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Düstere Welten und Abgründiges Gedichte über düstere Welten, dunkle und abgründige Gedanken.

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Alt 12.08.2005, 20:15   #1
Poesielos
 
Dabei seit: 08/2005
Beiträge: 166

Standard Trauerweidenallee

Trauerweidenallee
-2. Version-


Leblos liegt am Straßenrand
Ein schrotdurchsiebter Adlerleib,
Die Büchse hält voll Eitelkeit
Mutter grinsend in der Hand.


Eifrig nagt der Rattenzahn
Ein gähnend hohles Madenloch,
Das tote Auge blinzelt noch
Vorwurfsvoll im Zukunftswahn.


Freudig kreischt das Rabenpack
Sie laden dich zum Hauptgericht
Und stürzen sich auf dein Gesicht:
Schnabeltief zum Tränensack.


Blutig ist das warme Nest
Die Trauerweiden ausgefranzt
Es gluckert noch der Kuckuckswanst:
Flügelloses Traumgeäst.


© Benjamin Stadler
Poesielos ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 16.08.2005, 11:28   #2
Don Carvalho
 
Dabei seit: 04/2005
Beiträge: 180

Hallo Benne,

zunächst einmal möchte ich Dich herzlich in diesem Forum begrüßen.

Nun habe ich mich zu diesem Gedicht bereits an anderer Stelle geäußert, werde ich mich etwas kürzer halten:

auch nach nochmaligem Lesen erscheint mir der Ansatz am schlüssigsten, dass die Mutter dieser Familie ganz kukucksgleich dem Vater (Adler) ein oder gar mehrere Kinder untergeschoben hat. Als sie ihn dann nicht mehr brauchte, hat sie ihn dann "abgeschossen". Der arme Vater kann offensichtlich nicht einmal von seinen Ziehkindern Beistand erwarten, denn auch diese Hacken nach...

Das Gewehr in dieser Naturmetapher stört mich nach wie vor, ansonst vermag Dein Gedicht zu gefallen. Ich würde Dir übrigens empfehlen, die Zeilenanfänge entsprechen den Interpunktion groß oder klein zu schreiben, das unterstützt sowohl die Lesbarkeit wie auch die hübschen Enjambements. Außerdem wäre wohl in den Strophen 3 und 4 Ende der ersten Zeile ein Komma richtig, meine ich.

Und warum 1. Version? Die 2.Version, die ich kurz vorher las erscheint mir vollkommen baugleich .

Gern gelesen,

Don Carvalho ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 16.08.2005, 20:01   #3
Poesielos
 
Dabei seit: 08/2005
Beiträge: 166

Ah, das meintest du also mit "anderer Stelle"
Joa, da ist mir einfach ein Fehler unterlaufen, hier oben ist die zweite Version, bei der ersten Version hatte ich zwei Rechtschreibteufelchen in S4V2 und S4V4. Also hab ich zwar die Fehler korrigiert, jedoch nicht die Versionsnummer - peinlich

Ich wage es nicht - noch nicht - eine komplette strophenorientierte Interpretation im Sinne des Autors hier zu veröffentlichen, aber ich gebe gerne einen Kommentar zu dem vermeintlich deplaziert wirkenden Mutterbildnis:

"Die grinsende Mutter", ich wusste, dass es diese Zeile sein wird, die komplett aus dem Rahmen fällt. Erstens weil in allen Szenerien von Tieren mit Flügeln (= Freiheit) und scharfen Zähnen (= Aggressivität) gesprochen wird. Die Mutter wird als Positiv gesehen, auch in der Lyrik - doch hier eben ganz und gar nicht. Die Mutter tötet mit der Flinte den Adler und entreißt dem Lyrischen Ich/Lyrischen Du (kann man sehen wie man will) seinen Glauben an individuelle Freiheit (Adler = Sinnbild für Freiheit). Nicht immer sind die Eltern gut zu ihren Kindern und nicht immer, ist das wohlbehütete Nest (siehe Strophe 4), das was die Nachkommen wollen. Es soll auch bei den Kindern auch Nestflüchter geben sobald sie an der Schwelle zum Erwachsensein sind... und es gibt eben auch Eltern, die ihren Kindern diese Freiheit verwähren oder ganz und gar zerstören. Darauf sticht die erste Strophe hin - und deswegen stört die Mutter in S1V4 auch. Und das ist gut so


