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Liebe, Romantik und Leidenschaft Gedichte über Liebe, Herzschmerz, Sehnsucht und Leidenschaft.

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Alt 02.08.2016, 20:43   #1
männlich Heinz
 
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Ort: Reimershagen in Mecklenburg-Vorpommern, Nähe Güstrow
Beiträge: 7.879

Standard Gajané

Prolog

Der Erzähler

Freunde, vernehmet Geschichten aus uralten Tagen,
denkt an die Zeiten der Ritter und bildschönen Frauen!
Setzt euch im Kreis um ein Feuer und lauschet den Sagen,
lasst uns vergnüglich beim Weine Vergangenes schauen.

Es kreisen die Römer in männlicher Runde,
noch jung ist der Abend und freudig begrüßen
drei Ritter den Barden in dämmriger Stunde;
der greift in die Saiten, und alle genießen
vor lodernden Scheiten die Lieder des Sängers.

Ritter Eichenwald

„Uns begeistert, Orpheus, deiner Leier Klang“,
spricht der düstre Ritter Sieghard Eichenwald,
„sagt uns Stand und Namen, letzten Aufenthalt!“
„Es nennt mich jedermann Orlando Vogelsang,
ich lebte sieben Jahr im fernen Hayastan.“

Ritter Flammenherz

„Wir begehren mehr zu wissen, gebt Bescheid!“,
nimmt der Degen Gunter Flammenherz das Wort,
„sprecht, was trieb vom heilgen Ararat euch fort?“
„Es war, ihr edlen Klingen, Qual und Liebesleid,
und nimmer führt ein Weg für mich zu ihrem Herz.“

Ritter Erlenried

„Stimme, Sänger, neu die Leier, lass dein Lied
Kunde bringen, mach die Dame uns bekannt!
Sing von ihr und auch dem fernen, fremden Land!“,
fordert weinbeseligt Heinrich Erlenried,
„gebt Orlanden, Freunde, ein gefülltes Glas!“

Orlando, der Barde

Der Barde ergreift den geschliffenen, vollen Pokal:
„Sei willkommen, flüssige Traube und lös mir die Zunge,
benetze die Seele, du himmlischer Tropfen, und stärke die Lunge,
mein Lied, von der Leier begleitet, es fülle den Saal!

Nun höret, geadelte Degen, die Mär meines Lebens:
Mein sonnenverwöhntes, gebirgiges Land an der Flanke
kaukasischer, Himmel berührender, schneeiger Gipfel,
gesegnet mit fruchtender Fülle in grünenden Tälern
und reizenden Mädchen mit lockenden, glutenden Augen,
du locktest gewaltig den Jüngling vom heimischen Herde.
Im Sevan betrachtet die Wölbung des Himmels gefällig
die eigene Bläue im spiegelnden, fischreichen Wasser.
Khatchkare an Wegen bezeugen den christlichen Glauben,
Obsidian glänzt auch in Kirchen und schmückt die Ikonen,
und Flammen der Kerzen begleiten die stillen Gebete.“

Ritter Sieghard Eichenwald

„Wann, Orlando, singt ihr endlich
uns das Lied von jener Schönen,
eures Herzens Königin?“,
unterbricht der finstre Sieghard
grob des Sängers frohen Jubel.

Ritter Gunter Flammenherz

Feurig auch ist Gunters Rede:
„Wortreich habt ihr uns verkündet
alle Reize dieses Landes.
Lasst mit Tönen eurer Leier
Minnesang für uns erklingen!“

Ritter Heinrich Erlenried

Heinrich selbst, der sanfte Degen,
spricht zum Barden diese Worte:
„Male, wortgewandter Dichter,
Bilder unsern innren Augen
von der Fürstin aller Weiber!“

Orlando, der Barde

„Gescholten habt ihr Recken mich und nicht bemerkt,
dass alle Worte meines Mundes Lobgesang
für Gajané nur sind und reine Minne warn.

