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Philosophisches und Nachdenkliches Philosophische Gedichte und solche, die zum Nachdenken anregen sollen.

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Alt 17.10.2011, 23:00   #1
männlich Perry
 
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Standard leben heißt auch töten

jeden morgen habe ich die wahl
zwischen friedhof oder schlachtfeld
was ist weniger depremierend
das schreiten über zugeteerte gräber
oder breschen ins unbefestigte zu schlagen

ich entscheide mich dafür
beim gehen nicht nach unten zu sehen
behalte lieber den himmel im blick
damit mich nicht der zufällige tritt
eines wanderers auf der milchstraße trifft
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Alt 18.10.2011, 22:51   #2
männlich pathos79
 
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Hallo Perry,
merkwürdige Begründung, aber interessante Sichtweise, die sich nach ambivalentem Anfang herauskristallisiert.klingt ein wenig eremetisch, einsiedlerisch, eigenbrödlerisch...
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Alt 19.10.2011, 00:14   #3
männlich Perry
 
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Standard Hallo Pathos,

warum merkwürdig. Ich finde, die Sichtweise durchaus interessant, dass die Furcht selbst Opfer zu werden vielleicht Anstoß sein könnte, bewusster mit der Umwelt umzugehen.
LG
Perry
PS: Es soll natürlich deprimierend heißen
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Alt 19.10.2011, 22:46   #4
weiblich Ex-Encki
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Hallo Perry,

ich mag Dein Gedicht.
Wahrscheinlich lässt Du Dich wenig von meiner Kritik über die rigorose Kleinschreibung beeindrucken, aber ich muss es hier doch mal erwähnen.
Denn es macht den Text teilweise unleserlich, da die Möglichkeiten des Sinns erst sortiert werden müssen wie z.B. hier:
Zitat:
der zufällige tritt
"der Zufällige tritt"
Ach nein: "der zufällige Tritt".
Das hat mich persönlich mehrmals total rausgebracht und das akzentuierte Ende etwas zerstört.
Ich verstehe ja, dass man mit konsequenter Kleinschreibung auch mit der Vieldeutigkeit spielen kann, aber ich finde, an einigen Stellen verlangt es dann auch mal nach Eindeutigkeit!

Wie gesagt, finde ich den Schluss äußerst spannend. Ich mag es, wenn Menschen versuchen anders zu denken und aus gewohnten Bahnen ausbrechen wollen.
Aber Deine Begründung:
Zitat:
Ich finde, die Sichtweise durchaus interessant, dass die Furcht selbst Opfer zu werden vielleicht Anstoß sein könnte, bewusster mit der Umwelt umzugehen.
kann ich gerade im Schluss nicht feststellen. Denn Du schreibst, dass das Lyrische Ich lieber den Himmel im Blick behielte. Und zwar, weil es eine Gefahr im Auge behalten will, die es nicht einschätzen und bewerten kann und sollte es wirklich zu diesem Ereignis kommen, wahrscheinlich nicht einmal ausweichen könnte.
Dafür aber blickt er nicht auf den Boden, wo Insekten, Spinnen, Pflanzen, etc. von ihm unbedacht zertreten werden.

Hier passiert doch genau das Gegenteil von dem was Du sagst (Zitat). Da das Lyrische Ich die Furcht hat, Opfer zu werden, kann es nicht bewusst mit der Umwelt umgehen, da es nur zum Himmel blickt.

Liebe Grüße
Encki
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Alt 20.10.2011, 11:37   #5
männlich Ex-Abendstern
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Beiträge: 581

Zitat:
jeden morgen habe ich die wahl
zwischen friedhof und schlachtfeld
was ist weniger depremierend
das schreiten über zugeteerte gräber
oder das schlagen von breschen ins unbefestigte

ich entscheide mich dafür
beim gehen nicht nach unten zu sehen
behalte lieber den himmel im blick
damit mich nicht der zufällige tritt
eines wanderers auf der milchstraße trifft
Hallo Perry, das sind interessante Zeilen. Ich habe mir erlaubt, im ersten Abschnitt ein paar Änderungsvorschläge hervorzuheben. Bin mir aber noch nicht sicher, ob es die einzigen bleiben.

In meinen Augen sind die zugeteerten Gräber (im Text) Straßen gleichzusetzen, die täglich von allen befahren werden. Das lyrische Ich ist sich dessen bewußt, schmerzlich bewußt, daß man sie nur deswegen so leicht nehmen kann, weil die lebendige Landschaft an diesen Orten bereits einschneidend und mit Gewalt verletzt und abgetötet wurde... Wir haben es heute leichter als unsere Vorfahren, aber wir sind auch festgelegter, auf Kosten des Lebendigen um uns und in uns. Wer sich nun aber dagegen stemmt, wer Breschen ins Unbefestigte schlägt, wer also abweicht von den Konventionen..., wer sich querwaldein durchschlägt, verletzt und tötet auch...

