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Zeitgeschehen und Gesellschaft Gedichte über aktuelle Ereignisse und über die Menschen dieser Welt.

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Alt 03.03.2018, 18:03   #1
männlich Laie
 
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Standard Städte

Die Städte sind ein menschliches Debakel
und eng und laut, und jeder ist sich fremd.
Die Leute leben wie die Namenlosen
und sind ein Nichts im Ungeheuergroßen,
und wie ganz ohne Zweck dahingeschwemmt
als stumme Opfer flüchtiger Mirakel.

So drängt sich alles wie ein Sichzerreiben,
und atmet Schmutz und wachsenden Gestank
durch stumme Münder, die sich nicht mehr fragen,
woher das Leiden stammt, das sie ertragen,
als wären sie schon blind und taub und krank
und selbst die Stadt, in der sie einsam treiben.
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Alt 03.03.2018, 18:17   #2
weiblich Ilka-Maria
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Hmm ... du weißt aber, dass in ländlichen Gebieten Menschen sich mit den gleichen Konflikten herumplagen wie die Städter, aber je kleiner eine Gemeinde ist, viel mehr unter der Decke gehalten wird? Jeder weiß alles über seine Mitbürger, niemand kann sich frei bewegen, ohne dass sich herumspricht, ob man am Sonntag in der Kirche war oder bei der Geliebten - aber wenn ein Verbrechen geschehen ist, halten alle fest zusammen und schweigen.

Ich kenne seit meiner Kindheit beides, das Stadt- und das Dorfleben. Letzteres habe ich als hart und unfrei erlebt, die Stadt dagegen nie.
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Alt 03.03.2018, 18:38   #3
männlich Laie
 
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Hi Ilka,

so macht jeder seine Erfahrungen und zieht die eigenen Schlüsse daraus.

Für mich, der in einem Städtchen mit ca. 3000 Einwohnern aufgewachsen ist, sind größere Städte einfach nichts. Ich habe die letzten 4,5 Jahre in eben so einer Stadt gelebt. Vor allem sieht man viele gescheiterte Existenzen, viele graue Ecken und einige heruntergekommene Gegenden und alles ist irgendwie zusammengepfercht. Und immer mehr Menschen drängen hinein, obwohl eigentlich schon jetzt kein Platz mehr ist. Das Leid, die Gescheiterten werden als gegeben hingenommen und ignoriert. So scheint es zumindest.

Natürlich hat das städtische Leben auch seine Vorteile und es gibt auch dort sonnige Tage. Aber ich fühle mich dort nicht zuhause. Auf das Gerede und Getratsche in ländlicheren Orten gebe ich nichts. Sollen sie doch reden.

Vielen Dank für deine interessante Sicht auf den Inhalt!

Gruß,
Laie
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Alt 03.03.2018, 18:51   #4
weiblich Ilka-Maria
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Zitat:
Zitat von Laie Beitrag anzeigen
Auf das Gerede und Getratsche in ländlicheren Orten gebe ich nichts. Sollen sie doch reden.
Das meine ich nicht, getratscht wird in jedem Treppenhaus und auf jedem Wochenmarkt.

Ich meine Selbstmord, Kindstötung, sexuellen Missbrauch durch Geistliche und dergleichen, letzteres meist von den Diözesen unter dem Deckel gehalten und erst zugegeben, wenn der Geistliche längst das Zeitliche gesegnet hat. Aber dann wird trotzdem noch eine Straße nach diesem "verdienten" Mann benannt.

Außerdem Bauern, die außer dem Bestellen des Landes noch in der Fabrik arbeiten und am Wochenende Heimarbeit machen müssen, um die Familie durchbringen zu können, und ein Zimmer für Urlauber freimachen, um noch ein paar Kröten durch das Vermieten hereinzuholen. Deren Töchter im besten Fall einen Hauptschulabschluss machen dürfen, dann aber ebenfalls in die Fabrik gesteckt werden, um mitzuverdienen.

So sieht das aus, was ich kennengelernt habe. Das war in einem Dorf in der Oberpfalz, aus dem meine Großmutter stammte. Mit Ausnahme des Kindsmordes, das war im Jochgrund im Spessart.
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Alt 03.03.2018, 19:08   #5
männlich Laie
 
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Nach solchen Dingen hätte ich wohl auch ein schlechtes Verhältnis zum Landleben.