Liebe Grüße,
Benne|Aenima
Poesielos ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 18.08.2005, 09:09   #4
Don Carvalho
 
Dabei seit: 04/2005
Beiträge: 180

Hi Benne,

zunächst einmal gut, dass Du die Versionswirrungen geklärt hast. Die grinsende Mutter stört mich übrigens nicht wegen ihres positiven Bildes. Mehr stört mich eigentlich die Flinte im Zusammenhang mit dem Restgedicht:

Du zeichnest ein Naturbild, in dem einem Adler eine Kuckucksbrut untergeschoben wird (wo habe ich es ja zumindest interpretiert). Die Mutter dieser Brut kickt den Adler im Rahmen dieses Naturbildes. Dieses Bild nun lässt sich auch übertragen auf menschliche Familien, kein Problem, das sehe ich auch so. Aber die Flinte gehört in die menschliche Übertragung des Bildes, nicht in das zuvor gezeichnete Bild - ich habe noch nicht allzuviele Vögel mit Knarre gesehen... somit habe ich hier weniger ein inhaltliches, denn ein technsiches Problem.

Vielleicht konnte ich Dir das Unbehagen dieser Stelle etwas deutlicher machen. Vielleicht äußert sich ja noch jemand, selbst alles zu interpretieren ist immer etwas komisch, mache ich auch nicht gern .

Don Carvalho ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 18.08.2005, 13:53   #5
Poesielos
 
Dabei seit: 08/2005
Beiträge: 166

Auf kurz oder lang wird Littleshine dieses Fragezeichen auflösen, lass ihr etwas Zeit
Poesielos ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 20.08.2005, 23:52   #6
Feyaria
 
Dabei seit: 08/2005
Beiträge: 24

Hallo mein Lieber,

ohne große Worte fange ich gleich mal an.

Betonungsschema:
Leblos liegt am Straßenrand
Ein schrotdurchsiebter Adlerleib,
Die Büchse hält voll Eitelkeit
Mutter grinsend in der Hand.

XxXxXxX
xXxXxXxX
xXxXxXxX
XxXxXxx


Eifrig nagt der Rattenzahn
Ein gähnend hohles Madenloch,
Das tote Auge blinzelt noch
Vorwurfsvoll im Zukunftswahn.

XxXxXxX
xXxXxXxX
xXxXxXxX
XxXxXxX

Freudig kreischt das Rabenpack
Sie laden dich zum Hauptgericht
Und stürzen sich auf dein Gesicht:
Schnabeltief zum Tränensack.

XxXxXxX
xXxXxXxX
xXxXxXxX
XxXxXxx

Blutig ist das warme Nest
Die Trauerweiden ausgefranzt
Es gluckert noch der Kuckuckswanst:
Fügelloses Traumgeäst.

XxXxXxX
xXxXxXxX
xXxXxXxX
XxXxXxx

Du verwendest jeweils in Z1+4 einen vierhebigen Trochäus, in den Zwischenzeilen einen vierhebigen Jambus. Passend zu diesem Metrum ist dein Reimschema a - b - b - a
Zu deiner Frage: Ja, das Metrum ist durchgehen rein.

Interpretation:

Du verwendest in deinem Gedicht viele Metaphern, die dem Leser einen nahezu angewiederten Grundeindruck bringen. Ich werde mal versuchen, sie zu entschlüsseln.

Leblos liegt am Straßenrand
Ein schrotdurchsiebter Adlerleib,
Die Büchse hält voll Eitelkeit
Mutter grinsend in der Hand.

