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Gefühlte Momente und Emotionen Gedichte über Stimmungen und was euch innerlich bewegt.

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Alt 28.12.2008, 21:12   #1
Distel
 
Dabei seit: 08/2008
Beiträge: 67

Standard Wieder...sehen

Eingeigelt lieg ich da
traumgebundener Verlust
gibt den Narren heute frei
tanze einsam auf dem Seil.

Strauchle, doch ich
falle nicht
fliege zu dir in Gedanken
wisch das Gestern vom Gesicht.

Laß die Seele Atem holen
verharre kurz in dem Versprechen
das du mir gegeben hast
wispernd und allein mit mir.

Spüre alles
wie Widerhaken
die sich in mein Herz
jetzt bohren

werd nicht an ihnen zerren
weißt du
verletzte Herzen
heilen nicht.

Streife den Tag ab
sinke in Kissen
begrüße die Nacht
wie einen alten Freund.
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Alt 29.12.2008, 23:30   #2
m.a.r.
Gast
 
Beiträge: n/a

Hi Distel,

A, Nur eine Annäherung

"Wieder...sehen"

Wiedersehen: Ein Wort, das für sich allein stehend, nach einem Abschied oder einem einmaligen Sehen? ein sich wieder Sehen [Begegnen, ein Stelldichein, ein Beisammensein] in sich trägt. Doch im engeren Sinne schließt das Wort all die positiven Aspekte nicht unbedingt ein, sondern das Wiedersehen besagt nur ein Sehen, was wieder geschieht. Durch deine gepunktete Verbindung erschließt sich dem Leser ein weiterer Ansatz. Es entsteht dadurch eine mögliche Aussage über die Fähigkeit des Sehens, nämlich der Wiedererlangung des Sehens. Das Gepunktete suggeriert auch eine Dauer, ein schrittweise stattfindendes Sehen, ein Wiedersehenkönnen.

[/CENTER]1.Strophe:

"Eingeigelt lieg ich da / traumgebundener Verlust / gibt den Narren heute frei / tanze einsam auf dem Seil."

Ich bin als Leser noch überschriftslastig, verbinde somit dieses noch zu entschlüsselnde "Wieder...sehen" mit dem "eingeigelt lieg ich da"! Wenn das LI also so daliegt, kann es natürlich kaum sehen, höchstens seine eigenen oder fremd suggerierten, inneren Bilder. Diese scheinen jedoch in einem "traumgebundenen" LI gefangen, ja das LI empfindet sein Ich sogar als "Verlust". Dieses solchermaßen verlorene Ich, kann nur einen fabulierten Teil seines Selbst als Narr frei geben (das immerhin noch). Dieser tanzt ob der ungewohnten Freiheit, jedoch nur auf einem Grat, tanzt also gefährdet und zudem "einsam" und nur "auf einem Seil". Selbst dieser freigegebene Teil ist nicht wirklich frei und kann sich seiner Selbst nicht sicher sein.

[/CENTER]2.Strophe:

"Strauchle, doch ich / falle nicht / fliege zu dir in Gedanken / wisch das Gestern vom Gesicht."

So kommt es wie es der Leser erahnt, das eingeigelte Ich es befürchtet, denn es hat nur einen Teil seines Selbst aus der Traumgefangenschaft entlassen, und zwar den als Narr getarnten Anteil, den angepassten, der auch austeilen, am Spiel der Außenwelt gekonnt & unbeschädigt teilnehmen könnte, wenn er nicht nur auf einen Seil ohne Hilfe & Unterstützung tanzen würde! Er strauchelt, doch er fällt nicht, sondern fliegt zu einem LD, allerdings vermag er es nur als fliegende Traumgestalt in einem Gedankenmantel, der ein traumatisiertes?, ein verbotenes?, ein vorgetäuschtes?, ein mit Schuldgefühlen beladenes "Gestern" aus dem Gesicht des LD "wischt"? Was verbirgt sich nun wirklich hinter dieser Handlung? Gibt es eine Verbindung zum Igelzustand des LI und seiner Abspaltungstendenz?
[/CENTER]3.Strophe:

(Nicht Laß, sondern Lass!)

"Lass die Seele Atem holen / verharre kurz in dem Versprechen / das du mir gegeben hast / wispernd und allein mit mir."

Aha, der Vorhang wird gelüftet! Eine schlimmste Traumatisierung scheint nicht geschehen!? Oder?! Doch das LI, der Narrenanteil(!), fordert das LD auf zum seelischen Atemholen und appelliert an ein Versprechen, was vom LD einst "wispernd" (warum so leise?) & allein mit dem LI gegeben wurde? Was steckt dahinter?! Ist doch eine schlimme Verletzung des LD oder des LI passiert? Gibt es eine heimliche, wirkliche Liebe, die vom LD / LI verborgen werden muss? Oder gab es einen Übergriff, der verheimlicht wird?

[/CENTER]4.Strophe:

"Spüre alles / wie Widerhaken /die sich in mein Herz / jetzt bohren"

Jetzt, in der real geträumten und real empfundenen Nähe, thematisiert das narrengebundene LI endlich die Verletzung, verkörperlicht die zugefügten Schmerzen als "Widerhaken", klagt das LD an und
[/CENTER]
5.Strophe:

"werd nicht an ihnen zerren / weißt du / verletzte Herzen / heilen nicht."

bringt ihren metaphorisch errungenen Lebensmut, ihren neuen Widerstand zum Ausdruck: Es möchte sich nicht an diesen Widerhaken selbst zerfleischen! Es äußert noch viel zu zaghaft, noch unverständig verzeihend die erlittene Verletzung, die für immer verankert sein wird. Aber

[/CENTER]6.Strophe:

"Streife den Tag ab / sinke in Kissen / begrüße die Nacht / wie einen alten Freund.

das LI scheint mit diesem "Wieder...sehen" eine Selbstbefreiung in Gang gesetzt zu haben, die Hoffnungen weckt, dass es nicht nur zur Nacht, zur alten Freundin, sondern auch zu sich selbst zurückkehrt.

B, Distel, es sind sehr emotionale Zeilen, die am Ende dein "Wieder...sehen" erklären. Ein LI vermag mittelst Metaphorisierung und Traumwanderung eine Traumatisierung viel Kraft entgegenzusetzen, eine erste aus dem Trauma herausführende Entwicklung zu nehmen. Der gefühlsmäßige Transport ist gelungen, obwohl ich als Leser nicht eindeutig zu erkennen vermag, ob es sich um einen traumatisierenden Übergriff oder um eine verstoßene Liebe handelt. Vom Textlichen & von den Bildern her könntest du Verdichtungen versuchen. Auch das doppelte Herz könntest du austauschen. Wenn du an einer Bilderdiskussion interessiert bist, können wir gern in einen Gedankenaustausch treten.

[/CENTER]Mit freundlichen Grüßen

m.a.r.
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