Zu den Geistlichen ist wohl zu sagen, dass bei deren Vergehen eher die Kirche den Mantel des Schweigens darüber wirft, und das geschieht überall und nicht nur im Ländlichen.

Den Bauern in meiner Gemeinde geht es gut, soweit sich das an den vielen neu gebauten Hallen festmachen lässt. In meiner Jahrgangsstufe auf dem Gymnasium waren auch Mädchen und Jungen, deren Eltern in der Landwirtschaft tätig waren. Natürlich sind das jetzt nur Beispiele. Aber ich denke, dass es in den meisten Fällen schon so ist, dass die Kinder die Schule besuchen dürfen, die sie besuchen wollen und nach ihrem Vermögen können.

Im Endeffekt lässt sich nicht verkennen, dass es überall Probleme und Missstände gibt, wo Menschen sind.

Gruß,
Laie
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Alt 04.03.2018, 15:39   #6
männlich Schmuddelkind
 
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Lieber Laie,

Einiges meiner Assoziationen mit der Stadt hast du hier aufgegriffen und in ehrliche, unmissverständliche Worte gepackt. Besonders gefällt mir, wie du die Menschen der Stadt verdinglichst, sie bloß zur Folge größerer Mächte machst, z.B.: "und wie ganz ohne Zweck dahingeschwemmt"

Ich persönlich kann auch Ilkas Position gut verstehen. Bin auch auf dem Lande aufgewachsen und obgleich ich die Nähe zur Natur sehr schätzte, hatte ich große Abscheu vor der kleingeistigen Kultur, die ich vorfand. Ich wurde zwangskonfirmiert und meine Gewissensgründe gegen die Aufnahme in die Gemeinde hatten keinerlei Gewicht: Was sollen denn die Nachbarn denken? Und das war sowieso das Grundproblem, dass es immer um die Nachbarn ging und vor dem Geschwätz beliebiger Idioten die eigene Verwirklichung zurückbleiben musste.

Nun lebe ich in der Stadt, aber zum Glück ziemlich im Grünen - hier gibt es wirklich viel Wald und Wasser. Man kann sehr gut für sich allein sein, aber eben auch die Gesellschaft aufsuchen, wenn man möchte - und in Berlin ist das an manchen Ecken nicht die schlechteste Gesellschaft. Dennoch, so richtig im Stadtzentrum zu leben - das käme für mich nicht in Frage. Da fühlt man sich wie ein Sandkorn an einem Strand. Daher kann ich mich gut in deinem ausgezeichnet geschriebenen Gedicht wiedererkennen.

LG
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Alt 04.03.2018, 21:26   #7
männlich Laie
 
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Hi Schmuddelkind,

vielen Dank für dein Feedback und deine Gedanken!

Mein Wunsch war immer ein Garten. Das ist in der Stadt so gut wie unmöglich, daher kommt das für mich einfach auf Dauer nicht infrage. Dass es überall dunkle Seiten gibt, ist ganz klar.

Schön, dass dir das Gedicht gefällt

Gruß,
Laie
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Alt 05.03.2018, 15:22   #8
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Sehr schön geschrieben! So ähnlich habe ich das Leben in der Stadt zuletzt auch empfunden und fühle mich jetzt auf dem Land viel wohler. Kann ich jedem nur empfehlen!

LG
k
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Alt 05.03.2018, 18:46   #9
weiblich Ilka-Maria
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Zitat:
Zitat von Laie Beitrag anzeigen
Mein Wunsch war immer ein Garten. Das ist in der Stadt so gut wie unmöglich, ...
Ich wohne in einer Stadt mit knapp 30.000 Einwohnern. Von meiner Wohnung brauche ich keine fünf Minuten zu gehen bis zum Eingang einer riesengroßen Gartenkolonie.
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Alt 05.03.2018, 18:55   #10
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Hi klaatu,

danke für das Lob! Und schön, dass du dich wieder wohler fühlst


Hi Ilka,

meinst du Schrebergärten? Das wäre natürlich eine Möglichkeit. Aber es ist dennoch etwas anderes als der Garten hinterm Haus mit Terrasse, auf der man im Sommer bis spätabends sitzt, und dann irgendwann beseelt ins Haus zurückgeht... ach ein Traum

Du scheinst das Stadtleben irgendwie verteidigen zu wollen. Aber ich will es gar nicht für andere schlecht reden. Das Gedicht beschreibt wirklich einfach nur meine persönlichen Empfindungen.


