Wider die sonettflut

[Fridolin]

(Robert Gernhardt, der am 30. Juni 2006 gestorben ist, gewidmet)

Frei nach dem bekannten Gedicht von Robert Gernhardt
»Materialien zu einer Kritik der bekanntesten
Gedichtform italienischen Ursprungs«

Noch immer schreiben Dichter gern Sonette,
in denen sie Natur und Mensch besingen,
verzopfte Verse, die im Gleichklang schwingen,
erträglich nur mit einer Schmerztablette.

Sie dichten in Tenzonen um die Wette,
noch mehr bekackten Stuss zustand zu bringen,
den schlappen Geist in das Korsett zu zwingen,
bemühen sie sich selbst auf der Toilette.

Den Sonettisten mangelt es an Dichtung.
Wenn Vierzehnzeiler hemmungslos entweichen,
dass sie in Clos und Badewässern laichen,
nenn ich so etwas Poesie-Vernichtung.

Ich kann darauf auch ohne Neid verzichten:
Sonette dichten heißt die Zeit vernichten.

[Thing]

Heute nicht
"d'accord".



Zumal U.G. nicht zu meinen Favoriten zählt.
Ich kenne ihn seit seinen Frankfurter Anfängen bei Nikel.
Seine Fortschritte waren für mich nicht dermaßen bewundernswert, daß ich ihm hätte nacheifern wollen.

Immerrhin hast Du die englische Form gewählt - das ist auch was!


Nicht grollen!

LG
Thing

[Fridolin]

Zitat von Thing

Immerrhin hast Du die englische Form gewählt - das ist auch was!


Nicht grollen!

LG
Thing

Hi Thing,

warum sollte ich grollen? Nur weil du Gernhardt nicht so schätzt wie ich? Für mich ist er einer der bedeutendsten Humordichter der letzten Zeit.

Mein Antisonett folgt übrigens nicht der englischen Struktur. Shakespeares Sonette stehen in den Quartetten und Terzetten im Kreuzreim.

LG Fridolin

[Pit Bull]

Hallo Fridolin!

Dein jambuslastiges „Anti-Sonett“ klingt wie immer gekonnt - Anti-Sonett ja auch deshalb, da es kein Sonett ist. Ich sehe viel mehr 3 Strophen mit umarmenden Reimen und im Abschluss einen Paar-Reim.

Am Rande:
Ich verneige mich vor Deiner Kunst insgesamt, denn ich habe selten einen so exzellenten Schüttel-Reimer wie Dich erlebt.

VG Pitti

[Thing]

Zitat von Pit Bull

Am Rande:
Ich verneige mich vor Deiner Kunst insgesamt, denn ich habe selten einen so exzellenten Schüttel-Reimer wie Dich erlebt.

Das kommt zu dieser besternten Ernte noch dazu!

[Ilka-Maria]

Zitat von Fridolin

Für mich ist er einer der bedeutendsten Humordichter der letzten Zeit.

Für mich auch, lieber Fridolin, ich liebe seine Gedichte, seit ich durch einige Zeitungsartikel der F.A.Z. auf ihn aufmerksam geworden bin.

Was Dein Sonett angeht, liest es sich sauber und gut. Im Unterschied zur Gernhardt'schen Vorlage, in der das Sonett an sich "runtergemacht" wird, greifst Du die die sonettbesessenen Dichter an. Eure "Beschimpfungen" decken sich aber darin, dass sie durch die Wahl der Sonettform selbstironisch und völlig absurd werden. Das hast Du gut gemacht.

LG
Ilka

[Fridolin]

Zitat von Pit Bull

Hallo Fridolin!

Dein jambuslastiges „Anti-Sonett“ klingt wie immer gekonnt - Anti-Sonett ja auch deshalb, da es kein Sonett ist. Ich sehe viel mehr 3 Strophen mit umarmenden Reimen und im Abschluss einen Paar-Reim.

Am Rande:
Ich verneige mich vor Deiner Kunst insgesamt, denn ich habe selten einen so exzellenten Schüttel-Reimer wie Dich erlebt.

VG Pitti

Hallo Pitti,

deine hohe Meinung für meine Schüttelgedicht freut mich sehr, aber hier geht es um die Sonettdichtung. Deshalb bitte ich dich, mir mal zu erklären, warum mein Gedicht kein Sonett sein soll? Und was meinst du mit "jambuslastig"? Dieser Versfuß ist doch typisch für Sonette!

Ich befasse mich seit einiger Zeit intensiv mit der Gedichtform Sonett. Nach meinen Recherchen sind im klassischen Sonett nach Petrarca in den Quartetten umarmende Reime gefordert. Dagegen gilt in den anschließenden Terzetten eine weitgehende Formfreiheit. Was spricht also gegen ein Sonett mit drei Strophen in umarmenden Reimen und einem abschließenden Paarreim?

Ein Beispiel von Oskar Loerke:

Blauer Abend in Berlin

Der Himmel fließt in steinernen Kanälen,
Denn zu Kanälen steilrecht ausgehauen
sind alle Straßen, voll vom Himmelblauen;
und Kuppeln gleichen Bojen, Schlote Pfählen.

Im Wasser schwarze Essensdämpfe schwelen
und sind wie Wasserpflanzen anzuschauen.
Die Leben, die sich ganz im Grunde stauen,
beginnen sacht vom Himmel zu erzählen.

Gemengt, entwirrt nach blauen Melodien,
wie eines Wassers Bodensatz und Tand
regt sie des Wassers Wille und Verstand
im Dünen, Kommen, Gehen, Gleiten, Ziehen.

Die Menschen sind wie grober bunter Sand
im Lindenspiel der großen Wellenhand.

Deutsche Sonette, Herausgegeben von Hartmut Kircher
PHILIPP RECLAM JUN.STUTTGART 1979

Liebe Ilka,

dein Kommentar gefällt mir umso besser, als er meine Intentionen vollkommen korrekt beschreibt. Vielen Dank dafür.

Hi Thing,

ich hatte deinen Kommentar hier vergessen, aber der rühmt ja auch mehr den Schüttelreimer.

LG Fridolin

[Pit Bull]

Zitat von Fridolin

Hallo Pitti, ...hier geht es um die Sonettdichtung. Deshalb bitte ich dich, mir mal zu erklären, warum mein Gedicht kein Sonett sein soll? Und was meinst du mit "jambuslastig"? Dieser Versfuß ist doch typisch für Sonette!

Ich kläre Dich gerne auf Fridolin:
Ich bin, was die Sonett-Dichtung betrifft, ziemlicher Laie, so daß ich bei Deinem Gedicht hier keine klassische Sonett-Form erkennen konnte. Ich kenne eben nur die "klassische" Form, wo ein Sonett 14 metrisch gegliederte Verszeilen (die in der italienischen Originalform in vier kurze Strophen eingeteilt sind) bestehen, also zwei Quartetten und zwei sich daran anschließenden Terzetten und auch nur im Kreuz-Reim.
Und das "jambuslastig" war nur eine Bemerkung am Rande, nichts weiter Wichtiges.

VG Pitti