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Alt 11.08.2009, 12:59   #1
einfallsreich
 
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Standard (BUCH) Exsolutio

EXSOLUTIO

Die Geschehnisse in diesem Buch haben das Leben vieler beeinflusst, gänzlich verändert oder sogar gekostet.
Allein um diesen großartigen Menschen zu gedenken, die es ermöglichten, dass ich noch schreiben kann und sie das Werk kaufen können, ist dies hier entstanden.
Allein die Tatsache, dass es den kleinen Buchladen um die Ecke noch gibt, zu welchem sie regelmäßig gehen, um ihren Lesedurst stillen zu können, ist das Geschenk dieser Personen. Wir alle stehen in ihrer Schuld: ...


.. der Kaffe war leer. Schon wieder.
Er haderte mit sich. Bereits das Vorwort brachte ihn ins Stolpern. Dass er kein ausgebildeter Schriftsteller war, schien ihm in jedem Satz, Wort und Punkt deutlich. Manchen Abend saß er vor seinen Unterlagen und bildete sich ein, die Schriftzeichen, die Tintenflecken und Schnörkel zeigten auf ihn und lachten. Egal, er musste dies aufschreiben.
Wie auch immer, zuerst musste er seinen eigenen Durst stillen. Er erhob sich, legte den Stift auf eine vollgeschriebene, mit Essensresten übersäte Unterlage, griff nach dem Kaffebecher zwischen einigen Stapeln teils zerrissener, teils kompletter Zettel und ging in die Küche.

1
Peter Salford saß im Vorraum eines städtischen Arztes für Lungen und Bronchialheilkunde.
Er wusste längst welche Diagnose ihn erwarteten würde. Das Rauchen vor, während, und nach seiner Arbeit in der Ortsverwaltung von Largo hatte seine Spuren hinterlassen, das Nikotin der letzten Jahrzehnte lag auf seinen Lungen wie eine schwere Last, die ihn bald erdrücken würde.
Dennoch schien er nervös, während sein Blick durch den lieblos eingerichteten und kalten Raum schweifte, bis er schließlich auf dem kleinen, heruntergekommenen Fernsehmonitor hängen blieb. Er war der Einzige im beinahe quadratischen, engen Raum, weswegen er sich prompt und ohne nachzudenken erhob und die Lautstärketaste betätigte.
Die rot aufleuchtenden Schlagzeilen berichteten von einem Mord, begangen am helllichten Tage, mitten im Stadtkern von Washington D.C.
Der Tatort, der bereits öfter über Berichte und Reportagen seinen Weg in die Presse gefunden hatte, war so bekannt wie wichtig, was ganz offensichtlich (die junge Reporterin war umringt von mindestens einem Dutzend weiterer, drängelnder und unfreundlicher Presseleute) das Interesse der Öffentlichkeit besonders stark zu wecken schien:
Ein kleiner Forschungsraum im Astronomiesegment,
tief innerhalb des Hochsicherheitstraktes der National Aeronautics and Space Administration, kurz NASA.
Pete lauschte der jungen Dame vom Nachrichtenteam, die den Mord als einen „spontanen Angriff unter langjährigen Kollegen“ erklärte. Hörte nur Pete diesen beinahe irrwitzigen Widerspruch? Beweise für einen handfesten Streit oder Gründe für eine Auseinandersetzung seien nicht gefunden worden, weswegen das Police Department in einer kurzfristig eingeräumten Pressekonferenz ihre Sicht einer Art ‘Mord im Affekt‘ dargelegt habe. Der glatte Durchschuss, der zuerst den Hinterkopf des Opfers Jonathan Morten durchtrat bestätige die These, er müsse überrascht worden sein. Die gezielte, professionelle Platzierung der Kugel erinnerte weniger an eine kurzfristige Impulstat, als tatsächlich mehr an eine Exekution. Eine glatte Hinrichtung, im noch sterileren Hochsicherheitstrakt.
Die leicht dickliche Leiche lag noch unangetastet inmitten einiger Unterlagen, das Gesicht frontal auf eine Arbeitsplatte gefallen. Die Täterfrage, die sich, aufgrund der Tatsache, dass Morten zur Tatzeit nur in Gegenwart einer einzigen Person war, faktisch kaum stellte, war wegen des plötzlichen Verschwindens genau dieses Verdächtigen längst keine Frage mehr. Es ging um Tatsachen.
Die Beweislast war zu erdrückend, um nur noch von einer „Theorie“ sprechen zu können:
Das Bild eines mittelalten, weißen und hochgewachsenen Mannes flackerte auf dem Monitor, begleitet vom Namen des Gesuchten: Howard Crop.
„Wahrscheinlich waren sich Dick und Doof bei der Namensgebung eines neuen Sterns nicht einig...“, grummelte Pete zynisch, dessen unbewusste Assoziation die im Bericht Genannten recht treffend beschrieb.
„Mr. Salford?“ säuselte eine ältere (vermutlich ob ihrer schlechten Bezahlung genervte) Schwester in den Warteraum. Dieser blickte sich gewissenhaft im leeren Wartesaal um, tat überrascht und ließ vom Fernseher ab, erhob sich und schlürfte mit böser Vorahnung Richtung Behandlungsraum Drei.

2
Cooper Goodrick, ein Gärtner gediegenen Alters, wachte auf. Er hatte etwas gehört, doch schien er noch schlaftrunken. Nach einigen Sekunden richtete er sich auf und lauschte.
Sein kleines Haus am Stadtrand von Washington stand praktisch im Nichts. Lediglich eine weitere Hütte, ein paar hundert Meter östlich, die Straße Richtung Stadtmitte und das ovale und einstöckige ehemalige Gemeindezentrum von Forestville standen als nennenswerte Objekte in unmittelbarer Nähe zu seinem kleinen Cottage.
Schon seit Wochen fühlte sich Cooper schlecht, zwar attestierte ihm sein Arzt regelmäßig einen guten Gesundheitszustand, doch erschien ihm dieser in letzter Zeit immer weniger vertrauenswürdig. Statt die Medikamente zu verschreiben, hatte er sich offensichtlich dem Genuss des Eigenkonsums hingegeben. Wäre sein Geldmangel nicht so allgegenwärtig und akut, hätte er sich längst an einen kompetenteren Arzt gewandt. Coopers Lungen machten sich bemerkbar und forderten Sauerstoff.
Er beschloss sich ins Freie zu begeben als er beim Hinaustreten auf die Veranda die eigentliche Ursache seines Erwachens bemerkte: Geräusche.
Das Licht im kleinen, rondellartigen Gemeindezentrum gegenüber, dessen Grundstück er erst am Morgen im Auftrag der Arbeitsvermittlung gesäubert und gepflegt hatte, brannte. Dumpfe, rhythmische Klänge schallten, wenn auch nur erahnbar, über Hecke und Straße. Erst jetzt sah Cooper die Hand voll Autos, allesamt schwarz und durchweg von gehobener Klasse.
Die Geräusche schienen aus einem kleinen Seitenfenster zu entweichen, gerade mal groß genug um ein paar Stöße Frischluft in den kleinen Saal strömen zu lassen. Cooper nahm seinen Morgenmantel und eilte, so schnell es seine Knochen noch zu ließen, hinüber.
Er wusste, dass er nichts unrechtes tat, ganz im Gegensatz zur Gruppe der unangekündigten Hausbesucher.
Dennoch fühlte er sein Herz härter und lauter denn je schlagen, als er die schwarze, schlecht gepflasterte Straße überquerte.
An der Rückwand des Gebäudes angekommen, die zu seiner Erleichterung ganz im Schatten einer künstlich angepflanzten Baumreihe lag, hielt er inne und horchte.
Die Klänge waren zwar leiser, aber nicht weniger verstörend geworden.
Goodrick schien Zeuge einer Art Versammlung, einer Session zu sein. Die rhythmischen Stöße mussten durch das Trommeln der bloßen Hände auf die alten Eichentische verursacht werden, die bedrohliche Stille wurde ähnlich punktiert durch flüstern eines einzigen Wortes durchdrungen. Cooper Goodrick spürte wie seine Hände zu zittern begannen. Er musste näher an die Öffnung, um es zu verstehen, doch seine Vernunft schien sich ihm zu verweigern. Wer waren diese Leute und wozu waren sie fähig? Immerhin hatten sie sich Zutritt zu diesem Gebäude verschafft und trafen sich tief in der Nacht, weit außerhalb der Stadt, inmitten eines gottverlassenen Vororts von Washington . Die weiter anhaltenden Klänge schienen erneut lauter zu werden, das fließende Kommen und Gehen der Geräusche, das einen beruhigenden Rhythmus offenbarte, ergriff Goodricks Fassung. Langsam richtete er sich weiter auf, denn trotz des Gefühls der Angst, mischte sich nun sein natürliches Verlangen nach Antworten hinzu. Der rationale Wunsch, wieder die Kontrolle zurückzugewinnen stieg empor. Es waren nur wenige Handbreiten notwendig.

Nun konnte er einen kurzen Moment die Gestalten betrachten, die hauptsächlich durch Mäntel, Hüte oder Brillen vermummt, einer Art Ritual folgten. Sein Blick erfasste gerade den vermeintlichen Anführer, der in diesem Moment die Arme wie ein Priester von sich streckte, als ein heller, kreischender Ton die Nacht durchschnitt und Cooper zusammen fahren ließ. Hektisch knickte er ein und ließ sich mit hämmernden Herzen zu Boden fallen, während er ein Stoßgebet gen Himmel schickte, nicht gesehen worden zu sein. Ein ebenfalls schwarzer Lexus war soeben mit quietschenden Reifen vor dem Eingang zum stehen gekommen. Ehe der Motor ausgeschaltet wurde, stürmte der Mann aus dem Auto auf den Eingang des Gemeindezentrums zu.
Cooper Goodricks Körper schmerzte und lag pulsierend auf dem nassen Gras. Was hatte das alles zu bedeuten? Jetzt erst wusste er, was die Versammlung zusammen geführt hatte, er hatte das Wort verstanden:
Die Gruppe murmelte „Erlösung“.