Lyrisches Ich sieht in seiner Begrenzung keine Lösung des Problems auf herkömmliche Weise, sucht aber einen Ausweg, indem es glaubt, einen dritten Weg beschreiten zu können: es erhebt seinen Blick und sieht nur himmelwärts! Glaubt, nur himmelwärts schauen zu können... Es fühlt, daß dies an der Sachlage auf Erden nichts ändert, sieht sie aber als beherrschendes Thema aus seinem Gemüt verbannt und positiv umstrahlt, und rechtfertigt diese, seine Entscheidung, wenn auch etwas hilflos, mit dem irrational rationalisierenden Argument, diese Haltung sei gar notwendig, um nicht (auch) selbst (noch) von einer noch höheren Instanz zertreten zu werden. Es glaubt also, zugespitzt formuliert, an so etwas wie den Himmel, und zieht diesen der Fixierung auf das Jammervolle in der Welt des Jammertals vor, entwickelt zugleich aber die Angst, eben dieser "Himmel" könnte ihm (sozusagen) auf den Kopf fallen....... Oder so...

Fazit: Positives Denken (oder was auch immer) hin, positives Denken her, man kommt, egal wohin man sich (und seine Blicke) windet, am Thema nicht vorbei: daß der Tod Teil des Lebens, das Leben Teil des Todes ist - oder doch zumindest sein könnte.

Naja, der Text ist nicht ohne Schwierigkeiten interpretierbar, wie ich finde. Und ich bin mir selbst nicht sicher, wie ernst ich meinen Kommentar zu nehmen habe.

Interessant sind die Assonanzen in den letzten drei Zeilen. Dieses allerdings völlig abgefahrene Ende wirkt etwas aufgesetzt auf mich. Es ist, als habe der Autor zunächst nicht weitergewußt, habe sich dann aber, da ihm eben diese Assonanzen in den Sinn kamen, dazu verführen lassen, dem Text (etwas voreilig) einen Abschluß zu verleihen, der so eigentlich nicht geplant war.


LG
Abendstern

Geändert von Ex-Abendstern (20.10.2011 um 15:23 Uhr)
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Alt 20.10.2011, 20:32   #6
männlich Perry
 
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Standard Hallo Zusammen,

was kann man sich mehr wünschen, als solch ausführliche Kommentare wie eure.

Hallo Encki,
klar würde durch "richtige" Schreibweise der Text einfacher zu lesen sein, aber "moderne" Lyrik will gar nicht so leicht zu lesen sein (wobei Kryptik allein natürlich auch kein Qualitätsmerkmal ist ). Ich habe mich nun mal für diese Schreibweise entschieden und behalte sie für meine lyrischen Texte auch bei.
"Was die Furcht anbelangt, von oben zertreten zu werden, so ist diese nur symbolisch gemeint, quasi Furcht mit Furcht zu besiegen. Furcht sollen die "Machtmenschen" spüren -und sei es nur um ihre Pfründe- vielleicht sind sie dann zu mehr Menschlichkeit und Umweltschonung bereit.
Danke für deine Sicht und LG
Perry

Hallo Abendstern,
das "und" nehme ich gerne an, aber "das schlagen ..." gefällt mir wegen der Wiederholung zu "das schreiten ..." weniger.
Ansonsten gefällt mir deine Interpretation ganz gut.
Dass du den Schluss "Assonanzen" geprägt siehst, weise ich selbstverständlich weit von mir , der fußt eher auf meiner Vorliebe zur Sience Fiktion, da wandern schon mal höhere Wesen über die Milchstraße.
Danke für deine Anregungen und dein Interesse.
LG
Perry
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Alt 21.10.2011, 01:37   #7
weiblich Ex-Encki
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Beiträge: 424

Hi Perry,

ich kann den inneren Konflikt in der ersten Strophe sehr wohl nachvollziehen! Für mich ist es ein Graus, Schuld zu haben, weil ich lebe. Denn wer lebt, tötet.
Ich kann auch Deine Erklärungen über die "Mächtigen" gut verstehen und wünsche mir von vielen Menschen mehr Achtsamkeit.
Auch glaube ich, dass man, wenn man selbst seine Furcht bewusst wahrnimmt, reflektiert und bearbeitet, sich auch besser mit Einfühlungsvermögen der Furcht anderer annehmen kann.
Das hat für mich nur alles nichts mit der zweiten Strophe zu tun.
Das Lyrische Ich haftet an seiner Furcht, indem es nach oben blickt. Wer seine Furcht nicht bearbeitet, trägt sie in die Welt und schadet meist damit.
Verstehst Du, was ich meine?

Du schreibst:
Zitat:
"moderne" Lyrik will gar nicht so leicht zu lesen sein
Das finde ich zu generell. Die Intentionen der Autoren von "moderner" Lyrik sind sehr unterschiedlich und von Gedicht zu Gedicht verschieden.
Aber ich respektiere Deine Entscheidung für die Schreibweise.

Liebe Grüße
Encki
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Alt 22.10.2011, 12:57   #8
männlich ZychoyZ
 
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Alter: 37
Beiträge: 1.633

hallo perry,

der text ist wirklich gut, ich denke am besten gefällt mir der titel ... und die geteerten gräber ...
wirklich gut gelungen

beste grüße
Zycho
ZychoyZ ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 22.10.2011, 18:10   #9
männlich Perry
 
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Standard Hallo Zycho,

freut mich, dass dir die "dramatischen" Stellen gefallen haben.
Danke fürs Interesse und LG
Perry
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Lesezeichen für leben heißt auch töten



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