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Alt 20.02.2007, 00:53   #1
Pascal
 
Dabei seit: 02/2007
Beiträge: 1

Standard Das welkende Blatt

Der Tag war ein heißer lang gezogener Spätsommertag gewesen. Herr Vieth hatte seit dem Morgen auf seinem Feld gearbeitet und freute sich nun auf eine warme Mahlzeit, die seine Frau ihm wahrscheinlich just in diesem Moment auf den Tisch stellte.
Der Weg, der sich durch die Felder wand und schließlich ein kleines Wäldchen umschlang gab nun den Blick auf die kleine Siedlung, einfacher Bauernhäuser frei, die er mit der Zeit Heimat zu nennen gelernt hatte.
Obwohl er nun schon gut 10 Jahre hier lebte, war er immer noch ein Fremder für die anderen Bauern der Siedlung.
Er ging an dem Vorgarten der Koviks vorbei, in dem mannshohe Sonnenblumen ihre volle Pracht der Nachmittagssonne entgegn strechten.
Er lupfte den Hut und nickte der alten Dame zu, die in einem Kohlbeet, neben den Sonnenblumen wühlte. Frau Kovik drehte sich kurz um und murmelte etwas, das man als Gruß deuten konnte.
Herr Vieth lächelte. Er kannte die alte Frau nun schon lange genug, um zu wissen, dass sie sich langsam an ihn gewöhnt hatte. Als er damals den Hof hier bezogen hatte, da war ihr sein Gruß nicht einmal ein Murren wert gewesen.

Er schlenderte den schiefen, hüfthohen Lattenzaun entlang und betrat schließlich sein eigenes Grundstück.
Seine Frau stand in der Küche und lächelte ihm zu, als er das Haus betrat.
„Das Essen ist noch nicht ganz fertig, aber da ist ein Brief für dich gekommen.“
Er warf einen Blick auf den Platz, an dem er sich einen dampfenden Teller Suppe gewünscht hatte, stattdessen lag dort ein weißer kleiner Brief mit auffällig vielen, bunten Briefmarken.
„Wann ist das Essen fertig? Ich verhungere bald.“ Er umarmte seine Frau von hinten und küsste sie auf den Hals. Sie lachte und drehte sich um.
„Lies den Brief, er ist von deinem Vater.“
Verdutzt sah er sie an. Sie küsste ihn und wand sich wieder der Suppe zu. Herr Vieth ging zu dem kleinen Brief auf dem Tisch und sah ihn sich an. Er war in Berlin abgestempelt worden. Er öffnete ihn und las.
„Lieber Sohn, ich weiß es kommt unerwartet, dass ich nach so langer Zeit doch noch von mir hören lasse, zumal wir uns damals im Streit getrennt hatten. Doch ist der Anlass ein wichtiger und ich komme nicht umhin, dich ein letztes Mal zu belästigen. Ich liege im St. Maria Krankenhaus in Berlin, du weißt schon, dass in dem du zur Welt gekommen bist. Ich sterbe Sohn, und in meinen letzten Wochen möchte ich noch so viel wie nur irgend möglich ins Reine bringen.
Wenn du bereit bist einem alten Mann zu vergeben, erwarte ich dich hier.“

Herr Vieth legte den Brief sorgfältig in den Umschlag zurück und sah zu seiner Frau, die ihm gerade einen dampfenden Teller Suppe hin stellte.
„Was schreibt er?“
„Er stirbt und will seinen Seelenfrieden von mir.“
„... Was wirst du tun?“
Herr Vieth atmete tief ein und pustete seicht gegen die Suppe auf seinem Löffel.
„Ich denke, diesen Wunsch kann ich ihm auf gar keinen Fall abschlagen und wenn es auch nur dafür sei, ihn ruhigen Gewissens sterben zu lassen.“
Sie griff nach seiner Hand, die auf dem Tisch lag und strich mit dem Daumen über seinen Handrücken. Dann lächelte sie ihn warmherzig an.
„Du bist ein guter Mensch!“
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