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Alt 17.12.2016, 04:04   #1
männlich Heinz
 
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Standard 24. u. 25. Kapitel Urlaub in Jena

24. Kapitel

„Huhu, seid ihr zuhause?" - „Hi, Diana, komm rein!“. Diana, zwei Flaschen Wein unter dem Arm, schob die langen Schnüre, die den Fliegen, Mücken und Wespen den direkten Landanflug versperren sollten, beiseite: „Na, ihr Lieben, wie geht es euch?“ Küsschen links, Küsschen rechts und: „Uff, ich hab vielleicht einen blöden Tag hinter mir; habt ihr Lust euch mit mir gepflegt zu besaufen?“ - „Komm, setz dich erst einmal und verrate mir, wie du an einen fünfundsechziger Gewürztraminer kommst?“ - „Hab ich vom Papi zum Abi bekommen und der hat ihn von seinem Freund aus dem Westen; der schenkt ihm jedes Jahr eine kleine Kiste, aber jedesmal mit einer anderen Sorte.“ - „Dann wollen wir uns aufraffen und ein gutes Werk tun - der edle Tropfen wird uns Gesellschaft leisten.“ - „Gutes Werk? Ich könnte zur Meuchelmörderin werden! Die Blödmänner haben mir meinen Studienwunsch endgültig abgeschlagen, Physik, Mathematik adieu - Pädagogik darf ich, ich könnte heulen.“ - „Und das nur, weil dein Vater zur Intelligenzia gehört und nicht zufällig Parteigenosse und Funktionär bei der SED?“ - „Ich bin ja nicht die Einzige. Claudia, meine Freundin wollte Medizin studieren und Ärztin werden - ihr Papa ist Chirurg und hat für Partei und so ein Zeug keine Zeit. Medizin? Pustekuchen! Sie „darf“ wie ich Pädagogik studieren. Na ja, werden wir wohl machen und hoffen, dass wir vielleicht noch umsteigen können.“ Es folgten noch einige Verwünschungen des Regimes und scharfsinnige Beurteilungen des einen oder anderen „Avantgardisten“ der Arbeiterklasse, aber das flüssige Gold entfaltete nicht nur sein köstliches Bouquet, sondern ließ auch jenen Geist aus der Flasche über die Zunge rollen, den Schlund benetzen, den Magen erobern, um dann - o Wunder - in die Köpfe zu steigen und ganz wunderliche Bilder zu malen. Man kann diese Schilderung auch abkürzen und sagen: Wir bekamen langsam aber sicher einen in die Krone.
„Habt ihr Lust auf ein Skatspiel bis Jaqueline nach Hause kommt?“ An mich gewendet: „Kannst du Skat spielen?“ Ich mimte den Beleidigten und antwortete, um die beiden dann beim Spiel zu überraschen: „Na ja, so ein bisschen, aber ich lerne gern dazu.“ Elischa holte einen Packen Spielkarten aus dem Schrank, zählte sie blitzschnell durch und: „Jeder zieht eine Karte, wer die höchste hat, ist Geber.“ Das Ritual war mir bekannt, aber die Karten ... ach du heiliger Bimbam, in Thüringen wurde ja mit Altenburger Karten gespielt, ich kannte eigentlich (d.h., die Altenburger hatte ich schon mal gesehen) nur das französische Blatt. Dieses Handicap gab ich bekannt und wurde fix aufgeklärt: „7,8,9 und 10 kennste, der Bube ist bei uns der Unter, aber du kannst ruhig Bube sagen, wir wissen schon, was du meinst; die Dame ist hier der Ober, aber Dame gefällt uns auch besser, also bleiben wir bei Dame, König ist König und dein Ass heißt hier Daus.“ - „Und die Farben?“ - „Siehste doch - ach so, ich weiß schon, was du meinst. Fangen wir unten an: Karo ist bei uns Schellen, siehste, hier die Kullern; Herz - überall ist Herz gleich Herz, dein Pik ist hier das Blatt in grün und Kreuz sind hier - freu dich - die Eicheln.“ Na schön, das werde ich schnell kapieren. Die Skatsprüche und bestimmte Bezeichnungen unterscheiden sich nicht, wie ich bald feststellen konnte und die typischen Machosprüche schienen den beiden besonders zu gefallen, besonders wenn es darum ging, dass ich gefälligst „Eichel Hand Ouvert“ zu sagen hätte statt „Kreuz Hand Ouvert“ und bei der Aufforderung „Hosen runter“ meine getrost anbehalten dürfe. „Hättste mal die Dame nicht gedrückt“ oder „wenn ich Dame spiele, darfste ruhig nen König drauf legen“ - das waren gesamtdeutsche Floskeln und die lockern ein Spiel immer nett auf. „Geben - Hören - Sagen - Weiter“ - für Laien schwer verständlich, dabei