Poetry.de - das Gedichte-Forum
 kostenlos registrieren Letzte Beiträge

Zurück   Poetry.de > Geschichten und sonstiges Textwerk > Geschichten, Märchen und Legenden

Geschichten, Märchen und Legenden Geschichten aller Art, Märchen, Legenden, Dramen, Krimis, usw.

Antwort
 
Themen-Optionen Thema durchsuchen
Alt 06.11.2006, 21:51   #1
Maya Runa
 
Dabei seit: 11/2006
Beiträge: 1

Standard Verloren

Hier also einmal eine meiner Geschichten. Ich bleibe gespannt, auf Eure Reaktionen/Kritiken/Meinungen. Danke!
LG Maya

Verloren

Wieder dieser Alptraum. Wieder die gleichen Bilder.
Unser erster gemeinsamer Skiurlaub.
Die Kleine und ich. Direkt nach dem Frühstück sind wir raus. Die Skier gepackt und rauf auf den Berg.

Ich seh ihn vor mir, den weißen Hang, und mein kleines Mädchen.
Denke noch "Sie macht das prima, mit ihren fünf Jahren". Da seh ich, wie sie stürzt, auf ihren Po fällt - aber sie lacht, hat sich nicht verletzt. Und ich lache mit ihr.

Einer ihrer Skier driftet irgendwohin über die Piste. Den Abhang hinunter - allein. Ich registriere es nur aus den Augenwinkeln. Meine ganze Aufmerksamkeit gehört ihr. Sie versucht aufzustehen, schafft es aber nicht, sich zu halten. Rutscht weiter auf ihrem Po über den Hang. Der Schnee hat hier eine Eisschicht und sie schlittert weiter mit den Füssen voran. Ein ungutes Gefühl schleicht sich plötzlich in meine Eingeweide.

Ich seh sie noch immer rutschen, jetzt nur noch einen Skier an ihren Füßen.
Sie versucht, sich mit ihren behandschuhten kleinen Händchen irgendwo festzuhalten.
Aber hier wächst nichts, alles ist glatt, sie greift ins Leere.

Ich fühle diese dumpfe Bedrohung in mir. Und plötzlich fällt es mir ein. Panik ergreift mich.
Wenn sie in dieser Richtung weiterrutscht, wird sie unweigerlich in die Schlucht stürzen... Ich muss sie erreichen... beginne zu schreien.
Sie rutscht, wird schneller ... ich bin direkt hinter ihr, ein paar Meter noch und ich kann sie fassen...
Ich sehe, wie sie sich jetzt vom Rücken auf den Bauch rollt, dabei den zweiten Skier verliert.

Jetzt, die Absperrung - ganz plötzlich ist sie da - wie aus dem Nichts - das grüne Haltenetz. Hoffnung. Wenn sie jetzt hochgreift, kann sie sich an ihm festhalten. Wenn sie jetzt... Jetzt ! Aber sie rutscht auf dem Bauch. Sie hat es nicht gesehen, konnte nicht reagieren. Alles geht so schnell. Sie gleitet mit den Füssen zuerst unter dem Netz hindurch. Zu spät.
Und ich kann ihr nicht mehr folgen. Das Netz, die Rettung, trennt mich jetzt von ihr.
Ich seh sie schneller weiter rutschen, höre das Knirschen des Eises. Ihr Schreien, mein eigenes.

Ich bremse, stehe, schnalle mit fliegenden Fingern die Bindung meiner Skier auf, ohne mein Mädchen aus den Augen zu lassen. Ich kann es schaffen - kann sie noch erreichen, wenn ich mich beeile. Mein Puls rast. Ich seh nur meine Kleine.
Ganz deutlich vor mir ihr Gesicht. Die Angst in ihren Augen. Ich kann sehen, wie sie nach mir schreit: "Mama".
Hören kann ich nur noch das Rauschen des Blutes in meinen Ohren.
Der Abgrund. So nah jetzt.

Wie in Zeitlupe scheint sie sich auf ihn zu zu bewegen. Unendlich langsam verschwinden vor meinen Augen zuerst ihre gelben Skistiefel hinter der eisbedeckten Kante. Dann die blaue Hose. Ihre Jacke mit den weißen Signalstreifen.
Vor mir nur noch ihre angstvoll weit aufgerissenen Augen, ihr schreiender Mund. Die braunen Haare im Wind. Ihre roten Handschuhe. Eine unendlich lange, sekunden dauernde Zeit. Dann ist sie nicht mehr da.
Ich höre ihren Schrei, einen Atemzug lang.
Und meine Stimme, die nur ein einziges Wort ohne Unterbrechung wiederholt, wie ein Gebet: "Nein... nein... nein..."

Ich öffne die Augen.

Es ist früher Morgen.
Mein kleines Mädchen hopst fröhlich auf meinem Bauch herum und lacht in mein Gesicht.
Ihre Wangen sind rot vor Aufregung, ihre kleinen Hände trommeln auf die karierte Bettdecke unter der ich liege. Es ist warm und gemütlich.
Geschirrklappern dringt unten aus der Küche unserer Pension. Es duftet nach frischem Kaffee. Draussen vor den Butzenscheiben wirbeln Schneeflocken. Gegenüber auf dem zweiflügeligen Schrank mit der Bauernmalerei liegen unsere geöffneten Koffer.
Immer noch juchzend krabbelt meine Kleine auf allen vieren seitlich erst von mir, dann vom Bett herunter.
Kurz bevor ihre kleinen Füsschen den Holzfußboden erreichen, ist der Alptraum zuende.
So wie jedesmal.

Ich bin zuhause. Allein. Sitze auf dem weichen Teppich vor dem leeren Kinderbett.
Weine schon lange nicht mehr.
Wiege nur still ihren einsamen Teddy sanft in meinem Arm.
Maya Runa ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 06.11.2006, 22:49   #2
weiblich Ex Darkskin
abgemeldet
 
Dabei seit: 04/2005
Beiträge: 901


Standard RE: Verloren

eine unendliche Geschichte...

denn

unendlich traurig
unendlich gut
ich bin unendlich beeindruckt

kann man weinen und wünschen dass sowas einem nie passiert.
Zu realistisch für mich. Oder ist mir Zigarettenrauch ins Auge gekommen - mag sein.

Darkskin
Ex Darkskin ist offline   Mit Zitat antworten
Antwort

Lesezeichen für Verloren




Sämtliche Gedichte, Geschichten und alle sonstigen Artikel unterliegen dem deutschen Urheberrecht.
Das von den Autoren konkludent eingeräumte Recht zur Veröffentlichung ist Poetry.de vorbehalten.
Veröffentlichungen jedweder Art bedürfen stets einer Genehmigung durch die jeweiligen Autoren.