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Alt 02.07.2020, 17:19   #1
weiblich Ilka-Maria
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Standard Zorro

Zorro öffnete die Augen, als er spürte, dass die Sonnenstrahlen seinem Fell nicht mehr die wohlige Wärme spendeten, die er an Sommertagen auf dem Dach der Gartenhütte zu genießen pflegte. Während er gedöst hatte, um sein morgendliches „produit felinotechnique“ zu verdauen, waren riesige, dunkelgraue Vorboten eines Gewitters am Himmel aufgezogen. Mit dem Sonnenbaden war es für heute vorbei, und da Zorro sicher sein konnte, dass ihm wegen des bald einsetzenden Regens keiner der anderen Kater seinen Lieblingsplatz streitig machen würde, beschloss er, sich nach einem Unterschlupf umzusehen.

Er streckte sich der Länge nach, bis seine Beine vor Anstrengung zitterten, rollte sich auf die Seite und sprang auf die Pfoten. Dann dehnte er seinen Körper ausgiebig zu einem Bogen, den Monsieur Albert belustigt „Zorros Omega-Buckel“ nannte. Anfangs war Zorro über die Verspottung gekränkt gewesen, aber da sein Versorger im Grunde seines Herzens ein gutmütiger, friedfertiger Zweibeiner war, gewöhnte er sich daran, dass dessen Taktgefühl zuweilen aus dem Ruder lief. Genaugenommen musste er sogar Verständnis für ihn aufbringen, denn seine sechs anderen Pfleglinge zeigten sich keineswegs immer von ihrer besten Seite, so dass selbst die kleinste Aufheiterung hart verdient war.

Den jüngsten Vorfall hatte Flic auf dem Gewissen, dessen Mission darin bestand, seinem Namen Ehre zu machen. Empört über den Diebstahl seiner geliebten Scheibe Leberwurst, die Monsieur Albert ihm einmal täglich in den Futternapf legte, hatte Flic den weitaus jüngeren Filou bis ins Haus gehetzt. Da Flic in puncto Geschwindigkeit im wahrsten Sinne des Wortes alt aussah, hätte die Geschichte glimpflich enden können, wäre Filou nicht auf die Idee gekommen, in die Küche zu flüchten und auf den Herd zu springen. Dort hatte aber Monsieur Albert kurz zuvor ein Omlette in der Pfanne gebraten, so dass die Heizfläche noch höllisch heiß war und die feline Vergeltungsaktion in einem längeren Aufenthalt beim Tierarzt zwecks Versorgung der Filou’schen Brandwunden und der Entgegennahme einer gepfefferten Rechnung endete.

Die vier Katzendamen benahmen sich weniger wild, dafür aber umso kapriziöser. Monsieur Albert bekam ihre Launen vor allem sonntags zu spüren, wenn er nicht wie gewohnt in aller Frühe aufstand, um die Näpfe mit dem „produit felinotechnique“ zu füllen, sondern sich mit unanständig lautem Gähnen im Bett umdrehte und nochmal zu schnarchen begann. Blanche zahlte ihm dieses rücksichtslose Gebaren heim, indem sie ihn für den Rest des Sonntags ignorierte und jeden seiner Versuche, sie zu streicheln, mit einem warnenden Fauchen quittierte. Comtesse, ihres graugetigerten Felles wegen von Monsieur Albert liebevoll „Gris-Gris“ genannt, ließ sich hingegen nicht abwimmeln, sondern sprang auf seinen Bauch und tretelte, was die Pfoten hergaben, bis Monsieur Albert ein letztes mal aufschnachte und den Störenfried, mehr unbewusst als wach, mit einer heftigen Körperbewegung vom Bett katapultierte.

Am wirkungsvollsten erwies sich Minous Strategie, die aus zwei Phasen bestand, nämlich erstens ungeniert auf den Flokati-Bettvorleger zu urinieren und zweitens Monsieur Albert in den Arm oder, falls er sich freigestrampelt haben sollte, in die nackte Wade zu kneifen und anschließend – sicher ist sicher – aus dem Schlafzimmer zu verduften. Obwohl Laila, die Jüngste im Clan, zu unerfahren war, um sich an derartigen Rebellionen zu beteiligen, zog sie es dennoch instinktiv vor, sich an den Älteren ein Beispiel zu nehmen und besser aus der Schusslinie zu verschwinden.

Zorro war über die sonntäglichen Rituale und die kleinen, unvermeidbaren Scharmützel keineswegs beunruhigt. Er kannte Monsieur Albert lange genug, um zu wissen, was dessen dickes Fell auszuhalten vermochte. Zweifellos liebte dieser alte, bärtige Vierbeiner seine Schwerenöter und behandelte jeden von ihnen mit dem gleichen Maß an Respekt und Fürsorge.

Außer Blanche. Sie liebte er ein bisschen mehr als die anderen Katzen. Das verwunderte Zorro nicht, denn Blanche war exklusiv. Mit ihrem makellos weißen Fell und den azurblauen Augen zog sie die Blicke auf sich, und ihre anmutige Art, sich zu bewegen, wirkte beinahe göttlich. Niemand konnte sich ihrem Zauber entziehen, so dass sie, wann immer Monsieur Albert Besuch hatte, von unzähligen Händen gestreichelt und gekrault wurde, was sie in vollen Zügen genoss. Dann wurde Zorro eifersüchtig, jedoch nicht, weil er das pechschwarze Pendant und deshalb für die meisten Menschen kein attraktives Streichelobjekt war, sondern weil Blanche zu ihm gehörte und er es nicht leiden konnte, dass Hinz und Kunz sie hemmungslos betatschten. Zum Zeichen seiner schlechten Laune, dass Blanche das Spiel mitmachte, ließ er sie bis zum nächsten Morgen nicht mehr aus seinem Futternapf fressen, was diese jedoch mit einer hochnäsigen Gleichgültigkeit quittierte.

