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Alt 13.08.2015, 12:28   #1
männlich Amerdi
 
Benutzerbild von Amerdi
 
Dabei seit: 03/2012
Alter: 34
Beiträge: 206


Standard Chef-Feministin

"Es ist eine Ungeheuerlichkeit!" schimpfte die Chef-Feministin, die sich selber gern als Chefinistin bezeichnete.
"Wieso denn" fuhr sie fort "soll man die Amsel Schwarzdrossel nennen, wenn die braunen Weibchen in der Amselgesellschaft eine mindestens ebenso wichtige Rolle spielen wie die blöden schwarzen Männchen!
Schwarze Federn überhaupt wirken mir doch sehr verdächtig. Werden die werten Amselherren am Ende noch etwas zu verbergen haben unter ihren düsteren Mänteln?
Jaja, die Federfarbe ist natürlich naturgegeben, wie die Hautfarbe beim Menschen und eine Rassistin bin ich bestimmt nicht, au contraire! Ich bin Feministin. Ich will mindestens die Gleichheit, für alle. Schwarze Frauen, weiße Frauen, gelbe Frauen, braune Frauen und sogar für Männer.
Aber zurück zu den Amseln. Ein Restzweifel bleibt ja doch bei diesen schwarzen Federn. Wer zieht sich denn schwarz an? Die Verbrecher!
Doch mein eigentlicher Punkt ist, dass die Amsel statt Schwarzdrossel Braundrossel heißen soll.
Verstehen Sie mich nicht falsch, ich bin Feministin und kämpfe für die Gleichheit, sogar für die Männer. Und ich will nicht das weibliche Amseltum in den Vordergrund rücken und die vermutlich verbrecherischen Amselmännchen in eine benachteiligte Position abschieben, mit ihren schwarzen Federn. Nein, nein, auf keinen Fall.
Aber man muss sich überlegen, dass auch die Männchen zu bestimmter Jahreszeit sich ein braunes Federkleid anlegen und so macht es allein des Verhältnisses wegen Sinn die Schwarzdrossel zur Braundrossel umzutaufen.
Ausserdem sind die Weibchen, wenn man es einmal ehrlich nimmt, doch viel sanfter und freundlicher und daher, in einer zivilisierten Welt, bessere Repräsentantinnen. Sie brüten sie ganze Zeit sanft und freundlich und was tun die Männchen? Die kämpfen. Ja, es ist etwas daran, Frau und Mann das ist wie Frieden und Krieg." In diesem Moment schaut die Chef-Feministin zu dem Portrait Bertha von Suttners auf, welches über ihrem Schreibtisch prunkt. Sie lächelt stolz ehe sie mit bedeutender Stimme fortfährt: "Schauen Sie, das ist Bertha von Suttner, eine der größten Gestalten der Geschichte. Durch männliche Überheblichkeit in Vergessenheit geraten. Sie war die Chefin der Friedensbewegung und dadurch war diese eigentlich eine Frauenbewegung. Freilich gab es auch Männer in der Friedensbewegung, doch diese waren wie Amselmänner, die ihren schwarzen Mantel der militaristischen Männlichkeit abgelegt und das braune Gewand der friedliebenden Fraulichkeit übergeworfen haben.
Und so will ich die braune Amsel zum Symbol erheben, mit dem Ausruf: Männer! Wenn ihr schon da sein müsst, dann macht das, was bei den Amseln rein biologisch geschieht mit vollem Bewusstsein, legt euer Schwarz des Krieges ab und das Braun des Friedens an. Werdet wie die Frauen, werdet zur braunen Amsel!" Alle Frauen im Büro der Chef-Feministin erhoben sich nach diesen Worten und schlugen wilden Beifall.
Nur ein Mann war im Raum und dieser wippte ein wenig nervös vom einen auf den andren Fuß, derweil der wilde Weiberjubel von den engen Wänden widerdröhnte. Er hatte den Gedanken, dass der Frauenschwarm ihn Teeren und mit braunem Amselgefieder Federn würde und schüttelte gleich darauf, über sich selber grinsend, die schwitzende Stirn.
Als die Chef-Feministin das sah, rief sie plötzlich und mit dröhnender Stimme "Werter Herr! Sie halten unsere innigsten Überzeugungen für witzig?"
Sofort verstummte der gesamte, nach teurem Parfüm riechende Raum und all die wohlgeschminkten Weibsgesichter drehten sich zu dem Herren im Hintergrund herum.
Man hörte vereinzeltes Flüstern "Ein Mann..." und "Ungeheuerlich...".
Mit einemmal kam ihm die Vorstellung, die er eben noch abgetan hatte garnichtmehr so unwahrscheinlich vor, dachte er sich und schluckte.
Bertha von Suttner blickte mit ihren grauen Augen auf die Szene hinab. Das Ticken der Uhr, die neben dem Portrait hing, war für einige Sekunden der einzig vernehmbare Laut.
Was hierauf folgte, dürfte jederman klar sein.
Amerdi ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 13.08.2015, 12:57   #2
männlich muehue
 
Dabei seit: 08/2015
Alter: 31
Beiträge: 5


Mir gefällt dein Text sehr, schon die "Chefinistin" überzeugt zum weiterlesen und zauberte mir ein Schmunzeln ins Gesicht.

Doch ich weis nicht was passieren würde.
Ich wünschte mir, dass der einzelne Herr eine Prunkrede hält und aufsteht für sein erhaltenes Geschlecht, oder dass er vielleicht einfach wissendlich sitzen bleibt mit einem stillen Lächen im Gesicht.

Gleich wie es ist, ich würde gern weiterlesen.

Dankeschön.
muehue ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 13.08.2015, 23:39   #3
männlich Blobstar
 
Benutzerbild von Blobstar
 
Dabei seit: 05/2012
Alter: 29
Beiträge: 334


Sehr schön destruktiv, böse scheinbar gegen den Mann, tiefer gegen die Frau, eigentlich gegen beide, damit gegen alle und das ist schon wieder nett, weil keiner ausgelassen wird - wer kann bei dem Text noch sagen, ich nicht? Also ich nicht. Aber das ist ja noch nicht der Trick, denn es wäre einfach, gegen alle zu schießen, darum schießt der Text in Wahrheit gegen das Schießen, indem er schießt, und damit gegen sich selbst. So schön destruktiv.
Blobstar ist offline   Mit Zitat antworten
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