Es trübt sich des Sevans von Sayat besungene Klarheit,
wenn je ihrer leuchtenden Augen Gefunkel verlischt.
Obsidian, schimmernder Zeuge vulkanischer Kräfte -
der Glanz ihrer küssenden Lippen ist tausendfach schöner!
Ihr Atem verströmt die betörenden Düfte der Narde,
noch süßeren, lieblich‘ren Hauch werden mächtige Götter
den Rosen elysischer Felder mitnichten entlocken.
Die blendende Helle des schneereichen Gipfels des Masis
erbleicht vor der Pracht ihres Busens und hüllt sich in Wolken.
Die samtweiche Haut ist gewiss Aprikosen vergleichbar,
und seidige Locken verführen zu zärtlichen Spielen,
die steinernen, stummen Khatchkare besingen die Liebe.“

Orlando schweigt und träumend sinkt des Sängers Blick
in fast erloschnen Feuers letzte rote Glut.
Besonnen spricht mit leiser Stimme Sieghard dies:

Ritter Sieghard Eichenwald

„Fürwahr, ihr habt mit eurer Mär
mein hartes Herz zutiefst berührt.
Ich reite morgen an den schwarzen See,
ihr seid es, der mich zu ihr führt.
Mein Ziel ist sie zu finden – Gajané.“

Ritter Gunter Flammenherz

„Von Gajané verträumt nur sinnen,
verbieten mir mein Stolz und Ritterehr.
Der Beste soll das Weib gewinnen,
ich folge euch zum großen Schwarzen Meer.“,
so lauten Ritter Gunters wackre Worte.

Ritter Heinrich Erlenried

„Ich, Heinrich, Ritter Erlenried, verkünde:
Zum edlen Wettstreit tret ich gerne an!
Fürs schönste Weib begeh ich jede Sünde,
das Abenteuer ziert den tapfren Mann.
Lasst uns nun ruhn und alle Kräfte sammeln.“

Erzähler

Beschlossen ist der kühn-verwegne Plan:
Zu viert gehts morgen los ins ferne Hayastan!

Ritter Sieghard Eichenwald

„Sattle, Knappe, säume nicht,
im Stall die schwarze Stute!“,
schallt im ersten Morgenlicht
Sieghards Stimme, und der gute
Knecht des kühnen Kämpen
tut wie ihm befohlen.

Ritter Gunter Flammenherz

„Rüste mir das rote Ross,
den Renner will ich reiten,
schneller als ein Pfeilgeschoss
überwindets alle Weiten.“
Wie der Ritter es befiehlt,
wird in Eil das Pferd gezäumt.

Ritter Heinrich Erlenried

„Himmelherrgott, her zu mir!,
spürest sonst die Rute!“,
Heinrich rufts aus dem Quartier,
„Bring herbei die Schimmelstute,
hole Schild und Lanze,
reich mir auch mein Wappen!“

Ritter Erlenried

„Orlando, sagt uns, Musenkind,
wie wollt ihr uns begleiten?
Auf den Flügeln der Musik
ist nicht gut zu reiten!“

Orlando

„Der Poesie gelinde Winde,
die zart der Leier Saiten rühren,
sie wehn als West und führen
uns zu dem schönen Kinde.“

Erzähler

Auf den Rücken der Rösser beginnt die beschwerliche Reise;
in das östliche Land ist der Weg leicht mit Hilfe der Sonne zu finden.
Sie bezeichnet das lockende Ziel in der frühesten Stunde des Morgens,
wenn sie golden die Gipfel der fernen Gebirge bestrahlt.
In den Nächten beschirmt der gestirnte, unendliche Himmel die Ritter.
Wie die Wochen vergehen, erzählt die sich wandelnde Scheibe des Mondes.
Als das Rund der Selene sich dreimal erneuert, erspähen die Degen
die Gestade des Meeres und rastend bedenken die Recken die weitere Reise.

