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Alt 08.03.2017, 10:34   #1
männlich mcblie
 
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Standard Noch einen Happen vom Buffet

Peter war früh dran. Die Lesung würde erst um 20.00 Uhr beginnen. Er blickte auf seine Uhr: 19.15 Uhr. Sein altes Leiden, er hasste es zu spät zu kommen. Lieber nahm er es in Kauf, herumzusitzen und zu warten. Er schaute sich um. Allmählich füllte sich der Saal, die Besucher tröpfelten bei der Tür herein, hängten ihre Wintermäntel in die Garderobe, warfen einen suchenden Blick in den Raum. Peter kannte niemanden und er war froh darüber. Ihm war heute nicht danach, mit irgend jemandem Smalltalk zu zelebrieren. Die Kellnerin brachte ein Tablett mit Aperitifs. Er griff nach einem Gläschen Bier und nippte lustlos daran.
Da ging sie vorbei. Nein, sie schwebte. Wie in Trance starrte Peter ihr nach. Die langen, gewellten, hellbraunen Haare wippten bei jedem Schritt elastisch mit. Ihr Topp endete knapp über der hautengen Jeans, die die endlos scheinenden Beine umschlossen. Sie war vorbeigehuscht, doch hatte sich ihr Anblick in Peters Gehirn eingebrannt. Sie war nirgends mehr zu erblicken. Durch eine der vielen Seitentüren musste sie verschwunden sein. Peter schüttelte den Kopf, um einen klaren Gedanken fassen zu können.
In der Zwischenzeit hatten sich die Reihen gefüllt. Das Licht wurde gedämpft, die Lesung konnte beginnen. Peter schaute sich verstohlen um, doch er konnte die Frau nirgends sehen. Langsam glaubte er an eine Erscheinung. Er machte es sich auf seinem Stuhl so bequem, wie es ging, schlug die Beine übereinander und war bereit, den Worten des Schauspielers auf der schlichten, improvisierten Bühne zu lauschen.
Die Auswahl der Texte war ausgezeichnet, von nachdenklich stimmend bis heiter, die Vortragsweise ebenso beeindruckend wie mitreißend. Dennoch schweiften Peters Gedanken immer wieder ab. Wer war sie? Konnte er sie noch einmal entdecken? Was war mit ihm geschehen? Ein flüchtiger Anblick nur und er war wie einer Gefangener dieser geheimnisvollen Frau.
Die Lesung ging zu Ende, der anhaltende Applaus des Publikums forderte eine Zugabe und zu guter Letzt kündigte der Veranstalter die Öffnung des Buffetts an. Peter stellte sich in die Reihe der hungrigen Kulturbeflissenen. Endlich kam er zum reich gedeckten Tisch, da sah er sie. Sie stand auf der anderen Seite, lächelte ihn an und erkundigte sich nach seinem Wunsch. Peter war sprachlos und musste einen dämlichen Blick aufgesetzt haben. Erst als die Ungeduld der in seinem Rücken Wartenden spürbar wurde, konnte er sich durchringen, seinen Essenswunsch bekannt zu geben. Eigentlich war es ihm völlig egal, was er auf sein Teller gelegt bekam. Er würde gerne in ihrer Nähe stehen bleiben, aber das würde wohl einige Handgreiflichkeiten nach ziehen. So bedankte er sich nur und zog weiter, schnappte sich noch lustlos ein Gebäck und setzte sich an einen freien Tisch. Sein Blick wanderte zurück zum Büffet. Heimlich beobachtete er sie und dachte über eine Möglichkeit nach, wie er ins Gespräch kommen konnte.
Die Minuten verrannen, Peter stocherte auf seinem Teller umher und dachte an die vergangenen Tage zurück. Zuhause war nicht alles nach Plan gelaufen. Im Job hatte er Schwierigkeiten und mit seiner Frau einen heftigen Krach gehabt. Deshalb war er alleine zu dieser Veranstaltung gefahren. Und da lief sie ihm über den Weg. Er war eigentlich nicht der Typ, der fremd ging. Aber nach den letzten Ereignissen war er sich da nicht mehr so sicher. Abermals blickte er zum Büffet. Nur mehr spärlich scharten sich ein paar Gäste um die fast geplünderten Teller. Sie stand immer noch dort und bediente mit einem zauberhaften, charmanten Lächeln. Peter wusste, dass das zu ihrem Job gehörte, dennoch erlag er dem Zauber. Rationales Denken hatte keinen Platz mehr. Er fasste sich ein Herz, erhob sich und schritt auf die Tische zu. Mit einem leeren Teller stellte er sich an und merkte, dass er mittlerweile schon der einzige war.
Peter blickte auf und sah direkt in ihre Augen, in dieses unergründliche Schwarz. Sie erwiderte seinen Blick mit einem offenen, freundlichen Lächeln auf den vollen Lippen, leicht geöffnet, die weißem Zähne blitzten hervor. Obwohl der Büffettisch zwischen ihnen stand, fühlte sich ihr Peter nahe. Er spürte den zarten Duft ihres Parfums, ihren Atem. Aus dem Augenwinkel sah er, wie sich bei jedem Atemzug ihre Brüste unter dem Top hoben. Es schien eine Ewigkeit zu dauern, bis ihre Worte zu ihm durchdrangen.
„Haben Sie noch einen Wunsch?“ Ihre leicht rauchige Stimme fuhr Peter direkt in den Magen, wo sie ein Kribbeln auslöste, als ob sich Tausende von Maikäfern gleichzeitig in Bewegung gesetzt hätten. Peter schluckte, sein Mund war trocken.
„Groß ist das Angebot leider nicht mehr“, setzte sie fort. Ach, wenn du wüsstest, dachte Peter. Er konnte sich nicht von ihrem Anblick lösen. Aber schön langsam wurde es Zeit, er musste eine Entscheidung treffen. Peter nahm all seinen Mut zusammen, setzte sein bestes, unwiderstehlichstes Lächeln auf und hauchte ihr entgegen: „Ein Schinkenbrötchen, bitte.“
mcblie ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 09.03.2017, 09:11   #2
weiblich DieSilbermöwe
 
Benutzerbild von DieSilbermöwe
 
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Alter: 61
Beiträge: 6.714


Hallo mobile,

eine insgesamt unterhaltsame Geschichte mit überraschendem, unvorhersehbarem Ende, das den Leser schmunzeln lässt. Von der Länge her ist der Text mE genau getroffen, sodass der Leser bis zum Schluss gespannt bleibt, was kommt.

Mir sind ein paar Flüchtigkeits- bzw. Ausdrucksfehler aufgefallen: "Die Besucher troepfelten bei der Tür herein" - es müsste "zur Tür" heißen und "troepfelten" ist auch nicht die beste Wortwahl.
Dann "auf sein Teller", müsste "auf seinen Teller" heißen. Außerdem macht Peter zweimal "lustlos" etwas, hier fällt mit der Satz von Mark Twain ein, den Ilka-Maria öfters zitiert: " kill an adjective!" Hier passt das Adjektiv wirklich überhaupt nicht, es ist vollkommen überflüssig und macht auch keinen Sinn.

Und ein Top ist ein Top, kein Topp
DieSilbermöwe ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 09.03.2017, 09:30   #3
männlich mcblie
 
Benutzerbild von mcblie
 
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Alter: 59
Beiträge: 58


Danke fürs kritische Durchlesen und die konstruktiven Hinweise.
Liebe Grüße
mcblie
mcblie ist offline   Mit Zitat antworten
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