die sie nicht selten von Drei-Kappen-Köchen zubereiten ließen. Man nannte sie derentwegen die Pioniere des Schauers. Nun, ich denke, das war trefflich getauft.

Rebensucker zupfte mich am Arm und deutete nach links. Was ich sah ließ mich schwanken:

Eine Kolonne von unzähligen geräderten Stahlbaracken, die von mehreren hintereinander gereihten Zugmaschinen geschleppt wurden, bewegte sich langsam in Richtung der Hangars.

Der Wind hatte in unsere Richtung gedreht und wehte einen eigenartigen Ton in unsere Ohren:

Das leise Singen unzähliger Stimmen aus den Stahlbaracken. Es waren die Narren- und Engels-Chöre, die ich nun zum ersten Mal in meinem Leben hörte. Gegen meinen Willen füllten sich meine Augen mit Tränen.


***
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Alt 20.07.2010, 18:00   #2
männlich moon
 
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Verfilmen, Ralfel, verfilmen! Wobei schon die vorliegende mediale Umsetzung als Geschriebenes bildreich genug ist. Hab mich des Nachts vor Lachen krümmend um den Schlaf gebracht, dabei schrecken mich solch langen Texte - vor allem in Foren - zumeist ab. Diesen hier habe ich verschlungen, wohl wegen gekonnter Erzähltechnik, die Vorstellung der Personen ist vorzüglich alter Ralle. Hasenbucker und Rebensucker - als ob da die Lachfalten des Autors beim Schreiben nicht tiefer geworden sind. Man kennt ja schon diese fachbezogene Selbstironie innerhalb der "ach-so-geheimen-Geheimdienstmissionen", ich erinnere mich an einen strangen Streifen namens "Naked Lunch", der mir ob der zu Käfern gewordenen Schreibmaschinen ein "wow" entlockte, so ähnlich erging es mir mit "Hasenbuckers Transport". Well done, da gibts doch noch mehr vom Tormentor?

moon
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Alt 20.07.2010, 18:32   #3
männlich Ex-Ralfchen
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danke mein guter. es wird ein kurzroman, der zum gesamtkunstwerk ATROCITAT DIE STADT DES TORMENTORS gehört. mehr davon in bälde.
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