Ritter Erlenried

„Lasst uns rasch ein hölzern Schiff erbauen,
Segel setzen, dann dem Wind vertrauen.
Übers Meer und nimmer achtend der Gefahren
Führt der kurze Weg zum Ziel, wir sparen
Zeit und morgen werden wir das andre Ufer schauen.“,
schlägt der Recke Erlenried den andern vor.

Ritter Eichenwald

„Schneller werde ich auf längren Wegen
über Land den Fuß des Ararat erreichen.
Fester Sitz im Sattel ist nicht zu vergleichen
einer Fahrt im Schiff, und zu verwegen
scheint der kühne Plan, auf schwanker Wellen Flur zu fahren.“,
widerspricht der Degen Sieghard seinem Freund.

Ritter Flammenherz

Ritter Gunter hat bisher geschwiegen,
fragend wandern zu Orlando seine Blicke:
„Könnten wir verbinden unsere Geschicke,
auf den Flügeln Eurer Lieder fliegen?“

Orlando

„Auf des Kranichs gefiederten Schwingen
ist nur Platz für Poeten, die singen.
Ihr, geadelte Klinge, müsst reiten,
oder Sieghard im Schiffe begleiten!“

Erzähler

Über dem Feuer am Spieße gebraten,
wartet die gestern geschossene Sau
hungriger Mägen willkommene Speise zu werden.
Würziger Wein aus den zinnernen Bechern
schmeckt zu der Mahlzeit und stärkt unsre Recken.
Satt und zufrieden, betrunken in Maßen,
fassen die vier den Beschluss, den Orlando verkündet:

Orlande

„Reitet ihr, Sieghard, den Pfad, der das Ufer des Meeres umsäumt.
Gunter und Heinrich, ihr werdet die Fluten des Meeres im Schiffe durchqueren.
Kümmert euch nicht um den Sänger Orlando, den tragen die Musen ans Ziel!“

Erzähler

Sechsmal rast der Sonnenwagen
seinen Weg von Ost nach Westen.
Glücklich finden dann die Degen,
schlummernd unterm Maulbeerbaume,
ihren Barden an dem abgesprochnen Platze.

Orlando

„Der Sattel zwischen Sis und Masis,
er weist den Weg nach Erebuni.
Auf Noahs Spuren, seid gewiss,
da finden wir, ihr Klingen, - sie!“

Erzähler

Aus felsigem Grunde
wächst die Feste Erebuni,
des Königs gewaltige Feste empor.
Wolken berühren die Zinnen der Mauern,
der hochragende Bergfried
in Palastes Mitte
beschattet am Morgen
den Weg
zum eisenbeschlagenen
Tor aus Eichenbohlen.
Davor das schimmernde Wasser der schützenden Wehr;
mit steilem Hang
verrichten die Berge im Norden
den gleichen Dienst für den Frieden im Lande.
feurige Lanzen der Sonne
lassen zinnenschmückende Wimpel
und das Wappen des Herrschers erglänzen.
Das Strahlen verkündet:
Des Königs Gemahlin,
die Tochter Gajané,
der Herrscher selbst
weilen in der Festung.

Aus der Ebne, aus der Täler Enge,
aus den Wäldern, von den Bergeshöhn
strömt herbei die bunte Menschenmenge,
auf den Beinen scheint das ganze Land;
feierlich gekleidet, prächtig anzusehn,
webet sie den Weg zum farbenfrohen Band.

Trompetensilber schmettert froh Willkommen!
Des Königs Herold nimmt danach das Wort:

Herold

“Ihr Ritter habt in aller Welt vernommen:
Die Feste Erebuni ist der Ort,
des Königspaares Tochter zu bekommen,
als Sieger geht mit Gajané ihr fort.
Ihr Edlen, lasst den Wettstreit bald beginnen,
es gilt, das Herz der Schönsten zu gewinnen!“

Gajané

Tapfere Ritter, Gajané bin ich und
heiße unsere Gäste gern willkommen.
Ringt um meine Huld und gewiss ist euch die
Tochter des Königs.

