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Alt 21.01.2007, 23:18   #1
männlich Roan Eck
 
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Beiträge: 168


Standard Pilgersheimerstraße

Pilgersheimerstraße

Er biegt in Richtung Falkenstraße. Dann geht’s Richtung Gärtnerplatz und in die Blumenstraße. Viktualienmarkt. Endlich am Marienplatz. So jetzt fünf Minuten Pause. Dann wieder zurück zum Tierpark. Wieder durch die Pilgersheimer.

Dann sind es nur noch neun von den täglich anfallenden Runden. (ca. Zehn. Kommt auf den Verkehr an. Manchmal auch mehr, so wie heute) Eine Stunde wäre somit fast rum. Eine Schicht hat acht Stunden. Jeweils 30 Minuten von Tierpark bis Marienplatz, dass macht 16 Mal vom Tierpark bis Marienplatz. Ein Mal hat er. So sieht der Arbeitsplan von Angelo Bragi. Er ist ein Italiener in den mittleren Jahren.

Angelo ist klein, schwarzhaarig und hat ein Arbeitergesicht. Er (20) und seine Frau (17) waren Ende 1965 nach Deutschland ausgewandert. Damals waren sie gerade ein Jahr verheiratet und Francesca war schwanger. Sie sah aus wie viele Italienerinnen. Sie hatte dieses temperamentvolle etwas, dieses Vollblütige. Hatte schwarze lange Haare, bis über die Schultern. Trotz der Schwangerschaft war sie eine attraktive Frau. Er konnte sich noch gut an ihr erstes Treffen (am Marktplatz von Parma) erinnern. An diesem Tag hatten ihre Augen geleuchtet wie die von einem ungezähmten, wilden Tieres. Ihre Augen schimmerten grün. Unwillkürlich musste er an einen schwarzen Panther denken.

Angelo hatte damals seinen alten Job auf Grund eines Alkoholproblems verloren. Fristlose Kündigung. Er arbeitete als Bauarbeiter. In Deutschland hatten sie eine billige 2-Zimmerwohnung gefunden. Am Anfang hatte er ein paar Gelegenheitsjobs und Francesca jobbte nebenbei als Kellnerin, das bald aber nicht mehr ging wegen ihres Bauches. Also blieb sie daheim. Kurz vor der Geburt (3 Wochen laut Termin) fand er eine Arbeit als Busfahrer. In seiner vierten Arbeitswoche kam Michael zur Welt. Jetzt waren sie ein glückliche kleine Familie. Genügend Geld für den Kleinen und der Vater trank trotzdem keinen Tropfen Bier. Jetzt hatte er Verantwortung für ein Kind.

Am Anfang hatte er immer wechselnde Routen. Aber schon nach einem halben Jahr hatten sie ihm die Linie 52 zugeteilt. (Tierpark - Marienplatz) So lief es ganz gut. Sie hatten genug Geld um zu Leben. Irgendwann nach eineinhalb Jahren, kam die Beförderung und 9 Monate später kam das zweite Kind. Ein Mädchen. Maria. Papa’s Sonnenschein. Nun kamen wieder Schwierigkeiten auf sie zu: Sie brauchten nun eine größere Wohnung. Das bedeutete mehr Geld für die Miete. Dann brauchten sie die doppelte Ration an Babynahrung. Doppelt soviel Kinderkleidung, (obwohl Maria oft Sachen von Michael trug) etc… Die Wohnung fanden sie in Innenstadtnähe.

Angelo’s Gehalt würde reichen, doch sie mussten kürzer treten. Er hatte zwar auf gehört zu Trinken, aber das Rauchen war geblieben. Langsam wurde sein Verlangen ein Bier zu trinken immer größer. Er hatte sich noch unter Kontrolle. „Wenn wir ein bisschen mehr haben, dann werd ich mir eins gönnen! Aber im Moment muss ich hart bleiben. Francesca, Michael und Maria Willens!“ Das klappte. Er war ein guter Fahrer. Das machte sich bezahlt. Als Michal vier und Maria zwei (1970) wurden bekam er erneut eine Gehaltserhöhung. Diesmal um satte 200 Mark. „Jetzt geht’s wieder berg auf, Schatz.“, hatte er Francesca gesagt.

