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Alt 20.03.2008, 15:20   #1
tijo
 
Dabei seit: 03/2008
Beiträge: 1

Standard Die Wolkenfabrik

Hallo alle miteinander. Ich wollte auch mal eine Kurzgeschichte posten. Es ist das erste mal, dass ich hier etwas veröffentliche. Ich hoffe Tipp- und Rechtschreibfehler werden mir nicht so übel genommen.

Die Wolkenfabrik

Pedro Musselini war 87 Jahre alt, als er den blass grünen Hang hinab blickte. Seine ledrige von der Sonne und der jahrelangen harten Arbeit ausgetrocknete, verdörrte Haut, spannte sich straff über sein eingefallenes Gesicht. Mit jedem Tag, an dem sein schütteres Haar ihn verließ, schwand auch die Kraft. So stützte sich die zerbrechlich Silhouette Musselinis krampfhaft auf die Schultern seines einzigen Urenkels.
Wie in Zeitlupe und unter größter Anstrengung seines schmerzverzerrten Gesichtes hob er den Kopf in den Nacken und sah hinauf in den nahezu wolkenlosen Himmel. Da verformten sich die aufgeplatzten, schmalen Lippen zu einem sanften, gutmütigem Lächeln.
Musselinis Blick glitt langsam wieder den Abhang hinunter. Sein Urenkel hatte diesmal nicht das Gefühl das systematische Abreiben der Knochen hören zu können. Als er jetzt sein spitzbübisches, neugieriges Gesicht dem Urgroßvater zu wandte, sah er, dass etwas anders war.
Die Augen des alten Mannes strahlten. Es war dasselbe klare, grüne Strahlen, dass vor 82 Jahren in seinen Augen aufgeleuchtet war, als er sie zum ersten Mal sah: Die Wolkenfabrik.
Musselini erinnerte sich genau. Keine fünf Minuten nach Inbetriebnahme der Fabrik, waren die Jungen des Dorfes herbei geeilt und pressten sich gaffend an die hohe Umzäunung des Geländes. Als Pedro sah, wie die hohen, schmalen Türme der Fabrik endlos dichte, weiße Wolken auspukten, war er wie gebannt. Die Zeit schien still zu stehen, während sich schneeweiße, butterweiche Kügelchen federleicht in den Himmel erhoben.
Pedro kam oft hierher. Jeden Tag nach der Schule und manchmal abends. Und wenn er einfach so dar saß und träumte, da schwoll in ihm die Sehnsucht heran ganz sanft abzuheben und hinauf zu steigen.
Die Magie der zauberhaften Erinnerungen seiner Kindheit verdrängte sein körperliches Leiden und mit einem Mal schien er den Körper des eingefallenen alten Greises zu entschlüpfen. Hastig löste er sich von seinem Urenkel Alexandra und hinkte mit flinken Schritten zur Kuppel des Hügels, um einen besseren Blick auf die Wiese erhaschen zu können. Seine Bewegungen wirkten dabei weniger steif und kantig, als sie es unter normalen Umständen getan hätten. Alexandro hatte mit seinen kurzen Beinen Mühe mit dem alten Mann Schritt zu halten.
Verwundert sah er zu seinem Urgroßvater auf. Doch dieser legte beschwichtigend den Zeigefinger auf die rauen Lippen. Keinesfalls würde er zulassen, dass diesem Moment nicht jegliche erdenkliche Würdigung zu kam.
Als schließlich die Maschine auf die Wiese gerollt wurde, schloss Musselini seufzend die Augen. Er erinnerte sich noch gut an seine eigenen ersten Flugversuche. Er wusste noch genau, wie sich all die Prellungen und Schürfwunden anfühlten, wie die Schläge des Vater auf der nackten Haut brannten oder die hitzigen Worten der Mutter tief in seinen Wunden bohrten. Denn den schlimmsten Schmerz, den er kennen gelernt hatte, war die Enttäuschung nach dem Versagen.
Das alles waren keine ernst zunehmenden Versuche gewesen. Und heute würde er sogar so weit gehen zu sagen, dass seine jugendliche Naivität derartige Härte der Eltern erfordert hatte.
Erst viel später hatte er sich mit den Gesetzen der Aerodynamik auseinander gesetzt und sich mit Architektur befasst. Er fertigte jahrelang Zeichnung an, untersuchte verschiedene Arten von Holz, baute Modelle und probierte aus. Doch niemals, nicht ein einziges Mal ,hatte Musselini erreicht, wovon er schon von Kindheitstagen an träumte. Er hatte seine Ideen nie vollenden können.
Als er die Augen wieder öffnete, realisierte er, dass alles so weit vorbereitet war.
Musselinis Mund wurde trocken. Sein Herz pochte so schnell und heftig in seiner Brust, dass er sicher war Alexandros verunsicherter Blick rühre davon, dass er es schlagen hören könne.
Dann begann der Propeller zu kreisen. Musselini wagte kaum hinzusehen. Angespannt ballte er die Fäuste. Es war als würde die unnatürliche Stille nur immer und immer wieder vom gleichmäßigen Surren des Propellers durchschnitten.Der Propeller. Musselini hatte ihn als aller erster verwendet.
Erst langsam und ruckelnd, dann mit immer fließenderen und gleichmäßigeren Bewegungen gewann die Maschine an Geschwindigkeit.
Musselini schluckte. „Es ist soweit“, dachte er. Sein Herz schien aus seiner Brust zu springen, da erhob sich die Schnauze der Maschine in die Lüfte.
Die Menge tobte. Einzig allein Musselini schien im Meer der jubelnden Masse still zu stehen.
Dem alten Mann war es als würde sich seine Seele zusammen mit dem kleinen Flugzeug in die Lüfte erheben. Im selben Moment veränderte sich seine Haltung. Er sackte in sich zusammen und schien in den alten zerbrechlichen Greis zurückverwandelt. Als Alexandro seinem Urgroßvater rasch zur Hilfe eilte, um ihn zu stützen, sah er, dass das grüne Funkeln in seinen Augen erlosch. Tränen rannen dem alten Mann über die hervorstehenden Wangenknochen. Alexandro blickt zu seinem Urgroßvater hinauf und wusste, was es ihm bedeutete. Er hatte die Erfüllung gefunden.
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