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Alt 10.04.2020, 13:35   #1
weiblich DieSilbermöwe
 
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Standard Fast wie ein Knebel oder wie ich gestern den Tag verbrachte

Gestern ging ich auf dem Weg von der Arbeit zur Bushaltestelle wie immer an meiner Apotheke vorbei und blieb dann wie angewurzelt stehen: Das Schild „Atemschutzmasken und Desinfektionsmittel zurzeit ausverkauft", das seit einer gefühlten Ewigkeit, jedoch mindestens seit fünf Wochen dort hing, war verschwunden. Statt dessen verkündete ein unaufdringliches kleines Schild, dass Desinfektionsmittel aus eigener Herstellung zu kaufen sei. Ich betrat die Apotheke, erwarb 10 Flaschen (ich wollte nicht übertreiben) und erkundigte mich, ob inzwischen auch Atemschutzmasken wieder vorrätig seien. „Die richtigen Atemschutzmasken nicht, aber Stoffmasken", war die Antwort. Da sie laut Auskunft waschbar sind, begnügte ich mich ebenfalls mit 10 Stück, auch wenn sie leider in neutralem Weiß gehalten waren und somit wirklich nicht sehr kleidsam. Könnte man hier denn nicht etwas mehr mit der Mode gehen? Im Fernsehen sah ich vor kurzem eine Frau mit lila Mundschutz, genau farblich passend zu ihrem Kleid. Das wäre doch was! Aber nein, alle, die vorrätig waren, gab es nur in langweiligem Weiß..... Mal schauen, vielleicht kann ich sie einfärben. Eine Alternative zum Ostereierfärben! Obwohl, Ostereier färben ist ja gar nicht verboten. Jedenfalls nicht, wenn man es alleine macht. Oder mit im Haushalt lebenden Personen. Nur Oma, Tante und die entfernten Verwandten, die sich sonst immer zu den Feiertagen ansagen, dürfen nicht kommen. Also nicht nur zum gemeinsamen Eierfarfärben nicht, sondern überhaupt nicht. Und Besuche darf man nur bei Lebensgefährten machen, die nicht im gleichen Haus wohnen. So war das doch? Oder nicht? Habe ich das jetzt richtig im Kopf? Ich muss nachschauen, bei den ganzen Verboten mit Ausnahmen oder auch nicht, weiß man ja gar nicht mehr, was los ist. Vielleicht finde ich noch einen Katalog für jedes Bundesland, in dem auch direkt die Bußgelder für die Vergehen aufgelistet sind. Aber auf jeden Fall lade ich Tante Hilde aus, die mir sowieso jedes Jahr auf den Keks geht. Hach, auf das Telefongespräch freue ich mich schon: „Es tut mir ja so leid, aber dieses Jahr kannst du wirklich nicht kommen. " Jetzt weiß ich endlich, was mit diesem blöden Spruch „Die Corona-Krise könnte auch eine Chance sein" gemeint ist. Die Chance, endlich mal das durchzuziehen, was man immer schon mal machen wollte, sich aber nie getraut hat. Genau wie die Sache mit dem Mundschutz.

An der Bushaltestelle packte ich eine Maske aus, betrachtete sie neugierig, nahm allen Mut zusammen und zog sie auf. Ich wusste es doch, ich fühlte mich mit dem Ding wie mit meinem Knebel in einer SM-Session. Und das in der Öffentlichkeit! Hoffentlich merkte man es mir nicht an, was für ein Vergnügen mir das machte. Jedenfalls fiel ich nicht sehr auf, schon seit einigen Tagen laufen in der Stadt viele Leute mit Mundschutz herum. Die waren wohl vor mir in der Apotheke. Oder woanders, denn manche Masken waren auch grün. Ich stieg in den Bus ein. Tatsächlich schaute mich niemand blöd an, mittlerweile ist der Anblick nicht mehr ungewöhnlich.

Im Bus surfte ich mit meinem Handy im Internet auf der Suche nach Bildern meiner Helden, Markus Söder und Sebastian Kurz. Wenn ich nicht viel zu alt dafür wäre, würde ich mir von jedem ein Poster ins Schlafzimmer hängen. Beide sind in der Krise über sich hinausgewachsen. Welch unglaubliche Dominanz beide ausstrahlen... Und dazu noch der Knebel... äh Mundschutz. Ich werde schon ganz wuschig, wenn ich nur daran zurück denke.

Leider wurde es ziemlich warm unter der Maske. Beim Umsteigen zog ich sie kurz aus, dann aber direkt wieder auf, als ich in den nächsten Bus einstieg. Irrte ich mich, oder grinste der Busfahrer mich blöd an? Was für ein Banause.... na, er wird sich noch wundern. Wenn die Maskenpflicht kommt, dann grinse ich mir eins. Und wie. Noch viel mehr als jetzt.

Geändert von DieSilbermöwe (10.04.2020 um 15:59 Uhr)
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