Der russische Gesandte

„Mütterchen Russland ist unsere Heimat,
weit war der Weg in das Land Hayastan.
Nerze und Zobel sind Grüße des eisigen Nordens,
ewige Freundschaft versichert euch Väterchen Zar!“

Der Gesandte Japans

„Tausend Jahre sollt ihr leben!,
wünscht der Tenno, unser Kaiser,
Seide soll euch immerdar umschmeicheln,
eurer Haut mit sanftem Streicheln
Nippons Neigung stets beweisen!“

Der Gesandte Arabiens

„Auf Kamelen kamen wir geritten,
hundert Tage dauert unsre Reise,
fremd sind uns des Landes Sitten,
doch erfreut die Art und Weise
eures Umgangs mit den Wüstensöhnen!
Eure Schönheit lässt sich nicht verschönen,
nehmt das Gold, die Edelsteine,
schenkt sie euren Knechten, euren Pferden,
dass geschmückt sie eurem Glanze würdig werden!“

Der Gesandte Deutschlands

„Am Vater Rhein, an dessen Hängen Reben
in dicht gedrängten Reihen duftend blühen,
erreichte uns die sagenhafte Kunde
von deiner Schönheit, Gajané, und hierher
geleitet von Orlando und den Sternen,
betraten wir mit heilgen Schaudern gestern
das Land am Ararat, auf dessen Gipfel
die Arche Noah erste Hoffnungsstrahlen
aus Farbenspiel des Regenbogens trafen.
Ach, könnte Gott sein Bündnis mit den Menschen
erneuern mit Symbolen schönrer Bildung!
Allein die Brauen deiner braunen Augen,
sie ließen stets uns Jahves Gnade sehen."

Der Hohepriester

Gott erteile seinen Segen,
jedem werde er zuteil!
Zwietracht soll sich nimmer regen,
niemand treibe einen Keil
zwischen euch, ihr Herrn,
fechtet fair, und fern
sein euch Trug und listge Tücken.
Sieg und Ruhm solln euch beglücken!

Todverachtend fingen eine Bestie unsre Krieger,
Mann und Weib und Kind verschlang ihr nimmersatter Schlund.
Rettet Hayastan, befreit das Land vom wilden Tiger -
Euer Wappen zeigt ein flammend Herz auf rotem Grund.
Gott mit euch!, und Schwertes Schärfe küren euch zum Sieger!

Erzähler über den Kampf des Ritters Flammenherz

Der Zwinger der Burg ist die große Arena,
die Bestie, befreit von geschmiedeten Fesseln,
erstürmt mit gewaltigem Sprung das Geviert,
den Menschen erstarrt in den Adern das Blut.
Die Attacke des Tigers erwartend,
hat der Ritter geschwind mit der Rechten
aus der Scheide den Degen gezogen,
und er richtet die Spitze der Klinge
auf das Herz des gefährlichen Raubtiers.
Enger zieht der Tiger seine Kreise,
brüllt und droht mit scharfem Zahn,
duckt sich sprungbereit und –
greift den Ritter an.
Sie schwirrt und teilt die Luft, die scharfe Klinge,
ein Gott, so scheint es, führt die Hand des Kämpfers;
das Herz des Mordtiers trifft der Stahl der Waffe.
Hoch spritzt das Blut,
es reißt im Todeskampfe
der Bestie Tatze eine tiefe Wunde;
vermischtes Blut versickert bald im Sande.
Ein letzter Blick des todgeweihten
Ritters gilt Gajane und seine Lippen flüstern:
„Ich liege hier, geliebtes Weib und habe
nur eine Bitte, Gajané:
Versüße mit einem Kuss den Tod,
bevor ich sterbe.“

Der Herold

„Wir haben den Helden mit trauernden Sinnen
drei Tage geehrt und das flammende Herz
im Wappen des Ritters zum ewgen Gedenken
mit lauterem Erze vergoldet.
Orlando morgen, heute Erlenried,
sie werden das Turnier beenden.
Ich rufe Ritter Heinrich auf,
er soll dem Urteil Gajanés sich stellen.“

