Poetry.de - das Gedichte-Forum
 kostenlos registrieren Forum durchsuchen Letzte Beiträge

Zurück   Poetry.de > Geschichten und sonstiges Textwerk > Kolumnen, Briefe und Tageseinträge

Kolumnen, Briefe und Tageseinträge Eure Essays und Glossen, Briefe, Tagebücher und Reiseberichte.

Antwort
 
Themen-Optionen Thema durchsuchen
Alt 02.11.2010, 22:35   #1
weiblich Aquaria
 
Dabei seit: 02/2010
Alter: 42
Beiträge: 521

Standard Observation

Ich habe jetzt zum zweiten Mal in diesem Gespräch vergessen, wie der Kerl heißt, noch einmal frage ich nicht. Von mir aus kann er Martin heißen, Holger oder auch Mettigel.
Fröhlich stimmt er jetzt er in mein Lachen ein und ich komme mir gemein vor. Er freut sich einfach, dass ich ihn offenbar amüsant finde und dass er jemanden zum Unterhalten gefunden hat auf diesem Betriebsfest. Dass ich permanent an ihm vorbeischiele, merkt er gar nicht. Auch nicht, dass er hier den Alibimenschen für mich macht, nur einen quatschenden Puffer zwischen mir und dem Mann, den ich so dringend zu belauschen versuche. Der sitzt nämlich auf dem Barhocker vor uns, ER, der mich von meiner Arbeit abhält, der mich nervös und blöd im Kopf macht und vor allem wütend, weil er all das macht!
Für heute habe ich mir nicht weniger vorgenommen, als die Sache ein für allemal zu beenden. Egal, ob ich mir einen Korb hole, oder für den Rest meines Lebens mit ihm glücklich werde, irgendein Ende muss her. Dieser Schwebezustand macht mich irre, die ständige Analyse jedes Gesprächsfetzens, das Suchen und Finden in der Firma unter saublöden Vorwänden, es reicht. Mir ist andauernd nur noch schlecht. Auf dieses Fest reagiere ich, wie auf eine Prüfung, für die ich schlecht vorbereitet bin. Etwas anderes ist es wohl auch nicht.
Dass die Pferdefrau nun schon über eine Stunde neben ihm an der Theke sitzt gibt mir jetzt den Rest. Ich war mal wieder nicht schnell genug. Ich musste ja unbedingt noch den optimalen lustiglockeren Spruch finden, um in das Gespräch einzusteigen. Hab ich toll hingekriegt, was? Jetzt hab ich nicht nur den tollsten Satz der Welt parat, sondern auch noch eine sprühende Konversation mit dem namenlosen Mettigel! Nicht zu vergessen, die schöne Aussicht auf die Pferdefrau, die schon fast auf SEINEM Schoß sitzt!
Scheiße ist das! Ich weiß nicht genau, worüber die reden. Ich möchte Mettigel auf die Glatze hauen, damit er mal für einen Moment still ist. Stattdessen höre ich mal wieder in seinen Monolog rein. Immer noch irgendeine lustige Firmenstory. Mir ist zum Heulen. Mettigel ist mir jetzt so egal, dass mir der Blick auf die Uhr nicht mal unangenehm ist. Immerhin ist es noch früh. Ruhe bewahren. Zeit ohne Ende. Aufpassen mit dem Alkohol. Und Würde wiederfinden. Das jetzt mal als erstes.
Mit einem energischen Rums stelle ich das Bierglas auf die Theke. Erst mal raus aus der zweiten Reihe, hier komm ich garantiert nicht weiter. Mettigel schaut mich irritiert an, er hat noch keinen Punkt hinter seine Geschichte gemacht, er will hier nicht weg. Ich sage, dass ich mal die Mädels wiederfinden will und entschwinde Richtung Toiletten.
Die nächsten Stunden verschwimmen zu Einheitsbrei. Ich bin unterwegs. Nie stehe ich länger als zehn Minuten bei der gleichen Gruppe oder tanze länger als ein Lied auf der Tanzfläche. Ich bin häufiger draußen, als jeder Raucher. Aber nur für eine Zigarettenlänge, die ich selbst eben nicht rauche, weil mir immer noch schlecht ist. Ich nippe nur noch an einem Alster rum und kriege von keinem Gespräch wirklich was mit.
Zweimal noch wollte der Mettigel seine Geschichte weitererzählen. Aber ich habe ihn nicht gelassen. Nicht mehr die Theke zu observieren, fordert meine gesamte Konzentration.
Als ich es schließlich doch mal hinlinse, ist die Pferdefrau verschwunden. Mir schießt das Adrenalin so heftig in die Birne, dass ich nach Luft schnappe. Los jetzt, los los los!
Der Superspruch ist weg, aber ich krieg’ s auch so hin. Wie immer können wir losquatschen, ohne dass es irgendwie anstrengend ist. Jetzt geht es mir prima, die Übelkeit ist wie fortgewischt. Er hat mittlerweile schon ganz gut einen sitzen, ich bestelle Bier und ziehe fröhlich nach. Einträchtig sitzen wir nebeneinander und erzählen uns was. Ab und an kommt jemand vorbei, mischt sich in das Gespräch ein und verlässt uns bald wieder. An seiner Seite fühle ich mich wie eine Sonne, um die ein paar Monde kreisen.
Als er mich zum Tanzen auffordert, trau ich mich nicht. Ich bin fast nüchtern, da will ich nicht gehemmt vor ihm rumzappeln. Obwohl wir bis zum Ende bleiben, passiert nichts mehr. Wir erzählen uns was, sitzen dicht zusammen und ich könnte nicht zufriedener sein. Heute irgendetwas zu beenden oder zu besiegeln, scheint mir sehr erzwungen. Ich genieße einfach den Moment, ohne jeden Haken. Morgen ist auch noch ein Tag. Wahrscheinlich wieder einer mit Übelkeit.
Aquaria ist offline   Mit Zitat antworten
Antwort

Lesezeichen für Observation

Themen-Optionen Thema durchsuchen
Thema durchsuchen:

Erweiterte Suche



Sämtliche Gedichte, Geschichten und alle sonstigen Artikel unterliegen dem deutschen Urheberrecht.
Das von den Autoren konkludent eingeräumte Recht zur Veröffentlichung ist Poetry.de vorbehalten.
Veröffentlichungen jedweder Art bedürfen stets einer Genehmigung durch die jeweiligen Autoren.