Grüße,
Laie
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Alt 05.03.2018, 19:14   #11
weiblich Ilka-Maria
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Zitat:
Zitat von Laie Beitrag anzeigen
Aber es ist dennoch etwas anderes als der Garten hinterm Haus mit Terrasse, auf der man im Sommer bis spätabends sitzt, ...
Habe ich bereits vermutet, dass es sich um ein Missverständnis handelt. Die Grünfläche vor oder neben der Terrasse mit dem Grillplatz bezeichne ich nicht als Garten. Ein Garten ist für mich ein Stück Land, auf dem Obstbäume und Beerensträucher wachsen, wo man Erdbeerbeete pflegt, Rosenhecken schneidet und am Zaun Brombeeren pflückt. Solche Gärten (in diesem Fall keine Schrebergärten) ziehen sich in meinem Wohnort endlos zwischen Main und Getreidefelder hin (manche dieser Kleingärtner haben sogar Bienenstöcke aufgestellt und stellen ihren eigenen Honig her).

Meine Großeltern hatten einen dieser Gärten mit Vielfalt, da gab es sogar Obstsorgen, die nicht gängig waren - Pfirsche, Mirabellen, Stachelbeeren, schwarze Johannisbeeren. Und das in Offenbach, damals bereits Großstadt.

Nein, ich verteidige das Großstadtleben nicht vor denjenigen Menschen, die es lieber ländlich mögen. Ich finde nur, dass beides seine Vor- und Nachteile hat und hätte mir das Gedicht kontroverser gewünscht. Für alte, gebrechliche Menschen kann das Leben auf dem Land eine Katastrophe sein: weite Einkaufswege, keine Ärzte, schmale Gehwege wegen zu enger Straßen, keine Fähigkeit mehr, selbst Auto zu fahren, Eisglätte im Winter, da viele Straßen nicht geräumt werden, Kaufen von Bekleidung nur in der nächsten Kleinstadt möglich, wo es außer Woolworth und Boutiquen für junge Leute nichts gibt, oder aber längere Fahrt in die Großstadt usw.

Ich habe meine Mutter, die auf die 90 zugeht, vor fünf Jahren aus dem Landleben rausgeholt, weil sie der Infrastruktur wegen dort nicht mehr bleiben konnte.
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Alt 05.03.2018, 19:40   #12
männlich Laie
 
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Obst und Gemüse hätte ich auch gern einmal Was du beschreibst, klingt auf jeden Fall sehr idyllisch.

Du hast mit allem, was du anführst recht. Und kontrovers ist mein Gedicht sicher nicht, das stimmt auch. Aber ich wollte es auch nicht wirklich kontrovers gestalten, da es meine momentanen Gefühle gegenüber dem Stadtleben, das mich nie hat heimisch werden lassen, darstellt. Ich wollte das Thema nicht mit Argumenten objektiv auslegen. Würde ich das tun, käme ich wahrscheinlich zu einem ähnlichen Ergebnis wie du. Vielleicht schreibe ich ja in einigen Jahren ein Gedicht, dass eine komplett andere Sicht auf die Dinge zeigt, weil ich dann anders fühle

Ich danke dir für den Austausch

Gruß,
Laie
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Alt 05.03.2018, 19:47   #13
weiblich Ilka-Maria
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Zitat:
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Aber ich wollte es auch nicht wirklich kontrovers gestalten, da es meine momentanen Gefühle gegenüber dem Stadtleben, das mich nie hat heimisch werden lassen, darstellt.
Verstehe ich, so etwas gibt es. Vielleicht waren es für dich grundsätzlich die falschen Städte, in denen du deine Eindrücke gesammelt hattest. Die vorteilhaftetsten Lebensbedingungen machen ein fehlendes Ambiente nicht wett.
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