Poetry.de - das Gedichte-Forum
 kostenlos registrieren Letzte Beiträge

Zurück   Poetry.de > Gedichte-Forum > Sonstiges Gedichte und Experimentelles

Sonstiges Gedichte und Experimentelles Diverse Gedichte mit unklarem Thema sowie Experimentelles.

Antwort
 
Themen-Optionen Thema durchsuchen
Alt 23.12.2010, 16:55   #1
männlich Ayatollah
 
Benutzerbild von Ayatollah
 
Dabei seit: 12/2010
Ort: Vientianne
Alter: 37
Beiträge: 735

Standard Tornado und Tristesse

Ich bin auf der Insel und versuche mir die Allee zum Strand in mein Gedächtnis zurück zu rufen; aber ich bin kein Alexander, denn all meine Versuche den schaurigschimmernden Erinnerungsknoten mit der Manie eines infernalischen Genies zu zerschlagen, scheitern; ich irre umher, sowohl auf diesem von Schattengespenstern bevölkerten Eiland als auch in meinem eigenen Kopfeslabyrinth; umzäunt von tristen Palmen, von mediterranen Festungstürmen und von der stickigen Luft, die mir eine enge Schlinge um meinen vom Inselbiss wunden Hals legt.

Mir ist schwindelig; mit trunkenen Schritten stolzierend, bewege ich mich auf einheimischen Trassen. Die Wege sind zugleich korsische Bergpfade und sizilianische Irrgänge. Feurige Blicke der Inselgeister jagen mir Angst ein; wüst, mich aufzehrend. Sie sind die Feuerschlucker und speien mich aus, nur um mich dann erneut zu verschlingen. Ich habe über Nacht mein Gedächtnis verloren. Ich will die Schöne Neue Welt aber ich finde keinen Pfad der mich in dieses Delirium führt; nur subtropische Gabelwege. Ich starre die Morgenröte an, dabei ist’s der Vulkan der so lichterloh brennt. Eine levantinische Fata Morgana die mich betrügt, dreifaltiges Luder!

Wieso winken mir die Lemuren zu? Widerwärtige Affenseelen! Ihre Hände locken nach mir, ergreifen sirenenhaft meinen undurchsichtigen Schattenkörper und liefern mich dem Meer aus. Ich rede mir mit unsichtbaren Worten ein, dass ich mir diese Scharade nur einbilde; mir eine Erlösung von der Qual zu ermalen versuche. Ich schwinge den Pinsel, schaue auf das perfide Motiv der durchsichtigen Schattenkörper, kleistere meinen ganzen angesammelten Schmutz auf die von Touristen so geliebte Unterlage und breche dann doch zusammen. Ich liege da wie eine tote Möwe; unnützes Getier. Die Seeleute haben aber Besseres zu tun als den stinkenden Kadaver zu entsorgen.

Ich bin immer noch auf der Insel; mein Gedächtnis eine Farce, denn alles was ich mir vorzustellen vermag, kann ich in diesen nebulösen Irrgärten eigenhändig schaffen. Ich bin der Herr mein Gott und ich puste dieses düstere Atoll aus; ein Orkan in dessen Auge sich mein nimmersattes Verlangen nach Leben zentriert; ein Leben welches vorbei an den dunklen Festungstürmen mit den zackigen Minaretten und verführerischen Hexagrammen und kreuzförmigen Fenstern führt; Türme die wie Art-Deko in den mediterranen Himmel ragen – eine Spur von vergangenem Chic; Himmel, welcher mein ist. Mein.
Ayatollah ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 23.12.2010, 19:55   #2
Thing
R.I.P.
 
Benutzerbild von Thing
 
Dabei seit: 05/2010
Beiträge: 34.998

Halli Hallo!


Ein s e h r interessanter Text, der nur wenige Fehler enthält (vorwiegend Interpunktionsfehler). Einen dialektischen Fehler möchte ich sanft bemängeln:

Zitat:

Sie sind die Feuerschlucker und speien mich aus, nur um mich dann erneut zu verschlingen.


Ich gehe jede Wette ein, daß man ihnen (den Feuerschluckern) diese Absicht nicht unterstellen kann.
Sie h a b e n das LyrIch erneut verschlungen.

Also:

Sie sind..... aus, verschlinen mich dann auf's Neue. Oder ähnlich.

Dann:
Affenhände locken nicht nach Dir. Sie greifen nach Dir. Sie gieren vllt. auch.
Sie langen nach Dir.
Weil Du sie (ver)lockst.

Aber insgesamt:

Großartiger Erguß eines picassoähnlichen Malers, gestrandet im Mediterranen,
der Art deco als vergangenen Chic betrachtet.

Ach, ich könnt noch Zeilen um Zeilen dazu schreiben, dann würde eine Eloge entstehen.


Thing
Thing ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 30.12.2010, 02:45   #3
männlich Schmuddelkind
 
Benutzerbild von Schmuddelkind
 
Dabei seit: 12/2010
Ort: Berlin
Alter: 38
Beiträge: 4.798

Sehr bildhafte Darstellung nihilistischer Gedankenfragmente! Düster und doch hoffnungsfroh.

Wenn ich es richtig verstehe, geht es um die Vorstellung, dass alles was ist, Bewusstsein ist. Der Mensch schafft sich seine Welt selbst. Zum Einen ist dies tröstlich, weil dadurch die Schattenseiten des Lebens keine "realen" Grundlagen haben und ebenso leicht durch schönere Empfindungen ersetzt werden können. Andererseits wirft das die Frage auf, warum der Mensch eine Welt des Leids erschafft? Es rückt den Menschen in die Nähe eines verschrobenen, selbstbemitleidenden Neurotikers, der unter seiner Gedankenschwere erstickt. Dies wiederum lässt die Version einer Erlösung unwahrscheinlich, aber nicht unmöglich erscheinen.

Das lässt sich auch aus der Doppeldeutigkeit, mit der du die Inselthematik versiehst erkennen: Einerseits idyllische Projektionsfläche für Träume und Ästhetik-Vorstellungen; andererseits irreführende, beängstigende Enge.

Hat mir wirklich sehr gut gefallen!
Schmuddelkind ist offline   Mit Zitat antworten
Antwort

Lesezeichen für Tornado und Tristesse



Ähnliche Themen
Thema Autor Forum Antworten Letzter Beitrag
Tornado cute_fighter Gefühlte Momente und Emotionen 4 05.08.2006 22:45
Gefühls tornado Amok Gefühlte Momente und Emotionen 2 24.02.2006 17:45


Sämtliche Gedichte, Geschichten und alle sonstigen Artikel unterliegen dem deutschen Urheberrecht.
Das von den Autoren konkludent eingeräumte Recht zur Veröffentlichung ist Poetry.de vorbehalten.
Veröffentlichungen jedweder Art bedürfen stets einer Genehmigung durch die jeweiligen Autoren.