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Alt 28.02.2024, 18:57   #1
weiblich DieSilbermöwe
 
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Standard Auf Mallorca

Oktober 1977 (Palma de Mallorca)

„Peter! Wach endlich auf!" Susanne rüttelte ihren Freund unsanft an der Schulter, ohne Erfolg. Peter knurrte, drehte sich zur anderen Seite und zog sich die Bettdecke über den Kopf.
Ihr Hotelzimmer lag im zweiten Stock. Von unten war Lärm aus dem Frühstückssaal zu hören.
„Also ich gehe jetzt frühstücken. In einer Stunde bekommen wir nichts mehr." Susanne warf mit Schwung die Bettdecke zurück, stand auf, lief auf die andere Seite und wollte Peter die Bettdecke wegziehen. Peter hielt sie krampfhaft fest.
„Lass das! Geh nur. Ich hab eh keinen Hunger."
„Aber einen Kater", stellte Susanne trocken fest.
„Und wenn schon. Den letzten Urlaubsabend muss man eben genießen."
„Okay, wie du willst. Aber denk dran, wir müssen spätestens um zwölf Uhr auf dem Flughafen sein. Und das Zimmer soll bis elf geräumt sein."
Peter knurrte etwas vor sich hin. Susanne gab es auf. Im Moment würde er nicht adäquat reagieren, aber davon würde sie sich das letzte Frühstück auf Mallorca nicht verderben lassen.

Im Frühstückssaal sah sie Klaus und Petra am Tisch sitzen. Petra winkte ihr zu. Vorsichtig balancierte Susanne ihr Tablett in ihre Richtung und setzte es behutsam auf. „Darf ich mich zu euch setzen?"
„Nein. Kommt gar nicht in Frage." Petra grinste.
Susanne lachte. „Ich mache es trotzdem."
„Wo hast du Peter gelassen?"
„Schläft seinen Rausch aus. Der hat gestern in der Kneipe zu tief ins Glas geschaut."
„Unser allerletzter Urlaubstag", bemerkte Klaus, „ich kann es gar nicht glauben, wie schnell die Zeit rumgegangen ist. Ich glaube, das machen wir nächstes Jahr wieder, einen Urlaub zu viert."
„Ja. War klasse."
Ein etwa sechsjähriges Mädchen kam vom Nebentisch und fragte höflich nach dem Salzstreuer. Petra gab ihn ihr. Das Mädchen schlenderte an seinen Tisch mit den Eltern zurück. Petra sah ihr nach.„Waren die nicht auch auf dem Hinflug im selben Flugzeug wie wir?", fragte sie. „Dann fliegen sie sicher heute auch zurück."
Susanne fiel siedend heiß etwas ein. „Shit, ich weiß nicht, wo die Flugbestätigung ist."
„Reg dich nicht auf. Peter wird es wissen", versuchte Klaus sie zu beruhigen.
„Ich habe unsere hier." Petra zog sie aus der Handtasche. „Flugnummer LH 181. Zum Glück eine Lufthansa-Maschine. Letztes Jahr sind wir mit einer richtigen Apfelsinenkiste geflogen. Ich weiß gar nicht mehr, welches Flugzeug das war, es war jedenfalls klein und furchtbar, und alle Passagiere haben gekotzt."
„He, ich bin noch am Essen", protestierte Klaus, „du musst mich nicht dran erinnern."
„Ich habe mir jedenfalls geschworen, nur noch mit den großen Linien zu fliegen", bemerkte Petra abschließend.

Drei Stunden später standen alle vier auf dem Flughafen von Palma de Mallorca. Peter war rechtzeitig fertig geworden.
„Das sind ja wir!" Petra lief auf ein Regal zu, in dem sich Fotos der Passagiere stapelten, die gerade ein Flugzeug verließen.
„Ja, als wir angekommen sind", sagte Klaus. „Kennst du das nicht? Die machen die Fotos, wenn die Leute landen, und wenn sie zurückfliegen, stellen sie sie hier aus. Kannst du kaufen. Pure Geldmacherei."
„Mir egal. Ich kaufe sie." Petra schnappte sich einen Stapel und rannte zur Kasse.
„Typisch Frau." Peter gähnte laut.
Eine Familie ging an ihnen vorbei. Susanne erkannte das Mädchen, das am Morgen nach dem Salzstreuer gefragt hatte. Es trug ein hübsches Sommerkleid, und Susanne hoffte unwillkürlich, dass es der Kleinen im Flugzeug nicht schlecht werden würde und sie das Kleid ruinierte.
„Erster Aufruf für die Passagiere der LH 181!", kam eine Durchsage über den Lautsprecher.
„Na denn", sagte Petra, „ab nach Hause. Hast du die Flugbestätigung gefunden, Susanne?"
„Ja, habe ich. Wisst ihr eigentlich den Namen des Flugzeugs?"
„LH 181."
„Nein, es hat noch einen richtigen Namen", erklärte Susanne, und während sie zum Einchecken gingen, fügte sie hinzu:
„Landshut."
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Alt 01.03.2024, 16:02   #2
männlich dunkler Traum
 