eigentlich ganz einfach: Der „Geber“ mischt die Karten, lässt seinen Nebenmann „abheben“, also den durchgemischten Kartenstapel, den der Geber auf den Tisch legt (Bild nach unten), etwa in der Hälfte teilen, damit es noch zu einer weiteren Durchmischung der Karten kommt und der Geber sich nicht durch Geschicklichkeit und kriminelle Veranlagung den „Alten“ (den Eichelunter bzw. Kreuzbuben) zuunters mischt, damit er ihn bei der Verteilung der Karten in seine Finger bekommt. Gemischt, abgehoben, jeder 10 Karten auf der Kralle, die zwei übrigen bleiben erstmal verdeckt auf dem Tisch (im Skat) liegen.
Ist das dazu angetan, jemanden zum Skatspielen zu verführen? Nee - jetzt kommt der erste spannende Spielzug - das Reizen. Ich werde jetzt nicht die Skatregeln erklären, aber beim genauen Hinhören kann einem schon das Wasser im Mund zusammen laufen. „He, schlaf nicht ein, du bist bei Diana mit dem Reizen dran!“ - das hört sich doch viel versprechend an.
„Hosen runter“ oder „Mach dich nackig“ beim Ouvert ist doch auch nicht übel. Das Spiel begann. Die beiden haben mich dermaßen abgezockt - es war eine wahre Pracht, wenn sie mich, wenn ich Alleinspieler war, als Gegenpartei gekonnt aufs Kreuz, pardon, hier muss ich ja sagen: wenn sie mich gekonnt auf die Eichel legten. Die Summe meiner Miesen auf dem Punktezettel stieg ins Unermessliche - der Einsatz, ein Abendessen für alle, war verspielt. Was lernt man daraus? Ein Mann gegen zwei Frauen - das arme Schwein hat keine Chance.
Mit erhabender Gelassenheit ertrug ich meine Blamage und schwor, dass ich sie beim nächsten Mal nass machen würde. Und - was habe ich mit meiner Drohung erreicht? Im Duett kam zurück: „Au ja, mach uns nass, aber so richtig!“ Skat kann so kompliziert, aber auch so einfach sein.
Die Stille der nacht wurde von dem typischen Knattern eines Trabbis unterbrochen, das unterhalb des Gartens erstarb und kurz darauf - rängtängtäng - wieder einsetzte und sich langsam verlor. Jaqueline war nicht mit einem Taxi gekommen, ein netter Bursche hatte sie nach Hause gebracht.
Diana und Jaqueline verstanden sich auf Anhieb und nach ein paar Sätzen hatten alle außer Jaqueline Sendepause. Ihr Plappermäulchen stand nicht still, ihre Wangen färbten sich rot und wir bekamen eine ausführliche Schilderung des Films. „Dass wir den hier hin gekriegt haben, ist wie ein Wunder, ich kann euch sagen, da gings aber zur Sache!“ Die zweite Flasche Wein war Glas für Glas mit andächtigem Schweigen und dem Nachspüren des Geschmacks geleert, erste Ermüdungserscheinungen waren nicht mehr zu übersehen. „Komm doch mit zu mir rüber, dann können die beiden Turteltäubchen unter sich bleiben“, war Dianas Angebot an Jaqueline und leicht beschwipst hakten sie sich unter, sagten artig „Gute Nacht, schlaft schön“ und entschwanden Richtung Gartenzaun. Leise klang ihr Kichern zu uns, etwas lauter war das Scheppern der Regentonnenabdeckung und das „Aua!“, von wem auch immer. Nächtliche Stille ließ uns vermuten, dass nichts Schlimmes passiert war, bestimmt hatte sich eine der beiden Amazonen beim Überklettern des Zaunes überschätzt.
„Der Gewürsstraminer hat es aber ganss schön in ssich“, lispelte allerliebst Elischa, „weiss du was, wir schpielen Brüderlein und Schwesterlein und gehen brav in die Heia.“ - „aber bitte, keinen In--sess, ich bin auch wie erschossen.“ (Auch meine Zunge gehorchte nur noch bedingt den neuralen Befehlen meines Sprachzentrums). „Nee, heute nich mehr, der Tagesordnungspunkt (wie hat sie dieses Wort fehlerfrei hingekriegt?) wird vertagt."- „Dann lass uns schlafen, in drei Stunden klingelt der Wecker!“ - „Wieso Wecker?“ - „Weil wir nachher einen Sonnenaufgang erleben wollen und der Wetterdienst hat einen schönen versprochen.“ - „Egal, dann müssen wir eben schneller schlafen.“ Wir schliefen, kaum dass Elischa ihren Po in meinen Schoß gedrängelt, ein paar Worte genuschelt hatte (mehr geahnt als gehört „schlaf gut und weck mich nachher“), sozusagen auf der Stelle ein.


