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Alt 25.03.2007, 21:17   #1
Jamie
 
Dabei seit: 03/2007
Beiträge: 11


Standard Keep your Face

Titel: Keep your Face
Genre: Short Story
Autor: Jamie


Keep your Face.

Er spürte sich. Er lebte. Er konnte seine Fingerspitzen deutlich fühlen und den angenehm warmen Rausch seines Blutes, dass durch seinen Körper strömte. Es war das einzige das nicht anhielt. Der Junge hatte das Gefühl von Raum und Zeit verloren.
Er ging noch mal in sich, begriff seine Anatomie und die geniale Beschaffenheit seines Seins. Der Junge wollte nichts sehen und er sah auch nichts, obwohl seine Augen geöffnet waren. Er konzentrierte sich nun auf sein Auge, auf das Linke. Er konnte spüren wie das Bild des Raumes in dem er sich befand, auf seine Netzhaut prallte und eine kaum merkbare Vibration durch seinen Körper ging. Das Bild war vertikal gespiegelt, er stoppte und sah sich seine Welt an. Da hing ein Stuhl an der Decke und die Decke war mit einem Teppichboden ausgekleidet. Er ließ das Bild nun reflektieren und sah nun wieder alles in normaler Position.
Seine Augen schweiften durch den Raum. Da waren drei Stühle, sie waren leer und ein Regal mit einem Kompass der auf Süden zeigte. Der Junge ließ seine Muskeln anspannen und setzte sich auf. Seine Finger spürten das Bettlaken auf dem er gelegen hatte. Er ließ den Reiz ein Wenig in seiner Fingerspitze und ließ ihn dann in sein Gehirn passieren. Es machte ihm Spaß sich selbst auf die Folter zu spannen was er da vielleicht fühlte. Es kribbelte immer so angenehm und verschaffte Erleichterung, wenn er endlich wusste was er da gefühlt hatte.
Es kitzelte ein wenig und es war Baumwolle und sie war weiß und rein und ganz bestimmt frisch gewaschen.
Er konzentrierte sich wieder auf seine Augen, zoomte seine Umgebung an sich heran und wieder weg. Ein Lächeln zeigte sich auf seinem Gesicht. Er wiederholte den Vorgang immer und immer wieder. Er zählte noch mal die Stühle, dann die Stuhlbeine. Es waren drei Stühle und diese hatten insgesamt 12 Stuhlbeine, die Variable x waren die Anzahl der Leute die möglicherweise auf diesem Stuhl Platz hatten. Sie konnten sich zu zweit darauf setzen und auch übereinander. Dazu müsste man aber die Mindestbelastung herausfinden und ein Limit an der Kilogrammzahl der Leute, damit das Ergebnis nicht verfälscht würde.
Er brach ab. Der Stuhl hatte an Reiz verloren. Er zoomte noch mal und lächelte wieder. Dann behielt er sein Lächeln willentlich und probierte an seinen Gesichtsmuskeln zu was sie fähig waren. Er wusste dass es 26 waren und dass er den siebten Hirnnerv freigeben musste um eine Änderung der Mimik zu erlangen.
Der Junge ärgerte sich. Er erzeugte in sich einen hohen Blutdruck und ließ sich die Röte in das Gesicht schießen. Er war zornig darüber, dass er den Hirnnerv freigeben müsste, wenn er seine Mimik beeinflussen wollte. Er wollte keine Zwischenstation.
Dann ließ er einfach wieder Entspannung in sein Gesicht wallen. Glatte Flüsse der Entspannung machten sich breit, doch gleichzeitig war er wütend. Alles was er wollte, war die vollkommene Kontrolle über seinen Körper.
Der Junge ließ seine Hand ausholen und schlug sich in sein Gesicht. Er merkte ein Kribbeln auf seiner Wange und stoppte den Reiz, der zu seinem Gehirn geleitet werden sollte. Er ließ seine Finger über die Wange fahren und merkte dass er blutete. Er zoomte noch mal mit seinen Augen und versuchte in sich zu sehen, doch das funktionierte nicht.
Dann konzentrierte er sich auf sein Blut, das immer wieder seinen Kreislauf floss. Er schwamm mit, nahm eine Abzweigung und wusste er war an seiner Wange. Er merkte deutlich die Gerinnung und den Aufbau neuer Zellen seiner Haut. Das hatte etwas warmes, anschmiegsames, vollkommenes – vollständige Harmonie, Zelle für Zelle, perfekt aneinandergereiht. Harmonisch.
Er zog tief Luft in seine Lunge – erlebte alles ganz intensiv und klar. Seine Konzentration war immer da wo er sie haben wollte. Der Junge konnte durch seinen Körper reisen, alles fühlen und erleben und dabei noch sich selbst sein. Er bewahrte sein Gesicht bei allem was er tat. Er hatte die Fähigkeit über sich zu herrschen, sich zu befehlen und nichts dem Zufall zu überlassen, was ihn betraf.
Das Zoomen machte ihm immer noch Spaß. Auch konnte er seine Pupillen weiten und sich wieder zusammenziehen lassen.
Er sah sich den Raum, in dem er sich befand, genauer an. Zuvor hatte der Junge ihn bewusst nicht wahrnehmen wollen, Äußerlichkeiten interessierten ihn nicht.
Er sah sich die Wände an, die Raumbeschaffenheit, überschlug und rechnete im Kopf - der Raum hatte insgesamt genau 11,34m² und war 5,50m lang. Er hatte keine Fenster, aber es wunderte ihn auch nicht. Er ließ das Gefühl der Gleichgültigkeit in seinen Kopf einnisten.
Der Junge wusste nicht ob es Tag oder Nacht war, aber das störte ihn nicht. Er war versunken in die Faszination seiner Gestalt und war dabei sich völlig neu zu entdecken. Es war ihm möglich, seine Gehirnregionen besonders zu aktivieren und seine geistigen Fähigkeiten zu erweitern und nach Bedarf abzurufen.