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Standard Hallo Silbermöwe

... liest sich gut weg, nur der Schluss startete das Kopfkino. Sie hatten eine horrormäßige Urlaubsverlängerung.
Wahnsinn, wie du mit einem Wort alles gekippt hast. Bin begeistert.

wsT
dT
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Alt 01.03.2024, 18:14   #3
weiblich DieSilbermöwe
 
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Vielen Dank, dunkler Traum!

Das ist eine von den (bei mir seltenen) Geschichten, wo ich auf das Ende hingeschrieben habe. Meistens fange ich nach einer Idee eine Geschichte an und weiß den Schluss erst später. Hier war es umgekehrt.

LG DieSilbermöwe
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Alt 01.03.2024, 19:45   #4
weiblich Ilka-Maria
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Gute Idee, Silbermöwe, und über große Strecken gefällig erzählt. Das Ende der Geschichte ist kein Paukenschlag für unbedarfte Leser, die sich außerhalb der Zeitgeschichte bewegen, sondern der kleine, subtile Horror für Eingeweihte, denen sich beim Namen "Landshut" die Haare aufstellen. Fast möchte man den Touristen zurufen: "Besteigt die Maschine nicht, sie ist ein Höllenvogel!"

Sehr klug, die Geschichte hier enden zu lassen, anstatt der Versuchung zu erliegen, noch Erklärungen nachzuschieben für jene Leser, die mit "Landshut", "Mogadischu", "Chef-Pilot Schumann" und "Schleyer-Entführung" nichts anfangen können. Wer getriggert ist, wird nachlesen, was es mit der "Landshut" auf sich hatte; wer nicht, wird im Tal der Ahnungslosen bleiben, was nicht in der Verantwortung des Erzählers liegt.

Der (eingeweihte) Leser weiß also mehr als die Protagonisten, und das schafft eine Spannung, die nachwirkt, denn er steht der Situation hilflos vis-à-vis, weil er nicht warnend eingreifen kann. So zu erzählen funktioniert meistens gut.

Ich wäre jedoch nicht Ilka, wenn ich nicht trotzdem etwas zu meckern hätte. Es sind aber Kleinigkeiten, die jedem Schreiber durchgehen und meistens im Lektorat behandelt und danach korrigiert werden. Es geht um den Rhythmus, der den Lesefluss unterstützen soll. Nur ein Beispiel: Zwei Sätze hintereinander sollten möglichst nicht auf ein Hilfsverb wie "sein" enden. Und es geht, zum wiederholten Mal, um die unsäglichen Füllwörter, die sich trotz größter Wachsamkeit immer wieder einschleichen. Raus damit!

Die Frage ist auch, ob es wesentlich zur Geschichte beiträgt, eine Familie als Mitreisende zu identifizieren, indem eins ihrer Mitglieder sich einen Gewürzstreuer vom Tisch der Protagonisten ausleiht. Trägt diese Episode wesentlich zur Handlung bei?

Die Passage mit den Fotos, die verhökert werden sollen, ist ebenfalls ein Füllsel. Soll diese Episode der Geschichte Atmosphäre verschaffen, müsste sie präzisiert werden, denn nur mit einem Blick auf einen "Stapel" Fotos wird kaum jemand sofort erkennen, dass er auf einem Foto dabei ist. Auf welchem denn? Dem dritten von oben oder unten? Welcher Fotograf stapelt Fotos, wenn er sie vermarkten will? Keine gute Idee! Er steckt sie besser, mit Bestellnummern versehen, in einem Schaukasten fest, Preisliste und Bestelladresse inbegriffen.

Dabei belasse ich es, denn das sind wirklich nur Nebensächlichkeiten. Aber mit ein paar Überarbeitungen ließe sich aus dieser bereits annehmbaren Geschichte ein richtig gutes Stück Literatur machen.

Ich hoffe, Silbermöwe, du kannst mit meiner Stellungnahme etwas anfangen.

LG
Ilka
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Alt 02.03.2024, 15:02   #5
weiblich DieSilbermöwe
 
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Zitat:
. Ich hoffe, Silbermöwe, du kannst mit meiner Stellungnahme etwas anfangen.
Ja, vielen Dank dein Kommentar freut mich sehr.