3
Als er durch die schwere Holztür stürmte wusste er nicht, was nun geschehen würde.
Er hatte es bereits verbreitet, seine Leute wussten alles und waren ohne weitere Aufforderung zusammen gekommen. ‚Es wird wahr werden, genau wie es geschrieben steht.‘
Als er den Saal betrat verstummten die Anwesenden. Der Mann beachtete die anderen kaum, er hatte sie schon immer kaum wahr genommen, sie waren ihm zu passiv und abwartend. Er war überzeugt, dass er am Tag des jüngsten Gerichtes seinen Lohn einstreichen würde. Er und vielleicht der Magister, nicht die anderen. Er nahm ihn bei Seite und deutete mit einer Kopfbewegung an, sich zum Fenster zu begeben, um dort ungestört und entzogen von den anderen die tatsächlich wichtigen Dinge besprechen zu können.

4
Die Röntgen Bilder waren so deutlich gewesen, dass selbst der größte Dilettant Petes Gesundheitszustand erkannt hätte. Hinzu kam, dass ihm eben jene Zustandsmeldung vermutlich selbst durch einen Investmentbanker einfühlsamer beigebracht worden wäre als es der er eigentliche Doktor versuchte, dessen war er überzeugt.
„Machen sie noch ‘nen Urlaub in Afrika oder so, aber kommen se früh genug wieder – angeblich sind in dem Gebiet schon haufenweise Leichen verschwunden“, führte dieser aus, nur kurz und unfreiwillig von einem leichten hicksen unterbrochen.
Salford rollte seinen Wagen gleichgültig in eine halbe Parklücke und verließ sein Auto. Dass er hierdurch ein potentielles Verkehrschaos anrichten würde, kündigten die ersten stockenden Fahrzeuge durch wilde Huptiraden und wilde Beschimpfungen fassungsloser Autofahrer an. Pete ignorierte diese und betrat seine Wohnung an der eng bebauten Hauptstraße der kleinen Vorstadt Largo. Er musste einiges aufschreiben.

5
Cooper Goodrick rannte. Er hatte etwas gehört, das ihn einerseits verwirrte, anderseits mit unbeschreiblicher Angst erfüllte. Cooper war nie wirklich gottesgläubig gewesen, dennoch erahnte er, was die soeben geflüsterte Versstelle der Johannesoffenbarung besagte. Was der Mann danach beinahe beschwörend darlegte, erschien ihm noch unglaublicher, beinahe surreal, denn auch er hatte davon gehört.
Cooper wusste, dass ihn seine Beine nichtmehr weit tragen würden, doch er musste irgendetwas tun. Er hastete so schnell es sein Herz zu ließ über die Veranda in sein Haus, gerade in Richtung des improvisierten Arbeitszimmers. Wurde er verfolgt?
Die beiden mussten ihn bemerkt haben. Er hatte noch einige Zeit in liegender Position verharrt und gelauscht, bis er verhängnisvollerweise versucht hatte, erneut auf seine Beine zu kommen. Den stechenden Schmerz im Arm, der durch den Aufprall verursacht worden war, musste wohl sein Adrenalin verdrängt haben, doch als er sich später auf diesen stützte, hätte alles Adrenalin dieser Welt nicht gereicht.
Der Schmerz, der durch seine Glieder gefahren war, ließ Cooper beinahe sein Bewusstsein verlieren, während er ein lautes Aufstöhnen nicht unterdrücken konnte. Das Gespräch im Gemeindezentrum war abgebrochen und nach einer kurzen Pause konnte er den zischenden Befehl hören:
„hol ihn rein!“ .
Cooper hatte es dennoch geschafft sich aufzurichten und zu fliehen, er fühlte sich sicherer, jetzt, da er in seinen vier Wänden angekommen war, die ihm den Anschluss zur Außenwelt garantierten. Doch wem sollte er das alles berichten? Er war alt und kannte beinahe niemanden mehr, aber er musste es weitergeben, irgendwie, an irgendwen.
Hektisch, mit zitternder Hand wählte er auf dem Ziffernblatt eine längere Nummer.
„Ja?“, fragte der Angerufene.
„Hier ist Cooper Goodrick. Erinnern sie sich? Es ist wirklich dringend, haben sie etwas zu schreiben?“

6
Pete beendete das Gespräch.
Nachdem er den Hörer und seinen langsam zerfallenden Füllschreiber beiseite gelegt hatte, suchte seine verschwitzte Hand instinktiv die Zigarettenschachtel, während die andere bereits das Feuerzeug umfasste. Er bemerkte das Zittern in seinen Händen, das stärker als sonst erschien.
Der alte Goodrick, dem Pete zufällig bei einem Arztbesuch über den Weg gelaufen und dessen Einladung auf einen Kaffe gefolgt war ( Pete gefiel der scharfe Verstand des Mannes und teilte seinen Hang zum Sarkasmus ), hatte sich soeben mit so bebender wie undeutlicher Stimme bei ihm gemeldet. So schnell wie der Anruf kam, war er auch wieder beendet, aber Pete war sich sicher, die Zusammenhänge erkannt zu haben.
Nervös inhalierte er das Nikotin, wofür ihm seine pfeifende Lunge sofort zu danken schienen.
Er hatte alles aufgeschrieben, doch was nun? Sollte er hiermit zur Polizei oder überstieg das soeben Erfahrende deren Kompetenzen?
In seinen Gedanken begannen sich die Dinge zu entwickeln und währenddessen füllte und leerte sich sein Glas Rum, seine zweite große Leidenschaft neben dem Rauchen, diverse Male. Die Zeit verstrich und dessen war sich Pete bewusst, aber dennoch wurde sein Reiz, sofort zu Handeln, von dem Wunsch nach einem abgeklärten, kühlen Kopf überdeckt. Er ließ sich auf die alte Couch fallen, deren Tage längst gezählt waren, und fiel in einen unruhigen Schlaf.
‚Lieber etwas probieren, als das ganze hier auszusitzen‘, schreckte er hoch.
Es waren etwa zwei Stunden vergangen. Für einen Moment hatte er beinahe vergessen, doch dann gewann erneut das Gefühl der Angst Oberhand, das in ihm wieder Schweißstöße verursachte und seine Kehle regelrecht zu schnürte.
Die Polizei sollte sich alles anhören, um dann zu beurteilen, wie es weiter gehen müsste. Doch vermutlich hatte der alte Goodrick bereits ähnliche Überlegungen angestellt und diese alarmiert.
Um seine These zu überprüfen erhob er sich ächzend, und blickte suchend durch das abgedunkelte Zimmer, durch dessen Jalousien nur wenige rötliche Sonnenstrahlen der abendlichen Dämmerung einfielen. Pete schauderte plötzlich. Was, wenn Cooper Goodricks Warnung nicht nur so dahin gesagt war, sondern lediglich realistisch eingeschätzt?
Plötzlich knallte es.
Pete zuckte zusammen und blieb mit hämmerndem Herzen stehen. Es brauchte eine Weile, bis er den Schmerz am linken Fuß spürte, der ihn erst nach einiger Zeit begreifen ließ.
Das Gefühl der Erleichterung durchfloss ihn, als sein Blick den Blechmüllbehälter traf, den er in der Dunkelheit versehentlich weggetreten haben musste.
Trotz des leicht lädierten Beines eilte er zum dunklen Holztisch, ergriff sein Mobiltelefon und betätigte die Rückruftaste. Er wollte Goodrick mitteilen, dass er plante zur zentralen Polizeistation der Innenstadt Washingtons zu fahren, um dort persönlich dem Vizepolizeipräsidenten den Sachverhalt zu erklären.
Der Wählton schrillte laut in die Stille des noch immer dunklen Raumes. Dann kündigte das Knacken in der Leitung an, dass der Hörer abgenommen wurde.
„Metropolitan Police Department, Riley Manston am Apparat“.

7
Was zum Teufel?!, rutschte es Pete raus, der bereits im Begriff war, aufgrund der offensichtlich falschen Wahlverbindung, aufzulegen, als der Officer am anderen Ende erneut das Wort ergriff:
„Wer sind sie und woher haben sie diese Nummer?“ Pete stutzte: „Salford, Peter Salford.
Was tun Sie im Anschluss von Mr. Goodrick? Wir kennen uns.“ Ein Kratzen störte die Verbindung.
„Dann tut es mir umso mehr Leid ihnen mitteilen zu müssen, dass ihr Bekannter soeben Opfer eines Gewaltverbrechens geworden ist.
Wir konnten nur noch seinen Tod feststellen“, entgegnete der Officer ungewöhnlich barsch.

8
Pete strauchelte. und suchte nach Halt. Der alte Goodrick hatte es gesagt, er hatte verdammt nochmal Recht gehabt. Fassungslos glitt er aufs sein durchlöchertes Sofa und bekämpfte das aufkommende Gefühl des Schwindels.
Mr. Salford ?, fragte die nun beherrscht ruhige Stimme des Officers. Pete antwortete nicht. Er hätte es verhindern können, wenn er nicht so unfassbar träge gewesen wäre. Als er Goodricks Ausführungen zugehört hatte, blieben selbst bei ihm keine Zweifel – aber dennoch hatte er gezögert. Dieser Mord war mehr als nur eine Bestätigung, er verlieh dem Ganzen eine Tragweite von noch unbeschreiblicheren Ausmaßen. Kalter Schweiß rann Petes Stirn hinab.
Ein Ruck durchfuhr seinen Körper und er zuckte zusammen.
Die Zusammenhänge mussten an die Öffentlichkeit. Pete merkte erst jetzt, dass er seine Faust ballte.
„Hören sie, Detective“ rief er, deutlich wie vom Tonband, in den Hörer.
„Ja?“ Reagierte dieser, wenn auch leicht verwundert aufgrund der plötzlichen Deutlichkeit des Gegenübers.
„Hören sie mir nun gut zu“ , wiederholte Pete beschwörend und mit bebender Stimme .
„Mr. Goodrick ist gerade dem zum Opfer gefallen, was er vorher zufällig belauschen musste!
Hier ist etwas verdammt großes im Gange und sie müssen mir versprechen, dass sie das, was sie nun erfahren werden, sofort möglichst weit nach oben weiterreichen, Hören sie?!“
Eine kurze Pause trat ein. Pete jagten Schauer über den Rücken.
„..fahren sie fort.“, war alles, was Manston entgegnete.
„Haben sie von der Sache im…“, das Glas des kleinen Seitenfensters zersplitterte.
Pete hatte den Knall kaum gehört. Alles was er wahrnahm, war etwas Heißes, Betäubendes an dem zum Fenster zugewandten Ohr, von welchem die nun zerfetzte Hörmuschel entglitt und krachend auf dem Parkettboden zerschellte.

