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Lebensalltag, Natur und Universum Gedichte über den Lebensalltag, Universum, Pflanzen, Tiere und Jahreszeiten.

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Alt 29.03.2008, 09:44   #1
Overkill
 
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Beiträge: 18

Standard Discipuli lamenta

Discipuli lamenta (März/April 2007)

Seit Tagen schmor’ ich hier in meiner Stube,
jetzt mangelt es mir an Konzentration.
Ich falle in die tiefe, dunkle Grube,
find’ keinen Halt und keine Adhäsion!
Ich bin noch immer jener kleine Bube,
der nichts versteht, und klagend klingt mein Ton:
Ich fühle mich wie dieser Doktor Faust,
der hier in meiner Schullektüre haust.

Wo sind die alten Tage, großen Stunden?
Wo, Goethe, Schiller, seid ihr jetzt und hier?
Wo dreht der Geist von früher seine Runden?
Wo weht nun heut’ der güldene Zephir?
Wo sind meine Gedanken, die gesunden,
die einst so zahlreich füllten mein Papier?
Die Zeiten rasen fort, sie sind lebendig,
und nichts ist wie der Wandel so beständig.

Die Jahre gehen viel zu schnell vorüber,
die großen Pläne ziehen mit dem Wind,
der Blick zur Zukunft wird tagtäglich trüber,
am Ende sieht er nichts und macht mich blind.
Ein kurzes Päuschen wär’ mir so viel lieber,
im tiefsten Innern steckt doch noch ein Kind!
Wir machen uns bereit zur großen Wende,
ein Schülerleben ist so rasch zu Ende.

Wie gerne tät’ ich andre Schlüsse ziehen
als den, der grade meinen Geist erfüllt.
Wie gerne tät’ ich mich in Länder fliehen,
in denen Lethes Strom mich sanft umspült.
Wie gern säh’ ich das alte, helle Glühen,
das einst die Tage mir zusammenhielt.
Im Trane zeigt sich mir ein mattes Flimmern,
vertrauter Wesen rätselhaftes Schimmern.

Erinnerungen sind’s, die mich besuchen,
Erinnerungen der Vergangenheit.
Erinnerungen, stumpf wie die Eunuchen,
Erinnerungen an die alte Zeit.
Und weil sie kommen, will ich sie verfluchen,
denn niemals bin ich gegen sie gefeit.
Ihr naht euch, mir die Augen zuzuhalten!
Ihr drängt euch auf, gespenstische Gestalten!

Doch wie ihr kommt, habt ihr mein Herz bezwungen,
die Wehr an seinen Mauern schnell besiegt,
die Kapitulation mir abgerungen,
mir diese Niederlage zugefügt.
Von euren Armen fühl’ ich mich umschlungen,
und bald hab ich mich schon an euch geschmiegt.
Der Kopf wird mir so schwer, die Augen trübe,
die Ohren sind mir stumpf, mein Körper müde.

Und doch, ich lass euch keinesfalls gewähren!
Als letztes Bollwerk leistet Widerstand
mein Geist, der sich in hohen Denkersphären
zu keiner Zeit an eurer Tafel fand.
Er will sich nicht nach eurer Gunst verzehren,
er hebt zur Abwehr seine starke Hand!
Und wie er mit euch heftig streitend ficht,
so sag’ auch ich: nein, heut’ kriegt ihr mich nicht!

Obwohl ihr eifert, kann ich widerstehen,
des Geistes blanker Harnisch hält euch stand.
Obwohl ihr mich versucht mit eurem Flehen,
gereicht er mir zum Schilde in der Hand.
Obwohl es mir gefällt, euch anzusehen,
bin ich von euch noch lang nicht übermannt.
Ich flüchte mich auf himmelhohe Zinnen,
verschanze mich mit allen meinen Sinnen.

Wie schon so oft hat nun ein Krieg begonnen,
der Kampf des müden Herzens mit dem Geist,
ich selbst vernehme alles nur verschwommen,
durch ihre Zwietracht ist mein Sinn verwaist.
Der Klarheit Saft ist, mir zur Schmach, geronnen,
ich kann nicht sagen, wie der Sieger heißt.
An keiner dieser Fronten will ich rasten,
denn beide legen auf mich schwere Lasten.

Im Herzen lebt die Sehnsucht nach den Tagen,
in denen alles Leben leichter schien.
Es möchte ob der Gegenwart verzagen
und gibt sich alten Träumen gerne hin.
Wie oft ist es erfüllt von Unbehagen,
da alle Zeiten schnell vorüberzieh’n.
Es ist bald schwer betrübt, bald fröhlich-heiter,
und bald ein gleichmütiger Wegbegleiter.

Der Geist hingegen strebt nach scharfem Denken,
Gefühle sind ihm schlichtweg nicht vertraut;
er ist gewohnt, den Scharfsinn mir zu schenken,
der tiefen Überlegung Zauberkraut.
Berechnend trachtet er, die Welt zu lenken,
die Zeiten sind ihm nur ein stummer Laut.
Sein Wesen ist’s, das mir die Zukunft zeigt
und zu vergangnen Tagen stoisch schweigt.

In beiden kann ich mich wohl selbst erkennen,
durch beide werd’ ich meiner selbst gewahr,
doch ich vermag es nicht, sie dann zu trennen,
wenn mich erschleicht der dunklen Nächte Mahr.
So wird es mich beizeiten wohl verbrennen,
was übrig bleibt – ein trauriger Velar.
So seh’n ich jetzo mich nach einer Reise,
doch bin ich inhaftiert und weine leise.

Was bleibt mir darum? Nichts als stilles Harren.
Der Kampf wird schon von selbst zu Ende geh’n.
Dem Sieger winkt mein höchster güld’ner Barren,
der’s ihm erlaubt, als ich die Erd’ zu seh’n.
Was sind wir nämlich? Nichts als dumme Narren,
die immerzu besagte Schlacht erfleh’n.
Der Kampf begegnet mir in jedem Tag.
Und so erklingt des Schülers Jammerklag’.
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