Zu Zorros Zufriedenheit war heute kein Besuch zu erwarten, sonst würden aus der Küche verräterische Geräusche und Gerüche zu ihm dringen. Er spazierte über den Rasen in Richtung der Treppe, die zur Waschküchentür mit der Katzenluke führte. In der Ferne hatte es zu grollen begonnen, und bestimmt war er von allen im Clan wieder einmal der letzte, der sich in Sicherheit brachte. Doch als er den Treppenabsatz erreicht hatte, kam Blanche um die Hausecke, starrte ihn an und miaute zweimal ungewöhnlich intensiv und laut. Dann drehte sie sich abrupt wieder um und verschwand in die Richtung, aus der sie gekommen war. Zorro war ratlos, was er davon zu halten hatte. Sollte Blanche nicht lieber Deckung vor dem heranrollenden Unwetter suchen? Warum rannte sie zum Hauseinang und Vorgarten, wo es keinerlei Schutz gab? Und weshalb war sie so laut und eindringlich gewesen, wie es sonst nicht ihre Art war?

Zorro war halb die Treppe hinuntergegangen und hatte durch das Fenster gesehen, dass Flic und Filou bereits in der Waschküche Zuflucht gesucht hatten, da besann er sich und kehrte wieder um. Sein Gefühl, dass etwas nicht stimmte, bestätigte sich in einem kläglichen Miauen, das ihm aus Richtung des Hauseingangs entgegenschlug - nicht das klangvolle Mauzen einer ausgewachsenen Katze, sondern das helle Jammern eines verängstigten Jungtieres. Laila!

Zorro schoss nach oben, flitzte um die Ecke und sah an der Einfahrt zur Garage Blanche, Comtesse und Minou nervös umhertänzeln. Als er bei ihnen ankam, erkannte er, was sie beunruhigte: Vor dem Haus hatte ein fremdes Auto geparkt. Der Fahrer stand mit Monsieur Albert am Eingang zum Vorgarten und sprach mit ihm. Neben seinen Füßen stand ein vergitterter Tierkorb aus Plastik, und hinter den Gittern saß die verstörte Laila und miaute ihr Klagelied, ohne dass die beiden Männer davon Notiz nahmen.

Jetzt begannen auch Blanche und Comtesse zu miauen, laut und protestierend, um ihrer Empörung über Lailas Gefangenschaft Ausdruck zu verleihen. Zorro, der nicht wusste, was dies alles zu bedeuten hatte, denn so ein vergittertes Gehäuse hatte er bei Monsieur Albert noch nie gesehen, stimmte aus Sympathie mit ein.

Laila schien der vereinte Protest noch mehr zur Verzweiflung zu treiben, denn sie drückte sich an die Gittertür ihres Gefängnisses, als wolle sie den Stimmen liebend gerne folgen, wenn man sie bloß freiließe. Da merkte sie, dass der Riegel nicht eingerastet war, denn das Gitter öffnete sich einen Spalt, so dass sie mit etwas mehr Druck ihren Kopf hindurchschieben konnte.

Die beiden Männer merkten nichts davon, dass sich Laila klammheimlich davonmachte und zu ihrem Clan gesellte. Erst als sie sich zum Abschied die Hände geschüttelt hatten und der Fremde den Tierkorb nehmen wollte, sah er, dass das Gitter offen war. Monsieur Albert blickte sich verdutzt um, entdeckte Laila und machte dem Fremden ein Handzeichen. Dann ging er auf den Clan zu und schnappte sich das zitternde Kätzchen, um es in den Korb zurückzubringen.

Doch zu seiner Überraschung war dort kein Platz mehr. Unbemerkt hatte Minou, die während des ganzen Schauspiels mucksmäuschenstill abseits von den anderen Katzen gesessen hatte und in den Protest nicht eingefallen war, den Korb in Augenschein genommen und es sich darin gemütlich gemacht. Monsieur Albert schüttelte ungläubig den Kopf, setzte dem Fremden Laila auf den Arm und bückte sich zu Minou, um sie aus dem Korb zu zerren. Doch ihre flach nach hinten angelegten Ohren und ihr Fauchen warnten ihn davor, sie anzufassen. Der Fremde lachte, zupfte Monsieur Albert am Ärmel seines Hemdes und gab ihm Laila zurück. Dann verschloss er das Gitter und schickte sich an, den Korb zu seinem Auto zu tragen. Doch Monsieur Albert hielt ihn zurück und verschwand im Haus. Nach einigen Minuten kam er mit seinem Flokati-Bettvorleger zurück und drückte ihn dem Fremden mit ein paar Worten in die Hand. Dieser machte ein verständnisvolles Gesicht, schüttelte Monsieur Albert noch einmal zum Abschied die Hand, und zwei Minuten später war er mit Minou verschwunden.

Zorro verstand das alles nicht, nur, dass Minou nicht mehr da war. Es war das erste Mal in seinem Leben, dass der Clan kleiner statt größer geworden war. Trotzdem schien die Nervosität zu weichen, denn Laila, der Liebling des Clans, vor allem des alten Flic, war noch bei ihnen.

Und Blanche. Die Schöne, Anmutige und von allen Menschen Begehrte war noch da, und das war für Zorro, der beim ersten Blitz seinen „Omega-Buckel“ machte, die Hauptsache.
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Alt 09.07.2020, 00:32   #2
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