9
Als er die Straße überquert hatte, zog er seine Kapuze tiefer, um das Gesicht vom blendenden Licht der Sirenen zu schützen.
Hier, im verlassenen Forestville, dem äußersten Rand Washingtons, wo es schon grotesk schien, wenn mehr als eine Hand voll Autos am Straßenrand parkten, wirkte das Lichtschauspiel der Polizei in der tiefschwarzen Nacht nur noch befremdlicher.
Sie wurden belauscht.
Das Risiko war groß, wahrscheinlich zu groß.
Der Weg war lang und steinig, aber das Ziel nahe, deswegen war richtig gehandelt worden.
Lediglich seltsam erschien ihm, dass sein Kamerad nicht für eine weitere Absprache zurückgekehrt war, sondern stattdessen den Treffpunkt mit quietschenden Reifen verlassen hatte.
Als er aus dem Scheinwerferlicht in eine kleine Gasse getreten war, holte er sein Mobiltelefon hervor und öffnete das Personenregister. Er zögerte kurz, wählte dann eine Nummer und schrieb
„ Offb.8,8. Tu das Nötige. Er ist mit dir.“

[Ende Teil 1]

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Fröhliches Lesen!
einfallsreich ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 11.08.2009, 13:02   #2
einfallsreich
 
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EXSOLUTIO - PART 2

10
Pete stieß die Tür zum hinteren Bereich der Wohnung auf. Er geriet ins Stolpern, raffte sich aber wieder schnell auf und stürzte durch den Gang Richtung Haustür.
Hinter ihm hörte er das Zerbrechen eines weiteren Fensters, vermutlich war der Schütze soeben in seine Wohnung gestiegen. Was sollte er nun tun? Würde es so gefunden werden? Schaffte es Pete nicht, sein Wissen mit einem dritten zu teilen, so wäre er allein verantwortlich. Er.
Eine Kugel schlug krachend in eine alte Holzkommode, die Pete vor Jahren neben den Ausgang geschoben hatte, als Zwischenstation auf der langen Reise zur Deponie.
Pete spürte das schwere Schlüsselbund in seiner Brusttasche und eine Idee von Hoffnung keimte in ihm auf.
Er riss die Tür auf, sprintete in die Nacht hinaus über das unbeleuchtete, kleine Beet zur Hauptstraße und sprang in seinen alten Chevy, der seine besten Jahre längst hinter sich hatte.
Als er die Zündkerze entflammte und mit ächzendem Motor den Bordstein verließ, trat die vermummte Gestalt aus der Haustür. Bevor er sich auf die Route konzentrierte, riskierte Peter einen letzten Blick auf sie, doch konnte er nur noch erkennen, wie eine längliche Gestalt ruhigen Schrittes zu einem abgestellten Wagen ging.
Als ob es dem leidenden Motor zu mehr Kraft verhelfen würde, trat Pete noch kräftiger auf das längst durchgedrückte Gaspedal. Nach wenigen Hundert Metern kam das Straßenschild, auf dem „W. City“ vermerkt war. Ohne auf möglichen Verkehr zu achten riss er das Lenkrad in letzter Sekunde um und schlug seinen Weg in die Stadt ein.

11
Riley Manston hielt den Hörer immer noch, obwohl längst das Besetztzeichen ertönt war.
Das Blitzen eines Fotoapparates riss ihn aus den Gedanken.
Hinter ihm war die Spurensicherung eifrig zu Gange, wobei eine solche kaum nötig gewesen wär.
Selbst ein Mann, der nicht vom Fach wäre, hätte die Stichwunde oberhalb des Bauches von Goodrick und die daneben liegende große Küchenschere in einen kriminologischen Zusammenhang stellen können.
So lag er auf dem kalten Steinboden, neben ihm eine große Blutlache und ein Zettel, auf dem trotz seiner roten Färbung eine Nummer zu erkennen war.
„Alles klar, Chef?“, fragte Wood, ein hochgewachsener und dürrer Streifenpolizist.
Riley Manston überlegte. Er erhob sich, hängte den Hörer auf und blickte aus dem Fenster.
„Chef?“, fragte Wood erneut, dieses mal wesentlich vorsichtiger.
Manston drehte sich zu ihm. „Nein.“ .
„Nein?“, Wood blickte noch irritierter drein.
Riley Manstons Blick fiel erneut auf den Zettel, der vollgesaugt von Blut neben seinem Besitzer lag.
„Hier ist etwas Seltsames im Gange. Ich muss wissen, wo derjenige wohnt, der hier gerade angerufen hat.“ Langsam schritt er auf die Leiche zu, tippte einem Mitarbeiter der Spurensicherung auf die Schulter und machte ihm deutlich, dass er den Zettel, mittlerweile markiert als Beweisstück Nr. 4, benötigte. Der Mitarbeiter nahm ihn vorsichtig auf und bugsierte ihn in eine Plastiktüte.
Manston nickte ihm dankend zu und schnappte sich die Tüte. Auf dem Zettel stand „ Salford, Peter“ und eine dazugehörige Nummer.
Wenige Sekunden und einen Anruf später murmelte Manston „Largo“.
Zwar war er nicht aus der Gegend doch wusste er trotzdem, dass es nur wenige Meilen entfernt lag.
„Der Anrufer dort scheint ebenfalls überrascht worden zu sein“, teilte er dem verwirrten Wood mit, während er sich seinen Mantel überwarf.
„Soll ich mitkommen?“, fragte dieser tüchtig und mit einem Blick, der wirkte als sei er Bereit den leibhaftigen Teufel zu verhaften.
„ Nein. Du bleibst hier“, befahl Manston dem geknickten Jungen und verließ den Tatort.


12
Als ob seine Handschrift nicht schon zittrig genug gewesen wäre, erschwerten die Schlaglöcher auf der Straße das Schreiben. Pete hatte ein kleines Stückchen Papier im Wagen gefunden, das vermutlich von einem Brief oder einer der vielen, zerrissenen Mahnungsschreiben stammte.
In wenigen Worten hatte er versucht, eine eindeutige Botschaft zu hinterlassen. Mittlerweile hatte er den Stadtkern erreicht, war über den Southwest Freeway gerast, stets in der Hoffnung, die Aufmerksamkeit eines Polizei Wagens zu erregen. Aber er war jäh enttäuscht worden.
„Wenn man sie mal brauch“, fluchte er lauthals und schlug mehrfach auf das Lenkrad ein. Die Blutung an seinem Ohr hatte aufgehört, eine dicke, schwarze Kruste dämmte die Wallungen.
Schon vor einigen Meilen hatte er das Auto hinter sich bemerkt, was nicht allzu schwierig war, da es bereits mehrfach in dem Versuch ausgeschert war, ihn entweder zu irritieren oder mit Anlauf von der Straße zu drängen. Pete hätte sich denken können, dass er nicht so einfach aufgeben würde, aber wenigstens hatte er das wilde Feuern eingestellt. Am Horizont begrüßten bereits die ersten rötlichen Strahlen der Sonne die Menschen, die zu dieser Zeit aus der Wohnung mussten. Die Nacht wich und mit ihr Petes Hoffnung, gänzlich Heile aus der Sache rauszukommen.
Er jagte an der National Mall vorbei, fuhr noch wenige Blöcke weiter und entschloss dann, der Verfolgung ein Ende zu setzen. Als er einen vergleichsmäßig großen Auflauf von Menschen sah, die an einer Kreuzung auf das Ampelzeichen warteten, zog er impulsiv die Handbremse, rutschte einige Meter mit quietschenden Reifen und kam schließlich in der 12. Straße seitlich zum stehen.
Die Blicke der wenigen Passaten richteten sich auf ihn. Ungeachtet seinem Verfolger sprang er aus dem Wagen, rannte - so gut es noch ging - auf einen alleinstehenden Mann zu und drückte ihm den Zettel in die Hand.
„Laufen sie, schnell!“, keuchte er und blickte eindringlich in seine stark umrandeten Augen.
Noch immer verdutzt, zögerte der Mann.
Plötzlich zuckte er zusammen. Ein Schuss hatte die Stille des Morgens in Washington durchschnitten. Menschen kreischten, Vögel flohen.
In wenigen Sekunden war die Straße so leer, wie zuletzt in tiefster Nacht.
Der zweite Schuss traf. Pete fuhr zusammen.
Innerlich war er darauf vorbereitet gewesen, nicht zuletzt sein Arzt hatte ihm Gewissheit gegeben. Seine Lungen würden aufgeben, schon bald.
Der Doktor hatte Recht behalten, ironischer weise traf seine Prognose früher als vermutet ein. Als Zyniker musste er einsehen, dass die Situation einer gewissen Komik nicht entbehren konnte. Sein Mundwinkel zuckte, seine Augen tränten. .
Sein Hemd färbte sich auf Höhe der angeschlagenen Lunge rot und er fiel auf den harten Washingtoner Asphaltboden. Der Passant hatte seine Augen weit aufgerissen, stand noch immer wie angewurzelt da und beobachtete das bizarre Szenario.
Erst als er den vermeintlichen Schützen entschlossen herbeieilen sah wandte er sich ab, flüchtete die Straße hinab und verschwand in einem kleinen Seitenweg.
Pete hörte das Pochen seines Herzens lauter als die restlichen Geräusche, die seine Umwelt produzierte.
Er hatte das Gefühl, noch zwei Straßen weiter müsse es gehört werden.
Ihn überkam der Schwindel. Alles was er noch sah, war die dunkle Gestalt, die sich nun über ihn beugte. „Wer seid ihr?“, flüsterte Pete. Sein Körper zuckte erneut zusammen.
„Wir sind niemand. Wir haben keinen Namen. Alles was wir haben, ist ein Ziel.“ hauchte eine kalte Stimme.