Ritter Erlenried

„In schwarzer Trauer war bis gestern ich versunken,
des Freundes Tod beweinte ich zutiefst erschüttert.
An fremden Ufers Rand, geheimnisvoll umwittert
von Nebeln, hat aus Lethes Fluten er getrunken.
Wir kommen vom Wasser,
wir gehen zum Wasser,
in Wellen verläuft unser Leben.
Wir schöpfen und trinken
und sehen im Wasser
Vergangnes, das Heute
und kommende Zeiten.
Ich sah in dem Meere
die Tochter des Königs,
berührte die Seele
der schönen Prinzessin
und freite die Fürstin,
gewiss ihrer Liebe.
Die Erlen am Ufer,
das Ried an den Rändern
der plätschernden Bäche,
sie schmücken das Wappen
der Nixen und Ritter -
sie wohnen im Wasser,
sie leben am Wasser
und kennen die Zukunft,
das Heute und Gestern.
Ich sehe uns beide,
wir sind wie das Wasser,
die Wellen der Liebe,
tragen uns beide."

Erzähler

Erlenried verbeugt sich tief,
Schweigen herrscht und kaum verstanden
hat die rätselhafte Rede
irgendeiner aus der Menge.

Herold

Trompetenschall von Felsen widerhallt,
der Herold ruft den Degen Eichenwald:
„Dein Wappen zeugt von Erdverbundenheit,
mach dich bereit zum dritten edlen Streit!“

Erzähler über Ritter Eichenwald

Schneller als Augen zu schauen vermögen,
fliegt aus der Scheide das funkelnde Schwert,
fährt wie der Blitz in die Äste der Eiche -
Sieghards gewaltige, wuchtige Streiche
lassen vom ehemals stolzen Gewächs
nur den enthaupteten Baumstamm zurück.
Diesen bearbeitet Eichenwalds Klinge,
staunend betrachten die Großen des Hofes
und gaffendes Volk das Werk seiner Hände,
sehen doch alle, wie wundersam Sieghard
seinen geheimsten Gedanken Gestalt gibt:
Prächtig gebildet aus leblosem Holze
hat die Prinzessin in kürzester Zeit
dank der gestaltenden Kräfte des Ritters
eine gemaserte Schwester gefunden.

Gajané

Ich sage Dank den Edelsten des Erdenrunds!
Der Tod des Heinrich Flammenherz betrübt mich sehr,
er hat dem Land am Ararat mit seinem Mut
die bange Furcht vor Feinden jeder Art verscheucht.
Er wird ab heut genannt „Der Held von Hayastan“.
Ihr Edlen habt mit blankem Schwert und reinem Sinn,
Verstand und Mut um meine Gunst und Huld gekämpft, -

Gefochten hat noch nicht Orlando Vogelsang.
Geduld bitt ich mir aus, im ersten Morgenlicht
geb ich bekannt, für wen mein Herz in Liebe brennt.

Erzähler

Mit der scheidenden Sonne beginnt
das Geraschel der Blätter im Baum,
und Gezwitscher der Vögel ist bald
für die Lauschenden schönste Musik.

Mit freundlichen Worten begrüßt
der König die Gäste und winkt
dem eifrigen Schenken Bescheid,
die Gläser der Recken zu fülln.

Graf von Werfelstein, Nestor

„Es lebe Armenien!“, ergreift der Nestor
der Runde, Graf von Werfelstein, das Wort
und „Gedse Hayastan!“, erschallts im Chor.