Kapitel 25


Der Wecker, leise, unaufdringlich aber unüberhörbar und unaufhörlich und vor allem - unerreichbar, tat seine Pflicht - er weckte mich. Elischa war wahrscheinlich an Alkoholvergiftung gestorben, da regte sich nichts neben mir und erst mehrfaches Rütteln an der Schulter und mein Flehen: „Los! Raus aus den Federn, rauf auf den Berg - wir können uns ja hinterher noch mal hin hauen.“ ließen erste Lebenszeichen erahnen. „Komm, Liebes, duschen können wir nachher“, ließen Elischa einen Klassiker zitieren: „O wär ich nie geboren!“ Aber sie kletterte aus dem Bett, schlüpfte in ihre Jeans, schnappte sich eins von meinen Hemden, rein in die Sandalen und wir konnten unser morgendliches Vorhaben, einen Sonnenaufgang von der Höhe des Hausberges zu beobachten, in Angriff nehmen. Das hört sich gestelzt an? Ja, wir gingen vorerst wie auf Stelzen, dann sicherer Fuß fassend bergan, kraxelten den Stieg Richtung Fuchsturm hinauf und hielten immer nur dann an, wenn uns die Puste ausging oder Elischa wieder einmal einen Stein zwischen Sandale und Fuß rausschütteln musste.


Der Sonnenaufgang
und seine Begleiterscheinungen auf dem Hausberg zu Jena

Den Sonnenaufgang zu erleben,
mussten wir nach kurzer Nacht
uns zum Fuchsturm rauf begeben,
zwar zog der Glieder Blei mit Macht
mich wieder nieder zur Matratze,
denn ich hatte meinem Schatze
`nen Sonnenaufgang fest versprochen,
also sind wir aufgebrochen.

Steil gings hoch auf schmalen Pfaden,
Füße schmerzen und die Waden.
Stille um uns - ganz verträumt
tut Natur, was ich versäumt:
Schläft in Gottes Morpheus weichen Armen.
"Sachsenmädel, bitte hab Erbarmen!
Hier, wo grün so weiche Gräser sprießen,
lasst uns den ersten Sonnenstrahl begrüßen,
uns freun der goldnen Farbenpracht!
Verständig hat mein Schatz gelacht:

"Du bist vielleicht ein Trümmerhaufen!
Kaum sind `ne Stunde wir gelaufen,
keuchst du wie `n Ochse unterm Joch.
Hat dich das Steigen so geschlaucht?"
Und: "Na gut, du wirst ja noch gebraucht."
So lieblich klingen ihre Worte,
ich breche am erreichten Orte
entkräftet wie ne morsche Birke nieder -
mit zwei Frauen vögeln? Nie, nie wieder!

Was dann geschieht, erfüllt die weidgeschossne Brust
mit Freude, Demut, Staunen, frischer Lebenslust!
Millionen grüner Smaragde blitzen,
funkeln auf den Gräserspitzen.
Farbenspiel wohin man schaut!
Sonne leuchtet, Himmel blaut,
und wir allein auf weiter Flur,
ein Taubenpaar im Baume nur,
schnäbelt, gurrt und ruckt sich an -
auf denn, junger Wandersmann,
es wird Zeit sich zu entschließen,
nackt die Sonne zu genießen!