13
Vor dem dreistöckigen Haus parkte ein Streifenwagen.
Manston hatte die Adresse ausgemacht und betrat nun vorsichtigen Schrittes den kleinen Weg, der zur Haustür der Mehrparteienwohnung führte.
Die Dunkelheit wich nun merklich, weswegen die frischen Reifenspuren auf der Straße bereits bei seiner Ankunft auffielen. Jemand musste hektisch aufgebrochen sein.
Sein Blick schweifte über den Bürgersteig, den Vordergarten, der wohl längst nichtmehr als solcher benutzt wurde, bis hin zu einem zersplitterten Fenster im Erdgeschoss.
Manston verspürte unweigerlich einen leichten Ruck, der seinen Körper durchfuhr.
Was war hier geschehen?
Mit festem Gang eilte er zur Haustür, läutete mit einer Hand mehrfach bei allen Parteien, während die andere energisch gegen die Tür klopfte. „Metropolitan Police Washington , öffnen sie die Tür“ .
Sekunden verstrichen.
Manston wiederholte diesen Vorgang immer und immer wieder. Gerade als sein rechter Arm vor Schmerzen rebellieren wollte, öffnete sich die Tür einen Spalt und eine grauhaarige Frau höheren Alters blickte misstrauisch auf den Officer.
„Ja?“, krächzte sie und musterte Manston.
„Madam, ich bin vom Metropolitan Police Department, ich muss sie umgehend bitten, die Tür zu öffnen.“, belehrte Riley bemüht ruhig die alte Dame.
„Worum geht’s denn?“, wollte sie murmeln, doch sein Geduldsfaden war gerissen.
Beherzt griff er durch den Türspalt, drückte die Dame so vorsichtig wie robust zur Seite und stemmte seine Schulter gegen die schwere Tür.
Im vorbeigehen noch hielt er ihr seine Marke unter die Nase und eilte gerade aus durch eine weitere Holztür, die unabgeschlossen war.
Als er eintrat, bot sich ihm ein Anblick des Chaos:
Zu seiner linken lagen Trümmern, die mal eine Art Nachtschrank geformt haben mussten und ein Tisch vor Kopf versuchte seine Statik mit nur noch drei Beinen zu finden. Die Blätter, Briefe und andere Kleinigkeiten auf ihm, waren der Schwerkraft zum Opfer gefallen und verteilten sich nun sorgfältig über den Holzboden.
Vorsichtig durchschritt der 38-Jährige das Durcheinander und betrat ein kleineres, fast quadratisches Zimmer. Hier befand sich das zersplitterte Fenster, dessen Scherben weit in den Raum befördert worden waren. Auf dem Boden lag ein zersprungener Hörer.
Riley Manstons Blick wanderte vom Fenster, über den Hörer, hoch zur gegenüberliegenden Wand, an der ein zersprungener Spiegel hing.
Langsam und nachdenklich trat er auf ihn zu und beobachtete die kräftige Gestalt, die sich ihm näherte. Die feine Faserung des zersplitterten Spiegels wirkte wie ein Spinnennetz, das Riley gleich mehrere identische, erschöpfte und blasse Gesichter präsentierte.
Kein Wunder, dass ihn die Frau an der Tür so gründlich inspiziert hatte, dachte er sich.
Seine, trotz seines noch jüngeren Alters, bereits gräulichen Haare zeigten wild in alle ihm bekannten Himmelsrichtungen und sein Drei-Tage-Bart schien mittlerweile zu einem Vollbart gereift.
Wer hatte hier auf wen und wieso geschossen?
Was wollte ihm dieser Salford wichtiges sagen?
Er wollte sich gerade zu der älteren Dame drehen, die bereits seit geraumer Zeit ächzend am Türrahmen klopfte, als sein Funkgerät zu rauschen begann. „Chief, Chief, hören sie mich?“.
Manston löste es vom Bund und betätigte einen kleinen Schalter. „Wood? Ich brauch eine weitere Spurensicherungseinheit nach Largo. Dieser Peter Salford ist verschwunden, wir müssen ihn unbedingt ausfindig machen.“
Eine kurze Pause trat ein.
„nicht nötig“, funkte Wood und seine Stimme wurde durch die schlechte Verbindung leicht verzerrt.
„Die Kollegen haben ihn bereits gefunden“.
„Wo?“, erkundigte sich Manston.
„ Auf offener Straße an der zwölften Ecke, Downtown.“
„Kann ich mit ihm sprechen?“, forderte der Officer im üblichen, harschen Befehlston.
„ Leider nein, Chief“.
Manston lauschte auf. „Wieso nicht?“
„ Er hatte zwei Kugeln in der Brust.“



14
Der Mann, der durch die Straßen rannte, wurde nur Joe genannt.
Wenige Menschen kannten seinen vollständigen Namen, was nicht verwunderlich war.
Seit Jahren hatte er sich mehr und mehr isoliert, seine sozialen Kontakte beschränkten sich auf seine Arbeit bei einer Reinigungsfirma und, zumindest bis vor wenigen Stunden noch, auf Lora.
Was geschah hier?
Sein Verstand verlangte nach Aufklärung. Während er lief versuchte er krampfhaft die unsaubere Handschrift, die den kleinen Zettel füllte, zu entziffern. Er musste anhalten,
doch konnte er sich das bei einem Verfolger leisten, der ohne zu zögern den Überbringer dieser Nachricht niedergeschossen hatte?
Joe steigerte das Tempo, schlug weitere Haken in kleine Seitenstraßen und blieb dann, nach einigen Minuten erschöpft in einem kleinen Hinterhof stehen. Er verspürte heiße Stiche in den Seiten, als er den Zettel überflog.

Sein Jäger hetzte durch die Gassen. Er konnte ihn nicht verloren haben. Ihm war der Zettel nicht entgangen, den dieser Narr dem Unbeteiligten noch zugeschoben hatte.
Alles hatte sich ungeplant entwickelt, nichts hiervon wäre von Nöten gewesen, aber sie hatten es so gewollt. Jetzt musste er den Weg bis zum Ende beschreiten, eigentlich mussten sie ihm sogar dankbar sein.
Als er an einem geöffneten Gittertor vorbei lief, erhaschte er aus dem Augenwinkel eine Gestalt. Er hatte es bereits hinter sich gelassen, als er anhielt, sich drehte und zurück lief.
Schon durch die Gitter erkannte er die Person. Sie stand im Lichtkegel einer kleinen, an der Hauswand befestigten Leuchte und starrte auf den Zettel.
Joe schreckte auf. Ihre Blicke trafen sich. Er wirbelte fluchtartig herum und sprang auf die Feuertreppe, die sich hoch bis zum Dach des Gebäudes erstreckte.
Die Treppe krachte, als ihn eine Kugel knapp verfehlte.
Gemächlich senkte der Schütze die Waffe und betrat ebenfalls die Treppe, um ihm zufrieden zu folgen.
„Hoffentlich hast du keine Höhenangst“ höhnte er mit selbstgerechtem Lächeln.

15
Die Metro donnerte durch die dunklen Kurven des Washingtoner U-Bahn Systems.
In ihr saß, oder besser schlummerte, Ciara Havering. Die Augen geschlossen und mit Kopfhörer im Ohr erwartete sie die Ankunft im Central Business District. So wie sie dort saß, in dickem Mantel mit großer, modischer Wollmütze bestückt, schien sie gewappnet für die nächste Eiszeit. Zwar gaben sich einige Fahrgäste nur wenig Mühe, ihr Unverständnis über diesen winterlichen Aufzug zu verstecken (erfuhr Washington doch gerade noch eine genießbare Wärmephase des Spätsommers), doch war dies Ciara Havering herzlich egal.
Sie hasste diese Uhrzeit, ganz besonders im Winter, doch Arbeit war nun mal Arbeit und gerade die letzten Wochen waren sie und ihr „Freund“ des Öfteren am Rande des finanziellen Abgrunds angekommen.
Zumindest vorerst musste sie deswegen, zu ihrem Leidwesen, die Pflicht über ihre eigenen Wünsche, und noch viel schlimmer, ihre Schlafgewohnheiten, stellen.

Auch zwischenmenschlich war dies alles andere als hilfreich.
Ciaras gereizter Umgang mit Evan wurde durch seine regelmäßigen Wutanfälle nur noch gesteigert. „Kommunikation“ oder „Produktivität durch gemeinsamen Dialog“ erschienen ihr längst wie Fremdwörter aus einer anderen Welt.
Sie blickte auf die Uhr. Im selben Moment ertönte eine weibliche und emotionslose Stimme, die „Farragut North“ als nächste Haltestelle verkündete.
Ciara fuhr sich durch die Haare, rieb sich ihre Augen und raffte sich auf.
Als sie auf die Straße trat, wehte ihr der Starke Wind die Tränen in die Augen. Sie zupfte sich den Mantel zu Recht, wandte den Blick zum Boden und trat ihren Fußweg an. Nach wenigen Minuten bog sie auf die namensträchtige Independence Avenue, in der kahle Bäume vergeblich versuchten, ein heitereres Bild auf den süd-westlichen Stadtteil zu werfen. Nur wenige Schritte weiter nahm sie den Fußweg eine weitere Straße hinab. Hier war es windstill.
In Gedanken verloren lauschte sie den Klängen ihres Musikspielers, so dass sie den Mann kaum wahrnahm.
Erst ein starker Windzug zu ihrer Rechten, dann die Vibration eines dumpfen Aufschlags und zuletzt das Gefühl, Nass zu werden, ließ Ciara Havering reagieren.
Sie wirbelte herum.