*

Er brauchte keinen Schlaf. Er konnte die Melatonin Bildung verhindern, indem er die Produktion stoppte und aufgrund dessen nicht müde wurde. Das Gefühl von Macht und Freiheit wuchs von Minute zu Minute in ihm.
Sein Gehör war unglaublich perfektioniert und schärfer als die Ohren eines Luchses, wenn er sich darauf einließ. Der Junge konnte die Melodie der Stille hören, die leichten Wogen der Luft, die sich im Raum befand. Den Klang der Stühle, wenn das Holz atmete und die Nadel des Kompasses, die leicht ihren Untergrund striff, wenn er ihn in eine andere Richtung bewegte und leise vor sich hinsummte.
Der Junge wusste, dies war sein Leben, doch er wusste nicht warum er dort war und vor allem nicht warum er war wie er war. In seinem Innern wusste er ganz klar, dass sich irgendwann sein Gefühl der Macht und Freiheit mit seinen Fähigkeiten vereinen und dass er dann aus sich herausbrechen würde. Er würde durch das Fenster gehen, weil es dann existierte – ganz bestimmt.
Und er würde dann den Schrank suchen, indem er seine Gedanken hineinlegen könnte und sie in Schubladen sortieren und Rechnungen mit ihnen vollbrächte. All das waren gute Gedanken die er sorgsam im Großhirn aufbewahrte.
Jedoch bemerkte er seinen Zerfall nicht, denn er gönnte sich keinen Schlaf und schwamm auch nicht mehr in seiner Blutbahn mit, da es ihm langweilig erschien. Der Junge bemerkte nicht, wie sein Gehör nachließ und seine Bewegungen an Perfektion verloren.
Er bemerkte nicht, dass die Nadel wieder, wie anfangs, nach Norden zeigte, obwohl er das Magnetfeld aufgehoben hatte.
Seine Augen waren längst nicht mehr so scharf und sein Sinn nicht mehr so klar, zuvor bewusst abgespeicherte Daten wurden nicht mehr so leicht abgerufen.
Von Minute zu Minute wurden seine Bewegungen langsamer und mechanischer. Er merkte dass er die Kontrolle über sich verlor. Panik packte ihn und er versuchte verzweifelt wieder seine Beherrschung zu erlangen.
Alle seine Gedanken flogen wild durch seinen Kopf. Ein Blumenbeet, er im Bauch seiner Mutter, die drei Stühle. Die Welt kippte. Der Junge blickte zur Tür – es gab keine Tür.

*


„Er wird nicht mehr aufwachen“.
Resigniert blickten die Eltern zu Boden.
„Er liegt nun schon seit fast 3 Jahren im Koma, es ist sehr unwahrscheinlich.“
„Aber merkt er nicht was um sich herum geschieht?“
„Nein“. Der Schalter der lebenserhaltenden Maschine wurde herumgedreht.
Jamie ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 26.03.2007, 16:44   #2
Struppigel
 
Dabei seit: 05/2006
Beiträge: 1.007


Hallo Jamie,

diese phantastische Geschichte hat mich sehr mitgerissen. Die seltsame Begabung, das komische Zimmer - es war alles so anders. Ich dachte im Verlaufe der Erzählung, er wäre ein Kind im Bauch seiner Mutter und es würde dort sterben. Sehr schön, sehr interessant und vorallem innovativ.
Zum Schluss folgt die Auflösung, die grob inhaltlich gesehen gut ist. Allerdings ist diese von der Umsetzung unrealistisch - dabei soll doch gerade das Phantastische in die Realität zurückgeholt werden. Unrealistisch deshalb, weil kein Arzt einfach nach drei Jahren zu den Eltern geht, sagt, dass es nichts mehr wird und schon die Maschinen abstellt. Dem geht ein langer Weg voraus. Diesen Weg musst Du nicht beschreiben, aber es sollte auch nicht der Eindruck entstehen, dass die Maschinen mal aus einer Laune des Arztes heraus abgestellt werden und die Eltern gar nichts zu sagen hätten.
Ich würde vielleicht auch einfach den letzten Satz weglassen, dann wäre das Problem gelöst.