Ein Straßenrand ist immer ein etwas trostloser Ort. Nur von den Abgasen vertrocknete Pflanzen und staubiger Stein. An diesem trostlosen Ort liegt jetzt der Körper unseres Freiheitssymbols: Der Leib des Adlers. Dieser ist schrotdurchsiebt von der Büchse, die die Mutter in der Hand hält.
Die Mutter hat also das Freiheitssymbol erlegt, um den Sohn (ich spekuliere mal darauf, dass es ein Sohn ist) bei sich zu halten, damit er erst gar nicht auf die Idee kommt, dem "Ruf des Adlers" zu folgen. Es ist aber nicht so, dass es ihr Leid tut und sie sagt, dass sie doch nur sein bestes will: Nein, sie grinst schadenfroh und man hat fast den Eindruck, als würde sie mit dem bloßen finger auf den Adlerleib zeigen, der da leblos liegt.

Eifrig nagt der Rattenzahn
Ein gähnend hohles Madenloch,
Das tote Auge blinzelt noch
Vorwurfsvoll im Zukunftswahn.

Jetzt kommt das Ungeziefer oder das, was viele Leute als solches titulieren: Ratten. Sie stürzen sich auf den Adlerleib und fressen ein Loch hinein, verspotten seine Freiheit auf diese Art und Weise erneut. ich bin mir nicht sicher, für was die ratten als Metapher stehen könnten. Vielleicht für die Familie des lyr. Ich, da Ratten ja in eingeschweissten Gruppen sehr familiär miteinander leben. Sie laben sich jedenfalls an dem von der Mutter vorbesorgtem Mahl und schlagen in die gleiche Kerbe. Das tote Auge des Adlers jedoch blinzelt noch ab und zu, lässt also immer wieder etwas Hoffnung auf Freiheit aufleben. Das Blinzeln jedoch ist vorwurfsvoll, weil eigentlich klar ist, dass die Träume nach Freiheit sowieso nur ein Traum, bzw ein zukunftswahn ist und niemals eintreten wird.

Freudig kreischt das Rabenpack
Sie laden dich zum Hauptgericht
Und stürzen sich auf dein Gesicht:
Schnabeltief zum Tränensack.

Jetzt kommt das lyr. Du ins Spiel (oben versehentlich lyr. Ich genannt). Die Artgenossen des Adlers stürzen sich auf das lyr. Du, in dem der Adler weiterzuleben scheint. Sie nehmen das lyr. Du als Hauptgericht, indem sie seine Augen auspicken, damit der Adler nicht mehr durch den körper des lyr. ich blinzeln kann.

Blutig ist das warme Nest
Die Trauerweiden ausgefranzt
Es gluckert noch der Kuckuckswanst:
Fügelloses Traumgeäst.

Das warme Nest (das Zuhause des lyr. Du) ist von dem Blut befleckt und von dem Kampf sind die Trauerweiden zerfranzt. Das ganze entpuppt sich nun als flügelloses Traumgeäst, aus dem sich die Träume niemals in die Realität emporheben können.

Btw: Du hast in S4Z4 das l in flügellos vergessen.

Fazit: Ein Gedicht, dass es sich zu lesen lohnt. Durch den harten Übergang zwischen Jambus und Trochäus wirkt der Erzähler verbittert und überträgt dies auf den Leser. Wirklich ein gut geschriebenes Werk Smile

Alles Liebe,
Littleshine
Feyaria ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 24.08.2005, 11:59   #7
Poesielos
 
Dabei seit: 08/2005
Beiträge: 166

Die Rechtschreibfehler sind inzwischen korrigiert, deswegen ja 2. und nicht mehr 1. Version Danke für die Auflösung des Rätsels, Littleshine. Du hast mit der Interpretation die Intention des Autoren ausnahmslos getroffen.

Liebe Grüße,
Benne|Aenima
Poesielos ist offline   Mit Zitat antworten
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