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Alt 26.05.2010, 22:54   #1
Aporie
 
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Standard Wie siehst du denn aus?

Als Juliette Binoche letzte Woche in Cannes den Großen Preis als Beste Schauspielerin erhielt, dachte ich, wie immer, wenn ich Juliette Binoche sehe, an eine Frau, die auf den ersten Blick eher aussah wie eines dieser Mädchen, die nur auf dem Fahrradsattel einen Orgasmus bekommen und dann eine Straßenlampensäule umarmen und die Pedalen leer treten.
„Mir hat mal jemand gesagt, ich sähe aus wie Juliette Minouche…“ sagte sie, als wir vor dem ersten Mal, nackt im Bett sitzend, einen Joint hin- und herreichten, der uns nachher so minou zu wohltuenden Taten aneinander beflügelte. Sie sah nur aus, wie ein Mädchen, das es nur mit dem Fahrradsattel treibt, in Wirklichkeit war sie sehr bewandert auf den Wegen, die Männer kommen lassen, bevor sie es möchten.
Nach einigen Begegnungen vögelten wir in Einklang, von einem Zweig zum anderen, und zwar ziemlich laut, und am Schluss schrieen wir sogar zur gleichen Zeit.
„Du meinst Binoche“, sagte ich.
„Ob Min oder Bin, du weißt schon ……“
Sie reichte mir den Joint und blies gleichzeitig den Rauch aus.
Ich nahm einen tiefen Zug. „Woher soll ich das wissen? Mit hat noch niemand gesagt, ich sähe wie jemand aus.“
Sie warf mir einen Blick zu, der nicht gut aussah.
„Ich sehe so aus wie ich“, sagte ich, ohne eine Vorstellung davon zu haben, wie sie mich sah, und gab ihr den Rauchstängel zurück.
Sie lachte. „Das tut doch jeder, aber wenn jemand einem sagt, man sähe so aus wie die Minouche oder die Binouche, dann ist man noch wer Anderes und nicht nur ich. Stell dir einfach mal vor, du bist du und ich zugleich. Darauf läuft es hinaus.“
Ich rollte die Augen über verschiedene Details der Schlafzimmerausstattung und überlegte. Fotos früherer Frauen hingen damals noch nicht an der Wand.
„Das kann man nur, wenn man verliebt ist“, sagte ich schließlich.
Sie vergriff sich an dem, wofür sie mich hielt, sagte aber vorher: „Man kann ja auch selbstverliebt sein.“
Wie auch immer unsere Liebschaften miteinander oder in sich selbst verliefen, wir waren etwa drei Wochen glücklich zusammen, dann musste sie wieder zu ihrem Ehegatten, von dem ich erst in der zweiten Woche erfuhr, aber ich dachte später immer an sie, wenn ich Juliette Binoche auf der Leinwand oder auf einem Bildschirm begegnete.
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Alt 26.05.2010, 23:23   #2
weiblich Ex-phönixe
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Beiträge: 401


Hallo Aporie,
richtig gut,
und ich kann den Inhalt nicht nur nachvollziehen, sondern komplett verstehen.
Was nicht immer bei Kurzgeschichten der Fall ist.
Vielmehr kann ich jetzt nicht dazu schreiben- ausser "saugut"

lg phönixe
Ex-phönixe ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 27.05.2010, 21:31   #3
Aporie
 
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Ort: Bülach (CH)
Beiträge: 151


Standard Die endgültige Fassung

Wie siehst du denn aus!

Als Juliette Binoche letzte Woche in Cannes den Löwen gewann, dachte ich, wie immer, wenn ich Juliette Binoche sehe, an eine Frau, die auf den ersten Blick eher aussah wie eines dieser Mädchen, die nur auf dem Fahrradsattel einen Orgasmus bekommen und dann eine Straßenlampensäule umarmen und die Pedalen leer drehen lassen.
„Mir hat mal jemand gesagt, ich sähe aus wie Juliette Minouche…“ sagte sie, als wir vor dem ersten Mal, nackt im Bett sitzend, einen Joint hin und her schoben, der uns nachher so minou zu wohligem Vergnügen aneinander beflügelte. Sie sah nämlich bloß aus, wie ein Mädchen, das nur Fahrräder sattelt, in Wirklichkeit bestieg sie Männer, und als begabte Musikerin pedalte und manualte sie sehr bewandert auf den Wegen, die Männer kommen lassen, bevor sie es möchten.
Nach einigen Proben vögelten wir in Einklang, von einem Zweig zum anderen, und zwar ziemlich laut, und am Schluss schrieen wir sogar zur selben Zeit.
„Du meinst Binoche“, sagte ich.
„Ob Min oder Bin, du weißt schon ……“
Sie reichte mir den Joint und blies gleichzeitig den Rauch aus.
Ich nahm einen tiefen Zug. „Woher soll ich das wissen? Mit hat noch niemand gesagt, ich sähe wie jemand aus.“
Sie warf mir einen Blick zu, der nicht gut aussah.
„Ich sehe so aus wie ich“, sagte ich, ohne eine Vorstellung davon zu haben, wie sie mich sah, und gab ihr das Räucherstäbchen zurück.
Sie schüttelte den Kopf in der Art von Juliette Binoche und sagte mit einem ähnlichen Augenaufschlag: „Das tut doch jeder, aber wenn jemand einem sagt, man sähe so aus wie die Minouche oder die Binouche, dann ist man noch wer Anderes und nicht nur ich. Stell dir einfach mal vor, du bist du und ich zugleich. Darauf läuft es hinaus.“
Worauf genau, war mir nicht klar. Ich rollte die Augen über verschiedene Details der Schlafzimmerausstattung und der musikalischen Frau neben mir, bevor ich mich mit einer Vorstellung beschäftigen konnte.
„Das kann man nur, wenn man verliebt ist“, sagte ich schließlich und sah dabei wohl aus wie jedermann, "man braucht einen gemeinsamen Nenner, wenn man ein Doppelleben führen will."
Sie schaute zur Decke und nachher auf mich herab, als sie sich an dem vergriff, wofür sie mich hielt. „Man kann ja auch selbstverliebt sein“, sagte sie vorher. Danach schwieg sie, denn ihre Zunge war bereits mit locker verzierten Arpeggi unterwegs, und ihre Finger griffen molto affettuoso in die Tasten des Kifferklaviers, während ihre rechte Mamma als Sonderform einer aufgeregt segelnden Wolke über meine linke Wange strich. Ich wohnte diesem ad libitum instrumentierten Konzert allegretto und dann prestissimo ihr selber bei.
Unser Unisono mündete nach drei Wochen ins Finale, danach musste die Musikerin wieder zu ihrem Ehegatten, von dem ich erst in der zweiten Woche erfuhr, aber ich dachte später immer an sie, wenn ich Juliette Binoche auf der Leinwand oder auf einem Bildschirm begegnete.
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