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Alt 04.01.2007, 22:46   #1
zauberzunge
 
Dabei seit: 12/2006
Beiträge: 96


Standard Krähenspur.

Der verfluchte Wind bläst draußen so stark das er mir mit seinem Geheul den Schlaf raubt.
Das Geräusch macht mich krank, ich kann es nicht leiden, es erinnert mich viel zu sehr an das Schöne, die Freiheit, die Sachen die längst vergangen sind. Ich will nicht daran denken.
Viel zu früh ist es dafür. Es ist überhaupt zu früh. Draußen ist es kahl, leer und braun. Nicht einmal der Schnee fällt, nichts rührt sich. Als Protest gegen die Ruhe im Haus dreh ich mich vom Rücken auf den Bauch. Das Rascheln der Decke beruhigt mich fast, es beweist mir dass ich noch da bin. Schon als Kind hatte ich die verwirrende Angst eines Tages auf zu wachen und die eigenen Lebenszeichen nicht mehr zu sehen. Ich fürchtete mich davor durch den Sand zu gehen und die Abdrücke nicht zusehen. Ich hatte Angst dass der Pudding nicht weniger werden würde wenn ich ihn aß. Ich fürchtete mich haltlos dass der Beweis dass ich gelebt habe verschwinden würde, ich wollte Zeichen, ich wollte Spuren die mir zeigten dass ich lebe.
Selbst jetzt, nach der langen Zeit, wo doch niemand mich mehr versteckt vor dem Besuch weil ich all zu oft meine eigenen Lebensbeweise kontrollierte, sage ich mir selber immer wieder das ich nur auf Sicherheit ginge.
Es hilft vielleicht in der Wirklichkeit, im Leben, nicht allzu sehr auf zu fallen. Es hilft dir wie Vorhänge vor dem Fenster, wie Türen die sich schließen. Es hilft wenn du dir selbst sagst dass du nicht verrückt bist. Es hilft sehr, wenn du dir selbst erklärst warum du das tust. Und trotzdem, jedes Mal fühle ich mich ertappt. Ertappt. Umzingelt.
Man hat doch gar nichts getan. Man wollte doch nur schauen ob wohl noch…

Ich drehe mich wieder auf den Bauch. Oft übermannen mich solche Gedanken. Aber ich will sie nicht, ich will sie aussetzen wie einen undressierten Hund. Ich würde sie gerne hinausschicken in die kalte Finsternis, doch sie bleiben, wie dein Schatten.
Ich setze mich auf. Verschlafen fällt mein Blick auf die alte hölzerne Uhr über der Tür. 4 Uhr.
Himmel, ich hasse diesen Morgen. Das schlimmste ist wohl, sich morgens immer bei solchen Gedanken zu erwischen. Denn es wird ihn immer und immer wieder geben, einen neuen Morgen. Und er wird gleich sein wie der gestern und wie der vorgestern. Und der vor einem Jahr wird sich nicht unterscheiden von dem im nächsten Jahr. Eineinhalb Stunden. Dann muss ich wieder zur Arbeit. Wie jeden Morgen. Vielleicht hatte das ganze auch eine gewisse Tröstlichkeit. Solang der neue Morgen kam, war ich da, hinterließ Spuren. Doch irgendwann entsetzt dich dieser Fakt, und du lebst nicht mehr, du bist. Und das sollte mir doch nicht reichen. Ich bin zum Zuschauer geworden, in meinem eigenen Leben. Die Erkenntnis beißt mein Herz. Angeekelt steh ich auf. Ich friere.
Der Gang zur Dusche. Wie immer. Das kalte Wasser, ich versuche die Gedanken ab zu waschen, weil sie sich so unerwünscht durch meine Haut beißen und nagen. Wie das Feuer durch Holz. Wie der Gedanke von Tod durchs Leben. Ich friere noch mehr. Aber ich will sie fort waschen, die Gedanken an Tod, Herz, Blut und Verderbnis. Sie machen dir nur noch mehr Angst, hatte mir ein Therapeut einmal gesagt. Sie sind durchschaubare Menschen, mit einem verlorenen Herz. Ich mag sie jetzt noch nicht, sie erzählen dir von Sachen die du nicht wissen willst. Ich wollte nie wissen was ich habe, oder wie es gekommen ist. Ich wollte wissen wie es wieder weg geht.
Und das konnte mir niemand sagen, also hörte ich ihnen nicht zu.

Das Handtuch wärmt mich nicht richtig, aber sonst war nichts woran ich mich wärmen hätte können. Eilig ziehe ich mich an, auch die Jacke und die Handschuhe. Sonst hält man es nicht lange aus, in diesem verdammten Haus. Mein Frühstück lass ich ausfallen. Auf solche Gedanken schmeckt das Essen nicht. Und das Leben erst recht nicht.
Ich schließe die Tür auf. Ein eisiger Wind heißt mich willkommen.
Es war auch ein Therapeut der mich einmal gefragt hat ob ich je einen Gedanken an Selbstmord verschwendet hätte.
Ich stelle den Kragen meines Mantels auf und ziehe meine Mütze ins Gesicht.
Die richtigen Worte wollten mir damals nicht einfallen. Doch jetzt erscheinen sie mir ziemlich simpel.
Dafür bin ich zu feige. Ich gestehe mir doch nicht einmal ein, dass ich mir das Ende herbeisehne.
Mit gesenktem Kopf gehe ich die menschenleere Straße entlang. Der verfluchte Wind bläst mir um die Ohren.
zauberzunge ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 06.01.2007, 15:01   #2
oasis.
 