Der russische Gesandte

Dem Gesandten des Zaren gebührt vor den andern,
dem Gebot aller höfischen Sitte entsprechend,
mit gehörigem Spruch einen Toast zu verkünden.
„Ich habe“, so ruft er mit tönender Stimme,
„in Ani die eintausend Kirchen gesehen.
Der Herrgott beschütze das Land und die Menschen!
Erhebt von den Sitzen euch, lasset uns trinken
den goldfarbnen Cognac aus edelsten Reben,
die Noah einst pflanzte am heiligen Masis
und dankend der Gnade des Himmels gedenken!“

Der Gesandte aus Japan

„Wir haben“, spricht des Tennos würdevoller Mandarin,
im Lande Nippon Sitten, die den euren ähneln:
Der Gast, der unter unsren Dächern weilt, geborgen
ist er und darf sich sicher sein des Schutzes seines Wirtes.
In euren Herzen ist die Tugend, Gäste, lieben Freunden gleich,
mit Wärme offen zu empfangen, längst Bedürfnis aller Hay.
Der dritte Trunk, er sei gewidmet
der Menschlichkeit, die ich erfahren hab in euren Mauern!“

Der arabische Gesandte

Mesrops Eisenschrift, ihr Brüder,
macht die Bibel uns bekannt.
Khutchaks Verse, Sayats Lieder
klingen bis ins Morgenland,
Komitas Choräle hallen wider
von des Atlas Felsenwand.
Klein ist euer Land, doch groß das Erbe
aller. Schenke! Mach die vierte Kerbe,
füll das Glas mit Saft der Reben!
Hayastan, hoch sollst du leben!“

Der Gesandte Deutschlands

„Ihr habt mit Wortgewalt und hohem Sinn
des Landes Ruhm in hellsten Farben schön gemalt.
Verzeiht! Ihr habt versäumt, das Beste zu erwähnen:
Wir sahn in die Augen der Frauen hinein,
in tiefschwarze, braune und blaue -
dem Meere vergleichen die Dichter Armeniens die Augen
mit Recht, wie wir meinen und alles erzählen.
Der fünfte und letzte der Lobesgesänge, er gilt
den Frauen und Mädchen des gastlichen Landes!“

Erzähler

In Erwartung des kommenden Tages
Wird das Gastmahl beendet zur Mitte der Nacht.
Die gesättigten, trunkenen Ritter und
das Gesinde des Königs begeben zu Bett sich und schlafen.

Der Herold

„Orlando“, spricht morgens der Herold,
kaum gehorcht die schwere Zunge,
„komm herbei, du Tugendbold,
erfreu uns mit der Kraft der Lunge!“

Orlando, der Barde

Dem Nachtigallenschlag zu lauschen,
begab ich mich aufs freie Feld,
ich hörte Liebesworte tauschen,
es warn die schönsten von der Welt.
Villon, du lobst die süßen Küsse
der schönen Frauen von Paris,
Villon, du großer Bruder, wisse:
Auf dieser Welt ist nichts so süß
wie Nachtigalls Geflüster mit den Rosen;
sie küssten sich und tauschten ihre Ringe,
ach, könnt ich Gajané so kosen,
mir Hörn und Sehn, das Singen selbst verginge!
Ich hörte kaum, wie sie mit leisen Schritten,
die Liebste, wie sie zu mir kam.
Als sie mich zärtlich in die Arme nahm,
erfüllt ein Gott mir meine größte Bitten.
Es hat um sie ein großer Kampf getobt,
verzeiht, ihr Herrn, dass ich dem Streit entsage,
vergesst, ich bitt!, die Mühsal dieser Tage:
Wir haben, Gajané und ich, uns diese Nacht verlobt.


Epilog

Der Verfasser

Liebe geduldige Leser und –innen, ich danke!
Eure Geduld ist unendlich und großer Respekt ist
meine Verbeugung vor allen Poeten des Forums!
Hab ich nur hundert, nur fünfzig, nur zwanzig, nur sieben
weibliche Leser gewonnen und mäßig begeistert,
leiste ich gerne Verzicht auf die männlichen User,
schlägt doch mein goldiges Herz nur den reizenden Damen.
Schluss jetzt und – Amen!


Um das Googlen zu ersparen, sind hier einige Begriffserläuterungen.