16
An einer Laterne, die sie gerade noch vorm Wegknicken bewahrt hatte, fand die leichenblasse Frau halt. Mit ihren aufgerissenen Augen und den Blutspritzern im Gesicht, hätte sie einen jeden ohne Mühe verjagen oder zu Tode erschrecken können, doch befand sich neben ihr und dem in der Blutlache liegenden, in sich eingesackten, Körper niemand in der Straße.
Der Chorus dröhnte laut und gewaltig in Ciaras Ohr, doch alles was sie noch wahrnehmen konnte, war ein sich verengendes Sichtfeld begleitet von einem jähen Rauschen.
Wie eine passive Betrachterin sah sie sich zu dem Körper gehen, dessen Blut mittlerweile die 8. Straße rinnenförmig hinab lief. Sie hatte den Zettel fixiert, der unter seiner verformten und aufgeplatzten Hand hervorstach.
Bemüht, nicht in die Lache zu treten, beugte sie sich weit über und erreichte das triefende Papier.
Zitternd entfernte sie sich wenige Schritte und blickte auf das Blatt. Dieses Mal fand sich kein Gegenstand, der ihr helfen konnte. Sie knickte zusammen, schaffte es aber noch sich mit den Händen abzufangen.
Panisch rang sie nach Luft während sie verzweifelt versuchte, den Blick vom krakeligen Schriftzug abzuwenden.
„ Menschen sind hierfür bereits gestorben / Sie müssen es verhindern / Die Welt wird untergehen.“

17
Oh Gott. Wie konnte das nur passieren?“.
Die Stimme kroch förmlich durch die noch immer menschenleere Straße. Ciara Havering bemerkte sie kaum.
Sie starrte an dem Zettel vorbei ins Leere und rang um ihre Fassung. Ein weiterer unkontrollierbarer Schauer ließ sie noch weiter zusammenfahren.
Mittlerweile lehnte sie hilflos an einer gegenüberliegenden, alten Backsteinmauer, nur wenige Meter entfernt vom vor Blut triefenden und verformten Körper.
„Wieso hat er das nur getan?“.
Es dauerte einige Momente, bis Ciara begriff, dass nicht sie soeben diese Frage gestellt hatte.
Zitternd vor Schmerz und Verwirrung blickte sie sich um.
Es gibt doch immer andere Auswege“, belehrte die phrasenausspuckende, emotionslose Stimme.
Nun hatte sie den Herkunftsort dieser ausgemacht. Sie kam von oben, von einem Hausdach.
Die aufgehende Sonne hüllte die Silhouette des Mannes in lediglich grobe Umrisse. Es war das Hausdach, von welchem jene Person gestürzt sein musste, das Begriff sie sofort. Instinktartig zuckte sie zusammen.
Ihre Hand fuhr zur Hosentasche.
Madam, können sie mich hören?“ säuselte die schneidende Stimme. Trotz ihrer leisen Art schien sie unwirklich drückend und bedrohlich.
Ich an ihrer Stelle würde das nicht tun“ flüsterte sie.
Ciaras Hand wich vom Mobiltelefon. Stattdessen kämpfte sie sich mühsam auf die Beine.
„ Hören sie mir gut zu.“, diktierte die Gestalt auf dem Dach, deren Stimmfarbe sich plötzlich gänzlich gewandelt hatte.
„ Ich werde nun herunterkommen und sie bleiben genau dort. Wenn ich bei ihnen bin, können wir ganz in Ruhe über alles reden.“ Während die Worte ihren Weg zu ihr fanden, zeichnete sich der Schatten der Person auf den Asphalt, deren Extremitäten durch den Stand der Sonne fast karikaturartig unendlich lang erschienen. Beinahe spielerisch wendete und bestaunte der Mann den kantigen Gegenstand in seiner Hand
Es war der Hohn in der Stimme, der Ciara aufweckte und aus ihrer Verwirrung riss:
„Ich bin gleich bei ihnen“, versicherte die Person lässig, die vom Rand des Daches zurück aus der Sonne getreten und bereits auf der Rückseite des Gebäudes verschwunden war. Sie hatte nur wenige Sekunden, das wusste sie, doch diese reichten ihr einen Entschluss zu fassen:
Sie langte in ihre Tasche, verlor dabei Kleingeld und allerlei Müll und fand dann ihr Mobiltelefon.
Ihre noch immer wackeligen Beine trugen sie nur mit Mühe, als sie begann zu laufen.
Sie wählte den Notruf, verschwand hinter einer Ecke und meldete mit bebender Stimme ihre Notlage.



18
Hier ging es nicht mehr um einzelne, zufällige Mordfälle. Riley Manston spürte es. Es war etwas anderes im Gange, etwas, das verhindert werden musste – und zwar sofort.
Im klappernden Streifenwagen schoss er mit schreiender Sirene den Freeway hinab.
Das Aufkommen der Verkehrsschilder vermehrte sich: Er war seinem Ziel nahe: Washington City.
Wie ein sich von selbst öffnender Reißverschluss scherten die Wagen vor ihm aus und eröffneten Manston eine Gasse, durch die er wildentschlossen hindurch jagte.
Den einkommenden Funkspruch ignorierte er zuerst, da seine Konzentration allein dem Ziel Stadtkern galt.
Doch die rauschende, leicht verzerrte Stimme, wollte nicht absterben. „Chief? Sie müssen sich melden!“. Es war Wood, Riley erkannte seinen aufgeregten Tonfall.
„ Herr Gott nochmal!“, Manston griff nach dem Gerät und betätigte es blind. „WAS?!“.
„ Die Zentrale hat soeben einen Notruf an uns weitergeleitet. Eine junge Frau meldet dass sie von einem Mann verfolgt wird, der möglicherweise einen Mord begangen haben soll. Verstehen sie Mr. Manston?“.
Der Officer riss das Lenkrad nach links und schaffte es noch gerade einer älteren Dame auszuweichen, die die bellende Sirene überhört haben müsste.
„ Du meinst der Mörder von diesem Salford dreht gerade völlig durch?“. Er bog auf die Ausfahrt, überholte die wartenden Autos und donnerte über die Kreuzung. Manston ignorierte die quietschenden Bremsen.
„ Wo war die Frau als sie anrief?“, bellte er.
„ Independence Avenue, 8.Straße“, antwortete Wood knapp.

19
Ciara Havering war gerannt bis ihre Lungen zu explodieren drohten.
Dann hatte sie das Fenster entdeckt. Es war geöffnet und führte in einen abgedunkelten Lagerraum.
Keuchend war sie durchgeklettert, um hinter einem haushohen Stapel von Kartons gierig die mangelnde Luft aufzusaugen.
Wo war ihr Verfolger? Hatte sie sich das alles nur eingebildet? Vielleicht wollte er ihr wirklich helfen.
Sie wagte einen Blick vorbei an den Kisten zum noch immer geöffneten Fenster. Wieso hatte sie es nicht geschlossen? Sollte sie es wagen, oder würde ihr vermeintlicher Verfolger sie genau in dem Moment zu Gesicht bekommen?
Nach einigen Sekunden, die ihr jedoch ewig erschienen, wagte sie es aus dem Versteck zu kommen.
Vorsichtig tastete sie sich voran, da sie sicher gehen wollte keine Gegenstände zu berühren, die in irgendeiner Weise verräterische Geräusche verursachten.
Sie hatte gerade den halben Weg zum kleinen Fenster zurückgelegt, als draußen ein Mülleimer krachend zu Boden gestoßen wurde.

Auch ohne Beschilderung hätte Manston die gemeldete Ecke leicht gefunden. Das Farbenspiel der blau-roten Sirene und die unverwechselbaren Töne der Lautsprecheranlage , die stets neues Unglück verkündeten, hatte ihn den Ort finden lassen. Es war ein anderer als zunächst angenommen, das hatte er sofort bemerkt. Zwei Mordfälle in so kurzer Zeit und, was ihm noch auffälliger erschien, in so unmittelbarer Nähe.
Er war aus dem Wagen gesprungen und zur Ansammlung gelaufen. Polizisten hatten den Bordstein abgesperrt und weiß gekleidete und maskierte Mitarbeiter sicherten die Unglücksstelle. In der Mitte der Blutlache lag er, der Körper eines Mannes, oder besser das, was noch von ihm übrig war. Manston schätzte ihn auf weiß und Mitte dreißig.
Er rief sich Woods Funkspruch in Erinnerung „ ein Mann, der einen Mord begangen hat“ würde die Frau verfolgen.
Falsch, kam es ihm in den Sinn, nicht einen. Du hast zwei begangen, mindestens.

Der vermummte Mann starrte durch das Fenster. In der Mitte der Lagerhalle stand die Frau. Sie machte keine Anstalten zu fliehen. Wie paralysiert blickte sie entgeistert auf ihn. Sah er so komisch aus?
Mit wenigen Schritten war er am Fenster und ehe sie sich versah stand er vor ihr inmitten des dunklen, länglichen Raumes zwischen Kisten und Kartons.

Worum ging es hier? Manston bückte sich und hob das Kleingeld auf, dass auf dem Bürgersteig gegenüber der Leiche ein paar Meter die Straße hinab gerollt sein musste.
War der Mann gestürzt oder gezwungen worden? Die Leiche, die mit zerbersteter Brust wenige Straßen weiter oben auf dem Bürgersteig lag, konnte dort nicht zufällig geendet sein. Nicht zu dieser Uhrzeit, nicht in so kurzem Abstand.
Wo war die Verbindung? Und dann war da noch der Rentner, der Peter Salfords Namen auf einem Zettel bei sich trug .
Hatte dieser Goodrick den Stein ins Rollen gebracht?

„Wieso tun sie das? Was geht hier vor sich?“, schrie sie dem Mann entgegen.
Dieser lächelte nur, er schien es zu genießen.
„ Verdammt, wenn dieser Mann recht hatte, dann wird bald etwas mit unserer Welt passieren, wieso tun sie nix dagegen?!“
Howard Crop demaskierte sich mit langsamen Bewegungen und zog anschließend seine Pistole. Er atmete lange und seufzend aus.
„Weil wir es wollen.“

[ENDE TEIL 2]
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einfallsreich ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 11.08.2009, 13:03   #3
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EXSOLUTIO - PART 3 / Ende

20
Die Schüsse hallten durch die Straße. Riley Manston überlegte keinen Augenblick. Die restlichen Kollegen mussten es gehört haben. Er prägte sich die Richtung der Geräuschquelle ein und sprintete durch die an ein Schachbrett erinnernden Seitengassen.

Die Splitter der Holzkiste verfehlten nur knapp Ciaras Augen. Sie war im letzten Moment in eine kleine Nische gehechtet.
Sie war dunkler als die restliche Halle und warf einen Schatten, der ihr zumindest für kurze Zeit das Gefühl von Sicherheit gab. Schmunzelnd warf Crop das leere Magazin auf den Boden. Der Aufschlag schallte durch den kalten Lagerraum.
„Diese Dinger werden eh überschätzt“, resümierte er seufzend.