Struppige Grüße!
Struppigel ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 26.03.2007, 18:48   #3
Jamie
 
Dabei seit: 03/2007
Beiträge: 11


stimmt du hast recht, aber es sollte ein tod von der fantasie ins reale übertragen bzw miteinander verbunden werden, sonst würde er ja nicht zur tür blicken und es gäbe keine - wenn du verstehst was ich meine. vllt müsste ich das einfach anders gestalten dass das reale, auch richtigkeit hat. ich werde mal drüber nachdenken. danke für den tip
Jamie ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 26.03.2007, 21:28   #4
Werther
 
Dabei seit: 01/2007
Beiträge: 404


Weißt du, was mich an dieser Geschichte stört? Der Titel. Warum englisch? Ich habe danach gesucht, aber ich habe keinen Grund finden können. Ebenso das "Short Story". Vielleicht liegt es an meiner natürlichen Abneigung gegen das Englische, da es unsere schöne deutsche Sprache verpanscht, aber das ist der einzige Makel, den ich an deiner Geschichte finden konnte, abgesehen von dem Schluss, den das Alle-Untertassen-im-Schrank-Igelschn schon bemängelte.

Ansonsten ist die Geschichte fantastisch. Ich habe, ähnlich wie Struppigel, mir natürlich auch beim Lesen Gedanken gemacht, wer der Junge sein könnte, oder wo er sich befindet. Das schaffst du vor allem dadurch, dass du ihn immer wieder nur "Junge" nennst und eben den Raum immer nur "Raum". Das mag an manchen Stellen einfallslos wirken, potenziert sich aber mit jedem Mal zu einer ungeheuren Spannung, die auf ein Ende hinsteuert, das man so absolut nicht erwartet.

Aber ich glaube - jetzt, da ich deine Kurzgeschichte gelesen habe - so geht es Dauerkomapatienten wirklich. Du hast mich vollends überzeugt.

Gern gelesen.
Gruß, Werther
Werther ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 26.03.2007, 21:41   #5
Jamie
 
Dabei seit: 03/2007
Beiträge: 11


ich weiß auch nicht, manche dinge haben auf einer anderen sprache einen ganz anderen ausdruck oder passen einfach besser.
ich finde keep your face passt besser als bewahre dein gesicht, als titel
ich weiß auch nicht, aber muss auch dazu sagen, dass ich meist schreibe wie mir der schnabel gewachsen ist, dh. ich brauch gar nicht großartig nachzudenken - was nicht heißt dass ich mir während dem schreiben keine gedanken über die situationen in der geschichte mache.
und zudem gebe ich irgendwie gern englische titel, das hat auch etwas gewisses unbekanntes und eher fernes als das jetzt in deutsch zu schreiben, lässt sich von mir aus für andere eher schlecht beschreiben, aber vllt erkennt jemand ja was ich meine.
das mit dem englischen - da muss ich mich glaube ich auch nicht für rechtfertigen, niemandem kann alles gefallen. aber freut mich immer wieder auchmal andere blickwinkel und meinungen zu sehen =)
das mit dem ende, das ist klar - darüber lässt sich nicht streiten ;]
Jamie ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 26.03.2007, 21:53   #6
Struppigel
 
Dabei seit: 05/2006
Beiträge: 1.007


Da wir bei dem Thema sind: ich mag es auch nicht, wenn deutsche Texte englische Titel haben. Ich liebe die deutsche Sprache und es käme mir ein wenig vor, als würde ich sie verachten, wenn ich verenglische bzw. unnötig Englisch dazumische.
Etwas anderes wäre es - meiner Meinung nach - wenn der Text direkt etwas mit England, den USA oder der Sprache zu tun hätte oder es anderweitig der Intention des Textes dienen würde.
Ich habe selbst eine Geschichte mit einem englischen Titel geschrieben, nur bezieht sich diese auf die Computerwelt, auf die Fachausdrücke (die kann ich wiederum sehr gut akzeptieren, weil sie im Deutschen wirklich lächerlich klingen würden und Fachausdrücke meines Erachtens sowieso einen Sonderstatus haben - zumal sie dann auch international sehr gut zu verstehen sind - aber das führt vom Thema ab...).
Also, ich verstehe, dass das Gefühl ein anderes ist, dass man mit einer fremden Sprache etwas Distanz aufbaut. Ich verstehe schon, was Du damit bezwecken willst. Allerdings sind nicht alle, die deutsche Geschichten lesen, Menschen, die ausschließlich mit der deutschen Sprache aufgewachsen sind. Einem zweisprachigem oder gar einem englischen Muttersprachler würde diese Wirkung abgehen.
Stell Dir vor, Du gehst auf ein amerikanisches Kurzgeschichten-Forum und liest eine Short Story mit deutschem Titel aber englischem Text. Käme Dir das nicht seltsam vor?
Ich will damit nur sagen, dass die Wirkung, die Du mit dem englischen Titel zu bezwecken versuchst, nicht universal ist. Bei manchen wird es gerade das Gegenteil erreichen.

So, jetzt reicht es aber mit meinem Vortrag.
Das sollte auch keine Überredung werden, Deinen Titel zu ändern, sondern nur meine Meinung verdeutlichen.

Struppige Grüße!
Struppigel ist offline   Mit Zitat antworten
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