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Beiträge: 764


so. die versprochene Antwort:

Zitat:
Es ist überhaupt zu früh. Draußen ist es kahl, leer und braun. Nicht einmal der Schnee fällt, nichts rührt sich. Als Protest gegen die Ruhe im Haus dreh ich mich vom Rücken auf den Bauch. Das Rascheln der Decke beruhigt mich fast, es beweist mir dass ich noch da bin. Schon als Kind hatte ich die verwirrende Angst eines Tages auf zu wachen und die eigenen Lebenszeichen nicht mehr zu sehen. Ich fürchtete mich davor durch den Sand zu gehen und die Abdrücke nicht zusehen. Ich hatte Angst dass der Pudding nicht weniger werden würde wenn ich ihn aß. Ich fürchtete mich haltlos dass der Beweis dass ich gelebt habe verschwinden würde, ich wollte Zeichen, ich wollte Spuren die mir zeigten dass ich lebe.
... dass der Pudding nicht weniger werden würde wenn ich ihn aß.
Waah! Ich liebe diesen vergleich.

Ich finde es ist eine richtig gut gelungene Kurzgeschichte. Ich mag sie. Es ist so ein schönes Bild. So schön verständlich (Ganz und gar nicht verrückt. )

Zitat:
Ich wollte nie wissen was ich habe, oder wie es gekommen ist. Ich wollte wissen wie es wieder weg geht.
wow.
So traurig irgendwie. Wie ich's gelesen hab hab ich Gänsehaut (gute Gänsehaut ) gekriegt. Hat auf jeden Fall Eindruck hinterlassen. Bin der Meinung du solltest sowas öter machen. Also Kurzgeschichten schreiben.
Hast das Thema wirklich schön und gut umpackt. weiter so

lg
oasis.
oasis. ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 12.01.2007, 17:39   #3
zauberzunge
 
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Beiträge: 96


hej katha.

also endlich findet sich die Zeit zu antworten:
toll. danke. freut mich. Ich hab das ganz schnell geschrieben weil ich Angst hatte das mir die Ideen, die so zahlreich plötzlich da waren, wieder weglaufen würden. aber sind sie anscheinenden nicht. gottseidank.


zauberzunge
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Alt 13.01.2007, 21:55   #4
oasis.
 
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Beiträge: 764


hej david.

warum eigentlich Kähenspur? hmm... Net ärgern! Ich versteh die Geschichte! aber... ?

Ich habs grad noch einmal gelesen und mir ist was aufgfallen:
Zitat:
Ich stelle den Kragen meines Mantels auf und ziehe mein Gesicht.
verziehe?

Ich weiß ist ne Kleinigkeit. Tsa! Ich Perfektionist Ich.

(Waah! Ganz ungewohnt! Hochdeutsch! )


vlg
oasis.
oasis. ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 14.01.2007, 13:44   #5
zauberzunge
 
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Hi Katha.

hm. Krähenspur.
weil...
weil es geht doch um Spuren, Spuren die man hinterlassen hat und die man hofft zu hinterlassen. Und es hat bei uns geschneit und dann sieht man immer die Tapser von die Vögel im Schnee. Und das find ich immer irgendwie schön.
vielleicht aber auch nur einfach so

Zitat:
Original von oasis.

Ich habs grad noch einmal gelesen und mir ist was aufgfallen:
Zitat:
Ich stelle den Kragen meines Mantels auf und ziehe mein Gesicht.
waaa! ist mir gar nicht auf gefallen 8o
in Wirklichkeit sollte es heißen:
Ich stelle den Kragen meines Mantels auf und ziehe meine Mütze ins Gesicht.

pfa. dreimal hab ich's durchgelesen. nix ist mir aufgefallen
danke. vielen dank.

(sobald ich oasis lese will ich schon im Dialekt schrieben 8o macht der gewohnheit...)

lg
zauberzunge
zauberzunge ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 14.01.2007, 19:27   #6
oasis.
 
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hejhej

kann ja mal passieren.
Is jetzt auch keine Kritik. Ich wollte nur darauf aufmerksam machen.

Die Spur war schon irgendwie klar. Nur woher das "Krähen" kam wusste ich nicht. Absolut schöne Idee. Und mit viiieel Phantasie kann ich mir das so irgendwie vorstellen. (Wir hatten noch gar nie Schnee 8o )

Ich schweife ab.

Ich hatte Angst dass der Pudding nicht weniger werden würde wenn ich ihn aß.

wow.

ganz ungewohnte lg
oasis.
oasis. ist offline   Mit Zitat antworten
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