Kaum gedacht und schon getan:
Nur von Haut bedeckt der Leib
beten wir die Sonne an
- ich wohl mehr das schöne Weib -.
"Schau, dort drüben liebster Schatz!
lockt ein wunderhübscher Platz.
Dort im taubenetzten Gras
zu lieben, das macht sicher Spaß."
Mein Fluchtversuch - im Keim erstickt!
Ihr Judogriff mich graswärts schickt.

Bald beginn ich die Lage zu schätzen:
Glitzernde Frühtauperlen benetzen
meines Liebchens süßen Schoß.
Funkelnd sprühn im krausen Moos
Juwelen, und die schlanken Beine
schmücken tausend Edelsteine -
Die Schönheit jeder andren Frau
verblasst vor der Pracht meines Mädls mit Tau!

Was nun geschah im feuchten Grase,
erzählt euch vielleicht der kleine Hase,
der hakenschlagend die Wiese verlässt,
die wir beide allseitig genässt
in einer Rollkur hangabwärts durchmessen.
Ich selbst hab beinah alles vergessen,
nur nicht, dass dank göttlicher Fügung
kurz vor einer gefährlichen Biegung
ein Baumstumpf, der da stehen geblieben,
den Päppel ihr bis zum Herze getrieben.

Im gleichen Momente ist es vollbracht!
Vom fernen Kirchtum schlägts Glöcklein acht.
Sie liegt ganz still, doch Wangenrot
verrät mir: Sie ist ganz bestimmt nicht tot.
Lachend prustet sie fröhlich und munter:
"Los, wir rollen noch mal runter!"
Mir stockt das Blut, das Herz bleibt stehn,
ich ahne, sie findets wunderschön
und treibt es morgen noch viel krasser -
oh du, mein Schatz, geliebter und nasser.


