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Alt 22.07.2020, 15:04   #1
weiblich Ilka-Maria
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Standard Siggi

„Das ist der Siggi.“

Vor mir stand ein Berg aus zerknautschtem Stoff, der ausgereicht hätte, das Dach eines Zirkuszelts zu bespannen. Was daraus hervorlugte, war so dicht behaart, dass ich an einen Waldschrat dachte, und das einzige, was meinen Verdacht bestätigte, es könne sich um ein menschliches Wesen handeln, war die sorgfältig manikürte Hand, die sich mir entgegenstreckte.

Sein Händedruck war kräftig. Aus den kleinen, hellblauen Augen unter den dicken Brauen sprühten Schalk und List, und seine Stimme, als er „Hallo“ zu mir sagte, tönte wie die Glocke des Kölner Doms. Ohne Angel und Köder hatte er mich gefangen.

„Das gibt es,“ sagte Connie zu mir, nachdem sie sich über meine geröteten Wangen lustig gemacht hatte. „Man kann sich in eine Stimme verlieben. Ansonsten taugt Siggi nicht viel. Hat nur wirre Gedanken im Kopf, und im Bett bringt er gar nichts.“

So genau hätte ich über Siggi nicht Bescheid wissen wollen, aber Connie musste den bestürzten Ausdruck in meinen Augen bemerkt haben. „Guck nicht so. Ich weiß es. Hab ihn mal kurz ausprobiert.“

Ich war fassungslos. Ausprobiert? Kurz? Einfach so?

„Was ... was macht er denn so? Ich meine, beruflich.“

„Nichts. Lümmelt immer noch im Hörsaal herum und streitet mit seinem Prof, bis die Fetzen fliegen. Kannst dich an ihn halten, wenn du reich werden willst, der kennt keine Not. Aber als richtige Frau ... na ja ... wie gesagt ...“

Um seine Stimme zu hören, folgte ich ihm von Partygast zu Partygast und fand heraus, dass er Philosoph war. Oder zumindest studierte er Philosophie. Welche Erkenntnisse er vortrug und verteidigte, war mir egal, davon verstand ich so wenig wie eine Kuh von der Bedienung eines Smartphones. Ich wollte nur die Sätze, Wörter und Silben einsaugen, die über seine Lippen sprudelten und deren Ton in mir selbst dann noch nachhallte, als ich am nächsten Morgen aus dem Schlaf erwachte.

Als Siggi und ich uns besser kennenlernten, ließ ich mich trotz Connies warnendes Urteil, das mir frisch wie der Morgentau in Erinnerung war, vorbehaltlos auf ihn ein. Sie hatte recht: Von Frauen verstand er null und nichts, aber ich war zu verliebt, um ihn deswegen aufzugeben. Stattdessen betäubte ich meinen wachsenden Fust mit dem wenig intelligenten Slogan: „Sex ist nicht alles im Leben.“

Eine Zeitlang ging es mit uns gut. Ich lernte von Siggi Philosophie, und ich lehrte ihn Sex. Heute gibt es kaum eine Diskussion, in der ich nicht jede Haltung, jedes Argument und jede Logik mit einem Zitat aus den philosophischen Werken von Platon bis Sloterdijk mit einem Satz zur Tür hinausfegen könnte.

Und es gibt kaum noch eine Frau, die nicht von Siggis Liebeskünsten schwärmt.

„Gut siehst du aus,“ grüßt er mich, wenn wir uns über den Weg laufen, was nicht allzu häufig vorkommt.

„Danke, du auch,“ antworte ich wie ein Automat, „wie geht es deiner Familie?“

„Bin zufrieden.“

„Freut mich. Na denn ...“

„Ja denn, vielleicht sieht man sich mal wieder ...“
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Alt 22.07.2020, 15:06   #2
männlich Ex-Ralfchen
abgemeldet
 
Dabei seit: 10/2009
Alter: 77
Beiträge: 17.302


die KG gefällt mir ausnehmend gut. blühend in der form der beschreibung.
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