Die Drachentöterinnen bei Poetry.de

Ex-zonkeye · 26.07.2013, 09:48

Die beiden Mädchen essen draußen an einem Zweiertisch. Sie haben die Sonnenbrillen in ihr dunkles Haar zurückgeschoben und zeigen jedem, der es sehen möchte, wie hübsch sie sind mit ihren riesigen Mandelaugen, hohen Wangenknochen, vollen Lippen und dem weichen Rund des Kinns, das in den schlanken Hals übergeht. Sie haben beide kurze Sommerkleidchen an; die Spaghettiträger und die kaum sichtbaren Plastikstreifen des Wonderbra daneben lassen Schultern frei, die sportlich breit und doch ebenso feminin sind wie die gebräunten bloßen Arme und die endlos langen Beine, die sie unter dem Tisch ausgestreckt haben.

Göttinnen!

Es ist noch früh am Abend, die schneeweiß eingedeckten anderen Tische sind kaum besetzt. Ein Alter in heruntergekommener Kleidung und mit wirren grauen Haaren tritt von der Straße zu den beiden und spreizt die Hände glitzernd vor ihnen auf: „Anelli? Amuleti? Bracciali?”

Das eine Mädchen schüttelt sofort den Kopf, das andere aber langt hin, einmal, zweimal, dann nochmal, angelt nach ihrer teuren Handtasche und kauft für zehn Euro einen winzigen Anhänger, der aussieht wie ein Seestern.

Während der Alte sein Zeug und das Geld wegsteckt, wendet er keinen Blick von den Koteletts, den Kartoffeln und dem Gemüse, die vor den Mädchen stehen. “Tanta roba per due ragazze come te!”, meint er plötzlich. Die Mädchen gucken sich an, dann sagt das, das vorher den Kopf gechüttelt hat: “Vuoi und po ‘di carne?”

“Mi piacerebbe!”

Die Mädchen rufen den Ober und bitten ihn um einen weitern Teller. Sie schneiden von ihren Koteletts ab und häufen Kartoffeln und Gemüse dazu. Der Alte nimmt alles, setzt sich an den Nebentisch und isst mit solcher Gier und so laut, dass die beiden sich abwenden und selbst zu essen aufhören. Nach kaum einer Minute ist er fertig; er verdrückt sich ohne einen Blick und ohne weiteres Wort und lässt einen verwüsteten Tisch zurück.

Sofort kommen zwei Kellner in wallenden weißen Schürzen aus dem Restaurant herbeigeeilt und decken den Tisch komplett neu ein. “Mi dispiace per fare circostanze!”, sagt das Mächen, das den Anhänger gekauft hat, und lächelt.

Die beiden lächeln zurück und und winken ab: “È proprio quello!”

26.07.2013, 09:48	#1
Ex-zonkeye abgemeldet Dabei seit: 05/2011 Beiträge: 504 Meine Geschichten	Die Drachentöterinnen Die beiden Mädchen essen draußen an einem Zweiertisch. Sie haben die Sonnenbrillen in ihr dunkles Haar zurückgeschoben und zeigen jedem, der es sehen möchte, wie hübsch sie sind mit ihren riesigen Mandelaugen, hohen Wangenknochen, vollen Lippen und dem weichen Rund des Kinns, das in den schlanken Hals übergeht. Sie haben beide kurze Sommerkleidchen an; die Spaghettiträger und die kaum sichtbaren Plastikstreifen des Wonderbra daneben lassen Schultern frei, die sportlich breit und doch ebenso feminin sind wie die gebräunten bloßen Arme und die endlos langen Beine, die sie unter dem Tisch ausgestreckt haben. Göttinnen! Es ist noch früh am Abend, die schneeweiß eingedeckten anderen Tische sind kaum besetzt. Ein Alter in heruntergekommener Kleidung und mit wirren grauen Haaren tritt von der Straße zu den beiden und spreizt die Hände glitzernd vor ihnen auf: „Anelli? Amuleti? Bracciali?” Das eine Mädchen schüttelt sofort den Kopf, das andere aber langt hin, einmal, zweimal, dann nochmal, angelt nach ihrer teuren Handtasche und kauft für zehn Euro einen winzigen Anhänger, der aussieht wie ein Seestern. Während der Alte sein Zeug und das Geld wegsteckt, wendet er keinen Blick von den Koteletts, den Kartoffeln und dem Gemüse, die vor den Mädchen stehen. “Tanta roba per due ragazze come te!”, meint er plötzlich. Die Mädchen gucken sich an, dann sagt das, das vorher den Kopf gechüttelt hat: “Vuoi und po ‘di carne?” “Mi piacerebbe!” Die Mädchen rufen den Ober und bitten ihn um einen weitern Teller. Sie schneiden von ihren Koteletts ab und häufen Kartoffeln und Gemüse dazu. Der Alte nimmt alles, setzt sich an den Nebentisch und isst mit solcher Gier und so laut, dass die beiden sich abwenden und selbst zu essen aufhören. Nach kaum einer Minute ist er fertig; er verdrückt sich ohne einen Blick und ohne weiteres Wort und lässt einen verwüsteten Tisch zurück. Sofort kommen zwei Kellner in wallenden weißen Schürzen aus dem Restaurant herbeigeeilt und decken den Tisch komplett neu ein. “Mi dispiace per fare circostanze!”, sagt das Mächen, das den Anhänger gekauft hat, und lächelt. Die beiden lächeln zurück und und winken ab: “È proprio quello!”