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Alt 12.09.2020, 15:35   #1
männlich Tommi
 
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Standard Leiharbeiters Abenteuer 1. Kapitel : Mein erster Einsatz

1. Kapitel : Mein erster Einsatz
Als ich meine Unterschrift unter einen befristeten Vertrag bei der Zeitarbeitsfirma setzte, öffnete ich die Tür in eine mir völlig unbekannte Welt. Was mir allerdings erst später bewusst wurde.
Diese Zeitarbeitsfirma ist der deutsche Ableger einer niederländischen Holding und war damals, als die 2000er-Jahre begannen, die einzige, die mir bekannt war.

Es verging keine Woche, und ich hatte meinen ersten Einsatz.
Mittagsschicht von 14 bis 22 Uhr in einer Fabrik, die Kunststoffpaletten herstellte.

Das hatte ich einem Kollegen zu verdanken, der sich bei der Arbeit in dieser Fabrik, die sich darauf spezialisiert hatte, Paletten aus zerkleinerten Joghurtbechern, Weichspülerflaschen usw. herzustellen, mit einem Cuttermesser eine tiefe Wunde in den linken Unterarm geschnitten hatte.

Pech für ihn - Glück für mich, dachte ich, als ich nervös, aber frohen Mutes, meine Arbeit an einer Presse begann, welche den Deckel und die Kufen der Paletten, aus einer schwarzen, etwa 70° Celsius heißen Kunststoffmasse formten.
Den Palettendeckel, also das Teil, auf das später einmal die Ware gelegt wurde, musste ich zuvor mit dem Cuttermesser an den vier Seiten entgraten. Das erforderte Kraft, da sich in dem Kunststoff auch winzigste Metallteile befanden, die den Schwung, mit dem das Messer über die Kanten fuhr, jedes Mal abrupt stoppten. Was natürlich auch die gebogenen Klingen des Messers in Mitleidenschaft zog. Und auch meine Finger- und Handgelenke, sowie die Schulter. Die Paletten hatten etwa eine Kantenlänge von 100 auf 100 cm.

Der festangestellte Kollege, der die heiße und bestialisch stinkende Kunststoffmasse, die der Extruder ohne Unterlass ausstieß, mit ellbogenlangen Schutzhandschuhen in die Formen legte, verrichtete seine Arbeit im Laufschritt. Jedes Mal, wenn dieser Mensch mit der heißen Rohmasse in meine Nähe kam, wurde mir von dem Geruch des heißen Kunststoffes so übel, dass ich heftig Schlucken musste, um mich nicht zu übergeben.
Wie er mir während einer Pause erklärte, bekam er einen nicht allzu üppigen Festlohn. Es bestand eine Mindestvorgabe für die zu formenden Teile, und jedes Teil, das über dieser Vorgabe lag, wurde extra bezahlt. Zwischen 1600 und 1800 Euro netto sprangen dabei für ihn monatlich raus.
Ich freute mich für ihn, wenn ich auch nur 6 Euro 30 brutto in der Stunde bekam, aber man muss ja auch jönne könne.

Nachdem ich eine bestimmte Menge Palettenteile gestapelt hatte, musste ich sie mit einer Karre zu einem Mitarbeiter bringen, der sie zu einer fertigen Palette zusammenbaute.

Eine neue Klinge für das Cuttermesser bekam ich ausschließlich vom Vorarbeiter, einem netten, geduldigen Pakistani, den ich dazu aber immer in der großen Halle suchen musste, was meiner Arbeitsgeschwindigkeit nicht zuträglich war. Klingen auf Vorrat bekam ich nicht.
Die Kufen, also die Teile, die unter dem Deckel angebracht wurden, und an denen sich jeweils drei "Füße" befanden, auf denen die Palette später ruhte, mussten mittels Hebelstange aus einer schulterhohen Form heraus gehebelt werden. Ein falscher Hebelansatz ließ die Teile verkanten und machte viele Hebelansätze notwendig, um sie herauszubekommen. Zumindest bei mir, der ich nie zuvor eine solche Form zu Gesicht bekommen hatte.
Nach drei Schichten ging ich beinahe wörtlich auf dem Zahnfleisch. Mein pakistanischer Vorarbeiter zeigte Herz und setzte mich fortan für Aufräum- und Ordnungsarbeiten in der Produktionshalle ein. Meine ursprüngliche Arbeit wurde von einem geübteren Kollegen verrichtet.
Da ich nun in alle Ecken der Halle Einsicht hatte, entdeckte ich die Behälter, in denen sich das Kunststoffgranulat befand, welches in den Extrudern zu der stinkenden, zähen Masse verarbeitet wurde.
Diese Behälter waren mannshohe Säcke, deren Inhalt mehrere hundert Kilo wog, und aus zu nur noch millimeterklein geschredderten Plastikverpackungen aller Art bestand.
Prima, dachte ich, dann wird wenigstens etwas Vernünftiges aus dem Inhalt unserer Gelben Säcke hergestellt, die wir so umweltbewusst in unseren Haushalten befüllen.
Doch beim genauerem Hinsehen fiel mir das kleine Etikett auf, das an jedem Bigpack klebte. Darauf war zu lesen:
Made in Argentina

Wird fortgesetzt
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