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Alt 27.08.2008, 16:58   #1
Fuenkchen
 
Dabei seit: 02/2006
Beiträge: 51

Standard Knarrendes Holz

Halli hallo!
Das Ganze soll ein Beitrag zum Fotosynthese-Projekt werden. Ich möchte etwas Gelungenes einschicken und bitte daher um Hilfe bei der Überarbeitung. Habe schon lange keine Kurzgeschichten mehr geschrieben - kann also sein, dass es völlig daneben ist. Falls das so sein sollte, bitte ich dies ehrlich zu sagen Ach, und der Titel ist eben spontan entstanden. Da sind also auch noch innovative Ideen gefragt!


Knarrendes Holz

Die Hängeleiter hatte sie ausgefahren und Sprosse für Sprosse näherte sie sich den vergangenen Tagen. Warum kletterte sie ausgerechnet heute diese Leiter empor? Auf der dritten Sprosse fragte sie sich, was sie erwartete, was sie überhaupt erwarten konnte. Nicht viel. Gar nichts. Es war die Gegenwart, welche die Zukunft bestimmte. Die Frau ermahnte sich und stieg die Leiter bis zum Dachboden hinauf.
Der Nieselregen klopfte leise aber eindringlich ans gegenüberliegende Fenster an. Die Frau antwortete nicht. Stattdessen zupfte sie mit spitzen Fingern einen Faden aus dem schwarzen Rock mit den länglichen, monoton grauen Streifen. Nachdem sie neun Stunden im Büro verhetzt hatte, führte sie dieser Abend in das leerstehende Haus. Hätte sie Familie gehabt, hätte sie anrufen müssen, Bescheid sagen müssen, dass alles in Ordnung war. Zum Glück hatte sie solche Probleme nicht.

Die Frau flanierte entlang der Bretter, die über den gesamten Holzboden verstreut lagen. Als hätte jemand weiterbauen wollen, es aber nicht mehr geschafft. Verdammt, für sowas starben Regenwälder. Dafür, dass ihr Holz in Nichtbenutzung verwelkte wie Blumen, die sie in der Umgebung immer vermisst hatte. Sie schüttelte den Kopf, und die Erinnerungen fielen ihr in den Raum.

Da. Die Frau schritt zum Fenster, von wo der Regen sie begrüßte. Es war hell, trotz der Nässe und der Beklommenheit. Vor dem Fenster lag eine Leiter. Schon immer? Sie wusste es nicht. Es fehlte eine Sprosse. Wie ein verwundeter Soldat kauerte sie in der Ecke, regungslos. Unüberlegt sog die junge Frau Luft ein, als habe sie sich erschreckt. Ebenso schnell stieß sie diese wieder aus. Das hatte sie nicht gewollt. Wie eine Decke lagen die Spinnennetze über dem Fensterglas, und sie wollte sie nicht beiseite wischen. Hinderlich waren sie, doch konnte die Frau einen Blick hindurch erhaschen. Wiesen, überall Wiesen. Durchwässertes Grün.

Als Kind hatte sie Angst gehabt, der Regen würde das Grün wegschwemmen wie ihren Vater.

Sie lachte kurz, aber ihr Lachen war klanglos, als wäre sie außer Übung. Überall Wiesen.

Wie sehr hatte sie sich Blumen gewünscht. Ihre Mutter hatte ihr eine Topfpflanze geschenkt, damals. Einen Anthurien-Strauß, „Flamingo-Blume“ genannt. Sie war das exotischste Stück Dekoration in der alten Bruchbude gewesen.

Sie ließ den Blick über die Wiesen schweifen, und aus dem Boden hoben sich Sträucher bunt wie Zuckerperlen, Obstbäume und Blumen. Der Regen ließ die Oberfläche silbrig glänzen, und sie konnte die Wassertropfen kühl auf den Fingerkuppen spüren, den Duft der Blumen riechen.
Die Frau kniff die Augen zu, drückte die Farben beiseite. Als sie die Lider wieder öffnete, war es, als wäre eine Welt verloren gegangen. Die Blumen waren verschwunden in der Tiefe ihrer Gedanken.

Sie schlurfte zu der Platte mit dem metallenen Überzug. Verschmiert war sie an die Wand gelehnt, und verschmiert konnte sich die Frau in ihr sehen; ein Gesicht, das für sie etwas zu alt ausschaute, mit wachen Augen.

Früher wollte sie älter sein. Früher wollte sie, dass Zukunft werde. Zehn Kinder wollte sie kriegen und drei Männer. Einen für Abenteuer, einen zum Kochen und einen zum Liebhaben. Kindergärtnerin, das hatte sie werden wollen.

Aber das war sie nicht. Sie war keine Kindergärtnerin, sondern Managerin. Sie hatte keine Kinder, aber einen Mann – zwischendurch. Man musste Prioritäten setzen.
In dem spiegelnden Metall sah sie, dass ihre Lippen spröde waren. Erst jetzt merkte sie, dass sie brannten. Sie griff in die Tasche ihres Blazers und zögerte, als sie die Vibration des Handys spürte. Das war der Chef, ganz sicher. Sie hatte derzeit eine andere Verabredung. Ein Treffen mit einer wichtigen Person.

Die junge Frau hörte, wie der Regen gegen das Fenster hämmerte. Er sollte sie in Ruhe lassen. Aber das würde er nicht, bis sie das Versteck geöffnet hatte. Sie stolperte über den Holzboden, der unter ihr knarrte, als würde er zerbrechen. Stolperte vorbei an dem Fenster, an dem verwundeten Soldaten, wollte ihn grüßen, aber hielt sich zurück. Sie wusste genau, wo es war, aber nicht, ob sie es sehen wollte. Sie kam bei der Öffnung an, aus der die Hängeleiter herausragte. Daneben entdeckte sie den Schlitz im Holz und erinnerte sich an das Gefühl, als sich beim Verstecken des Dings ein Splitter in ihren Finger gegraben hatte.
Jetzt konnte sie nicht mehr anders. An dem Schlitz versuchte sie, das Holz zu heben, und bald löste sich das Brett. Es lag noch immer da unten. Schwarz, hölzern und viereckig. Ein Rahmen, der die Vergangenheit umwand. Sie hatte sie eingeschlossen. Für immer, hatte sie gedacht. Für immer reichte bis heute. Ihre Mutter und sie, festgehalten. Beide lächelten.

Mutter war immer eine gute Schauspielerin gewesen. Sie hätte gewollt, dass ihre Tochter es anders macht, dass ihre Tochter erfolgreich wird wie sie es nie war. Sie hatte kein Geld gehabt, nicht gewusst, was tun mit der Tochter. Das Haus konnte sie nicht bezahlen. So weit entfernt eine Lösung – und der Strick direkt neben ihr.

Wie die Regentropfen an der Fensterscheibe spürte die Frau etwas Feuchtes, Verräterisches ihre Wangen herabrinnen. Viele Wege können unendlich sein, fiel ihr erst jetzt auf. Sie zückte das Handy aus der Tasche ihres Blazers, zittrig. Die Nachricht, die sie erhalten hatte:
„Das Meeting beginnt morgen um Punkt 10 Uhr. Arbeiten Sie noch einmal die Pro-Argumente heraus, dann haben wir die Sache in der Tasche. Ach, ich habe es heute Morgen beinahe vergessen: Alles Gute zum Geburtstag!“
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