Zitat:
Es geht um den Rhythmus, der den Lesefluss unterstützen soll. Nur ein Beispiel: Zwei Sätze hintereinander sollten möglichst nicht auf ein Hilfsverb wie "sein" enden
Okay, habe ich übersehen, ebenso wie einige Füllwörter.

Zitat:
. Die Frage ist auch, ob es wesentlich zur Geschichte beiträgt, eine Familie als Mitreisende zu identifizieren, indem eins ihrer Mitglieder sich einen Gewürzstreuer vom Tisch der Protagonisten ausleiht. Trägt diese Episode wesentlich zur Handlung bei?

Die Passage mit den Fotos, die verhökert werden sollen, ist ebenfalls ein Füllsel. Soll diese Episode der Geschichte Atmosphäre verschaffen, müsste sie präzisiert werden, denn nur mit einem Blick auf einen "Stapel" Fotos wird kaum jemand sofort erkennen, dass er auf einem Foto dabei ist. Auf welchem denn? Dem dritten von oben oder unten? Welcher Fotograf stapelt Fotos, wenn er sie vermarkten will? Keine gute Idee! Er steckt sie besser, mit Bestellnummern versehen, in einem Schaukasten fest, Preisliste und Bestelladresse inbegriffen.
Die Familie als Mitreisende, die auch auf dem Hinflug dabei waren, hat den Hintergrund, dass auch Kinder in der entführten Maschine waren. Und wenn Susanne denkt: „Hoffentlich ruiniert sich die Kleine das Kleid nicht, falls ihr schlecht wird", ist das ein Hinweis darauf, dass viel Schlimmeres an Bord passieren kann als das. So war es zumindest von mir gedacht.

Bei der Sache mit den Fotos habe ich an etwas gedacht, was ich damals selbst gesehen habe, als ich 1978 mit meinen Eltern nach Mallorca geflogen bin: Als wir zurückflogen, waren Fotos im Flughafen ausgestellt, die uns und natürlich die anderen Passagiere zeigten, wie wir bei der Ankunft aus dem Flugzeug stiegen, was mich furchtbar erschreckte. Mein Vater erklärte mir dann, dass das bei jedem Flug so gemacht wird und nicht immer Fotos von uns da im Schaukasten (auf das Wort kam ich nicht) zu sehen sein würden. Deswegen habe ich das in die Geschichte eingeflochten.

LG DieSilbermöwe
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Alt 02.03.2024, 15:40   #6
weiblich Ilka-Maria
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Zitat:
Zitat von DieSilbermöwe Beitrag anzeigen
Mein Vater erklärte mir dann, dass das bei jedem Flug so gemacht wird und nicht immer Fotos von uns da im Schaukasten (auf das Wort kam ich nicht) zu sehen sein würden.
Ah ja, das verstehe ich. Aber altersmäßig sind wir beide nicht so weit auseinander, dass du Schaukästen nicht mehr in Erinnerung haben kannst. Es gab sie an jedem Kino mit Aushangbildern - Standbildern aus dem Film -, um zum Kauf der Eintrittskarte zu werben.

Das soll keine Nachklapp-Kritik an deiner Geschichte sein, sondern nur eine Randbemerkung.
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Alt 03.03.2024, 11:23   #7
weiblich DieSilbermöwe
 
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Habe ich auch nicht so aufgefasst.

Allerdings schrieb ich, dass ich nicht auf das Wort kam, nicht dass ich Schaukästen nicht kannte , ich sah das Ding in meiner Erinnerung vor mir und dachte: „Was war das denn bloß?" Dann fiel mir nur das Wort „Regal" ein, um es zu beschreiben.

Ich habe gerade mal im Synonym-Wörterbuch unter „Regal" geguckt, „Gestell" hätte man es auch nennen können. Aber Schaukasten trifft es.
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Alt 08.03.2024, 17:04   #8
weiblich Lee Berta
 
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Hallo, liebe Silbermöwe,
mir gefällt sehr gut, wie du den Opfern ein Gesicht und eine Stimme gibst. Sie sind wie ich und du, normale Menschen mit kleinen Problemen. Ein Mann, der gerne länger schläft, eine schusslige Frau und ein Kind, das sich vielleicht aufs Kleid kotzt. Später werden sie namenlos in die Geschichte eingehen.
Die unbedeutenden Nebenhandlungen machen genau den Reiz aus.

Liebe Grüße,
Lee
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Alt 08.03.2024, 19:28   #9
weiblich DieSilbermöwe
 
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Zitat:
. Die unbedeutenden Nebenhandlungen machen genau den Reiz aus.
Danke, Lee Berta!
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