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Alt 16.01.2011, 19:51   #1
weiblich Ilka-Maria
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Standard Die Platte

Mein Patentante war unglücklich.

Wider besseres Wissen hatte sie die Fleischplatte ihres Lieblingsgeschirrs in den heißen Backofen geschoben, um die Speisen warmzuhalten, und die Platte war gesprungen – auf Zweidrittelhöhe entzwei, kaputt. Un d jetzt war sie unglücklich, denn sie hätte es besser wissen müssen. Und ich war auch unglücklich, denn ich litt mit ihr, schließlich war sie meine Patentante.

Neubestellung war nicht möglich, denn das Programm gab es nicht mehr.

Also versuchte meine Tante, die Teile zu kleben, aber das hielt natürlich nicht. Schwere Villeroy-&-Boch-Porzellan gegen Alleskleber –das konnte nichts werden.

Durch Zufall kam ich an die Adresse eines Experten.

Der Weg dorthin war abenteuerlich. Er führte mich in eine Sackgasse im Frankfurter Bahnhofsviertel. Dort saßen auf dem Gehweg Leute auf Stühlen und verfolgten durch die Wohnungsfenster im Fernsehen die Fußballeltmeisterschaft. Fast am Ende der Sackgasse wies mir ein Schild an einem Torbogen den Weg zu meinem Experten: Ildrissim – ein Araber also.

Vordergebäude, Hinterhof, Hintergebäude – ich konnte ihn nicht finden. Also wieder von vorne. Im Torbogen gab es einen Seiteneingang zum Hauptgebäude, aus dem mir ein dunkelhäutiger Mann entgegenkam. Ich trat ein, mißachtete den altmodischen Aufzug und ging die ausgebeulten Stufen hinauf. Bereits im ersten Stock war ich an meinem Ziel: Ildrissim.

Ich drückte die Türklinke und trat ein. Unter meinen Füßen knarrten die Holzdielen. Vor mir befand sich eine Theke, dahinter stand ein kleiner, dunkelhaariger Mann, der um die fünzig Jahre sein mußte. Er bediente gerade eine Kundin. Vor ihm auf der Theke lagen die Bruchstücke einer billigen Teekanne. „Das wollen Sie wirklich reparieren lassen?“ fragte Ildrissim in klarstem Deutsch. „Ich dachte ...“, schniefte die junge Frau, „ich dachte halt ... ich dachte, es war doch ein Geschenk von ihm ... und wenn es wieder ganz ist, dann komm er vielleicht zurück.“

Er nahm den Auftrag an.

Ich gab meine Platte ab. Villeroy &/ Boch. Nicht mehr zu haben. Das Programm war abgelaufen. 60 Euro für die Reparatur, bar auf die Kralle, ohne Rechnung. Abgemacht.

In der Not helfen eben nur noch die Experten.

Im Hinterhof.

Ein paar Wochen später holte ich die reparierte Platte ab. Für 60 Euro Festpreis.

Die Teekanne wäre mir lieber gewesen.

© by Ilka-M., 15. Januar 2011
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Alt 16.01.2011, 21:07   #2
Wackelpudding
 
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Hi Ilka-Maria,

da hast du ein Leerzeichen zu viel "...kaputt. Un d jetzt war sie unglücklich, de..."

Die Platte springt doch wieder! Da bin ich sicher! Aber 60 Öcken scheinen mir doch etwas viel zu sein. Manchmal ist es besser sich von alten Dingen zu lösen.
Wackelpudding ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 17.01.2011, 03:12   #3
weiblich Ilka-Maria
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Danke, Wackelpudding. Es war kein altes Ding, sondern gehörte zu einem Service. Hätte man die Fleischplatte noch nachkaufen können, wäre sie wesentlich teurer gewesen, da es sich um erstklassiges Porzellan handelte.

Auch habe ich eine andere Einstellung zum Wert der Arbeit eines guten Handwerkers. Wer ordentlichte Arbeit leistet, der wird von mir auch entsprechend bezahlt. Ich erwarte für meine Arbeit schließlich nichts anderes. Übrigens: Den Sprung sieht man in der Platte nur bei sehr scharfem Hinsehen. Das hält.

LG
Ilka-M.
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Alt 17.01.2011, 11:07   #4
Thing
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Halli Hallo, Ilka-Maria!

Ich habe lediglich einen Tippfehler entdeckt ( schweres Porzellan).
Ansonsten ist die Geschichte ausgezeichnet geschrieben.
Knapp, ohne Abschweifungen, im Aufbau hervorragend.

Aber warum wäre dem LyrI die Kanne lieber gewesen?
Spielen da romantische Gefühle hinein?


Thing
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Alt 17.01.2011, 11:58   #5
weiblich Lux
 
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Hallo liebe Ilka-Maria,

ich habe auch noch eine Kleinigkeit gefunden:
Zitat:
Fußballeltmeisterschaft
. Da fehlt ein "w".
Ansonsten muss ich mich dem Lob von Thing anschließen. Die Geschichte hat was, vor allem Atmosphäre. Am Ende hätte ich persönlich mir etwas mehr Aufklärung gewünscht.

Liebe Grüße und einen guten Start in die Woche wünscht
Lux

PS: Schön, dass man die Platte noch retten konnte! Ich vergieße schon mal bittere Tränen, wenn wieder ein geliebtes Stück meiner Tollpatschigkeit zum Opfer gefallen ist.
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Alt 17.01.2011, 11:59   #6
weiblich Ilka-Maria
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@ Thing:

Weil ich das so rührend naiv von der jungen Frau fand, zu hoffen, daß die Reparatur der Teekanne auch ihre Beziehung wieder heilen könnte. Die Kanne hatte somit eine Historie, die Fleischplatte nicht - sie war nur deswegen unverzichtbar, weil sie zu einem Service gehörte, sie hatte also kein "Eigenleben".

@ Lux:

Ich war glücklich darüber, jemanden entdeckt zu haben, der dieses Handwerk versteht.


Allen Dank für das Auffinden der Tippfehler. Habe meine Datei entsprechend korrigiert.

LG
Ilka-M.
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Alt 19.01.2011, 21:09   #7
weiblich Daisy
 
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Liebe Ilka-Maria,

so wie Du Deine Kurzgeschichte präsentierst - übersichtlich und in Absätze gegliedert - ist es eine wahre Freude sie zu lesen. Deine Art solche Geschichten zu schreiben gefällt mir!

LG Daisy
Daisy ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 20.01.2011, 08:29   #8
weiblich Ilka-Maria
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Danke.
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Alt 20.01.2011, 09:55   #9
männlich Caliban
 
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Also die V&B-Werbung hätte nicht sein müssen.

Die Pointe mit der Teekanne hätte gerne etwas ausführlicher gestaltet werden dürfen, nichtsdestoweniger erfreut der angenehme und klare Textfluss.

Das 18000 Jahre in der Zukunft liegende Copyright finde ich allerdings verwegen.
Caliban ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 20.01.2011, 11:34   #10
weiblich Ilka-Maria
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Das siehste natürlich richtig. Wär ja auch zu schön, um wahr zu sein. Vielleicht sollte ich ja doch Marlenja vertrauen.
Ilka-Maria ist offline   Mit Zitat antworten
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