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Alt 28.03.2007, 22:06   #1
Jamie
 
Dabei seit: 03/2007
Beiträge: 11


Standard Wenn Zeilen mir etwas erzählen könnten...

Autor: Jamie
Genre: Kurzgeschichte
Titel: Wenn Zeilen mir etwas erzählen könnten...



Wenn Zeilen mir etwas erzählen könnten...

Buchstabe für Buchstabe, jeder an seinem Platz. Gedanken springen frei und werden mit kantigen Buchstaben, unbarmherzig gefangen genommen und auf ein kaltes Blatt Papier gedrückt. Es ist so glatt und dünn, dass es nicht atmen kann.
Manchen Gedanken gelingt es zu entwischen, doch die weniger speziellen und nicht ganz so anspruchsvollen kommen in einen Buchstabenkäfig und verlieren ihre Virtualität.
Sie werden von jedem der sie nun sichtbar lesen kann, mit strengem kalten Blick begutachtet und würden sich am liebsten von ihrem Papier lösen.
Sie werden oft missverstanden oder belächelt, das ist etwas was den freiheitsliebenden Gedanken einfach zu wider ist.
Vor Scham und etwas Angst so bloßgelegt und für jeden sichtbar zu sein, rücken sie stets eng aneinander und bilden das was Menschen Wörter nennen. Ein Gedanke ist freier als ein Wort und lässt sich nicht so einfach durch ein bisschen Tinte beleben.
Gedanken zu Wörtern und Sätzen zu zwingen grenzt an Gewalt – denn welcher von ihnen könnte schon eine Fehlinterpretation seines Seins läutern?
Wer weiß schon wo sie sind und zu was sie noch gut sind, außer mit dem Netz der Schreibutensilien gefangen zu werden und dafür verurteilt sind, ihr Leben auf vergänglichem Papier zu fristen.
Die Wenigsten von ihnen werden einmal berühmt. Ein Gedanke ist sehr feinfühlig, die meisten von ihnen zumindest. Überall mag es schwarze Schafe geben, bestimmt auch unter den scheuen Gedanken.
Dennoch würde sich ein Gedanke nie anmaßen sich arrogant in den Vordergrund zu stellen, da er weiß, dass er nur mit allen Gedanken einigermaßen einen Sinn ergeben könnte.
Und man hat ja noch nie ein Buch oder ähnliches gesehen indem sich ein Wort sehr hervortut oder wild über eine Seite hüpft.
Dann gibt es noch die Menschen, die die scheuen Gedanken ködern, aber nur zum Eigennutz, um mit den anderen dressierten Gedanken das moderne Zeitalter zu schreiben. Wenige von ihnen sind das was sie eigentlich ausmachen. Sie werden verpackt in schrille Farben und Formen und an die breite Masse verkauft.
Dennoch verlieren die Gedanken nie ihren Stolz, würdig tragen sie alles was man ihnen anhängt, auch wenn sie eigentlich etwas ganz anderes sagen möchten.
Dann gibt es noch die schizophrenen Gedanken, die Gedanken mit den zwei Gesichtern – die, die man nie verstehen wird, aus denen man nicht schlau wird.
Wahrscheinlich, weil sie noch nicht reif genug sind, sich zu präsentieren oder einfach viel zu tiefgründig sind und ein Gedanke nach dem anderen mit ihnen einhergeht.
Sie gehen hinter- und nebeneinander her einen sehr langen Weg mit vielen Kurven, nicht so schnell und gerade wie die prägnanten Gedanken die immer gleich alles auf den Punkt bringen.
Natürlich muss man die Gedanken auch füttern, damit sie weiter so vital bleiben. Manche werden mit viel Frohsinn ernährt und bewegen sich dann auch so froh durch das Leben. Andere werden überfüttert und finden keinen Weg ihre schlechte gewonnene Energie loszuwerden und werden betrübt und ziehen dunkle Schatten hinter sich her.
Wieder andere werden mit viel Hass gefüttert und werden dazu erzogen mit anderen Gedanken blutige Kämpfe zu ringen und zehren dann des Gegners Energie, um ihre Machenschaften weiterzuführen. Oft sind sie auch darauf aus, noch mehr Anhänger zu finden, die ihre Standpunkte mit unterstützen, um so eine Front aus strammen harten Wörtern, bis hin zu Sätzen zu bilden, die sich mit Ausrufezeichen wappnen, um die kleinen zarten Gedanken unter sich zu begraben.
Die Gedanken kämpfen immer, gut gegen böse – einer von ihnen ist immer wach, in dem Kampf für sich selbst einzustehen, um das zu sein was einen Gedanken ausmacht.
Mit Tiefsinn und Würze und natürlich unerreichbar, sodass man nicht mal einen Bruchteil von ihm für die Menschheit festhalten könnte.
Denn der Ruhm gilt nicht den gefangenen, sondern den freien Gedanken, weil sich jeder nur für sich über seine Gedanken freuen - und eigentlich niemand sonst im Volumen eines entfalteten Gedankens baden kann, außer der virtuelle Autor eines jeden Menschen selbst.
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