21
Die Dunkelheit verschlang nicht nur das grausam erscheinende Szenario, sie verschlang auch Gestik und Mimik des Psychopathen, was Ciara auf seltsame Weise zumindest einen Anflug von neuem Mut bescherte.
Dieser Typ hatte die Waffe sorglos weggeschleudert, ganz als wollte er es genüsslich selbst zu Ende bringen.
Ciaras Brustkorb hob und senkte sich zwar immer noch hektisch, doch war er, verglichen mit dem Sprint in die Lagerhalle, tatsächlich ruhiger geworden. Zu dem Gefühl des aufkeimenden Mutes mischte sich ihr Trotz, den dieser Mann durch sein todbringendes Versteck und Fangenspiel buchstäblich provoziert hatte. Es blieben ihr nur noch wenige Sekunden, sie hörte wie sich die Schritte vorsichtig und trotzdem sicher näherten. Ciara versuchte ihre Chancen abzuwägen. Sie war immer Realistin gewesen obgleich von vielen sogar als Pessimistin abgestempelt. Unbewaffnet könnte sie ihren Verfolger kaum zu Boden strecken, sie musste ihn ablenken und dann erneut die Flucht ergreifen.
Ein großer Berg von Schutt und Trinkdosen krachte laut zusammen, ganz unmittelbar in ihrer Nähe. Begleitet wurde der Fehltritt des Mannes durch einen wütenden Fluch. Ein Plan wäre sinnlos gewesen. Impulsartig warf sie einen Blick aus ihrer Deckung in die Dunkelheit, fixierte die Gestalt und warf sich dann mit aller Kraft gegen einen hochgetürmten Stapel aus Holzkisten. Für einen Moment dachte sie lediglich erreicht zu haben, dass sie nun endgültig ihre Position verraten hatte.
Doch dann hörte sie das knarren und krachen von Holz. Der Turm kippte und schlug krachend und gewaltig auf die dunkle Silhouette des Angreifers, die völlig überrascht und schutzlos scheinbar völlig unter den Trümmern begraben wurde.
Erst jetzt verspürte Ciara den heißen Stich an ihrer rechten Schulter. Sie musste sich am rauen Holz, einem Splitter, oder einem rostigen, herausragenden Nagel den Oberarm aufgeschnitten haben. Als sie mit dem Finger die Wunde ertastete, sackte sie für eine Sekunde auf dem Boden zusammen. Nach einigen kontrollierten Luftzügen erhob sie sich wieder und erblickte den schwachen Lichteinfall am Ende des Raumes, von wo aus sie in diese grässliche Halle eingestiegen sein musste.
Weil der durchnässte, bestapelte und absolut dunkle Fußboden eh keine Anhaltspunkte gegeben hätte, wie sie den besten Weg zum Fenster gefunden hätte, warf sie ihr Gewicht nach vorne und stolperte auf direktem Wege voran.
Nur noch wenige Schritte, dann hätte das alles hier ein Ende. Es hatte bis jetzt gebraucht, da sie zum ersten Mal ihre Feuchten Wangen und die Tränen bemerkte, die nun erneut über ihr Gesicht schossen.
Die Polizei musste sofort hierher, das wusste sie, außerdem brauchte sie dringend einen Arzt. All die Gedanken, die ihr durch den Kopf schossen hatten sie völlig vereinnahmt, so dass sie lange Zeit brauchte, um zu realisieren, was sie nun an ihrem Fußgelenk spürte. Viel zu lange. Die Hand hatte sie gepackt und festgehalten. Ciara Havering machte keine Anstalten sich erneut zu wehren. Völlig entkräftet gab sie nach, ein Ruck durchfuhr ihren Körper und sie schlug mit dem Gesicht zuerst auf den unebenen Untergrund.

22
Das geöffnete Fenster im Hinterhof hatte Riley kaum beachtet. Er lief noch wenige Schritte, bis ihm eine Sackgasse den weiteren Weg versperrte. „Verdammt nochmal!“ keuchte er atemlos. Hatte er sich verlaufen? Es schien ihm kaum möglich, er war sich sicher die Schüsse hier gehört zu haben, aber da war nichts. Nichts außer einem ovalen Hinterhof, der durch die hochragenden, alten Hochhäuser eingeschlossen und abgeschirmt wurde.
Ein Geräusch hinter ihm ließ ihn herumwirbeln. Das etwa mannshohe Tor eines Drahtzaunes schlug zu. Vermutlich der Wind, dachte sich Riley, der sich dennoch prüfend dem kleinen eingeschlossenen Grundstück näherte. Das Tor war gerade breit genug um Lieferungen eines typischen Kleintransporters entgegennehmen und verstauen zu können, wobei solche Zeiten lange vorbei sein musste, wie Riley an dessen klapprigen und verlassenen Zustand schlussfolgerte.
Der Hof war eng bemessen und zugestellt mit Abfall und durch alte Zeitungen, Flyer und Plastik verschmutzt.
Das rote, auffällig flache Backsteingebäude, welches sich nur noch gerade aus den Abfallbergen hervorhob, schien ebenfalls kurz vor dem Zerfall. Ein Wimmern lies seinen Blick ruckartig zu dem Fenster fahren, das zur Hinterhofseite zeigte und, wie er jetzt erkannte, weit geöffnet war. Riley hatte genügend Zeit verloren: Er trat das Tor auf, das prompt aus den Angeln flog und scheppernd zu Boden krachte. Mit seiner Taschenlampe und Pistole bewaffnet hechtete er zum Fenster und sprang ins finstere Schwarz. Der Lichtpegel der Lampe suchte hektisch den Boden ab, bis der die Herkunft des Keuchens ausgemacht hatte. Teilweise unter Müll und Kartons vergraben und eingeklemmt lag eine Frau mit blutverschmiertem Gesicht. Ihr Arm war unnatürlich verbogen und ihr dicker Wollpullover rotbräunlich verfärbt. „Hier“, keuchte sie, obwohl Riley sie längst gesehen hatte. „Er ist weg…hören sie?“ . Nach wenigen Schritten war er bei ihr. Ihre letzten Worte glichen einem erstickten Flüstern: „Sie müssen ihn finden, sonst…“. Der Strahler Rileys Taschenlampe leuchtete auf ihr von Rissen und Kratzern durchzogenes Gesicht und ließ es noch unnatürlich blasser erscheinen. „Sonst was, Madam?“ fuhr er energisch dazwischen. Doch die eintretende Bewusstlosigkeit war schneller, als ihre letzten Worte.

23
Fiebrig glitt der Leuchtkegel über die Trümmerlandschaft von Dosen, Müll und anderen Behältern. Wo konnte er hin sein?
An einer Vertiefung hielt seine Taschenlampe inne. Sie war nicht weit weg von der Frau, die nun bewusstlos da lag.
Etwas musste dort gestanden oder gelegen haben, anders war die Druckstelle im sonst so willkürlich verteilten Krempel kaum zu erklären. Vorsichtig wie auf Scherben tastete sich Riley zu der Stelle, um sie genauer zu untersuchen.

Ein Haus weiter kauerte der Mann in einer dunklen Nische
Er hatte den Verlust bemerkt. Und ihn verflucht.
Geriete dies in die falschen Hände, hätte er einen Fehler gemacht, der er sich selbst nicht verzeihen könnte, was nur eine Konsequenz zur Folge hatte: Er musste noch einmal rein. Ob die Frau noch lebte, wusste er nicht, aber er vermutete es, da das Messer kaum tief eindringen konnte, das hatte er gespürt.

24
Der Abdruck ließ keinen Zweifel. Fast wie er früher, in Kindertagen, seinen eigenen Abdruck im Schnee machte und bestaunte, zeichneten sich die menschlichen Extremitäten im Müllsumpf ab. Riley war sofort klar: Hier hatte er gelegen.
Vorsichtig leuchtete er die zerdrückten Behälter ab und wühlte sich durch Erde und Schimmel, dessen beißernder Duft ihm erst jetzt in der Nase stieg.
Ein vibrieren ließ ihn zusammenschrecken. Die Blechdose zu seiner Rechten schimmerte kurz grünlich, verschwand erneut in der Dunkelheit, um dann wieder grün zu leuchten. Riley brauchte kurz, um zu begreifen.
Umso energischer angelte er nach dem Mobiltelefon, als er es begriff.

25
Wo blieben die verdammten Kollegen?
Riley bemerkte das leichte Zittern in seiner rechten Hand, als er die Textnachricht öffnete, die das klobig wirkende Gerät soeben empfangen hatte.
„Was in GOTTES Namen tust du?“, war alles was er las, kein Absender, keine Nummer.
Er runzelte die Stirn und zögerte, ehe er den Posteingang öffnete, wo er auf nur eine weitere Nachricht stieß:
„ Offb.8,8. Tu das Nötige. Er ist mit dir.“.
„Was zur ?!“, fuhr es aus Riley.
Die Nachricht war in der vergangenen Nacht abgeschickt worden, das verriet im die letzte Zeile.
Letzte Nacht. Tu das Nötige.
Riley nahm die Ratte, welche sich an seinem linken Fuß festzubeißen schien, nicht wahr.
Er hätte auch barfuß auf Glut oder Scherben stehen können, in diesem Moment hätte es keinen Unterschied gemacht.
Blitzschnell zückte er sein eigenes Telefon, rief im Personenregister die Nummer von „ Essendon, Brad“ auf und drückte auf den Hörer.
„ Ja?“, ein Knacken unterbrach den Wählton.
„ Brad! Riley hier. Ich brauche deine Hilfe.“
Brad Essendon hatte eine geisteswissenschaftliche Ausbildung genossen und unterrichtete an einer Privatuniversität am Stadtrand.
„ Schieß los.“. Riley hatte schon immer seine direkte Art zu schätzen gewusst.
„ Du wirst eine Bibel brauchen. Offenbarung, Kapitel 8, Vers 8.“.
Riley hörte, wie der Hörer zur Seite gelegt wurde. Die Stille schien unendlich. Erst jetzt bemerkte er die Ratte, die sich langsam am Hosenbein hocharbeitete und wimmelte sie angewidert ab.
„ Rile? Ich hab’s. Ich beginn noch einen Vers früher, hör zu:“. Zeile für Zeile las er den Vers ruhig vor:
Und der erste Engel posaunte: und es ward ein Hagel und Feuer, mit Blut gemengt, und fiel auf die Erde; und der dritte Teil der Bäume verbrannte, und alles grüne Gras verbrannte. Und der andere Engel posaunte: und es fuhr wie ein großer Berg mit Feuer brennend ins Meer; und der dritte Teil des Meeres ward Blut und der dritte Teil der lebendigen Kreaturen im Meer starben, und der dritte Teil der Schiffe wurden verderbt.
Und der dritte Engel posaunte: und es fiel ein großer Stern vom Himmel, der brannte wie eine Fackel und fiel auf den dritten Teil der Wasserströme und über die Wasserbrunnen


Eine Reaktion blieb aus.
„Ich habe noch zwei weitere Verse vorgelesen, ich denke es ergibt nur so Sinn“, erklärte Essendon.
Riley Manstons Gesichtsfarbe nahm mit jedem Wort ab. Ihm schien der eh schon wacklige Boden unter den Füßen zu entgleiten.
„ Alles in Ordnung bei dir?“, fragte Brad Essendons leicht verzerrte Stimme durch den Hörer.
Riley ignorierte diese Frage. „ Brad. Hast du von dem Mord gestern gehört? Der in der NASA Station.“, seine Worte stockten merklich.
„Na klar.“, entgegnete Brad, offenbar verwundert den plötzlichen Themenwechsel.
„Hier ist irgendwas großes im Gange“, entglitt es dem Berufspolizisten, der ohne auf eine Antwort zu warten unverständliche Dinge murmelte. „ Wie“, Riley atmete aus. „Wie hieß der Mann, der geflüchtet ist? Der aus der NASA-Station, du weißt schon, der 1.Mord“.
Brad Essendon dachte für einen Moment nach.
„ Crop glaube ich. Howard.“, antwortete er zögerlich.
Auf Rileys Reaktion wartete er vergeblich:
Der Schatten, der sich seit geraumer Zeit hinter diesem aufgebaut hatte, hatte ein Messer gezückt, das nun ganz ruhig und sauber in Manstons Rücken gefahren war.

