Poetry.de - das Gedichte-Forum
 kostenlos registrieren Forum durchsuchen Letzte Beiträge

Zurück   Poetry.de > Gedichte-Forum > Gefühlte Momente und Emotionen

Gefühlte Momente und Emotionen Gedichte über Stimmungen und was euch innerlich bewegt.

Antwort
 
Themen-Optionen Thema durchsuchen
Alt 30.01.2008, 11:08   #1
Franke
 
Dabei seit: 05/2007
Beiträge: 539

Standard Boden ständig

Die Anlässe werden
selten und Haut
ein brüchiges Tuch
durch das
vergessene Wörter gleiten

Noch geerdet
schreie ich uns die Vögel
aus der Stimme
Franke ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 31.01.2008, 13:39   #2
Tamiflu
 
Dabei seit: 02/2007
Beiträge: 129

hallo franke,
im titel das in der regel positiv besetzte "bodenständig". das ist einer mit realblick, keine narreteien, keine luftsprünge in irgendwelche wolkenkuckucksheime.
die "normalen" biografischen erwartungen werden in der bodenständigkeit vorhersehbar, berechenbar.
die durch die trennung erfahrene zweite bedeutung drückt den leser selbst schon nach unten in richtung boden, denn ständig am boden bedeutet dann auch der verlust der phantasie und der vorstellung fliegen zu können, entfliehen zu wollen, das spontane und nicht vorhersehbare zu unternehmen.

dieses thema wird im gedicht weiterentwickelt. wobei mir die wahl des wortes "anlässe" sehr gefällt, denn es bleibt vieles offen.
ich kann hier assoziieren, die anlässe in einer beziehung werden selten, die aus dem alltagstrott herausragen und die welt plötzlich ganz klein erscheinen lassen, als flöge man und schaute von oben herab.

doch das gegenteil geschieht, die s2 zieht den leser auf den boden der tatsachen, das ist das altern, die brüchigkeit der worte, das heißt auch das verblassen des dialoges, des sich etwas zu sagen haben.
die vergessenen wörter stehen für die unfähigkeit, das richtige wort zu finden. es gibt keine gemeinsame sprache mehr und die worte aus der erinnerung finden keinen halt mehr im alltag.

in der s2 stemmt sich das lyrich gegen diese zerfallserscheinungen und die eigene ohnmacht. der schrei erscheint fast schon als flugversuch.
dabei kann man "schreie ich uns die vögel aus der stimme" mehrdeutig lesen. einerseits als ein aggressiver akt, dann reiße ich uns den letzten traum aus dem leib, um nicht im spannungsfeld zwischen anspruch und realität zu leiden, andererseits eine beschwörung ein herbeirufen von anlässen, flugversuchen und ein entfernen vom geerdet sein.

das gefällt mir gut.

lg tamiflu
Tamiflu ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 31.01.2008, 13:53   #3
Franke
 
Dabei seit: 05/2007
Beiträge: 539

Hallo tami!

Danke für deine ausführliche Interpretation. Du hast wie immer den Text sehr feinfühlig erfasst.
Zur Strophe 2: Hier trifft der "aggressive Akt" meine Intention am besten.
Aber die zarteren Gemüter dürfen natürlich die angenehmere Version wählen.

Danke und liebe Grüße
Manfred
Franke ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 31.01.2008, 19:10   #4
mabel
 
Dabei seit: 04/2006
Beiträge: 93

Standard RE: Boden ständig

Hi Franke,

Deine Zeilen klingen so schön ehrlich, trotzig und aufmüpfig. Das mag ich. Da merkt ein bodenständiges LI, das auch sehr wohl weiß, wie angenehm das ist, bodenständig zu sein und wie gut es ihm tut, dass immer Boden manchmal richtig nervt. Ständig am Boden bringt den Bodenständigsten um. Wenn das also das LD schon nicht kapiert, muß man schreien und sich ganz unkonventionell in die Lüfte erheben, um die Träume zu erhaschen, die das bodenständig sein so süss machen und es ermöglichen, überhaupt wieder gewollt bodenständig zu sein.

Mabel
mabel ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 31.01.2008, 19:19   #5
lyrwir
 
Dabei seit: 06/2007
Beiträge: 449

Hallo Franke,
nachdem schon alles gesagt wurde, sage ich; das gefällt mir sehr, nüchtern, trocken und dann ein Aufbegehren.
Gerne gelesen,
LG,
LW (Helau!)
lyrwir ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 31.01.2008, 19:58   #6
Franke
 
Dabei seit: 05/2007
Beiträge: 539

Hallo lyrwir!

Danke fürs Lesen und Mögen.
Ein Schrei in die Stille, bzw. Brüchigkeit kann manchmal Wunder wirken.

Liebe Grüße
Manfred
Franke ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 02.02.2008, 14:50   #7
Inline
 
Dabei seit: 07/2006
Beiträge: 626

Hi Franke,

diese gefällt mir. Vor allem da die Bildlichkeit so deutlich den Titel des Textes trifft, was nicht leicht zu immitieren ist.

Auch klanglich passt das. Es sind keine Worte dabei die mich inhaltlich stören bzw. schlecht für den Sprachfluss sind.

Wie ich finde, eine schöne, tiefe Sprache.

LG Inline bzw. Wolfgang
Inline ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 02.02.2008, 16:22   #8
männlich Perry
 
Benutzerbild von Perry
 
Dabei seit: 11/2006
Alter: 71
Beiträge: 3.762

Standard RE: Boden ständig

Hallo Franke,
ich kann mich dem Lob nur anschließen. Die durch die brüchige Haut gleitenden Wörter sind mir zwar etwas zu surreal (wozu hat man einen Mund), aber dafür ist das Schlussbild einfach Klasse!.
LG
Perry
Perry ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 03.02.2008, 13:59   #9
Franke
 
Dabei seit: 05/2007
Beiträge: 539

Hallo Wolfgang und Perry!

Danke fürs Lesen und Kommentieren.
Anscheinend bin ich hier meinem Wunschbild, mit wenigen Worten viel zu sagen, etwas näher gekommen.
Die brüchige Haut meint, dass unsere dicke Haut, die uns manchmal einiges übersehen bzw. überhören lässt, nun durchlässig geworden ist.

Liebe Grüße
Manfred
Franke ist offline   Mit Zitat antworten
Antwort

Lesezeichen für Boden ständig

Themen-Optionen Thema durchsuchen
Thema durchsuchen:

Erweiterte Suche



Sämtliche Gedichte, Geschichten und alle sonstigen Artikel unterliegen dem deutschen Urheberrecht.
Das von den Autoren konkludent eingeräumte Recht zur Veröffentlichung ist Poetry.de vorbehalten.
Veröffentlichungen jedweder Art bedürfen stets einer Genehmigung durch die jeweiligen Autoren.