Aufbruch

[Ilka-Maria]

„Ich liebe dich.“ Milliardenfach gesprochen.
„Für immer treu.“ Milliardenfach gelobt.
„Ich glaub an dich.“ In Zweifel ausgebrochen.
„Verzeihst du mir?“ Wie es in Herzen tobt!

Sie wäscht am Abend Strümpfe,
wie sie es immer tat,
und denkt dabei an Sümpfe,
an Lügen und Verrat.

Sie wird hier nie mehr waschen,
ihr Koffer steht bereit,
den nächsten Zug zu haschen.
Es ist schon höchste Zeit.

„Ich liebte dich, das war nicht nur gesprochen.
Für immer treu, das war nicht nur gelobt.
Den Zauber, der uns band, hast du gebrochen …
es ist vorbei, zerspannt, zermürbt, zerprobt.

Sie zieht am Morgen leise
die Haustür in ihr Schloss,
ihr Zug harrt auf dem Gleise,
ein stählerner Koloss.

Er wird sie künftig schützen,
ihr wehren das Zurück,
sie auf der Reise stützen
nach vorn in neues Glück.

31.01.2016

[gummibaum]

Hallo Ilka,

etwas disparat. Die erste Strophe hat viele Versprecher und Betrogene, die vierte nur eine(n) sprechene(n) Betrogene(n). Die Strophen 2,3,5 und 6 erzählen den unwiderruflichen Abbruch einer tradionellen Ehe durch eine vielfach betrogene Frau. In Strophe 4 ist nur der Redebeginn markiert.

Gern gelesen.

LG gummibaum

[Walter]

Liebe Ilka-Maria,


ich habe deine Verse mehrfach gelesen und sie dann in verschiedene Parts unterteilt:

Part 1: Der Aufschrei, der(innere) Hilferuf. (1. Strophe)
Part 2: Darstellung der Alltäglichkeit (2. Strophe)
Part 3: Peripetie, Umbruch und Aufbruch in eine neue "Welt" (3. Strophe)
Part 4: Abrechnung, Resümee, Conclusio (4. Strophe)
Part 5: Das Hier und Jetzt mit der Hoffnung auf eine glückliche Zukunft.
(5. und 6. Strophe)

Sie zieht am Morgen leise
die Haustür in ihr Schloss,
ihr Zug harrt auf dem Gleise,
ein stählerner Koloss.

Er wird sie künftig schützen,
ihr wehren das Zurück,
sie auf der Reise stützen
nach vorn in neues Glück.

Diese letzten beiden Strophen gefallen mir aufgrund ihrer Bilder, die manchmal sogar einen naturalistischen Charakter in sich tragen ("stählerner Koloss") am besten.

Das soll aber die restlichen Strophen in keiner Weise schmälern! Denn gerade durch den bewusst herbeigeführten "Stilbruch" nach der vierten Strophe wird der Kontrast zu den beiden letzten Strophen deutlich:
Anfangs noch das verbale Geschimpfe, die Lügen und leeren Versprechungen, die Abrechnung.
Dann scheint es mir, als ob zwischen der vierten und fünften Strophe, ein Aufatmen liegt, ein großer Seufzer, dem in den beiden letzten Strophen ein neuer Blick in die Zukunft folgt.

Liebe Ilka-Maria, da ist ein richtiger Film in meinem Kopf entstanden, der eine gewisse Verbindung zu "Alice in den Städten" von Wim Wenders herstellt.

Ein sehr interessantes Gedicht, das ich bestimmt nicht vergessen werde!

Vielen Dank und liebe Grüße,
Walter

[Ilka-Maria]

Lieber Gummibaum, lieber Walter,

vielen Dank für die Auseinandersetzung mit meinem Gedicht.


@gummibaum: Die Ausführungsstriche habe ich am Ende der Strophe 4 vergessen. Schön, dass Du sie trotzdem wie von mir beabsichtigt gelesen hast.

@Walter: Du hast Dir mit Deiner Analyse viel Arbeit gemacht, das weiß ich zu schätzen. Ich dachte, es sei eine gute Idee, das Reifen einer langen Erkenntnis in langen Versen auszudrücken, dagegen die Konsequenz, nämlich das entschlossene Handeln, in kurze Verse zu fassen.

LG
Ilka

[Wolfmozart]

Sehr gelungen!

Einen schönen roten Faden von Anfang bis Ende gesponnen und ein interessantes Thema ausgefallen aufbereitet.

Vom ersten bis zum letzten Wort liest sich dieses Werk wie flüssig.

Gruß wolfmozart

[Ilka-Maria]

Danke für Dein Feedback, lieber Wolfmozart.

LG
Ilka