26
Tot.
Die Leitung war unterbrochen.
Brad verspürte Unbehagen.
Was war da bloß los gewesen?
Er ließ sich in seinen Sessel fallen und starrte auf die Bibelzeilen.
Es war eine alte Fassung des christlichen Buches, separiert in zwei eigenständige Bücher; das alte und das neue Testament.
und es fuhr wie ein großer Berg mit Feuer brennend ins Meer; und der dritte Teil des Meeres ward Blut und der dritte Teil der lebendigen Kreaturen im Meer starben“.
Ein Mord in der National Aeronautics and Space Administration, ausgerechnet dort. Wieso hatte sein sonst so abgeklärter und lockerer Freund so energisch genau danach gefragt?
und es fiel ein großer Stern vom Himmel, der brannte wie eine Fackel und fiel auf den dritten Teil der Wasserströme und über die Wasserbrunnen“ .
Brad spürte, wie sich die Schweißperlen auf seinem Gesicht bildeten.
Was hatte Riley in einem Nebensatz erwähnt? „Der 1.Mord..
Dass am Morgen ein Mann auf offener Straße, mitten in Washington, im Stile einer Hinrichtung erschossen wurde, hatte er gehört.
Hier ist irgendwas Großes im Gange…“
Was, wenn die Tatsache, dass Riley nicht mehr antwortete einen Grund hatte? Einen Grund in Form eines Howard Crop, eines durchgedrehten Mörders?
Die Morde, die NASA, die Bibelverse. Seine Halsschlagader pochte, einen klaren Gedanken zu fassen schien ihm unmöglich. Seine Schlussfolgerungen überschlugen sich.
Ein nervöses Zucken durchfuhr ihn. Er griff nach dem Telefon, riss dabei unachtsam Unterlagen und ein Bild seiner Tochter Amy zu Boden und drückte die eigens gespeicherte Notruftaste.

27
Der heiße Schmerz neben dem rechten Schulterblatt hatte nachgelassen. Riley wusste nicht, ob das Messer nicht mehr in ihm steckte oder ob sein Adrenalin nur das Stechen verdrängte.
Eine unheilvolle Stille lag im Raum, es schien als dachte der Angreifer nicht einmal daran, ein Wort mit dem Opfer zu wechseln. Eng zusammen standen sie dort im dunklen, so eng, dass Riley den heißen Atem spüren konnte, der in sein Ohr drang. Dann wieder nichts. Die Situation erschien absurd.
Wo blieben seine verdammten Kollegen, das war alles, was Riley durch den Kopf schoss.
Dann durchbrach er das Schweigen:
„Mr. Crop, wieso tun sie das?“
Ein heißer Schmerz durchfuhr seine linke Schulter. Es fühlte sich an, als würde sie wie ein Laib Brot abreißen.
Aufschreiend fiel Riley zu Boden, er spürte einen bitteren Blutgeschmack als er Aufschlug.
Das Messer war noch in ihm gewesen.
Der Schatten machte keine Anstalten, sich zu bewegen.
„ Wenn sie es mir nicht sagen wollen…“, japste Riley bemüht. Doch er wurde unterbrochen.
Mit einer Inbrunst, die ihn zusammenfahren ließ, brüllte Howard Crop in die Lagerhalle.
Es war Wut, reiner Hass.
„ Warum ich das tue? Ich sag es dir!“, bellte er unkontrolliert.
„ Weil Gott es so will! Die Erlösung ist nahe!“.
Riley Manston kroch stöhnend zu einer Kiste.
„ Sehen sie diese Menschen an!“, seine Stimme zitterte vor Abscheu. Verachtend spuckte er in die Richtung, in der Riley das weibliche Opfer liegen vermutete, was ihm einen weiteren Stich versetzte.
„ Sündiger. Alle!
Sie , DU, alle, die in diesem Moment an diesem dreckigen Hof vorbei über die Straßen schlendern.“
Wie in Rage gestikulierten seine Arme wild umher, er schien die bizarre Situation, in welcher er sich befand, vergessen zu haben.
„ Der allmächtige hat es uns gesagt. Du sollst nicht lügen, stehlen oder töten. Und was tut dieser Abschaum da draußen? Diese Menschen?“, Crop holte tief Luft. „Sie sündigen. Jeden Tag. Die Offenbarung hat es uns prophezeit; wenn wir Gottes Regeln nicht einhalten, wird er unsere Existenz vernichten. Und genau das wird passieren, in wenigen Wochen, und ich zähle die Tage!“.
Riley hatte ein Stück seiner Fassung zurückgewonnen. Während er sich mit einer Hand abstützte, versuchte er mit einem alten Stück Papier, vermutlich einer Zeitung, seine Blutung zu stillen.
„ Und genau das haben sie gesehen. Gestern beim Forschen im Hochsicherheitstrakt. Ein Meteorit.
Und damit ihr Kollege nichts bemerkt haben sie ihn umgebracht.“, röchelte er erschöpft.
„Er hätte die Bedeutung nicht verstanden. Es musste sein. Endlich ist es wahr geworden.“, Crop hob die Hände verzückt gen Himmel.
„Früher oder später hätten es andere bemerkt. Russen, Europäer.“, warf Riley ein.
„ Aber erst zu spät.“, Howard Crop klang vergnügt. „ Ein Meteor von dieser Größe.. unsere Warnsysteme sind nicht nur mindestens doppelt so teuer, nein, sie sind auch doppelt so effektiv. Nur eine sofortige Reaktion könnte Gottes Werk verpfuschen. Wie es Menschenhand schon so oft getan hat.“, Wut schien erneut in ihm aufzukochen.
„Wir, unsere kleine Gemeinde, hat sich nichts vorzuwerfen.“, fuhr er ungefragt fort. „Wir erwarten Gottes Willen mit Freude, uns winkt die Erlösung, ihr werdet in der Hölle schmoren.“, es folgte ein glucksender Ausdruck von Freude und Zorn, der in einem scheppernden, unkontrollierten Lachen endete.
Eine Pause trat ein. Riley meinte Schritte zu hören, doch vielleicht erhoffte er sie auch nur.
Er musste diesen Typen hier irgendwie halten, das hatte er schon früh gelernt und diese polizeiliche Lehre drang trotz aller Schmerzen noch immer durch.
„ Sie haben sich nichts vorzuwerfen? Sie haben heute ein halbes Dutzend Menschen umgebracht. Scheinbar konnten sie die Sache nicht im Keim ersticken…“, Riley spuckte ächzend Blut.
Der Mann über ihm schnaubte. Mit einem Schritt war er bei ihm und trat ihm mehrfach in die Rippen.
„Sie wagen es“, er machte die Stelle des Einstiches ausfindig und bugsierte seine Tritte möglichst dorthin, „an meiner Gottestreue zu zweifeln?“.
Riley erblindete vor Schmerz. Er wollte, dass es nur noch vorbeigeht. Jeder Tritt erschütterte ihn ihm Mark.
Doch Crop dachte nicht an aufhören. Riley dachte ein lautes knirschen zu hören und schrie auf.
„ Alle diese Morde waren für ihn. Um seine Mission zu unterstützen. Dieser alte in Forestville hat uns bei einer Sitzung belauscht. Er wollte es verraten, doch das durfte er nicht. Leider hatte er die Nachricht früh genug weitergegeben, genau so wie die Anderen. So musste ich ihnen folgen und es beenden. Bis hier hin.“
Erst jetzt ließ er von Riley Manston ab, der zusammengezogen und regungslos auf dem Boden kauerte.
„Es hat fast ein bisschen Spaß gemacht.“, lächelte Howard Crop und starrte träumerisch in das Nichts.
Da war sie wieder. Eine Stille, die alles aufzusaugen schien. Jegliche Regung.
Als die Tür aufflog und gleißend helles Licht den Raum durchströmte, blickte er auf.
„Metropolitan Police Department, ein SWAT Team steht am Südausgang bereit. Machen sie keine Anstalten zu fliehen, sonst werden wir schießen.“, kommandierte eine kräftige, verrauchte Stimme.
Riley erbrachte alle Anstrengung um seinen Kopf nach oben zu richten.
Er sah, wie Crop, dessen Gesicht er durch das nun einfallende Licht sofort wiedererkannte, zurückwich.
„ Nein. So wird es nicht enden.“, flüsterte er.
Erneut verstummten alle Geräusche. Ein Rascheln im hinteren Wartungsbereich der Halle war alles, was die Lautlosigkeit durchschnitt. Die Polizei musste gerade die Situation abschätzen.
„Ich werde die Erlösung finden, ganz egal auf welchem Weg.“, wisperte Crop.
Er schien ins Wanken zu geraten und stolperte ein paar Schritte Rückwärts.
Mit Taschenlampen stürmten vier gepanzerte Männer die Lagerhalle.
Der ehemalige NASA-Forscher erhob er sein Messer und rammte es sich in den Brustkorb.
„Ich gehe nur schon einmal vor.“, keuchte er, bevor er zusammenbrach.