Er fuhr zum zweiten Mal zurück zum Tierpark. Er freute sich schon auf Feierabend und auf das Bier. Er konnte es schon schmecken, fühlen wie es die Kehle runter lief. Fünf Minuten Pause, die nutze er um an der Haltestelle am Tierpark das WC zu benutzen. Er kam wieder zurück. In seinem Bus befand sich eine alte Frau, die gleich hinter dem Fahrerabteil saß. Er fuhr wieder los. Es war gegen 12, Nicht mehr lange und endlich konnte er sein Bier genießen, jetzt da es ihnen finanziell besser ging. Er freute sich schon darauf. Er kam letzten Abend stockbetrunken heim.

Francesca war nicht mehr so gut zu sprechen auf ihn. Seit er wieder mit dem Trinken angefangen hatte, sprach sie nur noch das Nötigste mit ihrem Mann. Außerdem durfte er nicht mehr so oft ran. Aber es war ihm egal. Das Bier genügte ihm derzeit. Aber er war ein treuer Mann. Er hatte keine Affären und das wusste sie auch. Es ging von den 900 Mark, 400 Mark für die Wohnung und 200 Mark brauchte Francesca für den Haushalt, weg. Vom Rest noch mal siebzig bis achtzig für die Zigaretten drauf. Den Rest an Geld versoff er nach der Arbeit.

Er kannte gute und billige Bars. Er war nun dort Zuhause, kannte den Wirt so gut wie einen Bruder oder redete mit Fremden wie mit Freunden. Ja ein paar von den kneipen waren sogar in der Pilgersheimerstraße. Aber nicht alle, jedoch die meisten. Eine seiner Lieblingskneipen nicht. Das „Hexenstüberl“. Dort kannte er den Wirt recht gut. Da gab’s auch mal einen edlen Brand auf’s Haus. Aber er ging auch gerne ein Mal in die „Pilgersheimer Burg“. Da war das Bier recht schmackhaft. Wieder bog er ein in die Pilgersheimer. Und wieder und wieder. Immer wieder fuhr er durch die Pilgersheimerstraße.

Jetzt war es kurz vor vier Uhr. Bald hatte er aus. Dann konnte er seine Säuferfreunde besuchen. Es wurde daheim immer schlimmer. Francesca, wenn sie nicht so katholisch erzogen wäre, hätte ihn schon lang verlassen. Aber es sagte immer irgendwas „Warte. Es wird bestimmt wieder besser.“ Aber das wurde es nicht, eher noch schlimmer. „Wenn du so weiter machst dann verlierst du den Job noch!“, hatte sie ihm gesagt. Das nicht zum ersten Mal, aber es half nichts. „ Los verlass ihn endlich“, sagt die Stimme der Vernunft. „Nein! Denk ein dein Gelöbnis!“, erwiderte die andere. Die andere gewann somit.

Francescas Stimme in seinem Kopf: „Wenn du so weiter machst, dann verliest du den Job noch!“ Was bildete sie sich überhaupt ein? Hatte er nicht oft genug gezeigt wer der Herr im Haus ist? (Es kam oft vor das er sie oder Michael schlug. Nur wegen Kleinigkeiten. Wenn Michael vergas etwas wegzuräumen, wurde ihm der Hintern versohlt. War das Essen nicht Warm, oder zu versalzen, kassierte Francesca eine. Bloß die kleine Maria, der tat er nichts. Sie war seien kleine Prinzessin.) In zwei Stunden war Arbeitsende, dann konnte er trinken. Bis dahin passierte er die Pilgersheimerstraße. Immer und immer wieder.

Roan Eck
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