Es dauerte nur wenige Augenblicke und wir hatten unsere in der Gegend verteilten Kleidungsstücke wieder gefunden, gingen Hand in Hand - nicht der Liebe wegen, sondern weil wir uns gegenseitig haltend vor weiteren, diesmal unfreiwilligen Rollkuren bewahren wollten, gingen also Hand in Hand, stolpernd, rutschend und mit immer noch weichen Knien Richtung Gartenhaus. „Die beiden (klar, gemeint waren unsere beiden Grazien) pennen bestimmt noch.“ - „Wir können ja mal nachschauen - anschließend kannst du Brötchen holen - vielleicht hat der Bäcker noch ein Glas Honig in Reserve, unserer ist nämlich alle.“
Die letzten Meter zum Gartenhäuschen gingen wir fast auf Zehenspitzen, vermieden den Kiesweg und schauten erst einmal durchs Fenster in den kleinen Schlafraum. Hinter uns lag das seelenweitende Naturschauspiel des Sonnenaufgangs, über uns intonierten die kleinen Sänger ihr Konzert, unter uns Jena im leichten Frühmorgennebel und vor unseren Augen - ein Bild, wie es Hamilton nicht schöner hätte fotografieren können: Schneeweißchen und Rosenrot, des einen Gesicht durch die Goldmähne halb verdeckt, umarmt vom anderen, dessen aufgelöste schwarze Haarpracht nur ahnen ließ, das sich darunter etwas Lebendes verbarg, ein nacktes Bein lag quer über dem Unterleib von, ja, von wem? Elischa schaute mich an, ich schaute sie an, beide mussten wir lachen, unterdrückend unser Gekicher und zogen uns lautlos Richtung des eigenen Domizils zurück. Außer Hörweite der noch vom Tiefschlaf Umfangenen sprach Elischa diese Worte, räusperte sich und ließ den Mund die Sätze sagen: „Also nee - diese Jugend von heute!“ - „Genau! Du sagst es, sprichst große Worte gelassen aus!“ - „So ist es! Das hätten wir uns nie getraut!“ - „Das wäre uns im Traum nicht eingefallen.“ - „Ich werde nachher ein ernstes Wörtchen mit meinem Sprössling zu reden haben.“ - „Was, Geliebte, gedenkst du mit dem erforderlichen pädagogischen Impetus dem Gehege deiner Zähne entfliehen zu lassen?“ - „Dass sie auch bei solchen Verfehlungen an die Verhütung denken muss!“ - „Richtig! Man kann nie vorsichtig genug sein.“ In derart weltbilderschütternde Gespräche verwickelt und in unsere Meinung gegenseitig bestärkend, steckten wir uns erst einmal eine Zigarette an, um dann los zu prusten.
„Aber süß sahen die beiden aus, gelle?“
„Beide sahen süß aus,“ echote ich und nur ganz akribische Ohren hören den kleinen Unterschied zwischen den Aussagen.
„Ich bin gespannt, ob sie uns was erzählen.“ - „Wir wissen von gar nichts, aber wenn das Herz voll ist, läuft es schon mal ein bisschen über.“
„Okay, ich saus jetzt erst mal zum Bäcker, du kannst inzwischen duschen und ein bisschen Krach machen, damit die beiden wach werden.“ - „Soll ich auf die Pauke hauen, die wir nicht haben?“ - „Nee, stell die beiden Lautsprecher auf die Terrasse, guck mal in den Plattenschrank, da müsste ne Opernaufnahme von der Aida sein und dann lässt du den Triumpfmarsch den Morgen musikalisch untermalen und - bitte - mach den Boiler nach dem Duschen noch mal an, damit ich nach der Kneippkur im nassen Gras noch ein bisschen warmes Wasser über diesen Götterleib rieseln lassen kann. Tschüss, bis gleich.“
Das Bild der beiden Sappho-Elevinnen ging mir nicht aus dem Kopf und beinahe hätte ich die Frage nach dem Honig vergessen und hatte Glück wie Bolle sein Sohn: Er hatte zwei Gläser für mich! Bepackt mit Brötchen, Eiern - die ich zufällig entdeckte, frischer Milch und der Volkswacht (der Jenaer Tageszeitung) stieg ich aus meiner Karosse und wurde gar lieblich am Gartentörchen empfangen: „Guten Morgen, lieber Bäcker, danke für die Brötchen und - hier der Botenlohn!“ Jaqueline, die rosenfingrige Göttin des frühen Morgens, strahlend und immerhin mit einem Bikinihöschen züchtig bedeckt, überreichte mir den Botenlohn und zerbiss mit dabei die Unterlippe. „Oh, das tut mir Leid!“, kam zerknirscht aus ihrem Mündchen und ich hab geblutet wie ein abgestochenes Schwein. Doch: Grenadier, sei tapfer, kleine Opfer gilts zu bringen und zwar ohne jegliche Klage. Diana lächelte mir entgegen: „O du Armer, bist du auf dein Antlitz gestolpert?“ - „Du großer weißer Vogel, ich danke dir für dein verstehendes Mitleid!“ - „O, mit einem stolzen Schwan hat mich zu früher Stunde noch niemand verglichen!“ - „Ich dachte auch eher an eine blöde Gans.“ Mit einer reflexartigen Ausweichbewegung entging ich dem Patsch mit der Fliegenklatsche, die aufgebissene Lippe hört dank des Alaunstiftes bald auf zu bluten, mit glockenheller Stimme rief Jaqueline:
„Mama, bringst du den Kaffee raus, wir können frühstücken.“ - „Ja, hilf mir mal, ich hab noch für jeden ein Ei gekocht.“
Ich fühlte mich nicht wie im Paradies - ich war Teil dieses Paradieses! Mir wurde nicht, wie man so nett sagt, warm ums Herz, ich war ganz Herz und badete in einem Meer überwältigender Gefühle, versank in lachenden Augenpaaren, aus den Lautsprechern tönte Fritz Wunderlichs Stimme „Zwei Märchenaugen“ und konnte nicht wissen, dass der wahre Text anders, nämlich so hieß: „Sechs Märchenaugen, wie die Sterne so schön/die schönsten Augen, die ich jemals gesehn/kann nicht vergessen ihren strahlenden Blick/kann nicht ermessen mein unendliches Glück“.
Zwischen Frühstücksei und dem ersten Honigbrötchen dann der Sturz in die Realität - Elischas ernste Worte an die cornflakeslöffelnde Jaqueline: „Na, sei ihr gestern gut in die Heia gekommen?“ - „Mama, du kannst Fragen stellen! Hast du es nicht scheppern hören, als ich mich lang hingelegt habe und mir ne Beule eingehandelt habe?“ - „Ach, du warst das?“ -
„Nee, eigentlich war das ein Igel über den ich gestolpert bin. Aber Diana ist in Erster Hilfe eine Eins - Eiswürfel auf die Birne - guck mal, nichts mehr zu sehen! Mir war ein bisschen schwummrig, aber das kann auch an dem einen Schluck Wein gelegen haben.“ - „An einem
Schluck? Kind, du hast fast eine halbe Flasche allein ausgesüppelt.“ - „Ja, aber es war dieser eine Schluck, den ich zuviel getrunken habe.“ Diana mischte sich ein: „Dann erzähl deiner Mama auch gleich, was ich dir noch gekühlt habe!“ - „Ach ja, ich hab doch manchmal so einen leichten Spannungsschmerz in den Brüsten, und du sagst immer, damit müsse ich während des Wachstums leben. Diana, die ist bestimmt eine Zauberin...“ - „oder eine Hexe,“ konnte ich nicht zurückhalten (bisschen Rache für den Fliegenklatschenattentatsversuch musste sein) - „sie hat Zaubersprüche gemurmelt und mit dem Eiswürfel geheime Zeichen auf die Brüste gemalt, unsichtbare Symbole und mir gesagt, dass es ganz normal sei, dass meine Knöspchen ganz hart und eisig kalt wurden,... - ja, das glaub ich dir, das muss ganz schön kalt gewesen sein,...“ - „aber unheimlich geil“ - „Jaqueline, wo hast du denn solche Wörter her?“ - „sagt der Gärtner immer, wenn da so wilde Triebe sprießen.“ - „Und deine Spannungen - sind die jetzt weg?“ - „Nee, hat Diana meine Muschi gleich mit behandelt.“ -
„Mit Eis?“ - „Ich hätte da aber so richtig Gänsehaut bekommen.“ - „Hab ich auch, überall, aber die wollte Diana mit warmen Öl weg machen.“ - „Die Gänsehaut?“ - „Ja, hat sie versucht, hat aber nix gebracht, sie hat dann leise Zauberlieder gesummt, alles unplugged und
alles war gut.“
Das geplante ernsthafte Gespräch hatte auf mich eine seltsame, wachstumsfördernde Wirkung, den ich sofort durch geistige Aktivitäten zu unterdrücken versuchte. Die Morgenzeitung verdeckte die verdächtige Ausbeulung meiner Boxershorts, das Frühstück war eh beendet, ich griff nach meinem Notizbuch, konnte aber den freundlichen Ratschlägen Dianas nicht entgehen: „Du, hau nicht gleich ab, ich könnte dich von deinen Spannungen auch erlösen.“ - „Diana“, ich versuchte einen sonoren Klang in meine heisere Stimme zu bekommen, „Diana, dir scheint nicht bewusst zu sein, dass bei Männern alles anders ist. Eiswürfel haben den gleichen astringierenden Effekt in maskulinen erogenen Zonen wie kaltes Wasser - aus einem stolzen Gott Priap zaubern sie im Nu einen Schrumpfgermanen.“
„Kannst du mir das auch in deutscher Sprache vermitteln?“ - „Natürlich, ich wollte dich nicht schockieren: Im kalten Wasser schrumpft der Schniedel - aus ists mit dem Bumsgefiedel.“
„Los, hau ab und lies die Zeitung!“ Nach einer halben Seite, die gefüllt war mit Meldungen über die wiederholten Plansoll-Übererfüllungen in allen Bereichen der Volkswirtschaft - und wieder haben die Journalisten „vergessen“, auch über den gestiegenen Alkoholkonsum im Arbeiter- und Bauernstaat zu berichten - ließ ich meinen Gedanken zu, sich des reizenden Anblicks zweier Mädchen zu erinnern und nahm mir vor, jetzt sofort, den frischen Eindruck ausnutzend, ein Gedicht im gehörigen Versmaß eine Sapphischen Ode zu schreiben:

Sapphische Ode

Heute will ich, Liebliche, deine Küsse-----------------------XxXxXxxXxXx
schmecken, meine brennende Sehnsucht stillen;----------XxXxXxxXxXx
und die flehenden Blicke treffen deine----------------------XxXxxXxXxXx
fragenden Augen.--------------------------------------------XxxXx (das ist ein „adonischer Vers“)

Amor schießt ins Ziel gefiederte Pfeile,---------------------XxXxXxXxxXx
trifft er Herzen, hört man Seufzer der Liebe.---------------XxXxXxXxxXx
Sterben werden die Mädchen nicht an Wunden------------XxXxxXxXxXx
göttlicher Waffen.--------------------------------------------XxxXx

Schnell entreißt die bebende Lust den Schönen------------XxXxXxxXxXx
alle störenden Hüllen; schamlos schmiegt sich-------------XxXxxXxXxXx
Leib an Leib und gierig ergreifen Hände----------------- ---XxXxXxxXxXx
schwellende Brüste.------------------------------------- -----XxxXx

Ambraduftende Perlmuttknospen finden--------------------XxXxxXxXxXx
blind im Purpurnebel brodelnder Sinne---------------------XxXxXxXxxXx
taumelnd und tastend ohne Priaps Hilfe--------------------XxxXxXxXxXx
sapphische Wege.--------------------------------------------XxxXx

Enger schlingen selbst Klapperschlangen nicht die--------XxXxxXxXxXx
schlanken Leiber im Winter umeinander-------------------XxXxxXxXxXx
als es nachts die schlafenden Mädchen machen,----------XxXxXxxXxXx
träumend von Liebe.----------------------------------------XxxXx

Die „Sapphische Ode“ oder auch „Sapphische Strophe“ ist nach Sappho, einer
Dichterin und Lehrerin von Mädchen auf der Insel Lesbos genannt, weil die
ihre beliebteste Strophenform war.
Die Strophe besteht aus Drei Versen mit je vier Trochäen und einem Daktylus
(der im griechischen Text „starr“ an einer Stelle verortet ist, seit Hegel im Deutschen
„wandert“ der Daktylus (man spricht wirklich vom „wandernden Daktylus) auch an
andere Stellen im Vers.
Den Abschluss der Sapphischen Ode bildet ein „Adonischer Vers“, einen Daktylus
und einen Trochäus.
Heinz ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 20.12.2016, 08:31   #2
weiblich DieSilbermöwe
 
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Irgendwo habe ich etwas über- oder noch nicht gelesen. Ich kann mich nicht erinnern, etwas über Diana gelesen zu haben, außer dass sie das Jägerhütchen verloren hatte, woraus ich zu dem Zeitpunkt schlussfolgerte, es müsse sich um Diana, die Göttin der Jagd, handeln. Und ich glaube jetzt nicht, dass diese Assoziation für den Leser unbeabsichtigt war ....

Aber mir fehlt jetzt der Punkt, wo Diana in der Geschichte vorgestellt wird. Vermutlich hab ich das Kapitel noch nicht gelesen.

Die Sache mit dem Skat habe ich übersprungen - das Spiel habe ich noch nie verstanden - und danach wird die Geschichte aber wieder interessant. Weitere "Besprechung" folgt noch.
DieSilbermöwe ist gerade online   Mit Zitat antworten
Alt 20.12.2016, 11:46   #3
männlich Heinz
 
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Guten Morgen Silbermöwe,
Diana wird zum ersten Mal im Kapitel 5 erwähnt.
Das Skatspiel gilt ja weitgehend als Männerdomäne, und das erst recht in den siebziger Jahren. Dass ich in diesem Kapitel überhaupt auf diese Nebensächlichkeit eingehe, soll zeigen, dass die Frauen in der DDR wesentlich emanzipierter waren und ganz selbstverständlich dieses "männliche" Spiel gekonnt und manchmal besser spielten als Männer. Auch die spielbegleitenden deftigen Aussprüche hatte sie locker drauf. Nebenbei bemerkt: Auch im Berufsleben stellten sie "ihren Mann", fast alle waren berufstätig -allerdings waren alle führenden Positionen, vor allem in der Partei/Regierung von Männern besetzt (eine Ausnahme war die "Lila Hexe" - Margot Honecker).
So, jetzt habe ich gleich einen Termin. Tschüss und liebe Grüße,
Heinz
Heinz ist offline   Mit Zitat antworten
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