28
„Holt die Sanitäter. Wir haben hier mindestens drei Verletzte!“, rief ein maskierter Polizist mit gezückter MP5 harsch zum Ausgang.
Riley nahm seine Umwelt nur noch schwer wahr.
Als sich ein Streifenpolizist mit einem Mediziner neben ihm zu Boden ließ, klang dessen „Sir, verstehen sie mich?“ seltsam dumpf, fast als befänden sie sich unter Wasser.
Ob es Erleichterung oder Schmerz war, der ihn nun übermannte, wusste er nicht.
Alles, was er kurze Zeit später wusste, war wie ein Krankenwagen von innen aussah, denn dort erwachte er nach wenigen Augenblicken.
Ein hochgeschossener, blasser Mann mit Sanitätskreuz spritzte ihm gerade irgendein Mittel.
Sein Blick schien noch verschwommen und verzögert, dennoch fand er, wonach er Ausschau hielt.
Auf einer kleinen Bank längst neben dem Krankenbett, mit dem Rücken zur Wagenwand, saß ein Officer, der ihn mit wachen Augen musterte.
Das gespritzte Beruhigungsmittel tat sein bestes. Riley brauchte eine Weile, bis er dem Gesicht des Mannes einen Namen zuordnen konnte. Neben ihm saß der Chief Executive Aaron Webber, ein Mann Mitte Fünfzig mit grauem aber vollem Haar, das militärisch streng auf wenige Millimeter gekürzt war. Webber war im Polizistenjargon nur als der große Boss der Stadtzentrale von Washington bekannt. Riley erinnerte sich.
Dann durchfuhr ihn die Erkenntnis, dass wohlmöglich niemand etwas wusste.
Er durfte nicht erneut dem gespritzten Mittel verfallen, vorher musste er Howard Crops Geheimnis lüften.
„Sir?“, keuchte Riley mit Darbietung all seiner Willenskraft.
Webber, der den Patienten aufmerksam beobachtet hatte, blickte zwar leicht verwundert auf, aber beugte sich umgehend nach vorne, um Riley Manstons Worte trotz des Motorenlärms verstehen zu können.
„ Sir… Sie müssen von Howard Crops Motivation wissen. Sie müssen es der NASA melden.“, ein Schub überkam Riley und er hatte das Gefühl, sich übergeben zu müssen.
Zu seiner Überraschung musste er sich nicht weiter bemühen.
Mit fester Stimme sprach Webber. „Wir wissen es bereits. Ihr Freund und Kollege Essendon hat uns bereits informiert.
Zwar musste er zweimal durchrufen, da die erste Mitarbeiterin seine Aussagen für einen geschmacklosen Witz gehalten hatte und das Telefonat sofort beendete, aber der Zweite hat den Notruf komplett aufgenommen und weitergeleitet.“
Riley stöhnte auf.
Wie zur Beruhigung fuhr Webber beschwichtigend fort: „ Die Stadt Washington prüft bereits alles. Im Notfall wird sie alles an die Regierung weitergeben.“
Der Krankenwagen schoss über eine Kreuzung. Für einen Moment lauschte Riley der heulenden Sirene.
„ Er wollte es durch die Morde vertuschen“, hustete er schwach.
„ Aber da hatte er seine Rechnung ohne sie gemacht“, strahlte Webber nun, dessen Brust vor Stolz anschwoll. „Glauben sie mir, wenn sie hier raus sind, werden sie sich bei mir vorstellen. Downtown. Ein hübsches Büro erwartet sie bereits.“
Riley Manstons Mundwinkel deuteten ein Lächeln an.
Dann kehrten die Kopfschmerzen zurück. Intervallartig, wie eine hämmernde Keule, schlugen sie auf seinen Kopf.
Schmerzverzerrt musste er an die Tritte denken, die Howard Crop in seinem Wahn gegen sein Rippen gerichtet hatte. Erst jetzt sah er, dass der Bereich seines Oberkörpers bandagiert war.
Er wollte sich der süßen Narkose hingeben, die den Schmerz irgendwie vergessen machen würde.
Doch eines brannte ihm noch auf der Zunge: „ Wie geht es der Frau?“, flüsterte Riley beinahe.
Webber nickte nur zufrieden.
„Sie kommt in dasselbe Krankenhaus wie sie. Keine Sorge, sie werden sich noch kennen lernen.“.
Dann gewann die Taubheit, die unendliche Leere und Finsternis erneut die Kontrolle über seinen entkräfteten Körper.

29
Die knappen Daten begleitet von zahlreichen Informationen bekam Riley eines Morgens per Post.
Ein großer „Vertraulich“ Stempel zierte den Umschlag. Statt des üblichen Absenders schmückte das Symbol der Stadt Washington das rechteckige Weiß.
Nur ein distinguierter Kreis an Fachleuten und Regierungsmitgliedern durfte es erfahren.
Riley Manston wurde durch ein vom Gouverneur mitinitiiertes Verfahren der Zugang zu den Daten gestattet worden.
Offiziell war der unbemannte Shuttle zu Testzwecken in den Weltraum gestartet. Sie sei die erste Rakete, die allein durch Computerprogrammierung die eigentliche Basisstation in 400 km Höhe versorgen sollte.
Später, so sagte es der Brief, würde sie wegen Komplikationen von der bestimmten Route abweichen und im All verschwinden. Zur Folge habe dies eine Kollision mit einem Meteoriten von bisher unbekannter Größe.
Die Fußzeile enthielt Berechnungen der hochgeschätzten Washington State University, die beim richtigen Einschlagswinkel ein fast sauberes Ausweichen der einzelnen Gesteinsbrocken prognostizierte.
Lediglich ein Teil von der Größe eines mitteklasse Wagens sei auf Kollisionskurs.
Hielte es die Geschwindigkeit würde es aber ohne Komplikationen im Pazifik einschlagen.
Riley Manston faltete den Brief, und blickte aus seiner neu bezogenen Stadtwohnung hinab auf die belebten Straßen Washingtons.
Die Sonne glänzte und reflektierte sich auf den noch nassen Straßen. Ein Windzug brachte die majestätisch aufragenden Bäume des Stadtparks zum rascheln und eine Schaar von Vögeln flog soeben wild schnatternd an seinem Fenster vorbei durch die langsam aufreißenden Wolken in den hellen Samstagmorgen Himmel.
Sein Oberkörper schmerzte noch immer bei jeglicher Bewegung.
Dennoch verspürte er nicht mehr den Schmerz des Leids oder der Hoffnungslosigkeit.
Er sah es als vielmehr als Zeichen der Regeneration
Unter Stichen und wilden Protesten seiner zusammenwachsenden Knochen begann Riley Manston zu lachen.


30
Allein die Tatsache, dass es den kleinen Buchladen um die Ecke noch gibt, zu welchem sie regelmäßig gehen, um ihren Lesedurst stillen zu können, ist das Geschenk dieser Personen. Wir alle stehen in ihrer Schuld: ...

Er hatte zurück zum Vorwort geblättert. Eigentlich gefiel es ihm immer noch nicht.
Fast ein wenig trotzig ignorierte er es. Seine Edelstahlfüller prüfte die letzte Zeile „wir alle stehen in ihrer Schuld:“, murmelte er. Dann setze er das Schreibgerät an und vollendete : „ Jonathan Morten, Cooper Goodrick, Peter Salford, Joe Bright, Ciara Havering & Riley Manston.“
Sich selbst wollte er nicht nennen, das schien im abwegig.
Er erhob sich von seinem schweren Sessel, klappte das Buch zu und legte es auf den Schreibtisch.
Amy lachte ihn aus dem silbernen Bilderrahmen an als er nach dem Telefon griff.
Die Nummer von Rile hatte er mittlerweile als Favoriten abgelegt, nachdem dieser ihn eines Abends zwinkernd beauftragt hatte, für ihn ein Buch zu schreiben. „Ich bin

Geisteswissenschaftler, kein Autor“, versuchte er sich zu wehren. Ohne Erfolg.
Das Rufzeichen wurde unterbrochen.
„Bei Manston.“, meldete sich eine Frauenstimme.
„ Hi Ciara.“, begrüßte Brad Rileys Freundin.
„ Ich wollte Rile nur kurz ausrichten, dass ich sein Meisterwerk vollendet habe.“.
Eine gewisse Ironie in seiner Stimme entging auch Ciara nicht, die lachend erklärte, Riley sei gegen Abend zurück.
„ Komm doch auf ein Glas Wein vorbei, der gestresste Neu -Deputy Chief würde sich bestimmt freuen.“.
„ Gerne.“, entgegnete Brad Essendon vergnügt.
Während er sprach drehte Brad abwesend einen beinahe runden Stein in seiner Hand.
Er glänzte fast unnatürlich und war auffällig rau und scharfkantig. Ein Lächeln umspielte seine Lippen.
„ Dann sehen wir uns um Sieben.“
Er beendete das Gespräch und verließ das Zimmer. Zurück blieb nur der alte, klobige Holzschreibtisch, der hoffnungslos überquoll.
Neben Stiften, Magazinen, einem Berg Abfall diversester Lebensmittel, unzähligen Papierknäueln und einem Lateinwörterbuch, lag am Rand des Schreibtisches ein erster Deckblattentwurf.
Auf schwarzem Hintergrund stand es in großen Buchstaben:
Exsolutio.


------------

Das war er.
Mein erster, größerer Versuch, meine Gedanken schriftlich festzuhalten – und das möglichst ohne hohen Einschlaffaktor.
Letztlich hat mich genau dieser kurzzeitig selbst getroffen, weswegen ich rückblickend (vielleicht auch nicht ganz ohne Stolz) doch tatsächlich von einer beinahe halbjährigen Produktionszeit und mehr als 10.000 getippten Worten sprechen darf.
Ich persönlich hoffe, dass der ein oder andere seinen Spaß an der Geschichte entwickeln konnte und bin gespannt, was die weitere Zukunft bringt. Solang die Kritik, die ihr mir gerne via E-Mail, oder dem Gästebuch Online zukommen lassen könnt (und das auch sollt) nicht allzu vernichtend ist, wird das hier nicht der erste und letzte Beitrag eines kleinen, unbezahlten, Freizeitsautoren bleiben.
Im besten Falle hat euch das Projekt ähnlich vergnügt wie mich, was ich mir doch wünsche, denn dann wären die vielen Stunden Zeit, die unzähligen Nerven und Kaffetassen, die diesem Buch zum Opfer gefallen sind, nicht ganz umsonst gewesen.
Auf bald.
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