Poetry.de - das Gedichte-Forum
 kostenlos registrieren Letzte Beiträge

Zurück   Poetry.de > Gedichte-Forum > Düstere Welten und Abgründiges

Düstere Welten und Abgründiges Gedichte über düstere Welten, dunkle und abgründige Gedanken.

Antwort
 
Themen-Optionen Thema durchsuchen
Alt 26.03.2013, 17:13   #1
Thing
R.I.P.
 
Benutzerbild von Thing
 
Dabei seit: 05/2010
Beiträge: 34.998

Standard Front

Höhe 108 bei Poldrawa





Geschickt als dringender Melder,
während die Angst in die Ohren kroch,
sprang und robbte er durch die Felder.
Noch vier Schritte und einen noch!

In den Unterstand zu den MG-Schützen,
die selbst aus ihren Poren Ängste schwitzen,
vier Minuten Pause, Papier überbracht,
halbe Zigarette, hinaus, hinaus
in den nächsten tödlichen Graus,
in die orgelflackernde Nacht.

Über den Hügel in Schrecken hinein.
die Meldung, die Meldung muß sein.
Knie, Schulter, Hände verschrammt,
doch zum Weitereilen verdammt.

Der Feind so nah an dieser Front.
Doch überlaufen? Er hats gekonnt.
Wurde geschlagen, spuckte Blut
und fühlte noch nicht einmal Wut.

Schnell die Meldertasche gekrallt,
den Zahn ausgespuckt und ohne Halt
die alte Linie wieder gesucht.
Den Krieg und die wüste Höhe verflucht.

Den Krieg hat wohl nicht überstanden.
Aber es hing wie Pech an ihm,
daß er einmal die Front gewechselt.
Zu stramm waren die Führer gedrechselt.
Im Zwieland kaut er den Stummelpriem.
Das Leben kam ihm schon auf der Höhe abhanden.







Gewidmet Gert Ledig

26. März 2013
Thing ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 27.03.2013, 09:09   #2
männlich Ex-DrKarg
Gast
 
Dabei seit: 01/2012
Alter: 76
Beiträge: 3.139

Standard Re: Front

Lieber Thing,
wer einmal im Beinhaus von Donaumont war und gesehen hat, wie bereits im 1. Weltkrieg junge Männer sinnlos in den Materialschlachten und mit modernster Technik verheizt (=geopfert) worden sind, der wird auch nach dem 2. Weltkrieg das 19. Jahrhundert nur noch als "Jahrhundert der Weltkriege" bezeichnen können, nicht als Jahrhundert der Erfindungen.
Herzliche Grüße R. R. Karg
Ex-DrKarg ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 27.03.2013, 19:05   #3
Thing
R.I.P.
 
Benutzerbild von Thing
 
Dabei seit: 05/2010
Beiträge: 34.998

Ja, DrKarg -

das war das düsterste Kapitel im zweiten Dezennium des vergangenen Jahrhunderts.
Mit Verdun verbinde ich lediglich Schrecken.
Ich bin dortgewesen.
Wer über Krieg heutzutage in flapsiger oder gar verherrlichender "Helden"-Art schreiben kann, ist in meinen Augen - na ja, ich schreibs lieber nicht hin.

Deine Wort sind so wahr!


Herzlichen Gruß
von
Thing

Geändert von Thing (27.03.2013 um 22:27 Uhr)
Thing ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 27.03.2013, 20:50   #4
weiblich Ilka-Maria
Forumsleitung
 
Benutzerbild von Ilka-Maria
 
Dabei seit: 07/2009
Ort: Arrival City
Beiträge: 31.104

Mein lieber Schwan! Das liest sich atemlos, wie hingeschrieben, ohne die Feder abgesetzt zu haben. Der Wechsel des Reimschemas treibt das Tempo zusätzlich an. Das Metrum ist dem Inhalt geopfert, aber das ist für mich kein Problem, wenn sich beim Lesen Hautkrümel bilden und die Härchen darin senkrecht stehen.

Fort Douaumont habe ich vor vielen Jahren besichtigt und dabei festgestellt, dass das gerade Gesehene weniger Emotionen auslöst als das Verarbeiten in den Monaten und Jahren danach. Es ist wie nach dem Sterben eines nahestehenden Menschen: Erst ist man betäubt und findet sich ab - aber danach kommen die Trauer und die Fragen. Das Grundgefühl bei meinem Besuch im Beinhaus war jedoch das große Glück, nach den beiden letzten Weltkriegen (es soll ja drei oder vier Weltkriege gegeben haben) geboren worden zu sein und bislang in Frieden gelebt zu haben.

Ich wünschte, dessen wären sich mehr Menschen meiner Generation - und denen nach meiner Generation - bewusst.

LG
Ilka
Ilka-Maria ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 27.03.2013, 22:43   #5
Thing
R.I.P.
 
Benutzerbild von Thing
 
Dabei seit: 05/2010
Beiträge: 34.998

Hallo, Ilka-Maria -

ich habe die Feder nicht abgesetzt, habe nicht gefeilt, habe nicht geglättet.
Aber aus Rücksicht auf vielleicht empfindsame Leser habe ich viel Entsetzliches und Grauenhaftes nicht im Text erwähnt.