„Römer“ Ruhmesbechergeschliffene Weingläser
„Orpheus“ Sänger der griechischen Mythologie hier als allgemeine
Anrede für einen Sänger
Hayastan“ Armenien in der Landessprache
„Ararat“ der heilige Berg der Armenier, von ihnen „Masis“ =
Mutterberg genannt
„Klingen“ "Degen" pars pro toto für Schwertträger
„Barde“ Sänger
„kaukasische Gipfel“ Gipfel/Berge des Kaukasus im Norden Armeniens
„Sevan“ der in ca. 2000 m hoch liegende sehr große Süß-
wassersee nördlich von Jerevan
„Khatchkare“ im Siedlungsgebiet der Armenier „Kreuzsteine“ (Steinmetzarbeiten)
„Obsidian“ ein gläsernes Mineral, der auch zu Schmuck verarbeitet wird
„Ikonen“ Heiligenbilder (eigtl. der orthodoxen Kirche); Armenier
sind armenisch-apostolisch; Staatsreligion seit 301 nC
„Gajané“ ein sehr beliebter Mädchenname in Armenien (der
Säbeltanz aus gleichnamigen Ballettmusik von Aram Khatchaturian) Khatchaturian)
„Aprikosen“ die „armenische Pflaume“, eine saftige, gold-orange- orangefarbene farbene Frucht, die in Armenien kultiviert wurde
„schwarzer See“ =
„Schwarzes Meer“ bis dahin dehnte sich westwärts das Königreich Hayastan aus
„Sayat“ berühmter armenischer Dichter
„Selene“ für Mond (griech. Göttin des Mondes)
„Erebuni“ die Festung, die Eriwan (Yerevan), der Hauptstadt
Armeniens den Namen gab
„Masis“ der große Ararat
„Sis“ der kleine Ararat
„Mesrop“ Mönch und „Erfinder“ der armenischen Schrift;
Bibelübersetzung 1000 Jahre vor Luther
„Gedse Hayastan“ Es lebe Armenien
„Hay“ Selbstbezeichnung der Armenier
„Komitas“ berühmter Komponist, insbes. Kirchenmusik (Selbstmord in Paris, weil er die Gräuel des
Genozids (1915) nicht verarbeiten konnte
Heinz ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 02.08.2016, 21:29   #2
Thing
R.I.P.
 
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Dabei seit: 05/2010
Beiträge: 34.998

Das Land hält Dich für alle Zeit gefangen.

"If I only had Time..."

würde ich mich diesem Gebilde widmen, aber morgen früh bin ich schon hergerichtet für meine OP.
Ich bitte um Geduld.

Schön, daß Du ein Glossar angehängt hast!

LG
Romulus Thing
Thing ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 02.08.2016, 22:08   #3
männlich Heinz
 
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Dabei seit: 10/2006
Ort: Reimershagen in Mecklenburg-Vorpommern, Nähe Güstrow
Beiträge: 7.879

Standard Gajane

Guten Abend, meine Liebe!
Erst einmal ist Daumendrücken für Dich angesagt! Ich bin in Gedanken bei Dir und erhoffe für Dich das Beste!
"Das" Land lässt mich nicht los und das letzte Wochenende habe ich bei meinen Freunden in Trier zugebracht und da ist Armenien immer ein Hauptthema. Seit kurzer Zeit habe ich einen EMail-Kontakt mit einer Professorin in Salzburg. Sie weiß so viel über das Land und seine Geschichte, dass ich blass vor Neid werde. Anlass genug, meine Gajane noch einmal zu überarbeiten. Ich befürchte nur, dass den meisten das Ding zu lang ist, aber für Kurznachrichten bin ich nicht zu gebrauchen.
Noch einmal: Alles Gute, alles Liebe!
Heinz
Heinz ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 02.08.2016, 22:24   #4
Thing
R.I.P.
 
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Dabei seit: 05/2010
Beiträge: 34.998

Vielen Dank, Heinz-Heinz!

Hoffentlich bis bald -

mit liebem Gruß:
Thing
Thing ist offline   Mit Zitat antworten
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