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Düstere Welten und Abgründiges Gedichte über düstere Welten, dunkle und abgründige Gedanken.

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Alt 11.05.2013, 01:42   #1
gummibaum
 
Dabei seit: 04/2010
Alter: 70
Beiträge: 10.909

Standard AIDS

Ich sah ihn geöffnet, Pathologie,
ich kannte ihn nicht, vergesse ihn nie,
er war noch jung, die Züge entstellt
und in seinem Innern - ein Himmelszelt.

Nie hatt ich zuvor, wie in Milchstraßen fein
die weißen Partikelchen, überaus klein,
in allen Organen verstreut gesehn,
Tumore, gespenstisch, grausam, fast schön.

Jetzt lag er vor mir, er war sehr schmal,
ein Fixer, ein Stricher, ein Zufall der Wahl,
ich kannte ihn nicht, er hat sehr gelitten,
bevor er die Grenze gestern durchschritten.
gummibaum ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 11.05.2013, 03:16   #2
Thing
R.I.P.
 
Benutzerbild von Thing
 
Dabei seit: 05/2010
Beiträge: 34.998

das "fast schön" kann (wie ich finde) nur dem Pathologen schmecken.
Ich erinnere mich heftig an den Film, den Kurt Raab zu seinem Sterben aufnehmen ließ.
Er wußte genau, wo und wann er sich infiziert hatte, äußerte aber kein großes Bedauern, sondern nahm es als gegeben hin.
Kaposivoll die Haut, der einstmal fast feiste Mann zum Skelett abgemagert -
aber die Stimme ungebrochen und der Künstler gelassen Meister seiner selbst -

das ist in meinen Augen groß.
Thing ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 11.05.2013, 07:47   #3
weiblich C.Alvarez
 
Benutzerbild von C.Alvarez
 
Dabei seit: 07/2006
Ort: Mauritius, stella clavisque maris indici
Beiträge: 4.889

Lieber gummibaum,

gar nicht lange her, da warf ich dir mangelnde Innovationen deiner Texte vor, und schon heute belehrst du mich eines Besseren.
Die Schönheit der Ursachen des Todes und des Leides, wer hätte gedacht, wie einfühlsam und behutsam dieses Thema behandelt weden kann? Du zeigst es.
Und die oft nicht so recht nachvollziehbare Widersprüchlichkeit der Empfindungen. Ja, der Tod und seine Ursachen können durchaus ihre eigene grausame Schönheit haben, so ungerecht sie auch sein mag.
Der obduzierende Arzt erkennt in den zerfetzten Organen und dem toten Körper der geschändeten Achtjährigen auch eine Schönheit, die ihre Ursachen in schwer nachvollziehbaren, aber in sich logischen Emotionen hat.
Dir ist es hier mit deinem Text gelungen Leid, Sterben und den Tod in vielen verschiedenen Facetten darzustellen, ohne ihn, wie so viele Texte, auf ein unerwünschtes Ereignis zu reduzieren.
Sehr gern gelesen und gefühlt, dieses Gedicht.

Corazon
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Alt 11.05.2013, 11:51   #4
weiblich Ex-Nitribitto
abgemeldet
 
Dabei seit: 08/2011
Ort: Berlin
Beiträge: 407

Standard Aids

Hallo Gummibaum,

das Gedicht finde ich fast gut geschrieben, bis auf die Metapher des Himmelszelts, die du dir nun wirklich hättest schenken können, und ein paar metrische Holperer. Wobei ich mich aber frage, worauf willst du mit diesem Gedicht hinaus? Soll das nun eine Anleitung sein zum schöneren Sterben (holt euch kein Aids, sonst ergeht es euch wie dem da)? Ein Toter ist ein Toter. Kein Toter ist wirklich schön, an irgend etwas ist er gestorben, und das hat Spuren hinterlassen, das ist doch selbstverständlich.

Das Gedicht macht für mich erst Sinn, wenn du als Autor zu dem Toten eine Beziehung hattest und nun seiner im Gedicht gedenken willst. Und das müsste auch aus dem Titel ersichtlich sein. Ansonsten nennt man das Voyerismus, und den sollte man auch dann, wenn einem die tiefsinnigsten Formulierungen einfallen, nicht nur aus geschmacklichen Gründen auf jeden Fall vermeiden.
Wobei ich mich nebenbei frage, ob man 1. Angehörigen die aufgeschnittene Leiche zeigt, 2. ob man anderenfalls Aids-Tote zur öffentlichen Besichtigung (in einer Pathologie!) freigibt.

Gruß, Nitribitto
Ex-Nitribitto ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 12.05.2013, 13:04   #5
gummibaum
 
Dabei seit: 04/2010
Alter: 70
Beiträge: 10.909

Hallo Thing,

danke. Den würdigen Umgang mit der Krankheit konnte ich in diesem Zusammenhang nicht zeigen.

Hallo Corazon,

danke. Ja, Tod, seine Ursachen und Umstände, können durchaus faszinieren.

Hallo Nitribitto,

"Himmelszelt" habe ich trotz eigener Bedenken erst einmal stehen gelassen. Der Ausdruck führt an dieser Stelle zum kindlichen Staunen und Erschrecken über das Neue.

Ich habe zwei Jahre lang in der Pathologie gearbeitet, wenngleich hauptsächlich in der Forschung.

LG gummibaum
gummibaum ist offline   Mit Zitat antworten
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