Die Trilogie "Unsere Väter, unsere Mütter" mag ja eindrucksvoll gewesen sein (auf sie bezieht sich mein Gedicht nicht), aber sie ist trotzdem insgesamt verklärend.

Auch das SPIEGEL-Interview, in dem es um einen der wenigen letzten Überlebenden des Rußlandfeldzugs geht, spart sehr aus, ist nur in wenigen Ansätzen "blutig" und hinterfragt umsonst die Motive guter Deutscher*, mitzumachen beim mörderischen und heimtückischen Überfall auf Rußland ***.

Leider hat sich noch allzuviel von der Denkungsart erhalten:
Vergangen. Vorbei. Nicht dran rühren.

Welches Glück wurde mir beschieden, daß ich zum Kriegsende geboren wurde, daß seitdem Frieden in Deutschland herrscht, daß i c h weder Bomben noch Zerstörung kennelernen mußte!
Ich danke jeden Tag dafür.




*Viele humanistisch gebildet, aufgeklärt im Sinne der Aufklärung, als Individuum nicht feige, aber zur Verweigerung nicht bereit.


*** Der sich tiefer eingebrannt hat als alle anderen Überfälle (Polen, Belgien, Frankreich, Tschechoslowakei, Tobruk, Holland etc.).
Warum?
Weil dieser Wahnwitz im Untergang endete.
Weil der gesunde Menschenverstand füsiliert wurde.
Thing ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 28.03.2013, 07:34   #6
weiblich Ilka-Maria
Forumsleitung
 
Benutzerbild von Ilka-Maria
 
Dabei seit: 07/2009
Ort: Arrival City
Beiträge: 31.104

Zitat:
Zitat von Thing Beitrag anzeigen
Die Trilogie "Unsere Väter, unsere Mütter" mag ja eindrucksvoll gewesen sein (auf sie bezieht sich mein Gedicht nicht), aber sie ist trotzdem insgesamt verklärend.
Nach 40 Minuten abgeschaltet und auf die Fortsetzungen verzichtet. Der Film wurde der Werbung für ihn nicht gerecht.
Ilka-Maria ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 30.03.2013, 10:23   #7
Thing
R.I.P.
 
Benutzerbild von Thing
 
Dabei seit: 05/2010
Beiträge: 34.998

Standard Hallo, Ilka-Maria -

da der Film in meinen Augen nur aus Stereotypen bestand, hätte er mich auch nie gereizt, daraus ein Gedicht zu formen.
Im Gegensatz zur Vorlage von Gert Ledig.


Schönes Wochenende
wünscht
Thing
Thing ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 30.03.2013, 15:03   #8
gummibaum
 
Dabei seit: 04/2010
Alter: 70
Beiträge: 10.909

Hallo Thing,

ich kenne das Werk Ledigs nicht, bin aber nach ersten Recherchen der Meinung, dass eine Würdigung des lange Vergessenen (spät Wiederentdeckten) richtig ist, da er, wie das Gedicht gut nachstellt, den Krieg so vernichtend zeigt, wie er ist. Und die Ehrenhändel, die darin hochgehalten werden.

LG gummibaum
gummibaum ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 05.04.2013, 16:55   #9
Thing
R.I.P.
 
Benutzerbild von Thing
 
Dabei seit: 05/2010
Beiträge: 34.998

Zitat:
Zitat von gummibaum Beitrag anzeigen
Hallo Thing,

ich kenne das Werk Ledigs nicht, bin aber nach ersten Recherchen der Meinung, dass eine Würdigung des lange Vergessenen (spät Wiederentdeckten) richtig ist, da er, wie das Gedicht gut nachstellt, den Krieg so vernichtend zeigt, wie er ist. Und die Ehrenhändel, die darin hochgehalten werden.

LG gummibaum

Hallo, gummibaum -

gegen den Text von Gert Ledig ist mein Gedicht h a r m l o s!
G.L. starb in relativer Armut.
Das Thema Krieg wurde rasch verharmlost, à la 08/15 von R.R.Kirst (Karikatur!).
Thing ist offline   Mit Zitat antworten
Antwort

Lesezeichen für Front



Ähnliche Themen
Thema Autor Forum Antworten Letzter Beitrag
Brief an die Front Ilka-Maria Liebe, Romantik und Leidenschaft 17 28.10.2010 11:22
an der front. Suyari Düstere Welten und Abgründiges 3 01.09.2007 14:00
Front Valium Sonstiges Gedichte und Experimentelles 0 29.05.2007 17:08


Sämtliche Gedichte, Geschichten und alle sonstigen Artikel unterliegen dem deutschen Urheberrecht.
Das von den Autoren konkludent eingeräumte Recht zur Veröffentlichung ist Poetry.de vorbehalten.
Veröffentlichungen jedweder Art bedürfen stets einer Genehmigung durch die jeweiligen Autoren.