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Alt 25.01.2007, 00:04   #1
Inti
 
Dabei seit: 01/2007
Beiträge: 17


Standard Mann in Arbeit

Er hatte es seiner Frau schon hundert Mal gesagt. Er hatte es ihr gesagt, als sie sich kennen lernten, vor der ersten gemeinsamen Wohnung, beim Essen mit den Schwiegereltern im „Stadtpfeifer“, vor der Hochzeit, während der Hochzeitsnacht, am Morgen danach. Eigentlich sagte er ihr es ständig, als ob sie dement wäre und in der nächsten Sekunde seinen Namen, Geburtstag und sexuelle Vorlieben wieder vergessen würde. Nein, so etwas vergessen Frauen nicht. Doch es hatte den Anschein, als hätte sie es wieder vergessen. Er kann nicht immer so wie er will.

„Du hattest gesagt, das Wochenende ist frei. Das hab ich ganz genau gehört. Ich werde doch noch wissen, was ich gehört habe. Freitag zu Rita und Rolf abends ins Gewandhaus und Samstag bummeln und abends Schaubühne. Du hast gesagt ‚kein Problem’. Und nun? ‚Schatz, ich muss doch zur Arbeit. Versteh’ das doch Schatz. Mein Chef hat gesagt Schatz. Ich bin wichtig Schatz.’

Das konnte einen schon zur Weisglut treiben. Besonders, dass sie die ihm zugeschriebenen Parts mit einer an einen Zurückgebliebenen erinnernden Stimme nachäffte. Hielt sie ihn für beschränkt?
Ja, sein Job war nicht von der komplexesten Sorte. Das könnten viele. Aber es machen eben nicht alle. Er lernte viele Seiten der Stadt und die unterschiedlichsten Menschen kennen. Alle Schichten, alle Kleidungsstile, alle Einstellungen. Eigentlich könnte er nach einigen Jahren sogar Bürgermeister werden. Sowas von volksnah, das gab es kaum ein zweites Mal. Er kannte die Nöte und Sorgen der Menschen, ihre Wünsche und Hoffnungen. Er im Rathaus. Und ‚Zack’. Dazu machte er eine Geste, die er für bedeutsam oder ausdrucksstark hielt gegen das Fenster. Er erschrak angesichts des Spiegelbildes, welches er erblickte. Ein Mann im verdreckten, blau-türkisen Trainingsanzug lugte unter einer zerschlissenen Schirmmütze hervor. Beim Husten spritzten gelbe Fäden aus seinem Mund und zerflossen an der zerkratzten und vom Herbstwind oder Jugendlichen malträtierten Scheibe. Er musterte den Mann, doch der drehte sich schnell weg und stierte geradeaus auf die ansonsten menschenleere Straße.

Sonntagvormittag waren ja nie besonders viele Menschen auf der Straße. Er gönnte es den Leuten. Aber der da. Der will doch jetzt bestimmt ins Bett. Falls er denn überhaupt eines besitzt. Er gähnte und wühlte die Uhr aus der Tasche. 7.36 Uhr. Wo bleibt denn die Bahn? Es gibt Menschen, die zur Arbeit müssen.

„Ist dir eigentlich bewusst, was du machst? Du stößt Leute schnell mal ins Unglück. Ich meine sowas kann man ja mal vergessen, in der Eile, oder das Dingsda funktioniert nicht. Aber nein, alles muss seine Ordnung haben.“

„Ich hätte auch gern was anderes gemacht. Aber es hat sich nun mal so ergeben. Ich muss das ja nicht ewig machen.“

„Na das will ich auch sehr hoffen. Da wäre ich ja lieber die Frau vom Würstchenverkäufer. Der hätte bestimmt mehr Zeit und sein Ansehen ist höher.“

„Ach danach geht’s doch auch nicht immer. Nun krieg dich aber ein. Immerhin stehe ich in verantwortungsvoller Stellung. Von mir hängt so einiges ab.“

Was dann ihrerseits kam, war ein - mehr gespielter als echter, davon war er überzeugt – Lachanfall, mit Gurgellauten und Atemnot.

Er war zu seiner Schicht gegangen. Das hält ja keiner aus. Die zwei folgenden Abende hatte er allein vorm Fernseher verbracht. Sie war weg. Mit Rita. Und Rolf.
"Ich kann auch ohne dich!“ Sie hatte versucht durch das Zuschlagen der Wohnungstür Souveränität auszudrücken.

Ich kann auch ohne dich. Er hatte die Werbung für Telefonsex angeregt verfolgt.

Endlich kam die Bahn. Er schaute noch mal kurz nach links und rechts und betrat tief durchatmend den Innenraum.

„Biste vonne Bullen?“ fragte der Frühheimkehrer, als er den Ausweis vor die roten Augen gehalten bekam und lehnte sich rülpsend wieder in den Sitz zurück. „Stellen die auch Würstchen wie dich ein?“

Der Tag fing gut an.
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